11. Kapitel
Am nächsten Morgen fegte Poll vergnügt vor sich hin singend den Küchenfußboden. Nachdem sie Ella, Ash und George auf eine weitere Fahrt durch die ländliche Umgebung geschickt hatte, war sie allein im Haus.
Die Gute, dachte Poll schwärmerisch, Ella war so ein liebenswertes Mädchen. Sie hatte sich schon bestens eingelebt, und George liebte sie offenbar heiß und innig. Schade, dass ihr Freund Mark keine Kinder wollte. Das war ein großes, unüberwindliches Problem. Hoffentlich vermisste er Ella während ihres Aufenthalts in Hideaway so sehr, dass er bereit war, seine Haltung zu ändern.
Wie auch immer, jetzt jedenfalls gab es Wichtigeres zu bedenken, denn heute würde ihre neue Familie vervollständigt. Poll, in gammeligem Schlabberrock mit einem T-Shirt weit jenseits des Haltbarkeitsdatums, ihren herrlich bequemen, aber schon fast auseinanderfallenden Espadrilles und auf dem Kopf, über den frisch gewaschenen Haaren, eine von Georges Unterhosen aus dem Korb mit der sauberen Wäsche strahlte vor sich hin.
Trixie würde heute Nachmittag kommen, und bald würde Billy Booker eintreffen …
Ihr Herz tat vor Aufregung einen kleinen Hüpfer.
Als aufwirbelnde Staubkörnchen vor ihr in den Sonnenstrahlen des heißer werdenden Maimorgens tanzten, hielt Poll im Fegen kurz inne und stützte sich auf ihren Besen, um zuzusehen, wie hübsch sie umherwirbelten. Sie sahen aus wie kleine glitzernde Elfchen, die in der Sonne funkelnd hin und her tanzten. Ein Wölkchen von Trixies Feenstaub, um Magie in ihr Leben zu bringen? Nein, sie lachte über sich, das wäre viel zu fantastisch – selbst in ihren Augen –, aber auf das Wiedersehen mit Billy Booker freute sie sich.
Alles war für Billys Ankunft perfekt vorbereitet, dachte sie, während sie weiterfegte. Es gab kaum noch etwas zu tun. In seinem Zimmer war alles fertig, frische Blumen, Bettwäsche zum Wechseln, Tee, Kaffee und kleine Tütchen mit selbst gemachten Keksen, Actionromane, Männermagazine – und alles, was man sich sonst noch wünschen könnte. Poll war sicher, dass Billy, wie alle ausgestoßenen Neuankömmlinge, sich anfangs sehr fremd fühlen würde, und wollte es ihm so heimelig machen wie möglich.
Und diesmal würde sie ihn ohne das Empfangskomitee begrüßen, dachte sie sich, da sie höchst raffiniert vorgeschlagen hatte, dass Ella und Ash vor dem heutigen Kochmarathon die nähere Umgebung noch weiter erkunden sollten, und falls sich dabei an diesem glutheißen Vormittag für George eine Gelegenheit zum Planschen und Eisessen ergäbe, umso besser.
»Fiddlesticks wäre ideal«, hatte Poll direkt gesagt. »Es ist nicht weit, und dort fließt ein herrlicher, breiter und seichter Bach mitten über den Dorfanger. Kristallklar, mit einer kleinen Brücke, von der man die Beine ins Wasser baumeln lassen kann, und ideal zum Planschen. Im Weasel and Bucket am Rand der Wiese gibt es köstliche Eisbecher. An einem Tag wie heute treiben sich da alle Kinder aus der Umgebung herum. Ich wünschte, ich könnte mitkommen, aber ich muss ja auf Billy warten.«
Und gleich, überlegte Poll sich nun, wollte sie sich nach dem Fegen in letzter Minute noch Zeit nehmen, um den Schweiß und Schmutz abzuduschen und sich in eine ordentliche und adrette Gastgeberin zu verwandeln. Sie würde ihr schönstes Indienkleid anziehen und die Bernsteinkette und ihre Lieblings-Flipflops, die violetten mit Glitzer, und dann wäre sie bereit, Billy Booker in seinem neuen Zuhause willkommen zu heißen.
