7. Kapitel
Wortlos wichen sie mit gebanntem Blick zurück. George, dem ihr sprachloses Schweigen gar nicht auffiel, stellte sich auf die Zehenspitzen, spähte begeistert ins Auto und machte gurrende Lockgeräusche.
»Poll?«, flüsterte Ella. »Atme weiter. Sag etwas.«
Poll starrte noch immer auf Roy, brachte den protestierenden George mit einem Ruck in Sicherheit und räusperte sich. »Ja – gut. Okay – was denn? Zum Beispiel?«
Ella schluckte. »Irgendwas. Irgendwas Beruhigendes. Irgendwas, damit mich nicht noch mehr schaudert als ohnehin schon.«
»Fürchtest du dich?«
»Mich fürchten? Vor … ihr … ihm … Roy? Ja, ich glaub schon. Du nicht?«
»Ein bisschen verunsichert bin ich schon. Das war doch ein ziemlicher Schock. Okay, ähm, also, lass uns mal praktisch denken … Ich bin Vegetarierin, was essen Riesenschlangen eigentlich?«
»Katzen, Hunde, Hühner und kleine Jungen?«, mutmaßte Ella, den Blick starr auf die Masse sich sanft schlängelnder Spiralen in dem kleinen Behälter auf dem Rücksitz von Ashs Wagen geheftet. »Weiß der Himmel, aber Quorn oder Tofu garantiert nicht, da wette ich drauf.«
»Oh Gott.« Poll schluckte und drückte George fest an sich. »Was es auch sein mag, Ash hat es gerade eben in den Eisschrank getan.«
»Sieh es mal positiv, dann ist es immerhin bestimmt schon tot.«
»Danke.«
»Hast du eine Schlangenphobie?«
»Ophidiophobie«, verbesserte Poll zaghaft. »Keine Ahnung. Du?«
»Bisher wohl nicht, aber ich glaube, jetzt vielleicht doch bald.«
Ella fühlte, wie sie trotz der sengenden Hitze ganz unwillkürlich fröstelte und Gänsehaut bekam, und starrte den Python an. Der Python hob langsam seinen Kopf und starrte zurück. Dann, offenbar gelangweilt, zuckte er die nicht vorhandenen Schultern und sank in seine Spiralen zurück.
»Sie … er … Roy ist eigentlich gar nicht hässlich«, sagte Ella, rieb sich die Arme und wünschte, die Gänsehaut würde verschwinden. »Er hat ein schönes Muster – wie eine große Tigerkatze –, und er hat sehr, ähm, freundliche Augen.«
Poll räusperte sich erneut. »Ja, hat er wohl. Und ich weiß, dass er zur Tarnung so gemustert sein muss, aber meinst du nicht, in Türkis oder Hellrosa wäre er ein bisschen weniger angsteinflößend? Oder mit Glitzer?«
Ella runzelte die Stirn. »Ähm, nein.«
Poll zuckte die Schultern. »Dann mache wohl nur ich das? Bin ich die Einzige, die sich Spinnen immer in Pastellfarben ausmalt, um es mit ihnen aufnehmen zu können? Wenn du sie dir in Lila und Zitronengelb oder Rosa mit himmelblauen Sternchen drauf vorstellst, wirken sie gleich viel weniger gruselig.«
»Ja, okay, das glaub ich dir gern.« Ella sah Poll mit zweifelndem Blick an. »Aber Roy ist keine Spinne, Pastellfarben hin oder her, und er ist auch nicht türkis mit Glitzer. Er ist ein großer bräunlicher Python, und wir werden mit ihr, äh, ihm leben müssen.«
»Ich weiß. Ach du liebe Güte, es ist doch hoffentlich nicht gefährlich, ihn im Haus zu haben?«
»Ich wüsste wirklich nicht, was du jetzt noch daran ändern könntest, nachdem du Ash und … ihn … Roy – komischer Name für eine Schlange – eingeladen hast, sich hier häuslich einzurichten. Offenbar war die Tatsache, dass Roy ein Reptil ist, der Grund, warum sie aus ihrer letzten Wohnung rausgeflogen sind, und nachdem du die beiden rettend aufgenommen hast, kannst du es ja jetzt schlecht genauso machen, oder?«
»Nein«, sagte Poll seufzend. »Wirklich nicht.«
»Und außerdem wird er doch wohl in irgendeiner Art schlangensicherer Unterkunft hausen? Er wird ja wohl kaum zum Frühstück die Treppe herunterkriechen oder abends mit uns zusammen auf dem Sofa kuschelig fernsehen wollen.«
»Hör auf!«, stöhnte Poll. »Ich habe dir doch gesagt, ich verstehe immer alles falsch. Ich hätte schwören können, er hätte Beton gesagt, nicht Python. Ich hätte wirklich genauer hinhören sollen und ja, gut, auch die Berichte des Anwalts lesen. Wie lang ist er, was meinst du?«
»Etwa drei Kilometer«, sagte Ella schaudernd.
