19

Ich stehe auf einer Klippe, unter mir branden Wellen ans Ufer.

Ich schaue hinunter. Damien ist da, er hat die Arme ausgestreckt und den Kopf in den Nacken gelegt. Er ruft nach mir. Du gehörst mir, sagt er. Spring! Ich fange dich auf.

Spring,

spring einfach,

spring einfach …

Als mein Handy mich weckt, schrecke ich hoch. Nach dem Duschen hatte ich mich kurz hingelegt, eigentlich wollte ich nur ein zehnminütiges Nickerchen machen. Zum Glück habe ich mir für alle Fälle den Wecker gestellt.

Es ist fast fünf – in etwas mehr als einer Stunde wird Damien mich abholen.

Ich mache mir nicht die Mühe, mir etwas Besonderes anzuziehen. Schließlich werde ich mich ohnehin gleich wieder ausziehen. Angestrengt rede ich mir ein, dass das okay ist. Sobald er die Wahrheit kennt, wird er das Bild ohnehin nicht mehr wollen, aber er wird nicht grausam sein. Damien kann manchmal eiskalt sein, aber grausam ist er nicht.

Ich entscheide mich für eine Jeans und ein Tank Top mit dem Schriftzug der Universal Studios, das ich mir letztes Jahr gekauft habe, als ich Jamie besuchte. Ich schlüpfe in die Flipflops, kontrolliere meine Frisur im Spiegel und beschließe, dass ich ganz passabel aussehe. Ich bin nicht geschminkt und fühle mich dadurch etwas nackt. Weil meine Mutter mir eingebläut hat, dass man als Frau das Haus nicht ohne anständiges Make-up verlässt.

Tatsächlich, Mama? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass es auch so etwas wie natürliche Schönheit gibt.

Trotzdem begrabe ich mein Gesicht jeden Tag aufs Neue unter einer dicken Schicht Schminke. Ich tröste mich damit, dass die meisten Frauen dasselbe tun. Das hat nichts mit meiner Mutter zu tun, sondern ist einfach typisch weiblich. Besser gesagt typisch für mich.

Aber ich habe an genug Schönheitswettbewerben und Fotoaufnahmen teilgenommen, um zu wissen, dass Künstler ihre Modelle anfangs gern wie eine leere Leinwand vor sich haben wollen. Also sitze ich hier mit nacktem Gesicht, damit es zu meinem in Kürze ebenfalls nackten Körper passt.

Die nächste halbe Stunde verbringe ich am Computer. Ich aktualisiere meinen Lebenslauf und schicke ihn dann an Thom, den Headhunter, der mir den Job bei Carl besorgt hat. Ich schreibe ihm eine kurze Mail, in der ich ihm meine Situation erkläre, damit er begreift, warum ich mich nach nicht mal einer Woche schon wieder nach einer neuen Stelle umsehe. Mit etwas Glück wirft er mich nicht als hoffnungslosen Fall aus seiner Kartei. Und mit etwas mehr Glück wird er mir noch diese Woche ein paar interessante Vorstellungsgespräche verschaffen.

Mir bleiben noch ein paar Minuten Zeit, also beschließe ich, ein bisschen zu programmieren. Doch anstatt meine Datei aufzurufen, ertappe ich mich dabei, wie ich Damiens Namen in eine Suchmaschine eingebe. Ich suche nach nichts Besonderem. Ich möchte nur mehr über ihn wissen. Die paar Details, die Damien bisher preisgegeben hat, haben meine Neugier nicht etwa gestillt, sondern noch beflügelt.

Es überrascht mich nicht weiter, dass ich ungefähr so viele Treffer erhalte, wie Damien Dollar besitzt. Seine Tenniskarriere, sein Firmenimperium, seine sozialen Engagements. Seine Frauen. Obwohl ich nach wie vor neugierig auf seine Kindheit bin, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, meine Suche auf die Frauen einzugrenzen, mit denen Damien fotografiert wurde. Ich klicke auf »Bilder« und lehne mich zurück, während eine Galerie von Schönheiten den Bildschirm füllt – alle an der Seite des ebenso aufregenden wie geheimnisvollen Damien Stark.

