13. Kapitel

»Gut«, sagte Poll. »Wie findest du das?«

»Ich finde, es sieht wunderbar aus.« Ella betrachtete den für sechs gedeckten Küchentisch mit dem altmodischen, bunt zusammengewürfelten Porzellan, dem in den letzten Strahlen der Abendsonne funkelnden Besteck und einem rosa Krug voller Blumen in allen Regenbogenfarben als Mittelpunkt. »Du hast eine große Begabung für Dekoration. Ich hoffe, Trixie weiß das zu schätzen.«

»Und du findest nicht, wir hätten im Speisezimmer decken sollen?«

»Nein, nein.« Ella schüttelte den Kopf. »Das wäre viel zu förmlich. Hier ist es wunderbar, und alles duftet ganz köstlich. Ich wünschte, Trixie würde sich beeilen. Ich bin am Verhungern.«

»Ich auch.« Poll sah besorgt auf die große Bahnhofsuhr an der Küchenwand. »Ich frage mich, wo sie nur bleibt?«

»Kommt sie mit dem Auto? Dann hat sie sich auf dem Weg hierher vielleicht verfahren. So ist es mir jedenfalls gegangen. Mehrmals.«

»Trixie fährt wohl nicht Auto. Ich hatte angeboten, sie abzuholen, aber sie sagte, sie nimmt sich gleich in Reading am Bahnhof ein Taxi. Das schien einfacher, als mehrmals umzusteigen und von einer der kleineren Bahnstationen hierherzufinden, aber sie ist trotzdem sehr spät dran.«

Allerdings nicht so spät wie Ash, dachte Ella.

Ash war noch immer nicht aus Winterbrook zurückgekommen. Entweder war das Vorstellungsgespräch bei Maxi’s sagenhaft gut gelaufen und er feierte, oder es war eine Katastrophe gewesen, und er ertränkte nun seinen Kummer, oder – noch viel schlimmer – er wurde von Onyx aufgehalten …

Nein, Ella schüttelte den Kopf, sie durfte wirklich nicht über Ash und Onyx nachdenken. Oder vielleicht sollte sie es doch …

»Ich hoffe wirklich, dass die Übrigen bald aufkreuzen.« Poll sah beunruhigt aus. »Anderenfalls sind wir nur zu zweit. Billy ist, nachdem er seine Brötchen gebacken hatte, vor Ewigkeiten nach oben gegangen, um sich fertig zu machen, und wahrscheinlich eingeschlafen, von Ash fehlt jede Spur, und George musste schon ein Käsesandwich und ein Eis bekommen, weil sein Magen so laut geknurrt hat, und jetzt spielt er draußen und ist wahrscheinlich schon zu satt, um noch etwas zu essen, und zu müde, um sich zu uns zu setzen, und wenn Trixie nicht bald kommt, ist das ganze Abendessen im Eimer.«

Ella hörte auf, an den Servietten herumzuzupfen – Billy und Trixie zu Ehren echte Leinenservietten, leicht verblichen und zerknittert, aber nichtsdestoweniger echt –, und lächelte aufmunternd, wie sie hoffte. »Ganz bestimmt nicht. Es hält sich doch alles, oder? Ashs Suppe aus Linsen, Kürbis und Koriander lässt sich gut aufwärmen, Billys Kräuterbrötchen werden im Ofen warm gehalten, meine Brown Betty steht auf kleiner Flamme, und die Vanillesauce kann ich später dazutun … Bleibt also nur noch dein Hauptgericht. Wofür hast du dich letztlich entschieden?«

Poll seufzte. »Einen vor fünf Minuten fertig gewordenen Steak-and-Kidney-Pie.«

»Ach wirklich? Mensch – bringst du denn Billy und Trixie zu Ehren extra ein Fleischgericht auf den Tisch?«

»Habe ich nicht«, sagte Poll entrüstet. »Es ist eine Steak-und-Nieren-Pastete ohne Steak und Nieren.«

»Ah ja.« Ella grinste. »Also zwei Schichten Blätterteig mit Gemüseeintopf dazwischen?«

Poll sagte mit angemessen selbstbewusster Miene: »Als Fleischersatz Quorn anstelle von Steak und Wiesenchampignons anstelle von Nieren. Trixie – falls sie jemals ankommt – und Billy werden gar keinen Unterschied bemerken.«

Vielleicht doch, dachte Ella insgeheim.

»Ta-dah!« Die blonden Haare feucht an den Kopf gekämmt, streckte Billy schüchtern lächelnd den Kopf zur Küchentür herein. »Kann ich so gehen? Das ist mein Sonntagsstaat.«

Poll und Ella musterten sein schlecht gebügeltes weißes Hemd zu den leicht zerknitterten beigen Chinos und nickten anerkennend.

»Gut siehst du aus«, sagte Poll sanft. »Danke, dass du dir so viel Mühe gegeben hast.«

»Ihr zwei Hübschen seid eine wahre Augenweide, und sogar der kleine George ist blitzsauber. Da muss ich doch mithalten, oder? Wo stecken denn die anderen?«

»Wissen wir nicht!«, stöhnten Ella und Poll einstimmig.

Doch bevor sie noch irgendetwas über die Abwesenden hätten sagen können, kam George – nach einer halben Stunde im Garten nicht mehr ganz so blitzsauber – mit einem kleinen roten Laster in der einen und einer großen gelben Schaufel in der anderen Hand aufgeregt winkend in die Küche gerannt.

»Ein Auto?«, fragte Ella hoffnungsvoll. »Wirklich, George? Ein Auto ist gekommen? Und hält vor der Eingangstür?«

George nickte begeistert.

