36. Kapitel
In der vierten und letzten Woche der Ausscheidungsrunden bei Dewberry’s Dinners kletterten die Temperaturen weiterhin in die Höhe, im ganzen Land war es heiß wie im Backofen, das Bewässerungsverbot war ausgeweitet worden, die Boulevardzeitungen sagten das Ende der Welt, wie wir sie bisher kannten, voraus, das Fish-and-Chips-Team aus Devon gewann die Ausscheidung der Region West, und der Wettbewerb der Region Nord war in vollem Gange.
Ella lag zusammengerollt auf ihrem Bett. Während die Voilevorhänge unbewegt vorm Fenster hingen, Schweißperlen ihr den Rücken hinabliefen und die Abendsonne auf die Farm niederbrannte, wählte sie mit mulmigem Gefühl im Magen die wohlvertraute Telefonnummer.
Das Warten, bis eine Verbindung zustande kam, erschien ihr endlos. Das Freizeichen tütete eine halbe Ewigkeit lang.
»Ach, ähm, hi, Mark, ich bin’s … Ach so? In welchem Pub? Oh ja – super. Mit wem? Aha … Ja, ja, wir kommen in die nächste Runde … Kochen war ja nie so dein Ding, stimmt’s? Also, viel Vergnügen dann noch.« Sie schluckte. »Hör mal, Mark, ich muss dir noch was sagen … Was? Wann? Ach, du willst mit Nick und Andy verreisen? Und wem? Ach ja, den Mädels aus der Kundenbetreuung … Eine Villa? Wie schön. Hör mal, Mark, ich weiß, wir sollten das eigentlich persönlich besprechen, aber …« Sie holte tief Luft. »Ich finde, wir sollten Schluss machen. Jetzt. Es hat keinen Sinn, die Entscheidung noch bis August hinauszuzögern.«
Sie lauschte dem Schweigen. Oh Gott …
Dann sprach er wieder, und sie schluckte den Kloß im Hals herunter.
»Was? Nein, ich weiß noch nicht, ob ich hierbleibe oder nach London zurückkomme, wenn die drei Monate um sind, aber unabhängig davon fände ich es unfair, dich noch länger hinzuhalten.«
Wieder Schweigen. Weitere Worte.
»Mark …? Ach so? Na wie schön. Tatsächlich? Hör mal, ich weiß, wir waren ewig lange zusammen, aber wir haben keinerlei gemeinsame Perspektive, und jetzt weiß ich …«
Mit zitternden Händen lauschte sie.
»Okay, dann ist ja alles in Ordnung … Ja, du auch … Solange du nicht – ach, bist du nicht … Also, schönen Urlaub. Nein, hat ja keinen Sinn … Okay, schön. Ja, natürlich.«
Sie klappte das Handy zu, warf es aufs Bett und brach in Tränen aus.
»Ella?«, erklang Polls Stimme vom unteren Ende der Treppe. »Dewberry’s Dinners fängt gleich an!«
»Ähem.« Ella wischte sich die Tränen ab und hoffte, ihre Stimme klänge einigermaßen normal. »Ist gut, ich komme gleich.«
Am Boden zerstört krabbelte sie vom Bett und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel des Ankleidetischs. Okay, ihre Augen waren gerötet, aber da könnte sie sich mit Heuschnupfen herausreden. Wie sie auch ihre übrige Niedergeschlagenheit wegerklären sollte, wusste sie allerdings nicht so recht.
Nachdem sie ein wenig Rouge und Lipgloss sowie reichlich Wimperntusche aufgetragen und ihr Haar aufgewuschelt hatte, begutachtete sie sich noch einmal.
Besser – nicht gerade toll – aber besser …
Sie hatte es getan. Die Brücken hinter sich abgebrochen. Nun hatte sie weder eine Beziehung noch einen Broterwerb in London, wohin sie zurückkehren könnte. Wenn sie also von hier fortgehen würde, wäre sie vollständig auf sich allein gestellt.
Ein Neuanfang? Oder eine einsame Zukunft?
Wie auch immer, es lag nun an ihr, dachte sie, als sie die Treppe hinunterging, um sich die Konkurrenz anzusehen, an sonst keinem, nur ganz allein an ihr.