Damien wurde nur selten zweimal mit ein und derselben Frau fotografiert. Das passt zu dem, was er mir erzählt hat. Ich klicke auf eine der Frauen und werde auf einen Blog mit Promi-Tratsch weitergeleitet. Dort erfahre ich, dass die Frau Giselle Reynard heißt. Bei näherer Betrachtung erkenne ich Audrey Hepburn, nur mit deutlich längeren Haaren. Ich entspanne mich. Inzwischen weiß ich, dass Giselle verheiratet ist.

Eine ganze Reihe von Bildern zeigt Damien mit einer großäugigen Blondine namens Sara Padgett. Einigen Bildunterschriften entnehme ich, dass Sara erstickt aufgefunden wurde. Und obwohl nirgendwo steht, dass Damien etwas damit zu tun hatte, gibt es genügend Andeutungen, sodass ich mich frage, ob nicht Saras Bruder hinter diesen Bildern und Texten steckt. Und wenn ja, ob das die üble Nachrede ist, gegen die sich Damien mithilfe von Mr. Maynard zur Wehr setzt.

Ich lege einen Finger auf den Bildschirm, berühre Damiens Gesicht, kann den Blick aber nicht von Sara abwenden. Hat sie sich absichtlich umgebracht? Oder hat sie tatsächlich nur versucht, zum Höhepunkt zu gelangen, und ist dabei dummerweise ums Leben gekommen? So oder so – es macht mich traurig. Ich habe mich oft dermaßen verloren und hilflos gefühlt, dass ich mich verletzt habe, um überhaupt wieder etwas spüren zu können. Aber der Gedanke an Selbstmord ist mir nie gekommen. Im Gegenteil: Ich habe stets nach einem Lebensfunken in mir gesucht.

Ich schließe die Website, da ich auch so schon melancholisch genug bin. Stattdessen gehe ich auf YouTube und schaue mir alte Tanzclips mit Ginger Rogers und Fred Astaire an. Ich beginne mit »Smoke Gets in Your Eyes«.

Fred hält Ginger gerade in den Armen, als es an der Tür klingelt. Ich fahre den Laptop herunter, schnappe mir meine Handtasche und verlasse mein Zimmer. Ich habe schon jetzt Herzklopfen, und mein Körper ist sich des Raums, den er einnimmt, deutlich bewusst – so als würde er sich bereits darauf vorbereiten, ihn mit einem anderen zu teilen.

Ich bleibe kurz stehen, hole tief Luft und greife zum Türknauf.

Ich reiße die Tür auf und erwarte, Damien zu sehen, finde zu meiner Überraschung aber nur Edward vor. »Oh«, sage ich. »Ich dachte …«

»Mr. Stark lässt sich entschuldigen. Er wurde aufgehalten.«

»Verstehe.« Ich folge Edward zum Wagen, und die Enttäuschung lastet schwer auf mir. Gleichzeitig steigt Wut in mir auf. Nicht auf Damien, sondern auf mich: Ich habe mich kindischen Fantasien hingegeben und das große Ganze aus den Augen verloren. Ich bin etwas, das Damien gekauft hat, genau wie sein Hotel, seinen Jet oder sein Auto. Ich bin weder seine Freundin noch seine Geliebte. Nicht wirklich. Ich gehöre ihm einfach nur, und das ist in Ordnung, weil ich mich damit einverstanden erklärt habe und dafür bezahlt werde. Aber ich kann nicht davon ausgehen, dass diese aufregende Vereinbarung irgendwas mit der Realität zu tun hat: Das ist nur ein Spiel für ihn, und ich habe mich als Mitspielerin zur Verfügung gestellt und hart über die dazugehörigen Spielregeln verhandelt.

Er ist auf meine Bedingungen eingegangen, rufe ich mir wieder ins Gedächtnis. Auch wenn es sich so anfühlt, als läge alle Macht bei Damien, stimmt das nicht so ganz: Ich habe auch etwas mitzureden – und bin schon bald um eine Million reicher.

Als wir ankommen, rennen überall Handwerker herum. Sie schaufeln Erde, pflanzen Blumen, entfernen Steine. Ein weiteres Team ist an der Ostfassade beschäftigt. Zumindest glaube ich, dass es die Ostfassade ist. Für mich ist alles, was auf den kalifornischen Ozean hinausgeht, Westen. Und gegenüber ist Osten.

