33. Kapitel

Die restliche Dewberry’s Dinners-Ausscheidungsrunde der Region Ost zog an der Hideaway Farm als mehr oder weniger hektische und verschwommene Abfolge von Rezepten und Keifereien vor der Kamera vorbei. Ella, Poll, Ash und Billy hatten weitaus Wichtigeres im Kopf.

Nachdem die berauschte Begeisterung über den Erfolg ihres Weiterkommens in blinde Panik umgeschlagen war, versuchten sie, den aktuellen Wettbewerb einfach mit aller Kraft auszublenden und sich auf die Planung ihres nächsten Menüs zu konzentrieren.

Da die Nerven aufgrund der Temperaturen und der großen Aufregung ziemlich blank lagen, hatten sie mehrere Lagebesprechungen im Garten abgehalten, wo es kühler war, und sich schließlich darauf geeinigt, in der nächsten Runde ihr Nostalgie-Thema beizubehalten.

»Jetzt die Richtung zu wechseln bringt gar nichts«, sagte Ash. »Wir sollten bei dem bleiben, was wir am besten können, und einen weiteren Bauernschmaus aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf den Tisch bringen. Richtig altmodische vegetarische Mahlzeiten aus selbst angebauten Zutaten. Das ist offenbar unsere Stärke, Gabby und Tom waren begeistert davon, und das ist unser Merkmal, an das sich die Zuschauer erinnern werden. Bisher hat noch niemand etwas Ähnliches dieser Art versucht, oder?«

»Nein«, sagte Ella, »niemand. Also ich würde gerne einen Eve’s Pudding machen, aber mit roten, schwarzen und weißen Johannisbeeren anstelle von Äpfeln – weil die gerade reif sind und wir jede Menge davon im Garten haben – und dazu selbst gemachte Vanillesauce. Okay?«

»Sehr schön!«, sagte Poll und schrieb es auf. »Aber wie es aussieht, haben wir immer noch sowohl eine Vorspeise als auch eine Hauptspeise mit Käse, findet ihr das in Ordnung?«

Alle nickten.

»Das passt gut zum Thema vegetarisches Essen, wir hatten letztes Mal gar nichts mit Käse, und der Käse wird schließlich auf ganz unterschiedliche Art verwendet«, sagte Billy. »Bei Ashs Suppe aus jungem Lauch und Frühkartoffeln wird nur am Schluss mit ein bisschen geriebenem Käse das Aroma verfeinert, und meine altmodischen Käse-Kräcker sind ganz leicht im Geschmack und eine schöne Ergänzung dazu. Während dein Brot-und-Käse-Auflauf sie bestimmt aus den Socken haut – ich wette, etwas Derartiges haben die im ganzen Leben noch nicht probiert.«

»Okay, dann bleiben wir bei zweimal Käse, und zu meinem Auflauf gibt es sowieso reichlich frisches Gartengemüse als Beilage«, fuhr Poll fort und schrieb es auf. »Immer vorausgesetzt natürlich, wir haben in drei Wochen im Garten noch irgendetwas Verwendbares. Dieses Bewässerungsverbot ist schon wirklich hart.«

»Der kleine George und ich machen das schon«, sagte Billy. »Wir gehen frühmorgens und spätabends immer gleich mit dem ganzen Spülwasser und so weiter hinaus und sorgen dafür, dass alles schön gegossen wird. George ist ganz begeistert, dass er diesmal auch mithelfen kann.«

»Und Ella hat schon erklärt, welche Farben ihr tragen solltet und warum, ja?« In ihrer netten, gemütlichen, mütterlichen Art beugte Trixie sich vor. »Und ihr werdet alle etwas Rotes und Blaues anziehen?«

»Hat sie und werden wir«, antwortete Poll nickend. »Ich finde es eine sehr schöne Idee, Maed Monath zu feiern – ich erinnere mich an den Ausdruck noch von meinen Altenglisch-Stunden in der Schule. Wir haben ja alle rote Oberteile und tragen diesmal etwas Blaues untenrum.«

George gluckste wieder anzüglich.

»Obwohl ich«, fuhr Poll fort, »von dieser alten Bauernweisheit noch nie gehört habe.«

»Welche denn, Liebes?«

»Wie war das noch gleich, Ella?« Poll sah sie durch die Dämmerung im Garten fragend an. »Ich kann mir Gedichte immer so schlecht merken.«

Ella wich Trixies Blicken aus und nuschelte: »Äh, am zwanzigsten Julitag was Rotes zum Anziehn trag. Trägst du Blau noch zum Rot, dann kommt alles ins Lot.«

»Wirklich passend!« Poll strahlte. »Und wie klug du bist, Trixie, dass du diesen Spruch kanntest. Also, sind wir uns in allem einig? Und Ella, kannst du das Menü abtippen und per E-Mail an Dewberry’s Dinners schicken?«

Alle nickten.