Und später würde noch Trixie dazukommen, und dann wäre ihre neue Familie komplett. Es würde ein schöner Neuanfang für sie alle.
Ach … aber, das konnte doch wohl nicht sein? Poll fuhr aus ihrer Träumerei hoch – das war doch nicht etwa ein Auto auf der Hideaway Lane? Ja, tatsächlich, und jetzt hatte es angehalten. Vor dem Farmhaus. Ach herrje, war das am Ende etwa schon Billy? Am späten Vormittag, hatte er gesagt, war es denn schon so spät? Poll hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Poll stellte den Besen in eine Ecke, wischte sich die schmutzigen Hände am Rock ab und blies den Staub unter ihrer Nase fort, dann eilte sie, von zwei Hunden begleitet, durch das kühle, süß duftende Haus, um nachzusehen.
Billy Bookers Wagen, der knatternd vor der Eingangstür der Hideaway Farm stand, war ein alter, rostiger Austin Allegro mit der unvorteilhaften Lackfarbe »Kuhfladenbraun«.
Billy, Anfang fünfzig, klein, mit fülligem blondem Haar, pausbäckigem Engelsgesicht und den sanftesten dunkelbraunen Augen, die man sich vorstellen konnte, mühte sich mit der Handbremse ab.
Polls Herz tat einen kleinen Freudensprung. Wie albern, ermahnte sie sich streng. Völlig albern, wirklich.
»Hallo!« Billy kämpfte sich aus dem Fahrersitz und streckte ihr beide Hände entgegen. »Ich komme doch hoffentlich nicht zu früh? Wie wunderschön, dich wiederzusehen, Poll. Und was für ein herrliches Heim du hier hast! Ich fühle mich jetzt schon zu Hause.«
»Das habe ich gehofft.« Poll schmunzelte entzückt und ergriff Billys Hände, um sie verwirrt zu drücken wie auch zu schütteln. Dann fiel ihr zu spät ein, dass sie noch in ihren zerlumpten Hausarbeitskleidern und ganz schmutzig war. Zu spät. Viel zu spät. Verflixt noch mal. »Ach bitte, stör dich nicht an den Hunden.«
»Ich liebe Hunde.« Billy lächelte weiterhin und ließ Polls Hände los, um die Hunde zu tätscheln und zu streicheln. »Meiner Meinung nach sind die meisten Tiere besser als viele Menschen.«
»Das finde ich auch«, sagte Poll mit Nachdruck. »Jedenfalls haben wir das Haus im Moment für uns, sodass du in Ruhe ankommen kannst, ohne gleich tausend anderen Leuten gegenübertreten zu müssen.«
»Tausend?« Billys braune Augen glänzten. »Ich wusste ja, dass du ein großzügiges Mädchen bist, aber trotzdem …«
Sie lachten beide, und dann, in einer etwas weniger chaotischen Wiederholung von Ellas und Ashs Ankunft, half Poll Billy mit seinem Gepäck – diesmal einer bunt gemischten Ansammlung aus älteren Koffern, Einkaufstaschen mit Reißverschluss und schwarzen Müllsäcken –, und sie trugen alles durch das Haus bis in das Zimmer neben Ashs.
»Mannomann …« Bewundernd sah Billy sich um. »Das ist ja wie im Ritz. Liebe Poll, du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich bin.«
Poll blinzelte schnell. Sie musste immer weinen, wenn Leute nett zu ihr waren. Es war noch nicht allzu oft vorgekommen.