»Genauer gesagt, knapp eins achtzig.« Ash Lawrence kam flink die Steinstufen herabgehüpft. »Er ist noch jung. Und er ist ein Königspython, kein Tigerpython oder Netzpython, viel größer wird er also nicht. Ist er nicht fantastisch?«
Poll und Ella nickten zweifelnd. George klatschte in die Hände.
»Möchtet ihr ihn mal streicheln?« Ash öffnete die Wagentür.
Poll und Ella kreischten, schüttelten einhellig die Köpfe und zogen sich zurück. George klatschte noch eifriger in die Hände und sauste herbei. Poll schnappte ihn sich wieder.
»Ist schon gut«, sagte Ash beruhigend. »Roy beißt nicht – er ist nicht giftig. Er ist ein Constrictor, eine Würgeschlange.«
»Na, da bin ich aber beruhigt«, sagte Ella entkräftet. »Dann haben wir ja nichts Schlimmeres zu befürchten, als zu Tode gequetscht zu werden.«
Ash lachte leise. »Roy ist sehr wohlerzogen und drückt nur zu, wenn er Angst oder Hunger hat. Und das ist im Moment beides nicht der Fall. Er ist heute Morgen gut gefüttert worden. Er braucht erst in etwa einer Woche wieder etwas zu essen.«
»Öhm, gut«, krächzte Poll. »Und eigentlich habe ich Ella gerade erklärt, dass ich Vegetarierin bin, also, was sein Futter betrifft …?«
»Kleine Nagetiere.«
»Nein!«
»Doch, tut mir leid, aber abgepackt und tiefgekühlt. Keine herumwuselnden niedlichen Pelztierchen.«
Ella runzelte die Stirn. »Jetzt vielleicht nicht mehr, aber früher einmal …«
Ash seufzte. »Ich weiß, aber seine Natur kann ich schließlich nicht ändern. So gern ich ihm auch einfach eine Hand voll Pinienkerne und eine kleine Spinatquiche hinwerfen würde, das geht einfach nicht. Armer Roy – er hat so schwere Zeiten hinter sich.«
»Ach ja?« Polls Blick wurde augenblicklich weicher. »Oje.«
»Er wurde ausgesetzt, von jemandem, der dachte, einen Python zu besitzen sei cool, seine Meinung dann aber wieder geändert hat. Anschließend hatte er ein kurzes Engagement als Accessoire einer Nachtclubtänzerin, was ganz grässlich für ihn war. Also habe ich ihn übernommen und wieder aufgepäppelt – aber bei meinem Arbeitgeber waren Haustiere streng verboten, und ich bin aufgeflogen, und, tja, den Rest der Geschichte kennst du ja. Dann warst du so unheimlich nett und vorurteilsfrei gegenüber Reptilien und so verblüffend großzügig, uns ein neues Zuhause anzubieten, und da sind wir nun.«
»Und ihr seid herzlich willkommen«, sagte Poll entschlossen. »Alle beide.«
Ella lachte leise vor sich hin.