»Niemand will noch irgendwas ändern?«

Alle schüttelten die Köpfe.

»Prima«, sagte Poll. »Jetzt müssen wir nur noch üben und üben und proben und proben und den Zeitablauf austüfteln – wieder und wieder.«

Und alle ächzten.

»Weißt du, was wir brauchen?«, fragte Ash gegen Ende der Woche nach einem besonders zermürbenden Probedurchlauf in der Farmhausküche, als Ella schon überzeugt war, dass sie im ganzen Leben nie wieder einen Eve’s Pudding machen würde, wenn das hier erst vorüber war.

»Ein heftiges Gewitter?« Ella schob sich das feuchte Haar aus dem Gesicht, hielt ihre Hände vor den unablässig schwirrenden Ventilator und fragte sich zum soundsovielten Mal, wie Ash es schaffte, immer noch so cool, entspannt, sexy und hinreißend auszusehen, während sie selbst sich bei dem unaufhörlich schwülen Wetter wie ein gammeliger nasser Lappen fühlte. »Eine Sintflut durch endlosen Wolkenbruch? Temperaturen unter dem Gefrierpunkt? Eine neue Eiszeit?«

»Einen Ausgeh-Abend.«

Jetzt geht das wieder los, dachte Ella. Wieder diese Mitleidmasche, ich armes, einsames Mädchen usw. »Danke, aber darüber haben wir doch schon mal gesprochen, und das Gespräch ist nicht gerade harmonisch verlaufen. Außerdem war ich aus«, sagte sie. »Am Abend. Vorgestern, erinnerst du dich?«

Ash nickte. »Oh ja – der Abend, an dem das Team aus Cambridge dieses ganz und gar in Pink gehaltene Barbie-Menü gekocht hat.«

Unser Leben, dachte Ella amüsiert, dreht sich nur noch um Dewberry’s Dinners.

»Ja, an diesem Abend. Jedenfalls war Poll mit ihren Freundinnen Mitzi und Zilla und Joss verabredet und hat mich nach Hazy Hassocks mitgenommen, wo ich endlich diese ›netten Mädchen‹ kennengelernt habe, die für Mitzi arbeiten.«

»Und, waren sie nett, die Mädchen?«

»Amber und Cleo? Ja, wirklich nett. Sie sind beide verheiratet und unheimlich verliebt, aber obwohl wir auf den ersten Blick nicht allzu viel gemeinsam haben, haben wir im Faery Glen in Hassocks ein Gläschen oder auch drei miteinander getrunken und uns bestens verstanden – und ich werde sie bestimmt wiedersehen.«

»Schön.«

»Lustigerweise haben sie nach einigen Flaschen Wein angefangen, mir alles Mögliche über Magie zu erzählen und was da hier in der Gegend so alles vor sich geht.«

»Ja, so ist es manchmal nach ein paar Flaschen Wein. Man fängt an, lauter Unsinn zu reden. Aber mal im Ernst: Du hast ihnen doch hoffentlich nicht von Trixie erzählt, oder?«

Ella schüttelte den Kopf. »Nein – das heißt, doch, aber nur ganz allgemein, nicht von der Löwenzahn-Feuerwehr oder der Sache mit den Elfen aus dem Mittsommernachtstraum. Sie hatten beide die Sendung gesehen, und ihnen war – wie allen anderen – nicht mehr aufgefallen als ein leichter technischer Wackler, eine Art kurzer Aussetzer, nur für einen Augenblick … aber ich habe ihnen von den Verhältnissen hier erzählt und dass Trixie an Feen und Elfen glaubt.«

»Ich könnte wetten, das ist mächtig gut angekommen.«

»Sie fanden das eigentlich ganz okay. Amber hat gelacht. Sie meinte, als sie vor einigen Jahren aus Manchester hier runter nach Fiddlesticks gezogen ist, hätte sie gedacht, die Leute im Dorf hätten allesamt eine Vollmeise, weil dort nämlich jeder an Mond und Sterne glaubt. Sie haben Sternenzauber-Feste abgehalten – und tun es noch immer. Und am Ende hat sie es einfach akzeptiert, weil nämlich gewisse Dinge geschehen sind und noch immer geschehen, für die es keine rationale Erklärung gibt.«