Kurz befürchte ich, dass auch im Haus Handwerker zugange sein könnten, schließlich habe ich mir keine Privatsphäre zusichern lassen. Ich bin davon ausgegangen, dass nur Damien und der Künstler zugegen sein werden. Aber jetzt, wo ich die Männer sehe …

Damien wird doch nicht von mir verlangen, nackt vor aller Welt zu posieren?

Da sei dir mal nicht so sicher.

Aber als Edward mir die Tür aufmacht und mich hineinführt, sehe ich, dass meine Angst unbegründet war. Hier herrscht bis auf leise Hintergrundmusik vollkommene Stille.

Das Haus ist noch nicht fertig, aber die Hülle steht. Die Wände müssen noch gestrichen und das Holz muss noch eingelassen werden. Es fehlen Lampen, an ein paar herunterbaumelnden Kabeln kann man sehen, wo sie hingehören. Doch man erkennt auch so, wie prächtig dieses Haus ist. Meterhohe Decken, atemberaubende Böden, selbst wenn nur Teile davon unter dem braunen Filz hervorblitzen. Und die Marmortreppe und das geschwungene, schmiedeeiserne Geländer wirken, als gehörten sie in ein Fünf-Sterne-Hotel.

Ich gehe hinter Edward die Treppe hinauf. Als wir den dritten Stock erreicht haben, bietet sich mir ein ganz anderes Bild: Hier ist nichts mehr behelfsmäßig oder nur halb fertiggestellt. Die Holzböden sind auf Hochglanz poliert, dicke, teure Teppiche setzen Farbakzente. Die Wände sind blassrosa gestrichen, und ich kann mir vorstellen, wie sie bei Sonnenuntergang leuchten.

Der ganze Raum ist unheimlich einladend. Er ist eindeutig dafür gedacht, Gäste zu empfangen, auch wenn sich in seiner Mitte ein Riesenbett befindet. Es wurde bestimmt extra für mich hier aufgestellt, und ich presse die Schenkel zusammen, um den Blutfluss in meine Klitoris zu stoppen.

Eine Wand scheint noch zu fehlen, doch bald merke ich, dass sie aus Glasschiebetüren besteht. Ich trete auf einen steinernen Balkon mit Meerblick hinaus, denke an meinen nächtlichen Ausflug mit Jamie zurück und staune: Das Meer ist näher als gedacht, ich kann sogar die Brandung hören.

»Mr. Stark wird gleich hier sein«, sagt Edward, verbeugt sich und geht. Ich bin mir selbst überlassen.

Einerseits möchte ich gern hier draußen bleiben, die Meeresbrise in meinen Haaren spüren und das Rauschen der Wellen hören. Andererseits möchte ich mir den Raum näher anschauen. Ich gehe wieder hinein und stelle mich neben das Bett. Es steht im rechten Winkel zu den offen stehenden Glastüren, vor denen transparente Vorhänge von der Decke hängen. Sie flattern im Wind. Ganz in der Nähe steht eine Staffelei, und mir wird klar, dass das alles für mich arrangiert wurde. Zitternd streiche ich mit der Hand über einen der altmodischen Bettpfosten aus poliertem Messing. Stabil und doch sinnlich, genau wie Damien Stark. Ganz so, als hätte dieses Bett eigene Pläne.

Oh …

Auf dem Bett liegt keine Decke, nur blaugraue Laken, die zerknittert wurden, damit es so aussieht, als hätte jemand darauf gelegen. Vielleicht hat Damien ja tatsächlich hier geschlafen. Ich setze mich auf die Bettkante. Von hier aus kann ich das Meer sehen. Ein warmer Windstoß erfasst die Vorhänge und weht sie ins Zimmer, sie streifen meine nackten Arme. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück, frage mich nicht länger, warum Damien noch nicht da ist. Er möchte, dass ich mich in diesem Bett meinen Gedanken überlasse, diese Brise und die hauchzarten Seidenvorhänge auf meiner Haut spüre.