Da sie wussten, dass ihr nächster Fernsehauftritt rasch immer näher rückte, hatte das Hideaway-Team die neuen Speisen und Kochvorgänge und Zeitabläufe bis zur Perfektion eingeübt. Es war ein ziemlich unausgewogenes Arbeitsklima entstanden, da Ella und Ash sich noch immer verlegen aus dem Weg gingen, während Poll und Billy einander unablässig zulächelten, berührten und übereinstimmend verträumte Mienen zur Schau trugen.
»Hi, gerade rechtzeitig«, sagte Poll, als Ella das pfirsich- und cremefarbene Wohnzimmer betrat, dann fing sie ihren Blick auf. »Ah … okay, komm doch herüber und setz dich hierher.«
Ohne Ash anzusehen – oder sonst wen –, tappte Ella dankbar zum Sofa.
Die Bewerber des heutigen Abends waren ein Quartett sehr dünner Studenten aus Newcastle, die aussahen, als hätten sie im ganzen Leben noch keine anständige Mahlzeit verspeist, jedoch ein erstaunlich traditionelles Geordie-Schlemmermahl zubereiteten. Mit einer Zusammenstellung aus Lauch-Auflauf, saftigem Fladenbrot, Erbsenpüree und Johannisbeer-Küchlein, sogenannten »Singing Hinnies«, zum Dessert versetzten sie die immer biestigere Gabby wie auch Tom ins Reich kulinarischer Wonnen.
»Oh Mann«, stöhnte Billy, als »Pickin’ A Chicken« am Ende der Show durchs Wohnzimmer dudelte. »Die waren spitze.«
»Ja, das waren sie«, pflichtete Poll ihm bei. »Da haben wir wohl wirklich harte Konkurrenz. Aber wir werden Gabby und Tom am Montag auch wieder vom Hocker reißen, ihr werdet schon sehen. Unser neues Menü ist genauso gut wie das von denen. So, wer möchte einen schönen kalten Drink?«
»Ich nicht.« Ash hievte sich aus dem von Ella am weitesten entfernt stehenden Sessel. »Ich muss Roys Vivarium sauber machen, und dann bin ich mit Joe und meinen anderen Kumpels im Pub verabredet.«
Ella sah ihn den Raum verlassen. »Sollte das deutlich machen, dass ich ein einsames Mauerblümchen bin? Na danke.«
»So war das sicher ganz und gar nicht gemeint«, sagte Poll beschwichtigend. »Liebe Güte, ihr zwei führt euch ja auf wie George und sein Lieblings-Freund/Feind!«
»Danke sehr.« Ella stand auf. »Die Bemerkung, dass ich mich kindisch benehme, hat mir gerade noch gefehlt. Ganz besonders heute Abend!«
»Ella!«
»Entschuldige, Poll, aber ich, äh, ich habe eben den besagten Anruf hinter mich gebracht.«
»Ach, Liebes, wirklich? Das tut mir so leid.«
»Was für einen Anruf?«, erkundigte Trixie sich vorwitzig.
»Nichts, gar nichts«, sagte Poll schnell. »Das ist etwas zwischen Ella und mir, was mit der Arbeit zu tun hat. Außerdem sind wir ja alle ein bisschen schlecht gelaunt, nicht wahr? Liegt an der endlosen Hitze und den Vorbereitungen für kommenden Montag und, na ja, alledem.«
Ella lächelte dankbar. »Ja – und sorry – ich bin sonst eigentlich nicht so miesepetrig.«
»Ich weiß, Liebes. Ich weiß. Soll ich dir einen Drink machen und wir setzen uns in den Garten und, äh, entspannen oder unterhalten uns ein bisschen?«
Ella schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich bin im Moment keine sonderlich gute Gesellschaft. Ich denke, ich nehme ein ausgiebiges kühles Bad und schnapp mir ein gutes Buch und gehe früh schlafen.«
»Und das«, sagte Onyx, die jetzt ihren Kopf zur Wohnzimmertür hereinstreckte, »klingt nach der langweiligsten Abendgestaltung aller Zeiten.« Sie schmunzelte. »Ash hat gesagt, ihr seid alle hier unten, und dass er mich bei seinen Plänen für heute Abend nicht brauchen kann, weil er mit den Jungs weggeht, sobald er bei Roy mit Ausmisten fertig ist – alsooo« – sie sah Ella fragend an – »könnten wir beide doch vielleicht zusammen etwas Girliemäßiges unternehmen?«
Ella merkte, dass Poll sie voll tiefstem Mitgefühl ansah.