»Du bist ganz, ganz herzlich willkommen. Jetzt lasse ich dich allein, damit du dich einrichten kannst, ich bin dann unten. Möchtest du etwas essen? Etwas trinken?«
»Ein Tässchen Tee wäre schön«, sagte Billy. »Obwohl ich sehe, dass du mir hier oben alles bereitgestellt hast, um selbst welchen zu machen. Ich weiß ehrlich nicht, was ich sagen soll – so etwas habe ich überhaupt nicht erwartet.«
Poll blinzelte wieder schnell. »Ich gehe und mache uns eine Kanne Tee. Wir können ihn im Garten trinken. Komm herunter, wenn du fertig bist. Soll ich auch Kuchen auf den Tisch stellen? Oder Kekse?«
»Für mich nicht, danke.« Billy schaute sich noch immer mit großen Augen und einem an Ehrfurcht grenzenden Blick in seinem Zimmer um. »Ich habe auf dem Weg hierher bei Little Chef Halt gemacht und dort ein Olympia-Frühstück gegessen – davon bin ich noch ziemlich satt.«
Poll lächelte. »George geht auch immer so gern zu Little Chef. Er liebt die Pfannkuchen dort.«
»Ach, ich auch. Vor allem die mit Kirschen und Eiscreme.«
»Wir müssen Ella bitten, uns welche zu machen. Sie wohnt auch hier, und du wirst sie später kennenlernen, denn Nachspeisen sind ihre Spezialität. Und Ash und, äh …« Poll zögerte einen Moment, dann beschloss sie, Erklärungen über Roy könnten noch warten. »Äh, ja, Ash hat das Zimmer neben dir, ein paar Schritte den Flur entlang, sein Spezialgebiet sind Suppen – und deines natürlich Brot. Ach, es gibt einen alten Backofen in der Küche; der würde sich bestimmt freuen, wieder in Betrieb genommen zu werden.«
Billy strahlte. »Klingt ja wunderbar. Das gute alte Teigkneten hat mir richtig gefehlt. Und wie ist es mit dir? Kochst du auch gerne?«
»Wann immer ich kann. Ich mache am liebsten herzhafte Hauptgerichte – keinen Schnickschnack. Mit Nouvelle Cuisine habe ich nichts am Hut – auch wenn ich gar keine Hüte trage. Ich bringe gern ein üppiges Dinner auf den Tisch. Deftige Speisen.« Poll nickte eifrig. »Pasteten kann ich wahrscheinlich am besten. Ja, Dennis – mein Ex – hat mir selten Komplimente gemacht, aber er hat gesagt, meine Pasteten seien das Zarteste, was er je gekostet hätte.« Sie stockte. Klang das nach Angeberei? Hoffentlich nicht. Dennis den Ex zu erwähnen klang doch hoffentlich nicht so, als wollte sie kokett auf ihr Singledasein aufmerksam machen? Ach herrje … Sie errötete maßlos und schluckte. »Na jedenfalls lass ich dich jetzt auspacken, und wenn du fertig bist, kommst du runter.«
»Das mach ich, danke.«
Noch immer mit rotem Kopf wandte Poll sich ab und erblickte in dem dreiteiligen Spiegel über dem Ankleidetisch ihr Ebenbild.
Aaargh – nein, nein, nein!
Sie hatte noch immer Georges Unterhose auf dem Kopf!
»Verflixt noch mal!« Poll raste zur Treppe, riss sich das Höschen vom Kopf und stopfte es in ihren Ärmel. »Oh Gott, was denkt er jetzt bloß von mir?«
Nach wie vor brennend rot vor Scham duschte Poll schnell und zog sich um, räumte Georges als potentielle Todesfallen verstreute Spielsachen von der gewundenen Treppe, goss in der dicken chinesischen Teekanne ihrer Mutter – die mit den Rosen und Vergissmeinnicht – Tee auf und deckte mit dem dazu passenden Geschirr den Holztisch im Garten.
Und kurze Zeit später saß Poll, zumindest nach außen ganz ruhig, neben Billy auf der Schaukelbank.