»Dieser Anblick gefällt mir.«

Ich erkenne die Stimme und rühre mich nicht. Ich bleibe auf dem Bett, gestatte mir aber ein Lächeln. »Warum kommen Sie nicht näher und genießen ihn?«

Kurz darauf spüre ich, wie sich die Matratze bewegt, öffne meine Augen aber nicht. Sein Daumen streift meine Lippen, wandert dann weiter zwischen meinen Brüsten nach unten bis zum Bund meiner Jeans. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen keine Unterwäsche tragen«, flüstert er.

»Tue ich auch nicht.«

In dem darauffolgenden Schweigen kann ich sein Lächeln fast hören.

Ich lasse die Augen geschlossen, während er meine Hosenknöpfe öffnet. Die Jeans sitzt locker, und seine Hand gleitet mühelos hinein. Mein rasiertes Schamhaar ist schon feucht, und als seine Finger über meine Vulva gleiten, bin ich ganz nass vor Verlangen. Ich stemme die Hüften hoch, dränge mich an ihn, während meine Klitoris erwartungsvoll pulsiert.

»Hmm«, flüstert er und steckt zwei Finger in mich hinein – das kommt so überraschend und ist so erregend, dass ich mir auf die Lippen beiße, um nicht laut aufzuschreien.

»Keine Jeans mehr! Ich möchte Sie nur noch in Röcken sehen. Keine Unterwäsche. Und wenn es denn sein muss, halterlose Strümpfe. Sie müssen verfügbar sein. Jederzeit und überall.«

Meine Vagina umklammert erregt seine Finger, und er stöhnt leise. »Meine Güte, reagieren Sie heftig!« Er zieht seine Finger heraus, und ich weine beinahe vor Enttäuschung. »Lassen Sie die Augen geschlossen«, sagt er, und dann spüre ich seine Finger auf meinen Lippen. »Lutschen!«, befiehlt er, und ich sauge an seinen Fingern. Sie sind ganz glitschig, schmecken nach mir, und ich winde mich auf dem Bett, presse die Schenkel zusammen und sauge ganz fest an ihm, während ich versuche, zum Höhepunkt zu kommen.

Langsam nimmt er die Finger aus meinem Mund.

»Damien«, flüstere ich.

»Du gehörst mir«, sagt er heiser, und mehr muss ich gar nicht wissen. Ich komme, wenn er es will. Das zu wissen, erregt mich – und ist auch verdammt frustrierend.

Ich spüre den Druck seiner Lippen auf meiner Brust. Er saugt durch das Tank Top an mir, und ich biege den Rücken durch, um ihm entgegenzukommen, schreie laut auf, als seine Zähne an meinen empfindlichen Brustwarzen zupfen. Ich reiße die Augen auf und stelle fest, dass Damien Stark auf mich hinablächelt. »Hallo! Wie ich sehe, gefällt Ihnen das Bett?«

Ich setze mich auf, versuche kühl und gelassen zu bleiben. »Ist es Ihres?«

»Nein«, sagt er. »Zumindest schlafe ich nicht darin. Es ist für das Porträt bestimmt. Und für diese Woche. Was wohl bedeutet, dass es Ihres ist.« Seine Augen wandern über meinen Körper, und ich bekomme Gänsehaut. »Beziehungsweise unseres.«

Ich schlucke. »Nun, Sie haben den Raum wunderschön eingerichtet. Ich bin mir sicher, das Bild wird fantastisch. Wann kommt denn der Künstler?«

»Er ist bereits hier«, sagt Damien und lacht, als ich entsetzt die Augen aufreiße. »Keine Sorge, er ist in der Küche. Ich stehe nicht auf Sex in der Öffentlichkeit.« Er beißt in mein Ohrläppchen. »Aber auf alles andere schon«, flüstert er. Ich spüre, wie mir ganz heiß wird, während ich überlege, was »alles andere« wohl so beinhaltet.

»Blaine!«, ruft er. »Bringen Sie Ihren Kaffee doch mit hoch!«

»Blaine?«, frage ich. »Ich dachte, Sie mögen seine Arbeiten nicht.«

»Im Gegenteil. Ich finde ihn außergewöhnlich gut. Er schafft eine intensive, erotische Atmosphäre. Mir missfallen nur seine Modelle und die Art, wie sie inszeniert wurden. Ich will dieselbe erotische Atmosphäre, aber ohne die Fesseln. Ich werde Sie fesseln, Nikki, aber mir kein Bild davon an die Wand hängen.«

Er wird mich fesseln …

Ich nicke verdutzt. Er überrascht mich immer wieder aufs Neue.

