14. Kapitel
Als sie wieder in die Küche kam, fand Ella Billy eingedöst und leise schnarchend im gepolsterten Schaukelstuhl vor. Er sah niedlich aus. Wie ein zufriedener kleiner Elf. Trixie würde ihn sicher gernhaben. Sie brannte darauf, ihm von Trixie zu erzählen.
Während sie auf Zehenspitzen zum Herd eilte, Topfdeckel hob, den Backofen überprüfte und sich vergewisserte, dass nichts angebrannt war, kicherte Ella vor sich hin. Trixie … Von Funken sprühendem Zauberstab, durchsichtigen Flügeln oder glitzernder Tiara keine Spur. Ha! So viel zu Ashs Wunschvorstellung von Trixie als guter Märchenfee mit allem Drum und Dran. Welche eine Enttäuschung für ihn! Falls er überhaupt je wieder nach Hause kam.
Sie würde ihn anrufen. Jetzt. Es war ja nicht so, als wollte sie ihn wegen einer Verabredung anrufen. Sie hatte einen triftigen Grund – und Poll hatte sie darum gebeten – und nein, sie hatte seine Telefonnummer nicht – noch nicht …
Vorsichtig, um Billy nicht zu stören, umrundete Ella den Küchentisch und besah sich das Durcheinander an der Pinnwand: allerlei Notizen, Haftzettel, Visitenkarten, Fotos, Postkarten und Kunstwerke von George. Wie zum Teufel fand Poll hier jemals, was sie suchte?
Aha – Ella schmunzelte. Da war der Zettel mit den Angaben zu Dewberry’s Dinners. Poll hatte ihn also nicht weggeworfen … Ella spähte zu Billy hinüber. Er schlief nach wie vor. Und George spielte draußen. Und Poll war immer noch oben. Und – ach zum Teufel – warum eigentlich nicht?
Schnell speicherte sie die Telefonnummer von Dewberry’s Dinners in ihr Handy.
Dann durchstöberte sie mit leicht schlechtem Gewissen die restliche Zettelsammlung, bis sie Ashs Nummer fand, und tippte auch diese in ihr Handy ein. Nicht, dass sie vorhatte, ihn regelmäßig anzurufen, ebenso wenig wie Dewberry’s Dinners, natürlich nicht, nur für alle Fälle …
Sie wählte Ashs Nummer. Sofort sprang die Mailbox an.
»Ach, verdammt«, brummelte Ella, fand dann, es sei besser, eine SMS zu schicken, als irgendeine verworrene und wahrscheinlich vergebliche Nachricht zu hinterlassen, und schrieb: »Poll braucht dich. Komm schnell. Trixie ist da. Essen verbrannt. Kein kausaler Zusammenhang. :)!«
Botschaft locker rübergebracht. Nett und unverbindlich.
»Huch!« Billy schrak hoch und blinzelte heftig. »Ich habe nicht geschlafen, Ella, meine Liebe. Ich habe …«
»Nur die Augen ausgeruht, ja, ich weiß. Meine Oma hat auch gern und oft ihre Augen ausgeruht. Lass dich nicht stören. Du bist nach der Fahrt, der Farmbesichtigung und dazu noch dem Backen bestimmt erschöpft. Trixie ist endlich angekommen. Sie scheint nett zu sein, aber ich glaube, sie könnte einem Esel das Ohr abschwatzen, also erhol dich ruhig erst mal, so gut es geht.«
Billy gähnte, streckte sich und lachte. »Und, wie sieht sie aus? Ganz in rosa Rüschen mit Krönchen und Zauberstab?«
»Leider nicht. Ganz geblümt und mütterlich. Ash wird bitter enttäuscht sein.«
»Du selbst aber doch auch, oder? Siehst du, Poll hat doch gesagt, dass Trixie eine ganz normale Person ist!«
»Ja, schon, aber was Poll so unter normal versteht …«
Da flog die Küchentür auf, Ella verstummte, und Billy richtete sich ruckartig auf.
»Da wären wir!«, verkündete Poll fröhlich, wies Trixie in die Küche, winkte George aus dem Garten herein und warf einen hektischen Blick zum Herd. »Willkommen in der Hideaway-Familie, Trixie. Ash wird bald kommen, Ella hast du schon kennengelernt, und das sind Billy Booker und mein Sohn George. Ich hoffe, du wirst hier sehr glücklich.«
»Ganz bestimmt, meine Liebe.« Trixie strahlte Billy vergnügt an und schüttelte, ohne mit der Wimper zu zucken, Georges ziemlich schmuddelige Hand. »Es ist wunderbar hier. Einfach herrlich. Ich bin dir so dankbar, meine Liebe. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich angefangen hätte. Du bist so unglaublich freundlich.«
»Ah ja, das ist sie«, pflichtete Billy ihr bei und zwinkerte Ella zu. »Sie ist wirklich einmalig, unsere Poll.«
»Noch immer keine Spur von Ash?«, flüsterte Poll, als sie George zum Händewaschen geschickt hatte und Billy und Trixie sich an den Tisch setzten. »Hast du ihn angerufen?«
»Eine SMS geschickt«, flüsterte Ella zurück.