»Das hier«, sagte Billy, während er den Blick über den sonnengetränkten Garten schweifen ließ und vergnügt Tee mit Milch und drei Stück Zucker trank, »ist ein Paradies auf Erden.«
»Ich möchte, dass du glücklich bist. Ich weiß, du hast es schwer gehabt.«
Billy nickte. »Ach ja, die letzte Zeit war ganz schön hart.«
»Oh ja. Das Geschäft zu verlieren muss ein schlimmer Schlag gewesen sein.«
Billy nickte. »Aber jetzt, wo all die Supermärkte ihr eigenes Brot backen und die Hauptstraßen leer gefegt sind wie in Geisterstädten, kann man den Leuten wirklich keinen Vorwurf machen, wenn sie die kleinen, unabhängigen Läden links liegen lassen, oder?«
»Wohl nicht. Aber hier in der Gegend haben wir es besser. In Hazy Hassocks gibt es noch immer eine belebte Geschäftsstraße, und all die kleinen Läden überleben ganz gut, obwohl es mittendrin den Supermarkt Big Sava gibt. Es ist ein hübsches Dorf.«
Billy nickte anerkennend und nippte an seinem Tee. »Alles ringsum ist hübsch, Poll. Ich weiß, dass ich hier sehr glücklich sein werde. Und nach dem, was ich durchgemacht habe, könnte ich ein bisschen Glück gut brauchen. Nach Marys Tod …«
»Ja, natürlich. Du Armer. Du hast so viel durchmachen müssen. Hast dein Geschäft verloren und deine Frau.«
Billy stellte Tasse und Unterteller ab. »Ach, Mary und ich waren nie Romeo und Julia. Ich habe sie vermisst, natürlich, weil man sich eben aneinander gewöhnt, aber offen gesagt war sie ein boshaftes Weib.«
»Wirklich?« Poll verzog das Gesicht. »Ach, das tut mir leid.«
»Muss es nicht.« Um Billys sanfte dunkle Augen zeigten sich Lachfältchen. »Ich war nur immer froh, dass wir nie Kinder hatten. Sie hätte ihnen das Leben zur Hölle gemacht, so wie mir. Um ehrlich zu sein, waren die letzten beiden Jahre ohne sie doch eine gewisse Erleichterung. Sie hat unentwegt genörgelt und herumgemault. Nicht, dass sie es verdient hätte, so früh zu sterben, das arme Mädchen, aber so war es nun mal.«
»Liebe Güte.« Poll hoffte, sie würde nicht gleich anfangen zu weinen.
»Und das war der Grund, warum die Leute in den Nachbarwohnungen mich loswerden wollten, weißt du. Das war der Grund, warum sie mir Sachen untergeschoben haben und sich dann bei der Hausverwaltung beklagt haben, ich wäre ein Dieb – was natürlich totaler Blödsinn war –, und angefangen haben, Gerüchte zu verbreiten und so weiter. Weißt du, sie haben alle behauptet, ich hätte sie umgebracht.«
»Nein!« Polls Teetasse klapperte auf dem Unterteller. Oh Gott, na das würde Ella gefallen! »Aber, ich meine, das hast du doch nicht, oder? Ich meine, als ich dir hier eine Unterkunft angeboten habe und der Anwalt das polizeiliche Führungszeugnis überprüft hat und so weiter, war nie die Rede von Mord oder einer Haftstrafe oder einem Prozess oder irgend so was.«
Billy lachte. »Lieber Himmel, so weit ist es nie gekommen. Es gab nichts dergleichen. Ich hatte nie mit der Polizei zu tun. Es waren nur böse Gerüchte. Mary hatte nicht viele Freundinnen, sie war nicht besonders gesellig, aber einige ihrer Cousinen wohnten in diesen Apartments, und die haben mich noch nie gemocht. Es war alles nur Kleinstadttratsch. Aber es hat gereicht, um mir das Leben zur Hölle zu machen.«
»Aber du hast es nicht getan, oder?«, beharrte Poll. »Sie ermordet?«
»Nein – natürlich nicht! Nicht, dass ich nicht gelegentlich mal daran gedacht hätte, wenn ihre Nörgelei von früh bis spät mich fast in den Wahnsinn getrieben hat – wie man an so etwas eben mal denkt. Aber ich wäre doch nie im Leben handgreiflich geworden. Ich habe nie auch nur die Stimme erhoben, geschweige denn die Hand. Liebe Güte, ich kann ja keiner Fliege was zuleide tun. Ich habe keinen Funken Gewalttätigkeit im Leib, meine Liebe.«
»Wie ist sie denn eigentlich gestorben? Ach nein, du musst es mir nicht erzählen – aber krank oder so war sie ja scheinbar nicht.«
»An einem Brötchen erstickt.«
Poll blinzelte.
