23. Kapitel

»Mist!« An seinen Fingern saugend hüpfte Ash in Hideaways Küche herum.

»Ach je, du brauchst Sauerampferblätter«, empfahl Poll, die am anderen Ende des Tisches Topinambur schälte. »Aber da keine zur Hand sind und wir keine Zeit haben, welche zu pflücken, reicht es vielleicht auch, kaltes Wasser darüberlaufen zu lassen. Ich wusste doch, dass es bei Brennnesselsuppe Probleme geben würde.«

»Als ich sie gepflückt habe, hab ich mich kein einziges Mal daran verbrannt.« Mit Tränen in den Augen hielt Ash die Hand, die er weiterhin schüttelte, unter den Wasserhahn.

»Wahrscheinlich«, sagte Ella, während sie Butter in einer Schüssel kräftig mit einem Holzlöffel schlug und gegen den Wunsch ankämpfte, seine wehen Finger mit heilenden Küssen zu bedecken, »weil du dabei Handschuhe anhattest.«

»Ja, okay«, sagte Ash schmerzerfüllt, »aber mit Handschuhen kann ich ja schließlich nicht kochen!«

Billy, der auf der anderen Seite des Tisches gerade Weinstein-Backpulver mit Mehl durchsiebte, deutete auf die Wanduhr. »Wenn wir hier nach Zeit arbeiten, Ash, dann musst du weitermachen, verbrannte Finger hin oder her. Fünf Minuten sind schon um.«

Der Probedurchlauf war in vollem Gange. Nur für den Fall …

Obwohl mehrere Ventilatoren eintönig surrten und alle Türen und Fenster offen standen, war es in der Küche drückend heiß. Die Abendsonne strömte herein und ließ ihre Strahlen schadenfroh über das Kochchaos tanzen.

Ella fing an, zwei große Eier mit einem Schneebesen zu verrühren. Sie sah zu Ash hinüber. »Geht es wieder?«

»Oh ja. Ich habe nur drei Finger, die anschwellen wie Luftballons, und eine weitere Tonne Nesseln vorzubereiten.«

Sie kicherte. »Wo gehobelt wird, da fallen Späne.«

»Klischee-Alarm!«, näselte Poll mit argwöhnischem Blick auf eine kleine Schüssel voll Essig. »Meint ihr, ich habe die Topinambur übersäuert?«

»Und das klingt wie die Anfangszeile eines schlechten Gedichts.« Ella kicherte und klemmte sich die Haare wieder hinter die Ohren, bevor sie sich erneut dem Schneebesen widmete.

Vielleicht, dachte sie mit Blick auf die Uhr und dann wieder auf die geschlagenen Eier, die sie gerade langsam unter die schaumige Butter hob, war dieses reichlich altmodische Menü nicht die allerbeste Wahl gewesen. Aber gerade darum ging es ja bei diesem Probedurchlauf. Sie hatten Gerichte ausgewählt, die sie gerne kochten und die innerhalb einer Dreiviertelstunde gar und servierfertig wären. Auch hatten sie viele Male, ohne tatsächlich zu kochen, den Bewegungsablauf geprobt, wie sie alle zusammen arbeiten und sich zwischen Tisch und Herd hin und her bewegen konnten, ohne sich dabei gegenseitig in die Quere zu kommen.

Jetzt blieb nur noch zu überprüfen, ob alles auch klappte. Nur für den Fall …

Da die für Dewberry’s Dinners festgelegte Sendezeit von fünfundvierzig Minuten für Billy eindeutig nicht ausreichte, um Brot zu backen, bereitete er Ballater Scones aus den Dreißigerjahren, passend zu Ashs Brennnesselsuppe nach einem Rezept aus Kriegszeiten; Poll kochte als Hauptgericht einen Topinambur-Auflauf – ein beliebtes Gericht der Fünfzigerjahre – mit Babygemüse aus dem Garten; und Ellas Nachspeise war ein traditioneller Athole-Pudding – eine der Leibspeisen ihrer Oma – mit Weinsauce.

»Zehn Minuten!«, rief Billy, während er Backnatron in einem Topf Milch auflöste. »Zehn Minuten sind schon um!«

Alle sahen erschrocken auf und arbeiteten noch schneller.

Ella, noch immer beim Rühren, beobachtete Ash, der, den Nesselausschlag vergessend, mit raschen Bewegungen Zwiebeln und Knoblauch kleinschnitt. Es duftete köstlich, und sie fand es ausgesprochen sinnlich, jemanden so geschickt, so mühelos, so talentiert kochen zu sehen.

Seine Bewegungen waren fließend und geschmeidig. Anders als sie und Poll, gute Amateurköchinnen, war Ash eindeutig der formvollendete Profi. Er war in seine Kunst vertieft und achtete auf nichts und niemanden mehr, während seine langen Finger mit den Zutaten zauberten und er streute und kostete und noch etwas streute.

Ella lief ein Schauer über den Rücken.

