9. Kapitel

»Gut geschlafen?« Poll sah vom Herd auf, als Ella am nächsten Morgen in abgeschnittenen Jeans und hellblauem T-Shirt in die sonnendurchflutete Küche tapste.

»Wie ein Murmeltier«, antwortete Ella vergnügt. »So fest habe ich seit Jahren nicht geschlafen. Das Bett hat mich irgendwie kuschelig umhüllt, und als ich gerade dachte, ich gewöhne mich nie an die Dunkelheit und die Stille und daran, so weit weg von zu Hause zu sein, war es auf einmal schon wieder Morgen. Ich habe nicht einmal meinen Wecker gehört. Tut mir leid, dass ich verschlafen habe. Ich weiß, ich sollte eigentlich schon bei der Arbeit sein und mich um George und sein Frühstück kümmern und alles.«

»Heute noch nicht.« Poll reichte ihr ein Glas Orangensaft und einen Becher Kaffee. »Heute nehmen wir alles ganz locker und gewöhnen uns erst mal richtig ein, bevor morgen Billy und Trixie ankommen.«

»Aber George …?«

»Ist seit fünf Uhr schon wach, hat mir geholfen, die Eier fürs Frühstück einzusammeln, und ist draußen im Garten, wo er seine Autobahn weiter ausbaut.« Poll schmunzelte. »Eigentlich dachte ich, Ash und du, ihr könntet euch ein bisschen mit der Gegend vertraut machen – auch wenn Ash ohnehin in der näheren Umgebung gewohnt hat –, aber selbst ich verfahre mich noch immer auf manchen der kleinen Nebenstraßen. Und ich bräuchte noch ein paar Sachen, da dachte ich, du könntest vielleicht George mitnehmen und nach Hazy Hassocks fahren.«

»Mit Ash als Fremdenführer?« Ella grinste. »Klingt gut. Wann fahren wir los?«

»Nach dem Frühstück«, sagte Poll bestimmt und häufte Berge von Rührei auf dicke Scheiben Toastbrot. »Nimm das Tablett bitte, sei so gut. Es ist so heiß, da dachte ich, wir frühstücken im Garten.«

»Herrlich!« Ella stapelte Becher, Gläser, den Saftkrug, Messer, Gabeln und Teller auf das Tablett. »Ach, ich bin so froh, dass ich diesen Job angenommen habe.«

»Ja? Wirklich? Auch wenn du von meinen Beweggründen nicht ganz überzeugt bist?«

»Wirklich.« Ella nickte und folgte Poll in den süß duftenden, sonnendurchtränkten Garten, in dem sich schläfrige Tiere unter den tief herabhängenden Fliederzweigen verteilt hatten. »Und ich glaube, ich verstehe deine Beweggründe, Poll. Und ich finde, du bist unglaublich – es ist nur …«

»Du hältst nicht viel von Billy und Trixie?«

»Nicht so viel, nein.« Ella zog einen Stuhl hervor und winkte dem schon sandbestäubten George. Ach, was George doch für ein süßer Kerl war, dachte Ella, als er mit seinem Patschhändchen vergnügt zurückwinkte, und was für eine herrliche Kindheit er hatte. So behütet und abgeschirmt und altmodisch. »Vor allem nicht von Trixie und dem Elfenquatsch. Aber wenn du sagst, die zwei sind in Ordnung, dann vertraue ich dir.«

»Du wirst sie gernhaben«, versicherte ihr Poll. »Die beiden haben so schwere Zeiten durchgemacht, und glaub mir, mit schweren Zeiten kenne ich mich aus. Und so dachte ich mir, wenn ich die Chance habe, dem Leben anderer Leute eine positive Wendung zu geben, dann muss ich das einfach tun.«

Ella nickte hinter ihrem Rührei. »Ja, das verstehe ich – aber schwere Zeiten? Du? Bei alldem hier? Wie das denn?«