Das war das Letzte auf Erden, wozu sie Lust hatte.
»Ach, ich weiß nicht. Es ist schon recht spät, und ich bin verschwitzt und müde und schlecht gelaunt. Mir ist wirklich nicht nach Ausgehen zumute.«
»Wer hat denn etwas von Ausgehen gesagt?« Onyx lachte. »Ich dachte, wir könnten uns einen Mädels-Abend im Haus machen. Nur wir beide.«
Eine Stunde später war Onyx in Ellas hellblauem Schlafzimmer gerade damit fertig, die Dosen und Schachteln auf dem Frisiertisch zu durchstöbern. »Hast du ein Glück. So ein herrliches Zimmer. So hübsch und so viel Platz – und dieses Bad ist ja der Wahnsinn. Außerdem hast du ein paar echt tolle Sachen hier. Nicht, dass du sie nötig hättest, bei deinem Aussehen. Mit all diesen prächtigen präraffaelitischen Locken und deiner schönen, sonnenverwöhnten und sommersprossigen Haut.«
»Ich?« Ella saß mit um die Knie geschlungenen Armen auf dem Bett, ließ sich von der leichten Abendbrise kühlen, die nun durch die Voilevorhänge hereinwehte, und zog die Augenbrauen hoch. »Seit ich nicht mehr zum Friseur und zur Gesichtsbehandlung gehe, habe ich Sonnenbrand, rote Haare und Spliss.«
»Du bist wirklich witzig.« Onyx schnupperte an einem der Duftfläschchen. »Ooh, Givenchy … wunderbar … Schaust du denn nie in den Spiegel, Ella? Wohin du auch gehst, dreht man sich nach dir um.«
»Äh, nein. Das ist bei dir so.«
Onyx lachte. »Weil ich schwarz bin, eins achtzig groß und knapp bekleidet – wie Ash sagen würde. Ja, okay, aber nach dir dreht man sich um, weil du wirklich wunderschön bist. Und ich wünschte so sehr, ich könnte dir das Tanzen beibringen. Du wärst wie Isadora Duncan. Wallendes Haar und wehende Tücher.«
Ella lächelte. Mit gebrochenem Herzen fiel das ganz schön schwer. »Und hat nicht eines dieser wehenden Tücher sie am Ende erwürgt?«
»Ja, schon, so weit müsstest du nun doch nicht gehen, aber du hast ja jetzt gesehen, wie leicht das Tanzen ist.«
»Leicht? Du machst wohl Witze. Für dich vielleicht. Du kannst es ganz großartig. Du bist ein Naturtalent. Was du da machst, würde ich in einer Million Jahre nicht hinkriegen.«
»Oh doch. Weißt du, ich gebe demnächst einen Kurs im Gemeindesaal von Hazy Hassocks. So viele Leute haben mich gefragt, und auf diese Weise kann ich dieses gefürchtete ›Mach etwas aus deinem akademischen Abschluss‹ noch eine Weile hinausschieben. Du musst unbedingt mitmachen.«
Ella schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich, ich bin wirklich keine große Tänzerin. Ich kann nach ein paar Cocktails mit den anderen ein bisschen herumschunkeln, aber ich käme mir echt albern dabei vor, etwas so Anspruchsvolles zu versuchen – schon gar nicht vor Massen von anderen Leuten.«
Onyx grinste. »Es ist überhaupt nicht schwierig. Und wenn du willst, zeig ich es dir gleich jetzt. Nur ein paar Grundlagen. Dann bist du den anderen einen Schritt voraus, wenn du zu meinem Kurs kommst.«
»Ich mache nicht bei deinem Kurs mit.«
Onyx ließ sich auf das Fußende des Bettes plumpsen. »Okay, hör zu, ich bring dir die Basics dessen bei, was man so allgemein unter Bauchtanz versteht, und du kannst mir beibringen, wie man ein Ei kocht.«
Ella seufzte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt heute Abend. »Du musst doch wissen, wie man ein Ei kocht.«