Kurz darauf kommt Blaine mit einem Becher Kaffee herein. Ich knöpfe mir rasch die Jeans zu und erhebe mich vom Bett. Er ist lässiger gekleidet als auf Evelyns Party, trägt nur eine Baumwollhose und ein schwarzes T-Shirt. Er strahlt mich an. »Wie schön, Sie wiederzusehen, Nikki. Sind Sie nervös?«

»Und ob!«, sage ich, und er muss lachen.

»Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin so etwas wie ein Arzt. Ich sehe das Ganze rein klinisch.«

Ich hebe die Brauen.

»Na gut, vielleicht nicht nur. Aber ich weiß Schönheit zu schätzen, und es erregt mich, sie einzufangen. Es ist persönlich, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Wissen Sie, was ich meine?«

»Ja«, sage ich und denke an meine Fotos.

»Wir müssen einander vertrauen. Schaffen Sie das?«

»Ich werde es versuchen.«

»Und nur damit Sie Bescheid wissen: Ich habe Damiens Vertrag unterzeichnet.«

Ich habe keine Ahnung, wovon er redet, und die Verwirrung steht mir ins Gesicht geschrieben.

»Die Geheimhaltungsvereinbarung«, erklärt er. »Ich darf weder über Sie noch über die Sitzungen reden. Und wenn ich fertig bin, darf ich niemandem sagen, wer für das Bild Modell gestanden hat.«

»Tatsächlich?« Ich schaue zu Damien hinüber. Er nickt, dann dreht er sich um und zeigt auf die Wand, die dem Meer gegenüberliegt und die von einem riesigen Kamin eingenommen wird. Darüber befinden sich Steinquader, die vermutlich den Kaminschacht verstecken.

»Dort werde ich es aufhängen«, sagt er. »Sie werden aufs Meer hinausschauen und Abend für Abend den Sonnenuntergang sehen.«

Ich nicke. »Wo ist die Leinwand?« Wenn sie diesen Platz ausfüllen soll, muss sie riesig sein. Aber auf der Staffelei steht bloß ein überdimensionierter Zeichenblock.

»Morgen«, sagt Blaine. »Heute geht es nur darum, miteinander warm zu werden: Ich skizziere Ihre Kurven, und Sie stehen einfach nur da und sehen fantastisch aus.«

»Ich glaube, Ihr Job ist einfacher«, erwidere ich trocken.

»Allerdings«, sagt er, und wir müssen beide lachen.

»Ich bin immer noch nervös«, gestehe ich.

»Das ist vollkommen normal«, sagt Blaine.

Verzweifelt drehe ich mich zu Damien um. Mir ist der kalte Schweiß ausgebrochen, und mein Herz rast. Wie konnte ich bloß annehmen, das wäre ganz einfach? Ich muss nackt vor einem Wildfremden posieren. Mist! »Haben Sie vielleicht etwas Wein da?«, platzt es aus mir heraus.

Damien drückt mir einen keuschen Kuss auf die Lippen. »Natürlich.«

Er verschwindet hinter dem Kamin und kehrt schnell mit drei Gläsern und einer Flasche Pinot Grigio zurück. Zuerst reicht er mir ein Glas, und ich trinke die Hälfte auf einen Zug aus. Die Männer werfen sich einen belustigten Blick zu. Trotzig leere ich auch den Rest.

»Gut«, sage ich und suche Halt am Bettpfosten. »Schon besser.« Ich halte ihm mein Glas hin, aber Damien schenkt mir nur ganz wenig nach. »Sie sollen für mich posieren und nicht bewusstlos herumliegen«, sagt er mit einem geduldigen Lächeln. Er drückt meine Hand. »Ist der Anfang erst mal gemacht, geht es wie von selbst.«

»Und das wissen Sie, weil Sie wie oft genau nackt Modell gestanden haben?«

»Eins zu null für Sie!«, sagt Damien. »Lassen Sie sich Zeit.«

»Gehen Sie zum Fenster«, befiehlt Blaine, und ich bin dankbar für seinen nüchternen Tonfall. »Schließen Sie die Vorhänge. Damien, wo haben Sie den Morgenmantel gelassen?«

Vor dem Bett steht eine antike Truhe. Damien öffnet sie und zieht einen rotseidenen Morgenmantel heraus.

