40. Kapitel

Der Rest der Woche verging wie im Flug. Die Temperaturen schnellten erneut in die Höhe, und die Dewberry’s Dinners-Finalisten im Osten, Westen und Norden gingen ans Werk.

Trixies Faxen und Roys Ausbruch zogen lange und laute Schimpftiraden nach sich, bei denen Trixie – die bei Gabbys Befreiung von Roy mit Hilfe der Elfchen die Hauptrolle beanspruchte – in deutlichen Worten erklärt wurde, dass eine Befreiung gar nicht erst erforderlich gewesen wäre, wenn sie sich nicht zuvor mit ihren Kräutertinkturen besoffen und für die verdammten Elfchen sämtliche Türen aufgerissen hätte.

Da war sie in ihr Zimmer hinaufgestapft und hatte sieben Ewigkeiten lang geschmollt.

Ella hatte fast zu ihrer früheren sonnigen Stimmung zurückgefunden. Fast. Okay, sie fand sich damit ab, wieder offiziell Single zu sein, Ash und sie waren wieder Freunde, und das war nett, aber nach wie vor nicht das, was sie eigentlich wollte.

Nach Roys Ausbruch hatten sie ihn in sein Vivarium zurückgebracht und erleichtert beobachtet, wie er sich zufrieden wieder zwischen Torfmoos und Wasserstelle geschlängelt und sich schließlich unter einem seiner heißen Steine niedergelassen hatte. Ash hatte ihr vielmals gedankt, und dann hatten sie Roy sich selbst überlassen und waren treppab geeilt, weil Tom und Gabby im Aufbruch begriffen waren und sie wussten, dass Poll sie bei der Verabschiedung dabeihaben wollte.

So hatte Roy das Eis zum Schmelzen gebracht, das war schön, aber abgesehen davon war da noch immer die Sache mit Onyx und dem Zusammenziehen …

Ach ja, dachte Ella, eins nach dem anderen … Erst wollen wir mal sehen, ob wir es ins Finale schaffen, danach kümmere ich mich um den Rest meines Lebens. Sie hatte es immer für einen ziemlich guten Grundsatz gehalten, sich so wie Scarlett O’Hara über schlimme Dinge nicht heute, sondern erst morgen den Kopf zu zerbrechen.

Alle, die ihre Sendung gesehen hatten, sagten, sie seien besser gewesen als je zuvor. Ellas Eltern riefen aus Mallorca an und erzählten, dass sie in »Eduardos English Eaterie« einen Fernseher gefunden hatten, in dem Dewberry’s Dinners lief, und nachdem sie hatten durchblicken lassen, dass sie mit Ella verwandt waren, hatte man ihnen den ganzen Abend lang gratis Sangria ausgeschenkt, sodass die Oma am Ende nach Hause getragen werden musste.

Und George, als er von seiner Übernachtung bei Doll Blessings Kindern nach Hause kam, hatte Ella begeistert erzählt, dass sie die Show im Schlafanzug angesehen und dabei Pommes hatten essen dürfen. Letzteres hatte ihn scheinbar noch sehr viel mehr beeindruckt als die Tatsache, dass seine Mum im Fernsehen gewesen war.

Am Dienstag hatte das Pink-Barbie-Team alles, was sie kochten, lila gefärbt. Das war sehr raffiniert und sah außerordentlich hübsch aus, obwohl sie doch alle fanden, dass lila Ratatouille irgendwie komisch wirkte. Am Mittwoch beging das Fish-and-Chips-Team aus Devon einen fundamentalen Fehler, indem sie alles in Hörnchenform gestalteten. Ihr hörnchenförmiger Auflauf war nicht richtig gar und zerfloss zu einer klebrigen Pampe mit Klümpchen. Und am Donnerstag wich die magere Crew aus Newcastle auf höchst spektakuläre Weise von ihren ursprünglichen Geordie-Schlemmereien ab. Sie wechselten von Tyneside nach Thailand und produzierten eine absolut atemberaubende Auswahl herrlicher Gerichte. Ihre Kochkünste standen außer Zweifel, aber wie Gabby mit bissiger Schärfe klarstellte, gehörte Curry-Reispudding mit Zitronenpickle-Sorbet ganz sicher nicht zu ihren Leibspeisen.

»Ach du liebe Güte! Ich wüsste nicht, für wen ich da stimmen sollte, du vielleicht? Der Ausgang ist völlig offen«, sagte Poll seufzend, als im pfirsich- und cremefarbenen Wohnzimmer die letzten Töne von »Pickin’ A Chicken« verklangen. »Und ob wir es sind, erfahren wir erst nach Mitternacht, wenn die Telefonleitungen geschlossen sind.«

»Das ist eine ewig lange Wartezeit.« Ella streckte die nackten Beine auf dem Sofa aus. »Aber sie haben doch gesagt, sie rufen uns so oder so an, oder? Sie sagen uns, ob wir gewonnen oder verloren haben. Wenn also das Telefon klingelt, wissen wir noch gar nicht, ob wir die Sieger sind, es kann das eine wie auch das andere bedeuten.«

Alle stöhnten gequält.