»Aber«, ergänzte Poll rasch, »ich muss sicher sein können, dass er … Roy … nicht wegläuft oder Appetit auf George oder die Katzen oder Hunde oder Hühner bekommt. Man hört ja so schreckliche Sachen, weißt du?«
»Ich verspreche es feierlich«, sagte Ash mit ernster Miene, »dass nichts und niemand gefährdet ist. Glaub mir, ich würde deine Großzügigkeit nicht ausnutzen, wenn ich es besser wüsste. Roy hat ein sicher verschlossenes Vivarium und ist mehr als zufrieden mit seinen, ähm, gefrorenen Fertiggerichten. Selbst wenn er entweichen sollte – was er nicht tut –, würde er lediglich Gesellschaft und ein warmes Plätzchen zum Schlafen suchen, aber sicher nicht auf Beutezug gehen.«
»Okay.« Poll stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Dann ist ja alles bestens – hoffe ich.«
Ash beugte sich ins Auto und öffnete den Transportbehälter. »Kommt, streichelt ihn mal.«
Ella riss ihre Blicke von dem engen T-Shirt und den einen prachtvollen Körper umhüllenden Jeans.
»Hör auf zu schmachten!«, zischte Poll. »Du bist gebunden, und vergiss nicht, er ist schwul!«
»Oder auch nicht«, zischte Ella zurück, »denn das hast du ja nur geglaubt, weil du dachtest, Roy wäre Beton-Konstrukteur. Da wir jetzt wissen, dass Roy – tja – eine Schlange ist, könnte Ash ohne Weiteres vollkommen hetero sein, oder?«
»Tja«, erwiderte Poll skeptisch, »so gesehen könnte das wohl durchaus sein.«
Ella strahlte. Wo Schatten ist, da ist auch Licht und so weiter. Nicht, dass sie jetzt auf so eine Weise an Ash denken würde, natürlich nicht – sie hatte mit Mark ja mehr als genug am Hals –, aber es war doch schön zu wissen.
Ash hatte sich Roy jetzt größtenteils um die Arme geschlungen. »Kommt und sagt Hallo. Er ist wirklich freundlich – träge und entspannt. Und ich muss ihn recht bald nach oben in sein festes Zuhause bringen. Diese kleine Kiste ist nur für unterwegs, und er darf auf gar keinen Fall kalt werden – sogar eine Hitze wie heute fühlt sich für Roy wie sibirische Kälte an. Ach, Joe und ich haben seine Wohnung in meinem Zimmer schon aufgebaut«, er warf Poll einen Blick über die Schulter zu, während George begierig die Arme ausstreckte, »und ich weiß, dass ich einen Sonderzuschlag für die Stromkosten austüfteln muss. Na siehst du!« Er grinste zu George hinab. »Er lächelt. Er mag dich.«
George streichelte sanft Roys stumpfnasigen Kopf und gurrte vergnügt. Trotz Ashs vorheriger Versicherungen machten Poll und Ella noch immer ängstliche Gesichter.
»Kommt schon.« Ash streckte Ella die Arme voller Python entgegen. »Schlangen haben einfach nur eine miese Presse. Sie sind weder kalt noch schleimig. Roy ist warm und weich und durch und durch liebenswert.«
Ganz wie sein Herrchen, dachte Ella, streckte zögerlich eine leicht zitternde Hand aus und berührte Roys prachtvoll gemusterte samtene Haut.
Überrascht hielt sie inne. »Ach, er ist … ganz anders, als ich dachte, und ich kann spüren, wie er atmet. Ach, so ein Lieber. Er ist wunderschön.«
Ella und Ash wechselten einen kurzen Blick wie stolze Eltern, die sich an ihrem Kind freuen. Ella wurde plötzlich ganz warm, und sie sah als Erste weg.