»Ja, okay. Aber ein paar Grundlagen übers Kochen. Bitte, Ella. Du bist unglaublich gut darin, ich kann es überhaupt nicht, und ich muss einfach ein paar grundsätzliche Dinge draufhaben.«
»Kauf dir ein paar Bücher oder schau im Internet nach.«
»Das ist aber nicht dasselbe wie in der Praxis, oder? Einem Buch kann ich während des Kochens schließlich keine Fragen stellen! Kochbücher und Rezepte sind gut und schön für später – wenn ich weiß, was ich tue.«
Ella holte tief Luft. »Und warum bittest du Ash nicht, dir das Kochen beizubringen?«
Onyx schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
Ella fluchte innerlich. Natürlich ging das nicht. Weil Ash es ja sicherlich war, den Onyx mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten beeindrucken wollte. Oder schlimmer noch – womöglich hatte Ash vorgeschlagen, dass sie zusammenzögen – oh Gott! Hier? Ja, natürlich – und Onyx wollte einige Küchenfertigkeiten erlernen, damit sie sich in ihrem neuen häuslichen Glück die Hausarbeit teilen konnten?
Na super …
Ach ja, es ging doch nichts darüber, beim eigenen Schmerz und Elend noch zusätzlich ein bisschen Salz in die Wunde zu streuen.
»Na schön. Ich wackle mit dem Bauch und spreche währenddessen ein paar einfache Punkte der Kochkunst mit dir durch.«
»Danke!« Onyx lebte wieder auf. »Also, du suchst dir etwas Passendes zum Anziehen, damit du in Stimmung kommst, und ich sause mal eben runter und hole eine CD aus dem Auto.«
»Etwas Passendes? Und das wäre?«
»Ach, irgendwas Lockeres – meinen Kursteilnehmern empfehle ich Sporthosen und Trägerhemd oder T-Shirt für den Anfang und einen langen Schal oder ein flatterndes Tuch, aber du kannst heute nehmen, was du willst.«
Vollkommen übergeschnappt, dachte Ella und hievte sich vom Bett, nachdem Onyx hinuntergegangen war, um aus ihrem Wagen die passende Bauchtanz-Musik zu holen.
Das Letzte – nein, falsch, die zwei letzten Dinge, die ihr jetzt, an diesem drückend heißen Abend, gerade noch gefehlt hatten, weil sie nicht nur todunglücklich, sondern auch müde war und noch dazu sehr, sehr sauer, sowohl auf Ash wie auf sich selbst – ganz zu schweigen von Mark, dem alles offenbar überhaupt nichts ausmachte –, waren, wie ein schwachsinniges tollpatschiges Elefantenbaby vor der überwältigend talentierten Onyx herumzutänzeln und der überwältigend talentierten und hinreißend attraktiven Onyx das Kochen beizubringen, nur weil die damit bei Ash punkten wollte.
Natürlich, dachte sie, als sie ihre aufs Wesentliche reduzierte Garderobe durchforstete, könnte sie Onyx lauter Unsinn erzählen. Sie mit lauter Fehlinformationen füttern, sodass sie beim ersten Versuch, Ash mit ihren neu erworbenen Kochkünsten zu beeindrucken, nichts als Quatsch mit Sauce produzierte.
Aber, Ella seufzte und warf mehrere unpassende Kleidungsstücke über die Schulter, das würde und könnte sie gar nicht.
Weil sie Onyx wirklich gern mochte, verflixt noch mal.
Schließlich schnappte Ella sich aus den Tiefen des Schrankes einige von Polls abgelegten Seidenschals, entschied sich für einen langen Lagenrock mit Baumelfransen daran und begann ziemlich widerstrebend, sich umzuziehen.