»Wie clever. Ich habe noch nie eine SMS verschickt.«
»Er hat nicht geantwortet.«
»Nicht? Nun ja, wahrscheinlich gibt es einen guten Grund für seine Verspätung. Meinst du, wir sollen die Suppe auftischen, auch wenn er noch nicht da ist?«
Ella nickte. »Auf jeden Fall, denn sonst verdirbt ja alles. Wenn du die Suppe übernimmst, hole ich die Brötchen aus dem Ofen und schenke schon mal den Wein aus.«
»Okay, aber …« Poll sah etwas bekümmert aus, »meinst du nicht, es ist eigentlich ganz verkehrt?«
»Was denn? Der Wein? Wir haben auch Wasser, für alle, die keinen Alkohol möchten. Oder meinst du das Willkommens-Dinner ganz allgemein? Dass wir alle an der Kocherei beteiligt waren, von wegen ›Zu viele Köche verderben den Brei‹ und so weiter? Oder meinst du, weil Ash nicht da ist?«
Poll schüttelte den Kopf. »Nichts von alldem. Ich meine das Essen selbst. Tief im Winter wäre dieses Menü fantastisch, aber heute ist ein warmer Maiabend. Ich fühle mich jetzt schon wie in der Sauna, und wir haben eine wirklich herzhafte Mahlzeit gekocht. Salat und Eiscreme wären viel passender … Ach, warum mache ich nur immer alles falsch?«
»Machst du gar nicht.« Ella sah sie schmunzelnd an. »Gut, es ist vielleicht ein bisschen, ähm, deftig, aber alle sind wirklich hungrig, die Tür steht offen, der Ventilator läuft, es weht eine angenehme Brise, und alles riecht ganz köstlich. Es wird niemanden stören, dass es ein Winter-Menü ist, sie werden begeistert sein, Poll, ehrlich. Wer anfängt zu essen, wird von Ashs Suppe ganz hin und weg sein, und von da an läuft alles bestens, du wirst schon sehen.«
Und zu Ellas großer Erleichterung war es auch so.
Wenige Minuten später waren die Weingläser gefüllt, und man hörte allgemeines Ooh und Aah über die Suppe.
»… oh, wie wunderbar … köstlich … mal ganz etwas anderes …«
»… schmeckt wie Curry – mild und würzig zugleich –, wie das beste indische Currygericht, das ich je gegessen habe …«
»… ah, so ist es recht. Der kleine George ist schon bei seiner zweiten Portion, der Gute …«
»… ja, Ash ist wirklich ein Meister der Suppen. Ein Genie in der Kombination von Aromen … so ein Jammer, dass er nicht hier ist … noch Brot?«
Trixie tupfte gesittet ihren Mund ab. »Die Brötchen sind fantastisch. Sagtest du, Billy hat sie gebacken, meine Liebe? Mein Kompliment an den Bäckermeister! Ganz wunderbar! Man schmeckt die frischen Kräuter im Brot wie in der Suppe. Ich koche ja auch gern mit Kräutern. Ich könnte da ein paar ganz außergewöhnliche Zutaten für die Küche empfehlen.«
Ella lächelte in ihren Suppenteller. Garantiert irgendwelche Hexenkräuter – wie Schierling, Bilsenkraut, Alraune oder Eisenhut.
Na lecker – bloß nicht!
»… dann musst du dich mal mit Ash unterhalten. Ihr könntet gemeinsam neue Rezepte erfinden.«
»Ach, wir sollten alle noch einen kleinen Nachschlag nehmen!«
»Gute Idee. Oh ja, das ist die beste Suppe, die ich je gekostet habe.«
»… noch mehr? Fein, reich deinen Teller rüber, es ist reichlich da.«
Oh ja, kochen konnte Ash tatsächlich, dachte Ella, während sie die unvergleichliche Linsen-Kürbis-Koriander-Suppe löffelte. Es war wirklich ganz unglaublich.
Großartige Kochkunst – lausiges Zeitmanagement.
Wie aufs Stichwort flog die Küchentür auf.
»Hi! Tut mir furchtbar leid, dass ich zu spät komme, Poll, aber es hat alles sehr viel länger gedauert, als ich erwartet hatte, und dann gab es da ein kleines Transportproblem und …«
Ella sah auf und bemerkte zwei Dinge auf einmal. Erstens hatte Ash ein komisches kleines weißes Hütchen auf, das seiner Attraktivität erstaunlicherweise nicht im Mindesten Abbruch tat. Und zweitens war er in Begleitung der allerschönsten jungen Frau, die sie je gesehen hatte.