»Es war nicht immer so wie jetzt.« Poll schenkte Kaffee und Saft nach. »Tatsächlich war mein früheres Leben von dem heutigen weit entfernt. Bis Dennis – mein Mann – wegging, war mein Leben ziemlich trostlos.«

»Wirklich? Ich habe ja schon gestanden, dass ich neugierig bin, und ich möchte meine Nase gewiss nicht in fremder Leute Angelegenheiten stecken, aber war Mr Andrews denn nicht für diese … Nächstenliebe? War das der Grund, warum er, äh, du …?«

Mit amüsiertem Gesichtsausdruck trank Poll einen Schluck Kaffee. »Mr Andrews hätte damit gewiss nichts zu tun haben wollen, nein, und abgesehen davon ist er tot.«

»Ach Gott.« Schnell legte Ella ihre Gabel weg. »Das tut mir leid. Ich dachte, du bist geschieden?«

»Bin ich auch.« Poll lachte vergnügt. »Dennis war nicht Mr Andrews. Mr Andrews war mein Vater. Er ist tot. Dennis ist lebendig und wohlauf und wohnt glücklich in Bern oder Bulgarien oder Brüssel oder sonst wo mit einer Frau, die viel besser zu ihm passt.«

»Ach so.«

»Ich habe meinen Mädchennamen behalten«, sagte Poll mit strahlendem Lächeln. »Denn Dennis hieß mit Nachnamen Perkins – und ich als Poll – tja, ich wollte nun wirklich nicht zur ›Pretty Polly Perkins of Paddington Green‹ werden.«

Ella runzelte die Stirn. Wer zum Teufel war Polly Perkins? Stammte Poll denn aus Paddington? »Was ist denn verkehrt an Polly Perkins?«, erkundigte sie sich. »Da komm ich nicht mit. Und Paddington Green? Kommst du von dort?«

»Nein! Ich bin in Reading geboren und aufgewachsen«, erwiderte Poll mit lautem Lachen. »Du Gute. Ich hatte vergessen, wie jung du bist. ›Polly Perkins‹ war offenbar weit vor deiner Zeit. Das ist ein Kinderreim, ein Gedicht, ein Lied zum Mitsingen, weißt du? Ich hatte sowieso nicht genug Selbstvertrauen, da konnte ich so was nicht auch noch brauchen. Dennis und ich hätten nie heiraten sollen – und nicht nur wegen der Sache mit Polly Perkins … Doch als wir erst geschieden waren, hat sich die Lage entscheidend gebessert.«

Ella runzelte die Stirn. Sollte das heißen, dass Poll es sich erst mit der Scheidungsabfindung hatte leisten können, die Hideaway Farm in einem Stil zu renovieren, einzurichten und zu dekorieren, der einem Herrenhaus wie Mr Darcys Pemberley hätte Konkurrenz machen können? Aha! Ella hatte von Frauen, die ihre Exmänner aussaugten, schon immer eine ganz schlechte Meinung gehabt. So sank Polls uneigennützige Wohltätigkeit in ihrer Wertschätzung plötzlich ganz entscheidend.

»Hör mal«, sagte Poll lächelnd, »ich hatte eigentlich nicht vor, diese Dinge jetzt schon zur Sprache zu bringen, aber da wir nun davon angefangen haben …«

Mit zunehmend erstauntem Schweigen lauschte Ella Polls Schilderung von in mittlerem Alter naiv unternommenem Speed-Dating und einer übereilten, kurzlebigen Ehe, der Freude über Georges Geburt und einer noch schnelleren Scheidung.

