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Einundzwanzig

Peter Cox war auf dem Weg nach Düsseldorf. Um diese Zeit war der Verkehr auf der A57 sehr dicht, aber damit hatte er gerechnet. Er nahm es gleichmütig hin. Das war früher einmal anders gewesen.

Überhaupt war so vieles anders gewesen, er war anders gewesen, bevor er Penny kennengelernt hatte. Damals hatte er sein Leben einem strengen Muster unterworfen, und jede Abweichung davon hatte ihn verunsichert. Heute konnte er über seine Macken schmunzeln – jeden Dienstag die Bettwäsche wechseln, Mahlzeiten streng nach Uhr, keine Zwiebeln, niemals Knoblauch, abgezählte Zigaretten, eine geregelte Raumtemperatur –, und wenn sie sich manchmal doch wieder meldeten, lächelte Penny sie einfach weg. Sie sprachen darüber, warum sie so waren, wie sie waren, aber eher nebenbei, weil sie es viel zu sehr genossen, miteinander zu sein. Und vor ein paar Wochen war zum ersten Mal das Wort «Kinder» gefallen, auch eher so nebenbei, und seine Panik war ausgeblieben. Warum nicht ein Kind miteinander haben? Es war folgerichtig. Sie würden es einfach darauf ankommen lassen.

Kurz vor Krefeld wurde der Verkehr so dicht, dass es nur noch im Schritttempo weiterging.

Er schaute auf die Uhr, der Kollege beim LKA erwartete ihn erst in einer Stunde, bis dahin würde er es wohl schaffen.

Es war jetzt vierzehn Tage her, dass Bernhard Claassen bei ihm im Büro gewesen war, und seitdem spukten ihm zwei Gedanken im Kopf herum.

Als die kleine Rosel Claassen im September 1944 mit Scharlach im Klever Krankenhaus gelegen hatte, war ein Arzt zu ihrer Mutter gekommen und hatte sie gebeten, das Mädchen nicht mehr zu besuchen, weil ihre Anwesenheit das Kind zu sehr aufregen würde.

Das kam ihm ungewöhnlich vor und unnötig grausam. Wer würde eine Mutter von ihrem Kind fernhalten? Welcher Arzt war das gewesen? Und warum hatte er das getan?

Dann hatte eine Nonne der Mutter mitgeteilt, Rosel sei am Nachmittag des 26. September an der Krankheit gestorben und in die Leichenhalle gebracht worden, nur kurze Zeit vor dem ersten Großangriff auf die Stadt. Dort sei sie verschüttet worden und nicht mehr zu bergen gewesen.

Das konnte nicht stimmen, das hatte ja auch schon Bernie bemerkt. Denn wie sollte die Kleine in das Massengrab am Opschlag gekommen sein, in den Bombentrichter, der dort am 26. September entstanden war? Zusammen mir sieben anderen, alle versehrt oder behindert, aber alle beim Bombenangriff unverletzt geblieben.

Hatte die Nonne wissentlich gelogen? Das würde bedeuten, dass 1944 im Krankenhaus ein grausames Komplott geschmiedet worden war. Aber das konnte und wollte Cox sich nicht vorstellen.


Am Donnerstag war im Stern ein großer Artikel über das Massengrab aus der Nazizeit erschienen, zwölf Seiten mit Fotos von Lis und Lisken, Rosel Claassen auf der Sommerwiese, den Gesichtsrekonstruktionen. Seitdem hatten sich über hundert Leute beim LKA gemeldet, die glaubten, Hinweise zu den noch nicht identifizierten Toten geben zu können, die meisten zu den beiden Jungen mit Down-Syndrom.

«Alles Bullshit», beschied der Kollege, ein grobschlächtiger Mann, den Cox auf Anhieb nicht mochte.

«Aber ich habe etwas anderes für euch, die Frau mit dem Riesenwuchs am Bein, Moment …» Er blätterte in seinen Unterlagen. «Euer Pathologe hat das … ja, hier steht’s: ‹eine Frau, noch keine zwanzig Jahre alt, mit Klippel-Tréaunay-Weber-Syndrom›. Offenbar wohl eine seltene Missbildung, die auch heute noch nicht ganz erforscht ist. Jedenfalls hat sich ein Professor aus Tübingen gemeldet, dem eine Arbeit aus den dreißiger Jahren vorliegt. Unter den Kranken, die damals in die Studie aufgenommen wurden, ist jemand aufgeführt mit ‹G. L., weiblich, Jahrgang 1927, geboren und wohnhaft in Kleve›.» Er drückte Cox den Zettel in die Hand. «Vielleicht kommt ihr damit ja weiter.»

Cox bezweifelte das, bedankte sich aber höflich und machte sich auf den Weg zu seinem Auto, das er zwei Querstraßen weiter hatte parken müssen.

Das neue GPS, das Penny ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, hielt, was die Werbung versprochen hatte, und brachte ihn auf schnellstem Weg aufs Unigelände. Hier fand er auf Anhieb einen Parkplatz, brauchte dann aber fast zwanzig Minuten, bis er das richtige Gebäude gefunden und sich zum Archiv durchgefragt hatte.