»Frisch aus dem Ofen. Noch warm. Noch feucht. Quoll richtig auf. Mary war total verfressen auf mein frisch gebackenes Brot, um es mal deutlich zu sagen. Hat beim Essen immer ganz gierig geschlungen. Hat nie auf mich gehört, wenn ich ihr gesagt habe, dass sie die Brötchen erst ein bisschen abkühlen lassen soll, hat sich einfach eines geschnappt und in den Mund gestopft. Tja, so hat sie es in unserer Ehe schon immer getan und mir dann die Hölle heißgemacht, wenn ich versucht habe, sie davon abzuhalten, und früher hatte es dabei nie irgendwelche Probleme gegeben, also hab ich es ihr eben durchgehen lassen.« Billy seufzte. »Ich hab getan, was ich konnte. Heimlich-Handgriff und Wiederbelebungsmaßnahmen und Mund-zu-Mund-Beatmung und all das. Aber es hat nichts genutzt. Sogar die Sanitäter haben gesagt, ich hätte alles Menschenmögliche unternommen – die kamen wirklich schnell, haben aber gemeint, sie hätten auch nichts anderes tun können.«
»Oh Gott.« Poll war aufrichtig entsetzt bei dieser grässlichen Vorstellung. »Ach, wie schrecklich für dich – und für die arme Mary.«
»Ja, das war es. Fürchterlich. Im einen Moment war sie noch quicklebendig mit einem warmen Brötchen im Mund – im nächsten Moment lief sie dunkelrot an, und aus war’s.«
Schweigend saßen sie da. Die Vögel zwitscherten fröhlich in den süß duftenden Fliederzweigen, und die Bienen summten träge an den Blüten des Geißblatts ein und aus. Plötzlicher Tod und Trauer schienen Welten entfernt.
»Der größte Fehler, den ich je gemacht habe«, sagte Billy leise, »war, sie überhaupt zu heiraten. Ich dachte, ich könnte sie glücklich machen, aber das konnte ich nicht. Das konnte niemand.«
Ohne nachzudenken, griff Poll zu ihm hinüber und drückte seine Hand. »Aber du hast es versucht, und das ist die Hauptsache. Du kannst nichts dafür, dass sie nicht glücklich war. Und ich weiß, wie das ist, ich habe denselben Fehler gemacht. Im Grunde habe ich alles im Leben falsch gemacht.« Rasch zog sie ihre Hand wieder weg.