»Hey, du siehst echt cool aus!« Onyx grinste, als sie die Tür aufmachte. »Siehst du, ich hab ja gesagt, du bist ein Naturtalent.«
»Ich hab mich nur verkleidet; ich bin noch nicht herumgehüpft.«
»Hüpfen? Wir hüpfen niemals! Wir wehen und wogen und schlängeln und winden uns – und all das in geschmeidigen, fließenden, anmutigen, verführerischen Bewegungen. Achte auf meine Worte – wir hüpfen grundsätzlich nicht!«
Zu ihrer eigenen Überraschung kicherte Ella. »Okay – ist die erste Lektion damit erledigt? Kann ich mich wieder umziehen?«
»Vergiss es!« Onyx schob die CD in Ellas Stereoanlage auf dem Bücherregal. »Also – bevor wir anfangen, kommst du in den Grundrhythmus, indem du dir vorstellst, du würdest Hula-Hoop tanzen, aber glaub nicht, du stehst einfach da und wackelst mit dem Bauch. Es geht nicht nur um deinen Bauch. Es geht um deinen ganzen Körper. Du benutzt deine Schultern und deinen Rumpf und dein Becken, alles der Reihe nach, und dann in Kombination. Ach, und vor allem deine Hände. Jeder Tanz ist anders, und jeder Tanz erzählt eine Geschichte – erinnerst du dich an Scheherazade?«
Während die beschwörende Musik in den Raum strömte und Onyx Ella vortanzen ließ, bemühte Ella sich atemlos, Onyx ein paar grundlegende Dinge übers Kochen zu erklären.
Es war die beste Therapie aller Zeiten.
Unter reichlich Gekicher und Gequietsche und vereinten Ausrufen wie »Aber nein!« und »Oh Gott!« verbrachten sie eine sehr vergnügte Stunde, die ihnen wie im Flug verging.
»Ich glaube«, keuchte Ella, als sie in einem Haufen Schals erschöpft auf dem Boden saß, »dass wir die Dinge nächstes Mal vielleicht besser trennen sollten. Tanzstunde und Kochunterricht passen einfach nicht zusammen.«
»Nächstes Mal?« Onyx sah vom Bett hoch, auf das sie sich hatte fallen lassen. »Willst du damit sagen, dass du tatsächlich tanzen lernen willst? Du hast den Dreh echt schnell heraus und bist richtig gut. Heißt das also, dass du doch zu meinem Kurs kommst?«
»Ja.« Ella nickte. »Wenn ich dann noch hier bin, werde ich wohl kommen.«
»Juhu!« Onyx stockte und runzelte die Stirn. »Und natürlich bist du dann noch hier.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß.« Ella versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Aber ich bin eindeutig nicht sehr fit – und es hat mir wirklich Spaß gemacht –, und die Musik gefällt mir gut, und vor einiger Zeit hast du mal gesagt, es sei eine tolle Methode, sich in Form zu bringen. Damals habe ich allerdings noch gedacht, du wärst Striptease-Tänzerin.«
»Was?«
»Ach ja, noch so eine meiner krassen Fehleinschätzungen.« Ella schaffte es, sich vom Boden aufzurappeln, und tappte mit schwingendem Rock zu dem kleinen Kühlschrank hinüber. »Als Ash gesagt hat, dass du in Clubs auftrittst, und du von exotischem Tanz gesprochen hast, bin ich davon ausgegangen, es ginge um Pole-Dance oder Striptease. Tut mir leid.«
»Braucht es nicht. Ich habe gute Freundinnen, die so etwas machen. Völlig andere Tanztechniken. Aber für mich ist das nichts. Himmel, meine Mum und mein Dad würden auf der Stelle einen Herzinfarkt kriegen, wenn ich etwas nur im Entferntesten Anrüchiges täte. Oh, danke.« Onyx setzte sich auf und nahm die eisgekühlte Diätcola. »Und danke für die Kochanweisungen. Wenn du mir das alles irgendwann einmal aufschreiben könntest, wär ich dir unheimlich dankbar.«
»Okay, kein Problem.« Ella nahm einen Schluck Cola. »Aber ich habe ja hauptsächlich nur über Fachbegriffe und Küchengeräte gesprochen, Rezepte waren noch nicht dabei. War es das, was du wissen wolltest?«
»Mmm. Zumindest für den Anfang. Ich muss so Sachen wissen wie etwa den Unterschied zwischen Dünsten und Schmoren und was mit Eindicken gemeint ist und ob Jus eine Sauce ist oder nicht – im Moment sind das für mich alles Fremdwörter.«
»Wenn du Montagabend wieder auftauchst«, sagte Ella lächelnd, »könntest du Gabby bitten, dir das alles zu erklären. Sie hätte sicher nichts dagegen – allerdings nur, falls sie vor lauter Lechzen nach Ash noch Zeit dafür findet.«
Onyx lachte.