»… und weißt du, es war ein großer Fehler, Dennis zu heiraten, den ersten Mann, mit dem ich je ausgegangen bin – den einzigen Mann, mit dem ich je geschlafen habe –, aber weil George dabei herausgekommen ist, war es jede verkorkste Minute wert.« Poll lächelte glücklich. »Heirat mit vierzig, Mutter mit zweiundvierzig, geschieden mit fünfundvierzig. Keine tolle Erfolgsbilanz, aber schließlich hat alles Schlechte irgendwo auch sein Gutes, nicht wahr?«

»Äh, ja, wahrscheinlich schon. Aber, hattest du denn zuvor, ähm, keinen einzigen Freund?«

Poll schüttelte den Kopf. »Dennis war mein erster – und letzter – Versuch in Sachen Beziehung. Ach je, wahrscheinlich sollte ich besser am Anfang anfangen. Weißt du, meine Eltern waren nicht mehr ganz jung, als sie sich kennenlernten, und schon mehr als zwanzig Jahre verheiratet, als ich zur Welt kam. Anders als bei meinem eigenen Hineinstolpern in ungeplante späte Mutterschaft war meine Ankunft für die beiden die totale Katastrophe. Sie wollten mich nicht.«

Ella zuckte zusammen.

Poll füllte ihre Saftgläser auf. »Ach, schau doch nicht so entsetzt. Das ist schon lange her. Ich nehme an, meine Mutter dachte, sie wäre schon in der Menopause. Genau weiß ich es nicht – über solche Dinge haben wir nie gesprochen. Sie waren sowohl geistig wie auch körperlich alt, als ich zur Welt kam. Und ich bin in einem sonderbaren, düsteren, strengen und lieblosen Elternhaus groß geworden. Dann wurden sie krank. Und ich war ihre Pflegerin. Von der Zeit an, als ich mit sechzehn Jahren die Schule verlassen habe, bis sie dreiundzwanzig Jahre später gestorben sind. Ich hatte nie einen Beruf – oder ein eigenes Leben.«

Ella schluckte. Arme, arme Poll. Was für eine grauenhaft traurige Geschichte. Was für ein scheußlich unglückliches Leben. Kein Wunder, dass sie es von Grund auf ändern wollte.

»Ähm«, sagte Ella und senkte die Stimme, als George seinen Konvoi kleiner Laster stehen ließ und mit einem »Thomas, die kleine Lokomotive«-Malbuch sowie einer Hand voller Buntstifte zum Tisch heraufkletterte, »das ist ja wirklich grauenhaft. Und es tut mir unheimlich leid, aber warum hast du denn nach all diesem Elend jemanden geheiratet, den du kaum kanntest?«

»Weil ich geliebt werden wollte, ich hatte nie Liebe erfahren. Und ich dachte, einen Ehemann zu haben, sei eine Garantie dafür. War es aber nicht.«

Ella seufzte. Polls Lebensgeschichte wurde ja zu einem echten Tränendrücker. Die Arme. »Aber du hättest doch sicher auch, tja, einfach anfangen können, auszugehen und Leute kennenzulernen und dich zu verabreden?«

»Ich war neununddreißig. Ich hatte keine erlebnisreichen Teenagerjahre. Keine Ausprobierzeit. Ich hatte keine Ahnung, wie man zu einem Rendezvous kommt oder mit Männern ein Gespräch anfängt oder so was. Meine einzige Freundin Marie hat das Speed-Dating als witzigen Weg vorgeschlagen, wie ich leicht einen Mann kennenlernen könnte.« Poll lachte. »Arme Marie. Sie war entsetzt, als ich ihr erzählt habe, dass ich Dennis – meine erste Begegnung beim Speed-Dating – heiraten würde.«

»Mensch, das kann ich mir vorstellen. Und ich kann auch verstehen, warum du – unter den gegebenen Umständen – dich Hals über Kopf darauf eingelassen hast. Aber wieso hat Dennis …«

»Ach, Dennis ist zum Speed-Dating und hat mich geheiratet, weil er einfach keine Zeit für geselligen Umgang mit Frauen hatte. Er hatte immer viel zu viel zu tun. Dennis war in einer Lebensphase angelangt, in der er einfach ein nettes, gefügiges, anspruchsloses Jasager-Weibchen wollte, das dafür sorgte, dass sich seine freie Zeit angenehm gestaltete.«

»Und da warst du die Richtige?«

»Tja, Liebe war es ganz bestimmt nicht.« Poll seufzte. »Aber zumindest haben wir beide geglaubt, wir hätten gefunden, wonach wir suchten. Natürlich wurden wir beide bitter enttäuscht.«