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Nicht nach dem, was ich über dich weiß.«
»Aber wir wissen doch noch gar nichts voneinander.« Poll stellte Teetasse und Unterteller ab. »Wir haben wohl noch jede Menge übereinander herauszufinden, nicht wahr?«
»Jede Menge«, sagte Billy froh. »Aber eines kannst du mir gleich verraten – hast du einen Heimwerker zur Hand?«
Poll schüttelte den Kopf. »Nein, wieso? Ist in deinem Zimmer irgendwas nicht in Ordnung?«
»Aber nein!« Billy lachte. »Das Zimmer ist herrlich. Nein, es ist nur so, dass ich in meiner Freizeit immer gern ein bisschen gewerkelt habe, Renovierungsarbeiten und so was. Und solange ich hier bin, würde ich mich gerne nützlich machen. Wenn du also irgendwas hast, was ein bisschen ausgebessert werden müsste …«
»Na, praktisch die ganze Farm«, sagte Poll begeistert. »Ich könnte dich bis zum nächsten Millennium beschäftigen. Aber mal ernsthaft, einige der Scheunen sind halb renoviert, weil ich irgendwie vorhatte, etwas daraus zu machen, woraus dann doch nichts wurde, und dort gäbe es ganz dringend noch manches zu tun.«
»Klingt, als wäre das genau mein Fall«, sagte Billy mit leuchtenden Augen. »Ich habe mein ganzes Werkzeug dabei und würde wirklich gern meinen Unterhalt verdienen oder für meinen Aufenthalt aufkommen – und wenn ich die Reparaturarbeiten übernehmen kann, klingt das doch wie ein guter Plan, findest du nicht?«
»Ein sehr guter Plan.« Poll strahlte. »Hör mal, bevor die anderen zurückkommen und Trixie eintrifft, könnte ich dich eben auf der Farm herumführen. Ich weiß, es ist heiß, aber wir könnten im Schatten bleiben und uns unterwegs noch ein bisschen unterhalten.«
»Gerne!« Billy lächelte sie sanft an. »Nach Ihnen, Mylady.«
Und so wanderten Poll und Billy von den Hunden begleitet langsam über die Kieswege an den blumenübersäten Weiden Hideaways entlang und begutachteten die halb renovierten Scheunen. Nachdem Billy vor Begeisterung über so viel wartende Heimwerkerarbeit fast einen kleinen Freudentanz aufgeführt hätte, erzählte Poll ihm zögernd von ihrer Kindheit, ihrer Heirat mit dem weltreisenden Geschäftsmann Dennis, von der Hideaway Farm und ihren Träumen.
Als sie geendet hatte, seufzte Billy teilnahmsvoll. »Sind wir nicht ein feines Paar? Aus lauter guten Gründen immer wieder das Falsche getan.«
Poll lachte. »Wie schön, jemand zu haben, der mich versteht. Ich habe einfach sehr dumme Fehler gemacht.«
»Aber jetzt nicht mehr«, beharrte Billy. »Jetzt tust du etwas Wunderbares, um anderen zu helfen – niemand kann behaupten, das wäre dumm.«
»Dennis wahrscheinlich schon«, lachte Poll. »Allerdings habe ich früher wirklich einige Dummheiten gemacht, nur weil ich ihn unbedingt beeindrucken wollte. Weißt du, als wir hier eingezogen sind, habe ich die Innenwände und Decken des Farmhauses allesamt tiefviolett gestrichen.«
»Hübsch. Ich mag Violett.«
»Ich auch. Ich war überzeugt, wenn ich erst ein paar Landschafts-Aquarelle und Samtvorhänge aufgehängt und Dutzende warm leuchtender Lampen aufgestellt hätte, wären die ganzen Zimmer und Flure heimelig und sehr viel gemütlicher.«
»Und?«
Poll kicherte. »Von wegen. Durch das ganze Lila ringsumher wirkte alles schäbig und düster und ein bisschen gruselig. Und ich bin in den dunklen Ecken über alles Mögliche gestolpert. Es hat Wochen gedauert – und ein Vermögen gekostet –, wieder das ursprüngliche ländliche Cremeweiß in die Räume zu bringen. Durch Profis. Und Dennis – als er aus Belgien zurückkam – war stinksauer. Mal wieder.«
