49. Eiskalt

William Bergin, 43, Sicherheitsoffizier, stationiert in Roswell

Vernehmungsprotokoll PS-OK 298/T 28: Nachdem Isabel auch abgekratzt war, fragte ich Walcott, ob wir die Nächste reinholen sollten. Walcott verneinte genervt. Er war der Meinung, wenn Ann und Isabel nichts wussten, würden wir auch von den anderen nichts erfahren. Meine Kollegen schafften die Leichen fort und machten sauber. Walcott und ich verließen den Hangar mit den gefliesten Vorratsräumen und gingen quer über den Sandplatz zu Walcotts Büro im Hauptgebäude. Es war relativ warm in New Mexico, viel zu warm für Januar.

Walcott war durch Anns und Isabels Tod keineswegs besänftigt. Im Gegenteil, die Aufmüpfigkeit, die Isabel selbst im Sterben noch an den Tag gelegt hatte, hatte seine Wut weiter angestachelt. Ich fand es fast schade um Isabel. Jahrelang war ich als ihr Schatten für sie zuständig gewesen. Sie hatte mir nie Scherereien gemacht, immer schön die Fresse gehalten und saubere Übungseinheiten abgeliefert. Irgendwie war sie cool gewesen. Aber Walcott hasste die Ratten. Als würde er sich in ihrer Gegenwart unterlegen fühlen. Egal, wie viel Macht er über sie ausüben konnte, in ihren Augen lagen ihm gegenüber immer Spott, Hohn, Arroganz. Besonders bei Isabel. Das war mir oft aufgefallen. Auch bei Katya. Und bei Lucy. Vor allem bei Lucy.

Walcott hasste Lucy besonders intensiv. Dennoch fand ich es krank, geradezu besessen von ihm, dass er bei den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Washington seinen Posten dort verlassen hatte und nach Roswell gekommen war. Um die flüchtigen Ratten zu fassen. Als er ankam, sagte er mir, dass er Lucy ficken würde. Mit seiner Magnum. Und dann würde er schießen.

Kaum waren wir in seinem Büro, wurde ein Anruf auf seinen Monitor gelegt. Es war Tyler, ein mieser Typ, der für Walcott seit Jahren inoffizielle Aufträge erledigte, von denen das Pentagon nichts wissen sollte.

»Hallo, Boss, ich habe gute Nachrichten«, begann Tyler selbstbewusst. Er wartete auf eine neugierige Aufforderung weiterzusprechen, doch er wartete vergebens. Walcott blickte ihn nur düster an. Also fuhr er in sachlichem Ton fort:

»Es war eine gute Entscheidung von Ihnen, mich nach Colorado zu schicken. Die Mutter dieser Evelyn Karner ist abgereist. Vor einer Woche. Aber was glauben Sie, was ich dort vor Ort erfahren habe? Die Leute auf dem Land sind ja so gesprächig …«

»Würden Sie sich auf die Fakten beschränken, Tyler?«, raunzte Walcott ihn an.

»Natürlich. Diese Caroline Karner hat mit jemandem zusammengelebt. Seit Jahren. Inoffiziell, deswegen hatten wir ihn auch nicht auf dem Zettel. Der Typ, Charles Westwood, ist nicht bei ihr gemeldet, sondern in Denver. Und der hat einen Sohn, der auch einige Jahre bei den Karners gewohnt hat. Er heißt Marc.«

»Kommen Sie auf den Punkt, Tyler!«, knurrte Walcott ungehalten.

»Sie haben vermutet, dass jemand von außen an der Flucht der Ratten beteiligt ist. Wir haben inzwischen das Kennzeichen des Fluchtwagens. Dieser Marc Westwood hat heute Vormittag seine Kreditkarte benutzt. Und zwar in Gallaway, Tennessee. Er hat ein Wohnmobil gemietet.«

»War er allein?«

»Ja. Er kam zu Fuß zu dem Autohändler.«

»Was haben wir über diesen Marc Westwood?«

»So gut wie nichts. Er hat Literaturwissenschaft studiert und sich danach jahrelang in Mittel- und Südamerika herumgetrieben. Erst kürzlich ist er wieder aufgetaucht. Was denken Sie, wo?«

»Washington.«

»Bingo. Er wohnte ein paar Blöcke entfernt von unseren beiden Oberratten. Hat sich an der Uni als Tutor anstellen lassen. Hat die Stelle kurzfristig wieder gekündigt. Letzte Woche. Jetzt ist er verschwunden.«

»Vermutlich sind sie unterwegs zur Küste. Mit dem Ziel Mittel- oder Südamerika. Suchen Sie dieses Scheißwohnmobil, Tyler! Wir haben nicht mehr viel Zeit!«

»Sobald der noch mal seine Kreditkarte zückt, haben wir ihn.«

»Darauf können wir nicht warten. Wir müssen eine Fahndung rausgeben.« Walcott zitterte wie ein Bluthund, der die Schweißspur aufgenommen hat.

»Wenn Fowler vom Secret Service wirklich dabei ist, wie Sie vermuten, nützt eine Fahndung nichts. Der kommt durch jede Kontrolle. Und der Befehl, den aufzuhalten, kann nur von Snyder oder March aus Washington kommen.«

Walcott lachte bitter. »Von denen kommt im Moment nicht viel. Die Bullen sollen den Wagen nicht aufhalten oder sonst etwas unternehmen. Aber darum kümmere ich mich. Sie haben einen guten Job gemacht, Tyler.« Walcott wollte den Bildschirm schon abschalten, so sehr brannte es ihm unter den Nägeln, die weiteren Schritte einzuleiten. Doch Tyler rief: »Hey, Moment. Ein interessantes Detail kennen Sie noch nicht!«

»Spucken Sie’s aus! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«

»Marc Westwood hat die ersten Semester an der gleichen Uni studiert wie Pete Fowler. Dann wechselte Westwood die Uni. Und landete an der gleichen wie Conrad Calvert, der Boss der Stadtguerilla. Würde mich nicht wundern, wenn die alte Kumpels wären.«

»Machen Sie weiter«, beendete Walcott das Gespräch und schaltete den Monitor ab. Es gab einiges zu tun. Und ich hatte die Ehre, dabei zu sein. Den Tag verfluche ich heute noch.