Poll wollte eindeutig auch keine Spielverderberin sein und fuhr widerstrebend kurz mit der Hand über Roys wunderschön gemusterte Haut, dann lächelte sie über ihren eigenen Wagemut. »Oh ja, er ist süß. Gar nicht kalt oder gruselig. Na bitte. Jetzt sind wir alle Freunde. Also, möchtest du ihn nach oben in sein neues Reich bringen? Und dann zu einem späten Mittagessen zu uns in den Garten runterkommen?«
»Klingt wunderbar«, sagte Ash, legte sich Roy um den Hals und sah Ella an. »Würde es dir etwas ausmachen, einfach nur sein Schwanzende zu nehmen, damit es auf dem Weg nach oben nicht irgendwo anstößt? Schlangen verletzen sich sehr leicht. Schau, streck einfach nur die Hände aus und stütz sein Gewicht – er ist ganz locker. Danke, so ist es prima.«
Ella trug mehrere Spannen erstaunlich schweren Pythons und war dabei unheimlich stolz auf sich. Und während Poll die Türen öffnete und George zwischen ihnen herumwuselte und jedes mit den Händen erreichbare Teilstück von Roy streichelte, bahnten sie sich den Weg ins Obergeschoss der Hideaway Farm.
Als sie die Treppe erklomm, kam Ella nicht an dem Gedanken vorbei, dass ihr Leben eine ganz schön verrückte Wendung genommen hatte. Irgendwo in der Nähe jenes zugewucherten Wegweisers hatte ihr altes, normales Leben aufgehört und dieses neue, abenteuerliche Dasein begonnen. Heute Morgen war sie noch in London gewesen, aber das hätte genauso gut Jahrzehnte her sein können.
Und jetzt, nur wenige Stunden später, war sie in einem entlegenen Farmhaus in Berkshire mit der schusseligen Poll, einem total schnuckeligen kleinen Jungen, der im Sturm ihr Herz erobert hatte, und einem noch schnuckeligeren obdachlosen, vielleicht-schwulen Exkoch und schleppte den Schwanz eines Pythons.
Tja, sie hatte Mark ja erklärt, dass sie ihr Leben von Grund auf ändern wollte, oder etwa nicht?
Sie waren gerade in Ashs Zimmer angekommen, als unten in der Diele lautstark das Telefon klingelte.
»Entschuldigt.« Poll verzog das Gesicht. »Ich muss runter und drangehen. Es könnte wichtig sein. Vielleicht ist es der Klempner – oder vielleicht sogar Billy oder Trixie, die mir sagen, wann sie ankommen.«
»Billy und Trixie?«, fragte Ella.
Poll zuckte die Schultern. »Ähm, ja. Ich erzähl euch später von ihnen. Tut mir leid, ich muss jetzt ans Telefon.«
Ash hob Roy sanft in die Höhe. »Meinst du nicht, sie rufen auf deinem Handy an, wenn du am Festnetz nicht antwortest?«
»Ich habe kein Handy.«
Bass erstaunt blickten Ella und Ash sie an.
»Ich krieg es nie hin, so ein Teil rechtzeitig aufzuladen, und selbst wenn es aufgeladen ist, drück ich immer auf die falschen Knöpfe und würge die Leute ab, also bleib ich doch lieber beim Festnetz«, erklärte Poll unbekümmert und eilte zur Treppe. »Komm mit, George – ja, du kannst später noch mal nach Roy schauen.«
Ash schüttelte den Kopf, als die beiden entschwanden. »Kein Handy? Wie in aller Welt kommt sie ohne Handy zurecht?«
»Das wissen die Götter«, sagte Ella außer Atem. »Ich könnte mir ein Leben ohne Handy nicht vorstellen – auch wenn ich zugeben muss, dass ich meinen Laptop bei meinen Eltern gelassen habe.«
»Ich kann mich leider auch davon nicht trennen. Und ohne meinen MP3-Player zu leben, fände ich auch ziemlich hart.«
Ella lachte. »Ich schätze, Poll würde MP3 wahrscheinlich für eine Polizeieinheit halten. Und ich glaube nicht, dass sie einen Computer hat, denn all ihre Briefe an mich waren, tja, Briefe. Uff – können wir Roy bitte absetzen? Er wiegt ja Tonnen.«
»Pst!« Ash grinste. »Du verletzt seine Gefühle. Er ist sehr empfindlich, was sein Gewicht angeht – aber gut. Lass sein Ende an deiner Seite vorsichtig los – so ist es prima –, und wenn du jetzt bitte darauf achten könntest, dass der Deckel vollständig geöffnet ist, während ich ihn hineinlege, und er sich akklimatisieren kann.«
»Ist ja irre!« Ella besah sich mit aufgerissenen Augen den ungeheuer großen Glasbehälter, der eine ganze Wand einnahm. »Das ist ja eine riesige Schlangengrube.«
»Vivarium. Auf dem neuesten Stand der Technik. Es wird in Teilen geliefert, die alle miteinander verbunden werden, die Heizungs-und-Beleuchtungs-Einheit wird dann nur noch eingeklinkt. Aber um es hier heraufzuschaffen, brauchte ich Joes Hilfe. Also, bist du bereit, ihn mit seinem neuen Zuhause bekannt zu machen?«
Unter beträchtlichem Schnaufen und Keuchen gelang es ihnen schließlich, den nach wie vor sehr entspannten Roy in das große Vivarium gleiten zu lassen.