»Guter Gott.« Billy lachte leise. »Ich kann mir vorstellen, was er für ein Gesicht gemacht hat. War sicher sehenswert.«
»Hmm.« Poll nickte. »Aber nicht ganz so schlimm wie damals, als er eine Weile in den Staaten war und ich beweisen wollte, dass ich genauso unabhängig und eigenständig und geschäftstüchtig sein konnte wie er.«
»Was ist da passiert?«
Poll grinste. »Ach, ich habe das leer stehende Gewächshaus der Farm an ein paar wirklich nette junge Männer aus Winterbrook vermietet, die behaupteten, sie wollten dort Biogemüse für ihren Marktstand anbauen. Dennis kam gerade rechtzeitig aus Washington zurück, um mit anzusehen, wie das Rauschgiftdezernat die ganzen blühenden Pflanzen und das ausgeklügelte Bewässerungs-, Beleuchtungs- und Heizungssystem beschlagnahmt und die Gewächshäuser mit langen Bahnen blau-weißem Flatterband abgesperrt hat.«
»Ist nicht dein Ernst!« Billy lachte. »Eine Cannabisplantage? Er muss ja ausgerastet sein.«
»Oh ja, ist er. Er war fuchsteufelswild. Vor allem, als die ganze Sache vor Gericht ging. Zum Glück wurde ich von jeglicher Mittäterschaft an den strafbaren Handlungen freigesprochen, aber es war in Hazy Hassocks und Umgebung wochenlang das Gesprächsthema Nummer eins. Darüber ist Dennis nie wirklich hinweggekommen.«
»Hat er nicht zu dir gehalten? Dich zu verstehen versucht?«
Poll schüttelte den Kopf. »Dennis hatte nie Verständnis für mich. War wohl mein Fehler. Ich hatte so lange allein gelebt, dass ich nicht sonderlich gut darin war, meine Träume mit anderen zu teilen. Allerdings wollte ich ihm nach der Drogengeschichte immer noch beweisen, dass ich nicht so nutzlos war, wie er glaubte, und so habe ich in einer der kleineren Scheunen einen Hofladen aufgemacht.«
»Klingt nach einer guten Idee.« Billy nickte. »Die Städter lieben so was.«
»Das dachte ich auch, musste aber bald feststellen, dass Hideaway nicht wirklich genug von irgendwas produziert, um ein Geschäft zu bestücken, also habe ich Eier und Kartoffeln und Gemüse bei Big Sava in Hazy Hassocks besorgt und mit Verlust als frisch vom Hof verkauft. Nur bis die Sachen, die ich angebaut hatte, richtig wuchsen und die Hühner anfingen zu legen. Nur um einen festen Kundenstamm zu gewinnen.«
»Klar«, sagte Billy bedächtig, »und dann …?«
Poll gluckste belustigt. »Das Ergebnis war der Besuch eines offiziellen Kontrolleurs der Handelskammer, der einige sehr unfreundliche Dinge über Betrug von sich gab und mir von einem Tag auf den anderen den Laden dichtgemacht hat.«
Billy lachte. »Allmählich sehe ich, wie sich da ein gewisses Muster abzeichnet. Aber den kleinen George zu bekommen – das wird Dennis doch sicher gefreut haben, oder?«
»Nicht wirklich. Nein, eigentlich gar nicht. Ach, ich habe mich mit ganzem Herzen in die Mutterrolle gestürzt und war, überraschenderweise, recht gut darin. Ich hatte nie erwartet, Kinder zu bekommen, und George war die reine Wonne, und auch wenn es als erstgebärende ältere Mutter ziemlich anstrengend war, habe ich jede Sekunde ausgiebig genossen.«
»Aber Dennis nicht?«