»Wie kann man an etwas glauben, ohne es zu verstehen oder erklären zu können?«, fragte Ash. »Macht man es sich damit nicht viel zu leicht? Du weißt schon, nach dem Motto: Wenn du sie nicht besiegen kannst, dann verbünde dich mit ihnen?«

»Schon möglich.« Ella zuckte die Schultern. »Aber Cleo wohnt in Lovers Knot und sagt, auch dort wäre etwas Ähnliches passiert. Nur mit magischem Wein. Und dann gibt es in Hazy Hassocks alle möglichen Gerüchte über Kräutermagie und in Bagley-cum-Russet über Liebestränke.«

»Davon habe ich auf meinen Eisverkaufsrunden auch schon gehört.« Ash grinste. »Ist natürlich völliger Blödsinn. Aber ich schätze, im Vergleich dazu ist Trixies Feenfimmel geradezu harmlos.«

»Mmm … ich habe beschlossen, dass das alles einfach nur alter ländlicher Aberglaube ist.« Ella nickte. »Aber ich fand es beruhigend, darüber zu reden. Dadurch kommt mir das, was hier passiert ist, irgendwie nicht mehr gar so gruselig vor. Auf jeden Fall – langer Rede kurzer Sinn –, du siehst, du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen mehr zu machen. Ich habe Freundinnen gefunden und finde mich im Leben auf dem Lande zurecht.«

»Auch schön. Und wird auch Zeit, aber du kannst dir wohl ruhig noch einen Ausgeh-Abend gönnen, oder? Poll hat doch nichts dagegen, wenn du abends fortgehst?«

»Natürlich nicht. Sie bringt George sowieso immer selbst ins Bett und übernimmt das ganze Gutenachtritual. Sie freut sich, wenn ich öfter mal rauskomme.«

»Sehr schön. Also – kommst du mit?«

»Aber hoffentlich nicht, weil du Mitleid mit mir hast? Oder denkst, ich verzehre mich nach Mark in London oder so und müsste aufgeheitert werden?«

»Ich habe ganz sicher kein Mitleid mit dir, wie ich schon sagte, und dass ich mit dir ausgehen möchte, hat nichts mit Aufheiterungsversuchen zu tun, okay? Auch wenn mir klar ist, dass Mark dir sicher fehlt.«

Ella zuckte nur unverfänglich die Schultern. »Ja, natürlich.«

»Mmm, Trixie hat mir viel über ihn erzählt, und Poll hat die Lücken ausgefüllt.«

Na super.

»Da die beiden so gut wie gar nichts über ihn wissen, solltest du lieber nicht alles glauben, was du hörst … Öhm, also, ist Onyx auch mit dabei, wenn wir ausgehen?«

»Nein, nur du und ich. Ich habe Karten für eine Show, und da wir die ganze Woche nichts anderes getan haben, als zu kochen und übers Kochen nachzudenken und übers Kochen zu reden, dachte ich, es wäre nett, mal etwas vollkommen anderes zu tun.«

Nur für einen kleinen Moment erlaubte Ella den heimtückischen Liebesfantasien, sich einzuschleichen. Dann verdrängte sie diese. Das gelang ihr immer besser. Aber zu einer Show zu gehen – ein Satz, den sie nicht mehr gehört hatte, seit sie aus London weg war – klang ziemlich gut, ganz gleich, aus welchen Gründen Ash sie einlud. Und sie würde mit ihm ausgehen, das war doch wohl die Hauptsache. Nur sie beide. Ausnahmsweise einmal. Ach, warum denn eigentlich nicht?

»Okay.« Sie lächelte. »Sofern Onyx nichts dagegen hat.«

»Warum sollte sie? Sie mag dich sehr. Sie weiß, dass wir Freunde sind.«

»Gut – das klingt prima, und ich komme gerne mit. Wann? Wo? Gehen wir essen, oder esse ich vorher etwas? Und was ziehe ich an? Ich meine, gehen wir in Abendgarderobe oder wie?«

»Wohl kaum. Wir fahren nur nach Winterbrook. Aber ja, ein Kleid wäre passender als Jeans, Hauptsache aber, du fühlst dich wohl. Es gibt auch etwas zu essen. Und es ist morgen.«

Ella schob den quälenden Liedrefrain »tomorrow never comes« beiseite, verkniff sich etwaige Freudentänze durch die Küche, atmete tief durch und begann, einen weiteren Eve’s Pudding zuzubereiten.