Oh Gott … Ella kratzte ihr restliches Rührei zusammen. Wie grässlich. »Aber immerhin hat deine Ehe dir George und dieses herrliche Haus beschert.«

»George ja.« Poll nickte, schob sich das widerspenstige Haar hinter die Ohren und half George beim Ausmalen einer kniffligen Stelle. »Und George brachte das bedingungslose Lieben und Geliebtwerden, nach dem ich mich immer gesehnt hatte. Aber nicht das Haus. Hideaway Farm gehört allein mir. Ich habe alles selbst bezahlt. Dennis hatte keinerlei Anspruch darauf. Dennis hat seine Firmenwohnung in der Stadt behalten. An den Wochenenden war er hier oder wann immer er nach unserer Heirat in England war, aber er hat dieses Haus gehasst. Es war nie sein Heim; Hideaway war immer meins.«

Mannomann … Ella schob eine Scheibe Toast auf ihrem Teller hin und her, da hatte sie ja ganz schön falsche Schlussfolgerungen gezogen.

»Wenn du weinst, weine ich gleich mit, also lass es lieber.« Poll lachte. »Bitte schau doch nicht so traurig. Jetzt ist alles okay. Es hat sich alles zum Guten gewendet. Meine Eltern mögen hart und streng gewesen sein, aber sie sind auch sehr geschickt mit ihrem Geld umgegangen. Nein, okay – wollen wir ehrlich sein – sie waren so geizig wie ein zugekniffener Entendingsbums. Sie haben keinen Penny ausgegeben, wenn es nicht unbedingt sein musste. Ich bekam keine neuen Kleider, nur wenig Spielsachen, keine Süßigkeiten, keine Ferienreisen – und sie auch nicht.«

»Das klingt für mich immer noch nach einem ziemlich trostlosen Leben. Alles andere als okay.«

»Tja, mag sein, aber es ist insgesamt ja gut ausgegangen. Ich hatte großes Glück. Weißt du, als sie gestorben sind, hat mir das Mausoleum, in dem ich aufgewachsen bin, ein kleines Vermögen eingebracht, und als einziges Kind zweier Einzelkinder war ich Alleinerbin. Von Dennis habe ich nie auch nur einen einzigen Penny gebraucht und werde es auch nie.«

»Ach so.« Noch eine voreilige Schlussfolgerung zerfiel in Einzelteile.

»Auf einer Farm zu leben war der Traum, der mir in meinen Jugendjahren und später immer Auftrieb gegeben hat«, sagte Poll. »Während meiner ganzen unglücklichen und isolierten Kindheit habe ich immerzu gelesen und Enid Blyton geradezu angebetet. Ich wollte in so ein Leben entfliehen, wie es die Kinder in ihren Büchern führten. Ich wollte auf einer Farm wohnen. Auf dem Land. Das war das Schönste, was ich mir vorstellen konnte – rundum Ruhe und Frieden und Glück und jede Menge Tiere und Gemütlichkeit und herrliche Freiheit und Gesellschaft von netten Leuten, die mich wirklich mochten. All das, was ich nie erlebt hatte.«

Ella, die in ihrem Leben all dies erfahren hatte, wenn auch ohne die idyllische ländliche Kulisse, biss sich auf die Lippen. »Ja, das kann ich mir vorstellen – und es tut mir echt leid –, aber ich bin wirklich froh, dass sich für dich jetzt alles zum Guten gewendet hat.« Sie beugte sich über den Tisch, schnappte sich einen Buntstift und half George, den dicken Schaffner hellgrün auszumalen. »Und deshalb willst du nun anderen helfen, die in einer ähnlichen Lage sind?«

»Genau!«, antwortete Poll strahlend. »Ich weiß, wie es ist, so am Boden zu sein, dass man keinen Ausweg mehr sieht und alles dafür gäbe, wenn eine …«

»Gute Fee erscheint? Wie bei Trixie Pepper?« Ella kicherte.