Ella beobachtete lächelnd, wie Roy zufrieden zu seufzen schien, als er sich langsam über die Rindenspäne bewegte, die Hügel aus Torfmoos erkundete, die Felsen, die kleinen Höhlen, das Wasserloch – alles von sorgsam beschatteten Strahlern beleuchtet – und sich dann, offenbar in dem Wissen, angekommen zu sein, zusammenringelte und sie beide, ohne zu blinzeln, unverwandt ansah.
Ash ließ die gut gesicherten Schlösser zuschnappen. »Er ist nachtaktiv und wird jetzt einfach nur schlafen wollen. Vielen Dank – du warst toll.«
»War mir ein Vergnügen«, sagte Ella leichthin, stolz auf ihr Talent als Schlangenbeschwörerin und wirklich erleichtert, dass Ash ihr anfängliches Erschrecken nicht mit angesehen hatte. »Also, kommst du jetzt mit nach unten zum Essen?«
»Sobald ich ausgepackt habe, ja. Das wäre prima.«
»Poll kocht leidenschaftlich gern, von daher wird es sicher gut schmecken – obwohl, vielleicht sollte ich so etwas nicht sagen, da Kochen ja dein berufliches Spezialgebiet ist.«
Ash schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Feinschmecker-Diva. Ich finde es immer sehr angenehm, wenn jemand anders für mich kocht. Obwohl, solange ich arbeitslos bin, sollte ich vielleicht anbieten, mich in dieser wunderbaren Farmhausküche nützlich zu machen. So hätte ich Gelegenheit, mit meinen Suppen zu experimentieren. Ich koche alles Mögliche, aber ich liebe es, neue Suppenrezepte mit wirklich frischen regionalen Zutaten auszutüfteln.«
»Oh ja, Polls Küche ist großartig.« Ella strahlte. »Und da du Suppen kochst, Poll auf Hauptgerichte spezialisiert ist und ich am liebsten Desserts zubereite – auch wenn ich natürlich eine reine Amateurin bin –, bringen wir mit vereinten Kräften ja ein richtiges mehrgängiges Dinner auf den Tisch.«
»Ein Dewberry’s Dinner?«, meinte Ash lachend. »Das ist meine Lieblingssendung.«
»Gibt’s doch nicht! Wirklich? Poll und ich haben auch schon entdeckt, dass wir beide große Fans davon sind!« Ella seufzte beglückt und sah bereits vor sich, wie sie sich auf Polls großem, kuscheligem pfirsich- und cremefarbenem Sofa dicht an Ash schmiegte, während Tom und Gabby Dewberry auf dem kleinen Bildschirm irgendwelche armen Möchtegernköche in der Luft zerrissen. »Wir haben beide gesagt, dass wir keine Folge auslassen.«
»Ich auch nicht. Ich nehme es immer auf, um es mir nach der Schicht anzusehen«, sagte Ash. »Oder zumindest habe ich es so gemacht, bevor ich die Arbeitslosenzahlen in die Höhe getrieben habe.«
»Hm, Poll hat mir erklärt, wie das alles gekommen ist.«
»Hoffentlich finde ich früher oder später Arbeit in einem anderen Restaurant. Nur von Luft kann ich nicht leben.« Ash lächelte. »Aber Poll ist wirklich erstaunlich, findest du nicht? Dank sei dem Herrn für Menschen wie Poll. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, eine Unterkunft zu finden, in der man einen Python halten darf. Auch wenn ich zugeben muss, dass die Verhältnisse hier ein bisschen eigenartig sind. Ich meine, du hast erklärt, dass du keine Untermieterin bist, aber warum bist du denn dann hier?«
»Als Kindermädchen, wie ich schon sagte«, erwiderte Ella rasch und beschloss, all die anderen eher schmerzlichen Details beiseitezulassen. »Mein neuer Job. Ich war ausgelaugt von der Arbeit im Verkauf, geschlaucht von unmöglichen Zielvorgaben und übellaunigen Kunden, ich brauchte eine Veränderung im Leben und wollte mal eine Zeit lang dem Stadtleben entkommen. Ich bin erst heute Vormittag hier angekommen, auch wenn es mir so vorkommt, als wär ich schon seit Jahrhunderten hier. Natürlich hatte ich nicht erwartet …« Sie stockte.