»So was lässt Ash einfach an sich abperlen. Daran ist er gewöhnt. Überhaupt ist er ein schrecklicher Frauenschwarm. Mit lüsternen Damen wie Gabby weiß er schon umzugehen. Aber er ist durch und durch anständig – gibt anderen immer sehr behutsam einen Korb. Ich habe nie erlebt, dass er irgendwen vorsätzlich verletzt hätte.«
Ela war sich ziemlich sicher, dass sie sich hier gerade auf ganz dünnes Eis wagten. Und sie war sich auch ziemlich sicher, dass es jetzt an der Zeit wäre, das Thema zu wechseln.
Zu spät.
»Wirst du denn aber niemals eifersüchtig?«
»Eifersüchtig? Wegen Ash? Nie. Warum sollte ich?«
»Nun, ich weiß ja, dass ihr schon seit Ewigkeiten befreundet seid und …«
Onyx schlug die langen Beine unter. »Als ich Ash kennengelernt habe, an der Uni, hatte ich schrecklich Heimweh und Liebeskummer. Ich war im Leben noch nie zuvor von zu Hause fort gewesen, nicht mal für eine Nacht, und okay, Reading ist nicht am anderen Ende der Welt, aber meine Familie war trotzdem meilenweit entfernt. Außerdem hatte ich mich gerade von meinem ersten und einzigen Jugendfreund getrennt, der mich vor die Entscheidung gestellt hatte: die Uni oder ich.«
Ella nippte an ihrer Cola, nickte, sagte aber nichts.
»Als ich entdeckte, dass Ash mein Zimmernachbar war« – Onyx sah zum offenen Fenster hinaus –, »habe ich überhaupt nicht wahrgenommen, wie hinreißend attraktiv er ist. Meinethalben hätte er aussehen können wie Quasimodo. Ich war noch immer in Gaz verliebt. Meine Familie fehlte mir so sehr, dass es körperlich wehtat, und ich dachte, ich drehe gleich durch. Ich brauchte einfach jemand, der mich nicht auslachte, der mir zuhörte, wenn ich das Bedürfnis hatte, ihm bis in die frühen Morgenstunden hinein mein Herz auszuschütten, den es nicht störte, wenn ich ihn nass weinte, und der mich davon abhielt, meine Sachen zu packen und nach Hause zurückzugehen.«
»Und das alles hat Ash getan?«
Onyx nickte. »Er war ein Schatz. Er hatte auch Heimweh. Natürlich ging es uns allen so, wir waren ja fast noch Kinder, aber das war mir damals nicht klar. Ich dachte, nur mir ginge es so. Ich fühlte mich einfach schrecklich einsam. Weißt du, mein Leben lang hatte ich im Kreis dieser großen, fröhlichen Familie gelebt und war mit Gaz zusammen, seit ich fünfzehn war. Ich kannte nichts anderes. Ash war mein Fels in der Brandung, meine Schulter zum Ausweinen, mein bester Freund. Und das ist er immer noch. Und wird es immer sein, egal was er tut.«
»Und, ähm, Gaz?«
»Wohnt immer noch in Winterbrook bei meinen Eltern um die Ecke. Hat meine beste Schulfreundin geheiratet. Zwei Kinder. Unheimlich glücklich.«
Verflixt, dann bestand also wohl keine Chance auf eine schnelle Wiedervereinigung mit der Jugendliebe …
Ella seufzte traurig. »Ach, ich liebe Geschichten mit Happyend.«
»Ich auch«, sagte Onyx leise, ohne Ella anzusehen, und starrte noch immer aus dem Fenster, wo sich ein tiefvioletter Nachthimmel über die Hideaway Lane senkte. »Ich bin immer sehr für ›glücklich bis ans Ende ihrer Tage‹, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie das dieses Mal möglich sein sollte.«