»Nein. Der arme Dennis war einfach nicht geschaffen für die Vaterschaft. Er hat sich maßlos aufgeregt über das Chaos und die ständigen Störungen, die ein Baby mit sich bringt. Er hat einfach immer mehr Aufträge angenommen, die möglichst weit weg führten, und alles mir überlassen. Und wenn er nach Hause kam, war er entsetzt, dass sich die Gespräche mit mir um die Handlung von Sandmännchen und Teletubbies drehten und ich, wenn wir ausgegangen sind und mich jemand nach meinem Lieblingssong fragte, nur antworten konnte: ›Alle meine Entchen.‹«
Billy lachte laut. »Blöder Mistkerl, dein Dennis. Wusste ein Mädel mit Sinn für Humor wohl nicht zu schätzen. Wenn du mich fragst, sei froh, dass du ihn los bist. Und wo ist er jetzt?«
»Irgendwo mit B am Anfang, mit einer schnippischen, aufgetakelten, titelbestückten EU-Anwältin namens Melissa.«
»Macht dir das nichts aus?«
»Überhaupt nicht«, sagte Poll nachdrücklich. »Ich bin nur froh, dass es ihm gut geht.«
»Also gab es in letzter Zeit nur dich und den kleinen George und die Tiere?«
»Bis jetzt, ja. Und über kurz oder lang kommt George dann in die Spielgruppe in Hazy Hassocks – er soll auf keinen Fall die gleichen Probleme kriegen wie ich, sondern die sozialen Fähigkeiten lernen, die Einzelkindern so oft fehlen –, und danach geht es mit einer Ganztagsschule weiter, also wusste ich, dass ich mein leeres Nest irgendwie wieder füllen müsste. Und was wäre da passender als Leute, die ein Zuhause brauchen?«
»Du bist eine bemerkenswerte Frau«, sagte Billy. »Wahrhaft einmalig.«
Poll merkte, wie sie rot anlief, und wandte den Blick ab. »Nicht wirklich. Nur eine dumme Träumerin. Und liebe Güte, ich habe dich mit alldem hoffentlich nicht gelangweilt. Ich hatte überhaupt nicht vor, so viel über mich zu sprechen. Du bist ein guter Zuhörer.«
»Gelangweilt? Nicht die Spur! Jahrelang habe ich meiner Mary zugehört und nie irgendetwas gesagt. Dieses Gespräch war mir ein seltenes Vergnügen – ein echtes Geben und Nehmen. Du hast keine Vorstellung davon, wie glücklich ich jetzt bin. Mit einem neuen Zuhause, neuen Freunden und einem Neuanfang im Leben – das alles verdanke ich dir. Es gibt nicht viele Leute, die einem wie mir eine zweite Chance geben würden.«
»Aber ich habe auch etwas davon. Ich hatte mir schon immer eine große Familie gewünscht – und jetzt hab ich eine. George und Ella, Ash und, ähm, Ash und du – und Trixie kommt dann heute Nachmittag.«
»Kann es kaum erwarten, die anderen kennenzulernen. Ella und Ash sind schon da, sagst du? Und wie ist diese Trixie? Auch eine junge Frau?«
»Nein, mehr so in unserem Alter, glaube ich. Ich bin sicher, ihr werdet euch gut vertragen. Sie war früher Köchin und Haushälterin – wir haben also alle etwas gemeinsam.«
»Außer als verlorene Seelen auf dem einsamen Meer des Lebens zu treiben?«, sagte Billy mit leisem Lachen, als sie den Rundgang durch Hideaway beendet hatten und wieder im Garten gelandet waren. »Und alle begeisterte Köche. Das wird Spaß machen – auch wenn du ja weißt, dass zu viele Köche angeblich den Brei verderben, nicht wahr?«
Poll nickte. »Wenn wir alle zur selben Zeit die Küche benutzen wollen, wird es wahrscheinlich ziemlich chaotisch. Aber da wir verschiedene Fachgebiete haben – auch wenn ich noch nicht genau weiß, was eigentlich Trixies Spezialität ist –, werden wir uns hoffentlich nicht allzu sehr in die Quere kommen.«
»Ach ja.« Billy sah sie schmunzelnd an. »Das wäre wahrscheinlich so, als würde man bei einer Folge von Dewberry’s Dinners mitmachen. Mit Geschrei und Gezanke und kreativen Wutanfällen wie diese schrecklichen Dewberrys. Mensch, Poll, du Gute, ich kann es wirklich kaum erwarten, die Ärmel hochzukrempeln.«