Der nette Student, mit dem er schon ein paarmal telefoniert hatte, wartete schon auf ihn.

«Wir sind fertig mit der Archivierung, aber kein Reiter», meinte er bedauernd, «das habe ich Ihnen ja schon am Telefon gesagt. Und ich hätte dessen Dissertation wirklich gern gefunden, besonders nachdem ich den Zeitschriftenartikel gelesen hatte. Aber eine Hoffnung gibt es noch, kommen Sie mal mit.»

Cox folgte ihm in den Keller hinunter.

«Ich würde Ihnen gern noch weiterhelfen, aber mein Job hier ist abgelaufen. Eigentlich dürfte ich gar nicht mehr hier sein, aber ich wollte Sie gern kennenlernen, deshalb habe ich darum gebeten, Sie hierherbringen zu dürfen.»

Er öffnete eine Tür und schaltete das Licht ein, ein quadratischer Raum mit deckenhohen Regalen an drei Seiten voller Kladden und vergilbten Papierstapeln.

«Hier lagern alle Arbeiten, die seit den Anfängen der Medizinischen Fakultät abgelehnt oder gar nicht erst angenommen wurden.»

Cox ging hinein, der Raum war klimatisiert, die Luft angenehm frisch.

«Ich nehme an, hier wurde noch nichts geordnet.»

«Das kann man so nicht sagen», antwortete der Student. «Für mich sieht es so aus, als hätten sich über die Jahre verschiedene Leute daran versucht, ein Teil ist nach Jahreszahlen sortiert, ein anderer nach den Namen der Verfasser oder der Doktorväter, einiges nach Themenbereichen …»

Cox spürte ein angenehmes Kribbeln, dies hier war eine Arbeit nach seinem Geschmack.

«Das könnte allerdings ein paar Tage dauern», murmelte er. Reiter, Zirkel als Doktorvater, Tierversuche, eingereicht in den Vierzigern …

«Ich habe alles für Sie geregelt. Sie haben jederzeit Zutritt. Wir müssen nur eben zusammen zum Pförtner, wo Sie sich ausweisen müssen. Dann bekommen Sie eine Schlüsselkarte.»


Van Gemmern kam früh.

Er sah nicht mehr ganz so schlecht aus, also hatte er sich wohl tatsächlich ausgeschlafen.

Heute setzte er sich hin, bevor er mit seinem Bericht begann, was schon ungewöhnlich genug war, aber als er sich dann auch noch eine Tasse Kaffee einschenken ließ, tauschten van Appeldorn, Penny und Schnittges irritierte Blicke.

Van Gemmern schien es nicht zu bemerken.

«Der Täter hat während der Tat jene Gummistiefel getragen, die wir neben der Waschmaschine gefunden haben», begann er. «Er hat sie zwar abgewaschen, dennoch haben wir Spuren von Schravens Blut an den Sohlen gefunden. Im Inneren der Stiefel fanden sich DNA-Spuren von Schraven und Heller.»

«Von Heller?», fragte van Appeldorn erstaunt.

«Nun ja, er wird die Stiefel bei der Hofarbeit angehabt haben», sagte Schnittges. «Ich würde auch nicht in Straßenschuhen den Stall ausmisten.»

«Und wie kommt DNA ins Innere eines Stiefels?», wollte Penny wissen.

«Wenn man ein Loch in der Socke hat», antwortete van Gemmern.

«Das heißt, wenn unser Täter keine löchrigen Socken getragen hat, ist seine DNA im Stiefel nicht zu finden?»

Van Gemmern nickte. «Genau, aber weiter. Der Täter hat Schraven, der neben dem Tisch mit dem Rücken zur Spüle stand, frontal angegriffen. Schraven hat sich gewehrt, allerdings nicht sehr heftig. Möglicherweise war er noch geschwächt durch die Kopfverletzung, außerdem ist sofort viel Blut geflossen, und die Stiche müssen sehr schmerzhaft gewesen sein. Die Kehle des Opfers wurde ebenfalls von schräg vorn durchtrennt, was bedeutet, dass der Täter völlig mit Blut besudelt wurde. Es spritzt sehr stark, wenn die Halsschlagader durchtrennt wird.

Der Täter ist an der Küchentür aus den Stiefeln gestiegen, hat sie also in der Küche stehenlassen, und ist dann auf Socken hinauf ins Bad und hat geduscht. Zwar hat er die Duschkabine gründlich gereinigt, aber wir haben doch Blut im Becken und im Siphon gefunden, Schravens Blut.»

«Keine Haare?», fragte Schnittges.

«Keine Haare, keine verwertbaren Fingerspuren», bestätigte van Gemmern.

«Ich versuche, mir das vorzustellen», meinte Penny. «Da bringt jemand Schraven auf bestialische Weise um und nimmt sich dann die Zeit, in aller Ruhe zu duschen?»

Van Gemmern zuckte die Achseln. «So, wie er ausgesehen hat, konnte er keinem gegenübertreten. Aber du hast recht, er hatte es wohl wirklich nicht eilig. Nach dem Duschen hat er die Stiefel genommen, ohne die Küche zu betreten, und sie im Kuhstall mit einem Schlauch abgespritzt.»