»Was erwartet?«
»Dass du hier einziehst – und dass Roy sich als Python entpuppt«, sagte Ella, die Ehrlichkeit für die beste Taktik hielt.
»Tatsächlich? Hat Poll dir denn nichts von uns erzählt?«
»Bis ich vor ein paar Stunden hier angekommen bin, kein einziges Wort.«
»Sie ist ganz schön chaotisch, findest du nicht? Aber unheimlich nett. Was dachtest du denn, was Roy wäre?«
Ella schmunzelte. »Ach, ich dachte, Roy und du wärt ein schwules Pärchen. Und Roy wäre Beton-Konstrukteur und sähe aus wie Ozzy Osbourne.«
Ash lachte.
Ella fand, es sei vielleicht nicht gerade der beste Moment, um ihm zu erklären, dass nichts von alldem als Scherz gemeint war, und lächelte stattdessen einfach nur. Ash lächelte zurück.
Ooh, aber er hatte ein so hinreißendes Lächeln. Ella hätte plötzlich am liebsten den Glasbehälter wieder aufgemacht und Roy einen Kuss gegeben. Da wohnte sie nun mit dem wunderbarsten Mann des Universums unter einem Dach – selbst wenn er eventuell schwul sein könnte –, und wer hatte sie zusammengebracht? Ein Königspython. Wie cool war das denn?
Kein bisschen cool, mahnte ihre innere Stimme. Vergiss nicht, du hast Mark und mehr Probleme, als eine Frau eigentlich brauchen kann …
»Ella!«, hallte Polls Stimme die Treppe herauf. »Das war Billy Booker am Telefon. Weil ich die Termine durcheinandergebracht habe, kommt er jetzt übermorgen und nicht nächste Woche, und es ist mir gelungen, auch Trixie anzurufen, nur um nachzufragen, welchen Termin ich mit ihr ausgemacht hatte, und sie kommt auch übermorgen. Ist das nicht wunderbar praktisch?«
Da sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wer Billy und Trixie nun wieder waren, murmelte Ella nur zustimmend: »Äh, ja. Das klingt, öhm, super.«
»Und so«, fuhr Poll fröhlich fort, »haben wir einen Tag, um uns besser kennenzulernen, und dann noch mal einen Tag totales Chaos vor uns.«
»Ach ja – wie schön.«
»Und wenn Roy gut untergebracht ist«, hallte Polls Stimme die Treppe herauf, »kann Ash dann zum Mittagessen kommen? Es verwelkt schon alles – ich inbegriffen.«
»Ich denke schon«, erwiderte Ella. »Ich frag ihn mal.«
Ash ließ den Blick über die in seinem Zimmer verstreuten Gepäckhaufen schweifen und nickte. »Eigentlich bin ich am Verhungern, also kümmere ich mich später um diesen Kram. Ich ruf nur eben noch Onyx an und lasse sie wissen, dass Roy und ich gut gelandet sind, dann komme ich runter und geselle mich zu euch.«
»Onyx?«
Ash nickte, während er sich durch das Nummernverzeichnis seines Handys klickte. »Sie hat früher mit Roy gearbeitet – ich glaube, ich habe es vorhin schon erwähnt. Er war Bestandteil ihrer Bühnenshow, und sie hatte ihn wirklich gern, war aber aus Tierschutzgründen gar nicht glücklich damit, und so hat sie ihn mir übergeben.«
Ella nickte und ging – wie sie hoffte – lässig in Richtung Tür. »Oh natürlich, die berühmten Komikerduos: Morecambe und Wise, Cannon und Ball, Ant und Dec, Onyx und Roy – die Namen brechen einem nur so die Zunge.«
Ash lachte, während er sein Handy ans Ohr hob. »Du bist wirklich witzig. Ich liebe ja Mädchen mit … Ach, hallo …«
Ella, die nun wirklich auf gar keinen Fall mit anhören wollte, wie Ash verführerisch die Stripperin Onyx angurrte, von der sie wider alle Vernunft hoffte, sie hieße in Wirklichkeit Olive und sähe aus wie eine Schweißerin, stapfte die Treppe hinab.