Ash hatte eine erregende Art zu kochen. Ausgesprochen erotisch …

Billy, der alle Zutaten zusammengeworfen hatte und nun zügig einen klebrigen Teig daraus knetete, bestäubte in seinem Eifer alles ringsum mit Mehl. Sein Gesicht und seine Haare waren ganz weiß. »Fünfzehn Minuten! Liegen wir alle in der Zeit?«

Ash und Ella nickten.

»Ich weiß nicht recht.« Poll starrte auf ihre Topinamburmischung. »Hätte ich das Gemüse vorher noch schälen müssen? Sollten die Kartoffeln schon auf dem Herd stehen?«

»Kartoffeln brauchen zwanzig Minuten«, sagte Ash sanft. »Du weißt das, Poll. Du kannst das im Schlaf. Kein Grund zur Panik.«

»Ach ja – stimmt … Danke dir.«

Ella lächelte ihm zu.

Er schmunzelte. »Siehst du? Ich bin kein hitziger Koch. Ich kann manchmal ziemlich nett sein.«

»Meistens sogar.« Auf sehr hohen Absätzen, in engen abgeschnittenen Jeans und einem winzigen lila Oberteil schwebte Onyx zur Küchentür herein. »Ich habe Trixie und George draußen getroffen, die meinten, ich sollte einfach hereinkommen.«

Alle hießen sie lächelnd willkommen. Ella seufzte.

»Das duftet hier ja alles ganz sagenhaft!« Onyx ließ sich anmutig in den Schaukelstuhl nieder, um nicht im Weg zu sein. »Aber wie läuft es wirklich?«

»Ganz gut, glaube ich.« Ash löffelte behutsam seine Nesseln in die köchelnde Brühe. »Keine größeren Zwischenfälle.«

»Abgesehen von Nesselausschlag an einigen Fingern«, bemerkte Ella spitz, während sie grimmig Zitronenschale rieb. »Die Brennnesselsuppe hat ihr erstes Opfer gefordert.«

Onyx lachte. »Ich hab ihm ja gesagt, er soll einfach eine Dose Tomaten aufmachen, wie normale Leute … Sehr viel sicherer.«

Sie arbeiteten weiter, zunehmend erhitzter und zunehmend nervöser, und kamen einander zunehmend ins Gehege.

»Wisst ihr«, schnaufte Billy, als er seine Scones im Ofen überprüfte, wobei ihm ein neuer Schwall heiße Luft ins Gesicht wehte, »wir machen viel zu viel Sauerei. Und wir wollen alle zur selben Zeit am selben Platz arbeiten. Jetzt, wo wir wirklich kochen, ist alles völlig anders. Um das richtig hinzubekommen, werden wir die Arbeitsabläufe noch x-mal durchgehen müssen.«

Poll wimmerte.

»Mach mal Platz«, murmelte Ella, die ihren Athole-Pudding vorsichtig durch die Küche trug. »Das muss jetzt in den Ofen.«

»Meines auch!«, sagte Poll, die gerade den letzten Rest pürierter Kartoffeln über der Topinamburmischung verteilte. »Oh wie furchtbar. Ich hab Klümpchen drin.«

Onyx gab vom Schaukelstuhl aus mitfühlende Laute von sich.

»Geht alles gut, ihr Lieben?« Trixie erschien im Türrahmen. »Der kleine George baut gerade eine neue Brücke über seine Autobahn, da dachte ich mir, ich schau mal eben zu euch herein, wie die Dinge so stehen. Guter Gott, was für ein heilloses Durcheinander hier drin herrscht! So hat das im Fernsehen aber nie ausgesehen.«

Erhitzt, erschöpft und mit den Nerven am Ende funkelten alle sie zornig an.

Aber, dachte Ella, sie hatte recht. Vier Köche, die gemeinsam an vier verschiedenen Gerichten arbeiteten, kamen sich ständig in die Quere und verursachten ein heilloses Chaos. Selbst wenn das Essen gelang, würden sie noch dringend an den Bewegungsabläufen und dem Thema Ordnung und Sauberkeit arbeiten müssen. Nur für den Fall …

»Ähm, und ich sage das ja wirklich nicht gerne, ihr Lieben«, sagte Trixie, »aber sollte der Backofen so qualmen?«

»Zum Teufel noch mal!« Billy stürzte quer durch die Küche. »Meine Scones haben Feuer gefangen!«

Ella und Poll rannten frontal ineinander.

»Mein Topinambur!«, kreischte Poll.

»Mein Pudding!«, schrie Ella.

Ash fluchte, als seine Brennnesselsuppe unaufhaltbar zum Rand des Topfes aufwallte, einen Moment dort verweilte und dann wie Lava mit unheilvollem Zischen und aufzüngelnden Flammen die Seitenwände herabströmte.