»Ich finde«, sagte Billy und hievte sich auf der Suche nach weiteren eisgekühlten Getränken aus den Tiefen eines Sessels, »wir sollten heute Abend einfach nicht mehr daran denken, sondern früh ins Bett gehen und uns ausschlafen. Morgen früh sehen wir dann schon, wie die Dinge stehen, denn sie werden ja bestimmt eine Nachricht hinterlassen, meint ihr nicht?«

»Nicht mehr daran denken?«, schrien die anderen. »Schlafen? Machst du Witze? Wir bleiben auf und zählen die nächsten drei Stunden lang die Sekunden.«

Und das taten sie. So gut wie. George wurde zu geradezu unerhört später Stunde um zehn ins Bett gebracht, und Trixie gab kurz nach elf den Geist auf und sagte den anderen schläfrig gute Nacht.

Als dann um Viertel nach eins das Telefon klingelte, wurden die Übrigen ruckartig wach. Mit verquollenen Augen, verschwitzt, unbehaglich und mit trockenem Mund blinzelten sie einander an und sahen sich im stickigen Wohnzimmer um.

»Ich geh dran«, sagte Poll, gähnte und reckte sich. »Wenn es schlechte Nachrichten sind, bin ich dem gewachsen.«

Alle wussten, dass das nicht stimmte, sagten aber nichts.

Ella war auf einmal sehr übel. Sie waren jetzt so dicht dran. Und es bedeutete Ash und Poll so viel. Und ja, verdammt, ihr ebenfalls. So weit zu kommen – so viel Spaß zu haben, tatsächlich live im Fernsehen zu kochen und richtige Profiköche mit den eigenen Kreationen in Verzückung zu versetzen – war einfach großartig gewesen. Das durfte doch jetzt nicht vorbei sein, das konnte einfach nicht sein …

Ach, aber Poll blieb Ewigkeiten weg …

Die Wohnzimmertür ging auf. Sie hielten den Atem an.

»JA!!!«

Sie sprangen allesamt auf und umarmten einander und tanzten wild im Kreis herum.

»Wir sind es und das Pink-Barbie-Team«, sagte Poll atemlos. »Mal sehen, ob ich mir alles gemerkt habe … Also, sie schicken uns morgen Nachmittag einen Wagen. Und bringen uns hinterher für die Nacht in einem Hotel unter, und zwar nur uns – nicht Trixie oder George oder Onyx –, ach, und sie stellen uns alle Zutaten zur Verfügung, die wir brauchen. Darum hab ich gesagt, wir machen diesmal ein völlig neues Menü und …«

»Was?«, rief es entsetzt im Chor. »Ein völlig neues Menü? Bis morgen? Du spinnst wohl?«

Poll strahlte. »Ich dachte nicht, dass das ein Problem sein könnte.«

Alle starrten sie an.

»Was denn?« Fragend zog sie die Augenbrauen hoch. »Ach kommt schon, wir hatten doch jede Menge Ideen. Sachen, die wir für die zweite Runde verworfen hatten. Und ich dachte, wir könnten jetzt mal eben einen kleinen Probelauf machen und …«

»Poll, Liebes«, sagte Billy leise. »Es ist zwei Uhr morgens.«

»Ach so. Tja dann könnten wir ja vielleicht auch früh aufstehen und morgen den kleinen Probelauf machen?«

»Auf keinen Fall«, stöhnten alle einstimmig. »Keine Zeit.«

»Na ja, wahrscheinlich ist es sowieso besser, nicht zu übertreiben. Wir sind voll und ganz in der Lage, direkt ans Werk zu gehen, wenn wir im Studio sind«, sagte Poll strahlend. »Jetzt bringt mich nicht durcheinander. Was haben sie noch gesagt? Ach, morgen können wir anziehen, was wir wollen, solange wir uns an die vorgegebenen Richtlinien halten, daher hab ich gesagt, ich finde, wir könnten diesmal in ausgewählten Pastellfarben gehen.«

»Pastellfarben?« Ash und Billy machten entsetzte Gesichter.

»Na ja, ich dachte mir nämlich«, Poll lächelte vergnügt, »wir könnten ein paar von den Rezepten zusammenstellen, die wir ausprobiert haben, bevor wir uns für die zweite Runde auf das Käsethema festgelegt haben, und von denen wir fanden, sie würden gut zum Thema Bauernhochzeit passen, und dazu würden Pastellfarben wirklich hübsch aussehen, wie Konfetti.«

Alle sahen sie stirnrunzelnd an.