»Gott sei Dank.« Poll warf einen verzweifelten Blick zu den siedenden Töpfen. »Dann klappt es vielleicht doch noch.«

»Du bleibst hier bei mir, George«, sagte Billy, »während deine Mum und Ella nachsehen, wer da ist.«

»Danke, Billy, und hoffentlich ist es Trixies Taxi«, sagte Poll und eilte in Richtung Diele.

Hoffentlich ist es Ash, dachte Ella und eilte ihr hinterher.

Mist. Ella furchte die Stirn, als sie von der Diele ins Freie trat und das Taxi vor dem Eingang sah.

Dann lachte sie.

Die kleine, mollige Frau mit dem grauen, dauergewellten Haar und dem zu lang geratenen geblümten Trevira-Rock, der zweireihigen Perlenkette, den Gesundheitssandalen und der geräumigen Handtasche überm Arm, die betulich ihre Koffer aus dem Taxi holte und mit dem Fahrer verhandelte, war von einer brandstiftenden bösen Fee so weit entfernt wie nur irgend möglich.

Trixie Pepper sah ganz genau so aus, wie man sich allgemein eine Bilderbuch-Oma vorstellte.

»Trixie!« Im wallenden, rot-lila bedruckten Kleid eilte Poll auf sie zu. »Wie schön, dich zu sehen. Und du kommst genau rechtzeitig.«

Ella kicherte bei dieser faustdicken Schwindelei.

»Der Zug hatte Verspätung«, sagte Trixie, als sie sich mit dem Taxifahrer schließlich auf den richtigen Preis geeinigt hatte, woraufhin dieser, eindeutig ohne Trinkgeld, verärgert wendete und in Richtung Hideaway Lane davonbrauste. »Dann konnte ich keinen Gepäckträger finden, dann sagte mir jemand, man müsse sich selbst einen Gepäckwagen holen, dann war es ein ziemliches Tamtam, mit all den Sachen durch das Drehkreuz zu kommen, und dann war der Taxistand leer, als ich dort ankam – aber jetzt bin ich ja hier, und was für ein hübsches Haus, meine Liebe!«

»Danke.« Poll strahlte. »Und hoffentlich hast du Hunger, denn wir haben dir zu Ehren ein Willkommens-Dinner geplant.«

»Wie schön, meine Liebe. Ich könnte ein ganzes Pferd verdrücken.«

Poll machte bei dieser Fleischesser-Bemerkung ein leicht entsetztes Gesicht. Ella gluckste in sich hinein.

»Und dies«, sagte Poll und nahm einen der Koffer, »ist Ella Maloney. Ella ist meine neue beste Freundin und mein Kindermädchen und ein ganz wunderbarer Mensch, und ich kann mir wirklich gar nicht vorstellen, was ich ohne sie täte. Ella, das ist Trixie Pepper.«

Nach einem leicht peinlichen Moment der Unsicherheit, ob man sich gegenseitig die Wangen küssen sollte oder nicht, nickte Ella und schüttelte Trixie die Hand.

»Wie schön, dich kennenzulernen, meine Liebe.«

»Ebenfalls«, erwiderte Ella lächelnd. »Ach, lass mich diese Tasche nehmen – oooh – verdammt noch mal – ich meine … lieber Himmel, ist die aber schwer. Kein Wunder, dass du in Reading einen Gepäckträger wolltest.«

»Bücher«, sagte Trixie, als sie gemeinsam ins Haus zurückmarschierten. »Ohne meine Bücher kann ich nicht leben.«

Handbücher mit Zaubersprüchen?, überlegte Ella, während sie das Gepäck über die gewundenen Treppen bis zu Trixies Zimmer hinaufschleppten. Leitfäden für Elfen-Beschwörungen? Dreiundzwanzig Methoden, einen treulosen Liebhaber zu verhexen? Neun narrensichere Rezepte, um Warzen zu heilen? Oder die Ernte zu verderben? Oder den Wein des Nachbarn in Essig zu verwandeln – oder den Nachbarn in eine Kröte? Oder eine Heuschreckenplage herbeizuzaubern?

Oder vielleicht waren es Anleitungen zum Feuerlegen?

Ob das wohl neue Bücher waren? Trixies alte Bücher waren doch bei ihrer selbst verschuldeten Feuersbrunst sicher allesamt in Flammen aufgegangen? Und wie hatte sie so viel Gepäck ansammeln können, nachdem sie ihr Cottage bis auf die Grundfesten niedergebrannt hatte? All ihr Hab und Gut war doch sicher nur noch ein Haufen Asche? Oh nein, nicht an Ash denken … Vielleicht hatte sie so manches aus den Ruinen retten können? Aber was, wenn …

Poll unterbrach diesen reißenden Gedankenfluss. »Ich helfe Trixie nur eben, sich einzurichten. Wird nicht lange dauern. Wärst du so lieb und sorgst dafür, dass in der Küche alles bereit ist?«

»Ja, sicher«, sagte Ella, übersetzte »bereit« rasch in »nicht völlig verkohlt«, was ja in Trixies Ohren nach einer unsensiblen Anspielung hätte klingen können, und war sehr erleichtert, den schweren Koffer auf dem Treppenabsatz abstellen zu können. »Und vielleicht sollte ich noch mal versuchen, Ash anzurufen, und ihn daran erinnern, sich ein bisschen zu beeilen?«

»Gute Idee.« Poll nickte. »Falls du es noch nicht weißt – was du aber sicherlich tust –, seine Nummer hängt in der Küche. An der Pinnwand mit allen anderen. Und sag ihm, er soll innerhalb der nächsten zehn Minuten kommen, sonst müssen wir ohne ihn anfangen. Also, Trixie, das hier ist dein Zimmer. Oh, gib bitte Acht, da ist eine Stufe.«