»Oje!« Poll, die in der Diele stand, runzelte die Stirn. »Was ist denn mit dir los? Ach – Roy ist doch nicht etwa entkommen oder hat jemanden gebissen?«
»Nein, Roy ist wohlbehalten in seiner gesicherten Schlangengrube.«
»Na Gott sei Dank. Aber eigentlich dachte ich, du und der wunderbare Mr Lawrence versteht euch bestens?«
»Haben wir … ich meine … tun wir auch.« Ella schwang sich zornig um den Treppenpfosten. »Und zu den Pluspunkten gehört, dass er köstliche Suppen macht und in deiner Küche für uns kochen will, außerdem ist auch er ein Fan von Dewberry’s Dinners. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass er mich witzig findet. Ach, und noch ein Pluspunkt, schwul ist er eindeutig nicht.«
»Tatsächlich?« Poll lachte leise. »Na so ein Glück. Freund in London hin oder her, wenn er schwul wäre, wäre es mit dir ja sicher kaum auszuhalten. Und all diese Pluspunkte klingen in meinen Ohren recht gut. Aber wittere ich da etwa noch ein Minus im Hintergrund?«
»Oh ja, ein großes, sehr großes, riesengroßes Minus. Einen Sekundenbruchteil, nachdem ich herausgefunden habe, dass er nicht schwul ist, wurde mir klar, dass er eine Freundin hat.«
»Und du hast einen Freund«, bemerkte Poll berechtigterweise.
»Ja, aber das ist doch etwas völlig anderes. Mark ist ein ganz normaler Kerl mit einem ganz normalen Job. Er aber hat eine Beziehung mit einer Nachtclubtänzerin namens – man glaubt es kaum – Onyx.«
»Hübscher Name. Hat er gesagt, dass sie seine Freundin ist?«
»Ich habe nicht gefragt – das war auch gar nicht nötig. Er wurde ganz turtelig am Telefon. Als Frau kennt man sich da aus. Und ich wette, sie kann Spagat und Rad schlagen und all so was. Und«, setzte Ella rasch nach, »wenn du jetzt lachst, dann kündige ich, bevor ich überhaupt angefangen habe, und fahr wieder nach London, bevor du ›glitzernder Stringtanga‹ sagen kannst.«
»Zu lachen fiele mir im Traum nicht ein«, sagte Poll und lachte. »Ach entschuldige, aber es ist wirklich komisch.«
»Ach ja?«
»Ja, Ash wird also von einem Moment zum anderen vom Schwulen zum Hetero, und an die Stelle von Roy tritt Onyx – und du machst unverändert ein finsteres Gesicht. Entschuldige, ich lache dich nicht aus, ehrlich. Da auch du beziehungsmäßig gebunden bist, sehe ich nicht, wo das Problem wäre. Also, meinst du, du könntest während des Mittagessens mal aufhören zu schmollen?«
Ella rümpfte die Nase. »Puh, das wird mir schwerfallen … Na schön. Ich werde versuchen, ein paar Bissen herunterzuzwingen.«