»Nun, vielleicht nicht gerade eine gute Fee«, Poll lachte leise, »aber ja, so etwas in dieser Art … Das ist jedenfalls meine Geschichte. Und wie geht deine?«

»Meine? Du weißt alles über mich.«

Poll fuhr sich mit den Händen durch die wilde Mähne. »Puh – ich glühe jetzt schon. Ich glaube, das wird wieder ein unheimlich sonniger Tag. Und nein, weiß ich nicht. Ich weiß überhaupt nichts über deinen, ähm, Lebensgefährten. Du musst es mir natürlich nicht erzählen …«

Mark … Ella seufzte. Was konnte sie über Mark schon sagen? Sie gewann Zeit, indem sie George, der vom Ausmalen genug hatte, dabei half, vom Tisch zu klettern, und ihm nachsah, wie er vergnügt wieder zu seiner Sandgrube stapfte.

»Okay … Mark ist witzig und unternehmungslustig und sieht irgendwie süß aus. Wir sind seit zwei Jahren zusammen …« Sie brach ab und sah in den wolkenlos blauen Himmel hinauf. »Und wir sind in unserer Beziehung irgendwie in eine Sackgasse geraten.«

»Ach je.« Poll machte ein teilnahmsvolles Gesicht. »Hat er eine andere kennengelernt?«

»Nein, nein, so einfach ist es nicht.« Ella seufzte. »Es war nur so, dass wir nach zwei Jahren keine neue Perspektive mehr hatten. Er – Mark – war einfach zufrieden damit, die Dinge so weiterlaufen zu lassen wie immer – du weißt schon, man verbringt mal Zeit gemeinsam und mal jeder für sich –, sodass er nach wie vor seinen Fußball hatte und Kneipenabende mit seinen Kumpels und ich Frauenkram mit meinen Freundinnen, aber …«

»Es ging nichts voran in Richtung einer festen Bindung? Und das wolltest du aber?«

»Ja … Nein – ehrlich gesagt weiß ich es nicht, aber so konnte es auch nicht ewig weitergehen, und er wollte nie darüber reden.«

»Hast du ihn gern?«

Ella starrte wieder zum Himmel hinauf. »Ja … hm, ja, ich habe ihn gern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich noch verliebt in ihn bin … weil … wegen anderen Dingen … und ich glaube, wenn ich ihn wirklich lieben würde, hätte ich mich nicht dafür entschieden, jetzt hier drei Monate ohne ihn zu verbringen, oder?«

Poll breitete die Hände aus. »Ich bin wohl kaum eine Expertin in Beziehungsfragen. Aber ich würde sagen, wahrscheinlich nicht, es sei denn, es gäbe einen wirklich triftigen Grund.«

»Oh ja, es gibt einen wirklich triftigen Grund.«

»Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich so neugierig nachgebohrt habe.« Poll beugte sich über den Tisch und tätschelte Ellas Hand. »Bitte erzähl mir nichts, was du nicht erzählen möchtest.«

Ella zuckte die Schultern. »Ist schon okay. Es ist nichts Unanständiges. Es ist nur so, dass Mark einfach kein Verständnis dafür hat, dass ich mir immer schon gewünscht habe, mit Kindern zu arbeiten. Und kein Verständnis dafür, dass ich mir eigene Kinder wünsche. Kein Verständnis dafür, dass ich eine einträgliche Karriere im Verkauf aufgebe, um anderer Leute Kinder zu hüten.«

»Ah ja – ganz schön vertrackt.« Poll nickte. »Und will er denn auch irgendwann Kinder haben?«

Ella schüttelte den Kopf. »Nein. Und das ist das Hauptproblem. Es ist nicht nur so, dass er kein Interesse daran zeigt, sich niederzulassen und sein Junggesellendasein genießt, sondern er hat auch gesagt, dass er noch lange nicht ans Heiraten denken würde und an die Gründung einer Familie noch viel weniger.« Sie brach ab. »Eigentlich hat er gesagt, er macht sich nicht viel aus Kindern. Und selbst wenn wir zusammenziehen oder heiraten würden, sei er nicht scharf auf Familienleben.«