»Legen Sie ihn einfach aufs Bett – ans andere Ende, damit er nicht ins Bild kommt. Ja, so ist es gut. Okay. Jetzt hierher, Nikki. Möchten Sie den Morgenmantel im Bad anziehen? Später können Sie ihn dann einfach von den Schultern gleiten lassen.«

Ich spiele mit dem Vorhang. »Nein«, sage ich, packe den Saum meines Tank Tops und ziehe es mir in einem Ruck über den Kopf. Die kühle Luft attackiert meine bloßen Brüste, und meine Brustwarzen fühlen sich steif und schwer an. Ich vermeide es, Damien anzusehen. Stattdessen schaue ich aufs Meer hinaus.

»O Mann!«, sagt Blaine. »Das ist fantastisch. Sie haben ein tolles Profil und die schönsten Brüste, die ich je gesehen habe. Bleiben Sie so«, sagt er und läuft im Zimmer auf und ab. »Ich möchte nur die ideale Position finden.«

Schon bald hat er sie gefunden, und obwohl ich inzwischen etwas gelassener sein müsste, spüre ich, wie ich mich immer mehr verkrampfe, weil er ständig wiederholt, wie schön ich bin. Immer wieder lobt er meine zarte, perfekte Haut.

Ich versuche nicht zu blinzeln, versuche mir vorzustellen, ein Teil des Meeres und der Brandung zu sein.

»Könnten Sie jetzt auch die Jeans ausziehen?«, bittet Blaine, und ich erschrecke so sehr über seine Stimme, dass ich zusammenzucke.

»Nikki?« Damiens Stimme ist ganz sanft.

»Ich – na klar.« Ich berühre den Hosenknopf, öffne ihn, streife langsam die Jeans über die Hüften. Meine Finger liegen auf meiner Haut, und ich spüre die wulstigen, hässlichen Narben.

Ich erstarre, hole tief Luft und versuche es noch einmal.

Aber ich schaffe es einfach nicht. Ich öffne den Mund, will etwas sagen – um Aufschub bitten, darum, einen Moment allein sein zu dürfen. Aber ich bringe einfach kein Wort heraus. Stattdessen schluchze ich auf einmal, mein ganzer Körper bebt, und meine Beine geben unter mir nach. Ich sinke zu Boden und vergrabe mein Gesicht im weichen Stoff des Vorhangs.

Damien ist sofort bei mir. »Psst«, flüstert er. »Das ist schon in Ordnung. Wir lassen es ganz langsam angehen. Es ist nicht leicht, sich so zu öffnen. Das erfordert Mut, aber Sie schaffen das.«

Ich schüttle den Kopf und lasse zu, dass er mich in die Arme nimmt. Ich vergrabe das Gesicht an seiner Schulter, und er drückt mich an sich. Meine Brüste werden an seinen Brustkorb gepresst, und ich spüre den sanften Baumwollstoff seines T-Shirts an meinen Brustwarzen. Seine Hände streichen mir über den Rücken, aber das hat nichts Erotisches: Er tröstet mich, er hält mich fest, und ich fühle mich sicher und geborgen.

»Ich kann das nicht«, flüstere ich, als mein Schluchzen so weit nachgelassen hat, dass ich wieder sprechen kann. »Tut mir leid, aber ich kann das nicht.«

Ich löse mich von ihm, zittere nach wie vor am ganzen Körper und habe Schluckauf. »Ich dachte, ich könnte es. Keine Ahnung, was ich gedacht habe. Vielleicht wollte ich Rache nehmen – an Ihnen oder an der ganzen Welt. Ich weiß auch nicht, warum.«

Ich blubbere Unsinn, und er sieht mich dermaßen besorgt und mitfühlend an, dass es mir beinahe das Herz bricht. »Es tut mir leid, Damien«, sage ich. »Ich kann Ihr Geld nicht annehmen, denn ich schaffe das hier einfach nicht.«