»Zurücktreten!«, kommandierte Billy und wedelte gegen die Rauchwolken an, die aus den Tiefen des Backofens quollen. »Alle zurücktreten! Wo ist der Feuerlöscher?«

»Ihr braucht keinen Feuerlöscher«, sagte Trixie vergnügt. »Seit meinem eigenen kleinen Brandunfall weiß ich genau, was ihr braucht.« Sie rückte ihre Löckchen zurecht, ordnete ihre Perlen, warf den Kopf zurück und fing zu singen an: »Löwenzahn so voller Gold, / lösch diese Flammen zu Asche hold. / Dein glitzerndes Wasser fern vom Strand / wirke Magie an diesem Brand.«

Starr vor Entsetzen sah Ella aus dem Augenwinkel, wie alle anderen Trixie einfach nur mit offenem Mund anglotzten. Dann wurde es eisig kalt in der glutheißen Küche, und überall schossen leuchtende Goldblitze durch die Luft wie Millionen umhersausender Glühwürmchen.

»Was zum …?«, brummelte Billy.

Poll schnappte nach Luft.

Ash und Onyx waren sprachlos.

Ella starrte auf den Herd. Alles schien rückwärtszulaufen. Der beißende Qualm zog sich in sich selbst zusammen und verschwand. Die goldenen Leuchtstreifen waren wieder weg – sofern sie je da gewesen waren –, und in der Küche herrschte dieselbe Gluthitze wie zuvor.

»Bitte schön, ihr Lieben«, sagte Trixie zufrieden. »Alles in bester Ordnung.«

»Was zum Teufel war das denn?« Billy schüttelte den Kopf.

Onyx lachte unsicher. »Hat hier gerade irgendjemand irgendetwas gemacht?«

Ella und Ash starrten einander an.

Poll klatschte in die Hände. »Trixie, war das Elfenmagie? Unglaublich.«

Trixie brüstete sich stolz. »Seht ihr, ich hab es euch doch gesagt. Die Elfen sind immer bereit zu helfen. Jetzt werdet ihr mir wohl Glauben schenken.«

»Gar nichts glaub ich dir!« Billy tappte zum Herd hinüber. »Guter Gott – seht euch das an!«

Sie sahen es sich an.

Ashs Suppe köchelte wieder wie vor dem Überlaufen, und der Herd war makellos sauber. Im Backofen buk alles, wie es sollte – nicht die Spur von Qualm oder Angebranntem …

»Da seht ihr es, meine Lieben.« Trixie tätschelte ihre Löckchen. »Das sind die Elfen. Sie haben Gutes bewirkt, so wie sie es immer tun. Und ich wünschte wirklich, ich hätte diesen speziellen Elfenzauber schon gekannt, als ich meine eigene kleine, äh, Feuersbrunst hatte. Hätte ich ihn damals schon beherrscht, hätte ich mein Haus retten können. Hinterher habe ich ihn natürlich nachgeschlagen, ihr Lieben. Man weiß ja nie, wann so etwas noch einmal passiert, und über die Welt der Elfen gibt es immer viel zu lernen. Und so habe ich damals herausgefunden, dass die Blumenelfen des Löwenzahns eine natürliche Feuerwehr sind.«

Alle gafften sie an.

Billy schüttelte den Kopf. »Das kauf ich dir nicht ab, tut mir leid.«

»Aber«, beharrte Poll, »du hast es doch gesehen. Wir haben es alle gesehen. Und es hat gewirkt.«

Ella rieb sich die Augen. Sie glaubte nicht an Elfen. Sie glaubte einfach nicht daran … Doch was in Gottes Namen war hier geschehen?

»Ich glaube«, sagte Onyx langsam vom Schaukelstuhl her, »dass Löwenzahn tatsächlich mit Wasser in Zusammenhang steht … auf eine eher, äh, körperliche und bodenständige Art. Wird Löwenzahn nicht für wassertreibende Kräutertees verwendet?«

»Piss-en-lit!«, rief Poll unvermittelt und klatschte in die Hände. »Unter dem Namen ist Löwenzahn bekannt – ja, Onyx, du hast recht. So haben wir als Kinder dazu gesagt!«

»Mach ins Bett?«, übersetzte Ella sinngemäß mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wie nett.«

»Meinst du etwa«, Ash sah Trixie an, »dass diese Löwenzahn-Elfen – wenn ich das richtig verstehe – auf den Herd gepinkelt haben, um die Flammen zu löschen? Himmel, das wäre ein gefundenes Fressen fürs Gesundheitsamt – von Gabby Dewberry ganz zu schweigen.«

Ella kicherte.

Trixie sah beleidigt aus. »Denkt doch, was ihr wollt. Ich kenne die Wahrheit. Und ob ihr es glaubt oder nicht, gerade eben habt ihr Elfenmagie in praktischer Anwendung gesehen. Nein, dankt mir bitte nicht – ich husche nur mal eben nach oben und genehmige mir eine kleine Kräutertinktur. Diese Beschwörungen schlauchen mich immer ganz schön. Entschuldigt mich, ihr Lieben.«

»Sie ist nicht die Einzige, die einen Drink braucht.« Onyx stieß geräuschvoll die Luft aus, als Trixie die Küche verließ. »Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«

»Ich auch nicht.« Aufgewühlt hielt sich Ella am Tisch fest. »Kommt schon – sagt es mir – ist das wirklich passiert?«

Ash und Billy schüttelten die Köpfe.

»Natürlich ist es wirklich passiert!« Übers ganze Gesicht strahlend rang Poll die Hände. »Ach, und war es nicht einfach wundervoll?«