»Aha. So ein Pech. Aber beenden wolltest du die Beziehung nicht?«

»Nein. Keiner von uns beiden. Also haben wir uns auf diese Auszeit geeinigt, um eine Weile getrennt zu sein und Klarheit zu gewinnen.«

»Aber war das nicht ein bisschen drastisch? Deinen Job hinzuwerfen? Wegzuziehen? Hättet ihr euch nicht einfach darauf verständigen können, euch drei Monate lang nicht zu treffen?«

Ella schüttelte den Kopf. »Wir arbeiten zusammen, nein, haben zusammen gearbeitet. In nebeneinanderliegenden Büros. Ich musste richtig weg. Und außerdem kann ich auf diese Weise meinen Traum verwirklichen, mit Kindern zu arbeiten.«

»Wofür du ein angeborenes Talent hast«, sagte Poll, »wenn man sich ansieht, wie es bei George und dir auf Anhieb gefunkt hat. Solltet Mark und du aber merken, dass ihr ohneeinander nicht leben könnt, werdet ihr in den übrigen Bereichen wohl irgendeinen Kompromiss schließen?«

»So in der Art.« Ella lächelte traurig. »Und das Problem ist, dass meine Eltern und meine Schwester und die meisten meiner Freunde finden, dass er recht hat und ich falschliege. Sie können einfach nicht verstehen, warum ich tatsächlich neidisch bin auf die jungen Mädchen, die sich mit ihren Buggys und wundervollen Babys im Einkaufszentrum treffen.«

»Ach, ich kann das durchaus verstehen«, sagte Poll leise. »Auch wenn meine Meinung da natürlich nicht viel zählt. Aber ich weiß nur zu gut, wie es ist, sich brennend nach etwas zu sehnen, das man vermutlich nie bekommen wird … Ach, Ella – nicht, dass ich dich loswerden wollte – aber ich hoffe doch, dass dein Mark einsieht, was er an dir hat, und dass ihr euch am Ende der drei Monate in die Arme fallt …«

»Und glücklich sind bis ans Ende unserer Tage?« Ella seufzte. »Tja nun, vielleicht … vielleicht auch nicht … In der Zwischenzeit bleiben wir in Verbindung, während ich hier bin, und reden über alles Mögliche – nur nicht über Karriere, Nestbau oder Kinderkriegen, das ist absolut tabu.«

»Wir passen ja gut zusammen, findest du nicht?« Poll lächelte freundlich.

Ella schüttelte den Kopf. »Meine Probleme sind ja gar nichts im Vergleich zu dem, was du durchgemacht hast. Trotzdem wäre es mir lieb, wenn es unter uns bliebe. Ich meine, es kann gerne jeder wissen, dass Mark mein Freund ist und wir eine Auszeit machen, aber nicht, aus welchen Gründen wir das tun.«

»Ich verrate kein Wort«, versprach Poll. »Und du kannst ihn jederzeit zu Besuch einladen.«

»Auf gar keinen Fall!«, sagte Ella heftig. »Das würde das ganze Projekt ruinieren. Wir bleiben getrennt und sehen, wie es uns damit geht und … Oh, hallo!«

»Hi.« Barfuß und hinreißend verwuschelt stand Ash in Jeans und T-Shirt blinzelnd in der Küchentür. »Ich habe wohl verschlafen. Was für ein herrlicher Morgen!«

»Komm her und nimm dir Kaffee und Saft!« Poll schob ihren Stuhl zurück. »Ich mache eben noch ein paar frische Rühreier.«

»Bleib sitzen, Poll, bitte. Das kann ich doch selbst«, protestierte Ash.

Poll lachte. »Kommt nicht in Frage. Nicht heute. Und wie Ella dir erklären wird, wirst du dir dein Frühstück noch erarbeiten, denn ich schicke euch beide in die Welt hinaus zu Einkaufsfreuden in Hazy Hassocks.«