46. Angriff
Frederic March, 41, Stabchef
Vernehmungsprotokoll PS-OK 337/M1: Als der erste Schuss an mir vorbeipfiff, fiel mir mein Handy aus der Hand. Ich ließ mich ebenfalls fallen, lag neben Frank vor dem Gebäude im strömenden Regen, fünf Meter vom Haupteingang entfernt, im nassen, durchweichten Gras und zwischen sich auflösenden Dreckklumpen. Ich fischte mein Handy aus einer Pfütze, wischte es am Hosenbein ab und wandte mich gleichzeitig an Frank, der fluchend neben mir kauerte und angestrengt nach vorne zur großen Absperrung am Haupttor spähte.
»Verdammt, verdammt, die werden da umgemäht«, stieß Frank zwischen den Zähnen hervor. Ich schaute in Richtung des Tores, an dem wir uns selbst noch vor wenigen Minuten befunden hatten. Zwei Körper lagen dort im Dunkel, in den aufblitzenden Mündungsfeuern waren geduckt herumrennende Männer zu erkennen. Irgendjemand kreischte irgendwelche Befehle, doch die Sätze wurden vom Knattern eines Maschinengewehres in Fetzen gerissen.
»Wir müssen wieder rein«, schrie ich gegen den Lärm an, erhob mich und rannte die Treppen hinauf, Frank im Zickzackkurs hinter mir her. Als wir vor dem Portal ankamen, stürzte gerade einer der Wachmänner, der seine Deckung hinter einer Säule verlassen hatte, getroffen zu Boden. Er fiel wie ein Sack, röchelte kurz und begann zu keuchen. Ich beugte mich über ihn, zerrte den Verletzten an seinem Oberarm über den Boden, Frank öffnete das Portal, dann schleiften wir den Wachposten ins Innere. Eine breite Blutspur schlierte über den weißen Marmorboden. Auch im Gebäude hasteten überforderte Geheimdienstler und jede Menge Feuerwehrleute hektisch durch die Flure, die Treppe hinauf und herunter. Unaufhörlich waren Schüsse und das Klirren von splitternden Fensterscheiben zu hören. Eine gespenstische Szenerie.
»Frank, rufen Sie die Sanitäter, dann kommen Sie hoch in mein Büro!«
Ich lief zur Treppe, zog mein Handy aus der Tasche. Seit über einer Viertelstunde war ich permanent am Rennen. Heraus aus dem Kleinen Sitzungssaal, hin zum Tor, nach der Detonation zurück ins Gebäude, dann wieder vor die Tür, das Telefon im Anschlag, Pete Fowler suchend, mit den Schatten redend, Soforthilfe organisierend, alle Wachen rein, Fahndung raus, Anweisungen gebend, Alarm schlagend, dann der Angriff, Wachen wieder raus, selbst wieder rein – welch ein Chaos, was war eigentlich los, habe ich mich die ganze Zeit gefragt. Und wo blieben diese Wichser vom Pentagon? Ich öffnete die Tür zu meinem Büro. Mein Team war schon versammelt. Auch Snyder war hier. Er schrie sauer einen aus mehreren Wunden blutenden Beamten vom Secret Service an, der die Überbringung der First Lady und ihrer Tochter in den Schutzbunker unautorisiert zwei Feuerwehrmännern übertragen hatte.
Kaum war ich in meinem Büro, rief Walcott an. Er schäumte nicht weniger als Snyder: »Ich habe nicht viel Zeit, mich um Ihre Belange zu kümmern. Den Karren müssen Sie schon selbst aus der Scheiße ziehen. Bei uns sieht es nicht besser aus!« Mit seiner sich überschlagenden Fistelstimme berichtete er, dass das Pentagon ebenfalls unter heftigem Feuer lag, die Sicherheitskräfte dort gebunden, neue Truppen allerdings am Anrücken seien. Der Polizeichef schickte seinen katastrophalen Lagebericht per Mail. Überall in der Stadt gingen Bomben hoch, größere und kleinere. Die Brennpunkte des Geschehens lagen weit auseinander, die Sondereinsatzkommandos waren über die ganze Stadt verstreut. Ständig taten sich neue Fronten auf, die Bevölkerung der betroffenen Wohnviertel geriet in Panik. Ich hörte mir alles mit der gebotenen Ruhe an und befahl, die fehlenden Führungskräfte des Krisenstabs in einer halben Stunde zu versammeln.