»Aber«, sagte Ash, »als wir dieses Menü geübt haben, hatte ich das Hauptgericht und du mit Billy die Vorspeise, ist das denn erlaubt?«

»Aber natürlich«, sagte Poll energisch. »Außerdem bist du der herausragende Chefkoch, Ash, und solltest Gelegenheit haben, dein Talent unter Beweis zu stellen. Also wenn Billy und ich als Vorspeise die Erbsen machen, kannst du diesen unglaublich komplizierten Gemüseturm mit den verschiedenen Geschmacksrichtungen in jeder Etage einbringen und Ella ihre herrlich festliche Erdbeer-Schaumcreme.«

»Aber das müssen wir denen vorher sagen, nicht wahr?«, fragte Billy. »Damit sie alle Zutaten beschaffen können?«

»Ella kann ihnen morgen früh eine E-Mail schicken. Es muss ja sowieso alles frisch besorgt werden.« Poll war noch immer ganz gelassen. »Und diese Speisen haben wir sowieso schon viele Male geübt. Ist also alles überhaupt kein Problem.«

Sie seufzten. Und hofften, dass sie recht hatte.

Ash ließ sich unvermittelt aufs Sofa fallen. »Aber Himmel noch mal, wir haben es wirklich und wahrhaftig geschafft.«

»Das haben wir … Das Finale wird einfach ganz unglaublich – oh, aber nein!« Ella ächzte. »Wir können Trixie hier nicht allein lassen. Nicht mit George. Nicht morgen.«

»Warum denn nicht?«, fragte Poll. »Ich hatte allerdings sowieso nicht vor, George hierzulassen. Ich hatte bereits mit Doll vereinbart, dass sie ihn noch mal nimmt, falls wir ins Finale kommen. Und Trixie wird hier doch wohl klarkommen? Es geht ja schließlich nur um eine Nacht. Ich glaube nicht, dass sie allzu ängstlich ist, oder?«

»Mit schwachen Nerven hat das nichts zu tun.« Ella schüttelte den Kopf. »Sondern mit ihrem Elfen-Spleen. Morgen ist Kerzenkuss-Tag …«

»Was?« Ash zog eine Grimasse. »Meinst du nicht Kerzennuss?«

»Nein, das dachte ich auch erst. Aber es geht um was anderes. Ein Lichterfest der Elfen. Trixie zieht Kerzen und mischt Kräuter hinein und zündet sie an, und dann lassen die Elfen auf magische Weise Wünsche in Erfüllung gehen.«

»Von Wunscherfüllung will ich nichts wissen«, sagte Ash. »Und auch nicht, warum du über Elfen anscheinend viel zu gut Bescheid weißt. Aber brennende Kerzen und Trixie in einem Atemzug, das finde ich bedenklich. Nie im Leben lasse ich Roy mit einer Brandstifterin allein.«

»Trixie ist keine Brandstifterin«, sagte Poll scharf. »Ihr ist da früher mal ein kleines Missgeschick passiert, mehr nicht.«

»Ja, so ist es«, sagte Billy sanft, »aber willst du riskieren, dass ihr das nächste kleine Missgeschick hier in Hideaway passiert, während du meilenweit weg bist?«

»Ach herrje.« Poll seufzte. »Nein, natürlich nicht. Lass mich nachdenken. Also, George geht zu Doll Blessing – das ist kein Problem. Und Mrs Tyler von der Nachbarfarm wird nach den Tieren sehen – Roy natürlich ausgenommen –, aber wie bringen wir Trixie bei, dass wir sie im Haus nicht allein lassen und dass sie mit uns kommen muss?«

»Tja, bis jetzt weiß sie noch nicht, dass wir im Finale sind und welche Regeln da gelten, oder?«, sagte Ella. »Sie weiß nicht, dass sie nicht eingeladen ist. Und ich bin ziemlich sicher, sie geht davon aus, wo wir hingehen, geht auch sie hin. Also nehmen wir sie einfach mit und sorgen dafür, dass sie nicht im Weg ist.«

»Werden Gabby und Tom denn erlauben, dass sie nach allem, was sie angestellt hat, auch nur in die Nähe des Studios kommt?«

Sie sahen einander an. Irgendwie bezweifelten sie das, aber mit dem Problem würden sie sich dann beschäftigen, wenn es sich stellte.

»Denkt ihr, ich kann meiner Mum und meinem Dad und meiner Schwester und all meinen Freunden so spät noch SMS schicken?«, fragte Ella in die Runde. »Ich meine, auch wenn meine Familie weit weg ist, könnten aber doch vielleicht einige meiner Freundinnen in London als Zuschauer ins Studio kommen?«

»Schon möglich«, sagte Ash langsam. »Ich wette, du brennst darauf, sie wiederzusehen, nicht wahr? Und ich schicke Onyx jetzt eine SMS und teile ihr die Neuigkeiten mit. Wirklich schade, dass sie nicht mitkommen kann, sie wäre begeistert gewesen.«

Sie sahen einander in die Augen und sahen wieder weg.

»Also, entschuldigt, wenn ich zur Abwechslung mal ganz stinknormal erwachsen klinge, aber ich finde wirklich, das SMS-Verschicken kann warten. Ich denke, wir sollten jetzt alle ins Bett gehen und versuchen zu schlafen«, sagte Poll diplomatisch. »Denn falls es euch noch nicht aufgefallen ist, wir haben morgen einen ganz schön heftigen Tag vor uns.«