«Aber die Stiefel standen doch im Wirtschaftsraum», bemerkte Schnittges.

Penny rieb sich den Haaransatz. «Die Küche hat drei Türen, eine, die nach draußen führt, eine zum Kuhstall und zu den Kammern, und die dritte führt durch den Wirtschaftsraum in den Schweinestall.»

«Richtig», nickte van Gemmern. «Der Täter ist außen herum gegangen, vom Kuhstall über die Tenne, am Misthaufen vorbei in den Schweinestall und von dort aus in den Wirtschaftsraum, und zwar auf Socken, darauf weisen die Spuren in der angetrockneten Gülle neben dem Misthaufen hin.»

Penny verzog angeekelt das Gesicht.

«Nun ja», meinte van Gemmern und sah beinahe freundlich aus. «Er wollte keine Spuren hinterlassen, und das hätte er getan, wenn er durch die Blutlache in der Küche gelaufen wäre. Vielleicht konnte er aber auch Schravens Anblick nicht ertragen, es war ja ein ganz schönes Gemetzel. Und dass er sich mit dem Töten auskennt, bezweifle ich. Für mich sieht das Ganze nach einer Affekttat aus.»

Wieder wechselten die anderen Blicke. Van Gemmern ließ sich zu Spekulationen hinreißen – das war neu!

Der trank einen Schluck Kaffee und sprach dann weiter: «Nachdem er die Stiefel abgestellt hatte, ist er zurück auf die Tenne, wo er seine blutbespritzte Kleidung abgelegt hatte, und hat sie dort verbrannt, mit Motoröl übergossen und angezündet. Nun ist Motoröl nicht unbedingt der beste Brandbeschleuniger, aber es war wohl gerade zur Hand. Ein Kanister davon stand gleich dort neben anderem alten Zeug.

Wie es sich mir darstellt, hatte der Täter wohl den Plan, den ganzen Hof abzufackeln. Es scheint so, als habe er, nachdem die Kleider ordentlich brannten, vom Dachboden über der Tenne Heu aufs Feuer geworfen, um dem Brand richtig Power zu geben. Aber dann ist er entweder gestört worden, oder er hat die Geduld verloren, jedenfalls hat er nicht abgewartet, wie das Feuer sich entwickelte. Er hat wohl nicht bemerkt, dass das Heu jahrelang auf dem Boden vor sich hin gegammelt hatte, es war schimmelig und hatte genug Feuchtigkeit gespeichert, um den Brand letztendlich zu ersticken. Vom Feuerlegen versteht der Täter nichts, denn wenn er das Heu weggelassen hätte, hätten die brennenden Textilien das umliegende Gebälk in Brand gesetzt, das sicher über zweihundert Jahre alt und knochentrocken ist. Es hätte gebrannt wie Zunder.»

«Was ist mit der Kleidung?», fragte Penny.

Van Gemmern musste bedauern. «Nichts mehr zu machen, zu verkohlt, um DNA-Spuren zu finden. Ein Knopf und ein Reißverschluss weisen auf eine Jeans hin, außerdem gab es Fasern von einem Wollpullover, dessen Etikett aber leider aus Kunststoff war und zusammengeschmolzen ist.»

Er trank seine Tasse leer. «Zwei Sachen habe ich noch. Erstens: Die Reifenspuren am Bahndamm stammen von Schravens Mercedes, was wohl bedeutet, dass er in seinem eigenen Auto dorthin transportiert worden ist, und zwar bewusstlos. Der Schlag auf den Kopf muss ihm anderswo beigebracht worden sein, denn am Bahndamm weist nichts auf einen Kampf hin, dafür gibt es dort Schleifspuren, wie ihr ja schon wisst. Und zweitens: Im Inneren des Mercedes haben wir auf dem Rücksitz eine kleine Lache von Schravens Blut gefunden. Den Fingerspuren nach haben nur zwei Leute den Wagen gefahren – Schraven selbst und sein Schwager Markus Heller.»

«Schon wieder Heller», sagte Schnittges düster. «Was wissen wir über den Mann?»

Van Gemmern erhob sich rasch. «Im Moment braucht ihr mich wohl nicht mehr …»

«Nein, danke erst mal», sagte van Appeldorn. «Gute Arbeit, Klaus, wie immer.»

In van Gemmerns Gesicht regte sich nichts, er ging einfach hinaus.

«Was wir über Heller wissen?», griff van Appeldorn den Faden wieder auf. «Wie es aussieht, zu wenig.» Er berichtete von seinem kurzen Gespräch mit Schravens Schwager. «Nett, fürsorglich, für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr Yuppie», schloss er, «aber die Makler, die ich kenne, sind alle so.»

«Wo makelt er eigentlich?», fragte Bernie.

«Keine Ahnung.»

«Wäre aber interessant.»

«Durchaus.» Van Appeldorn kramte auf seinem Schreibtisch herum. «Und es gibt ja auch noch ein paar andere Fragen, die er uns beantworten sollte. Irgendwo habe ich doch seine Visitenkarte … Ah, da ist sie ja!»

Er wählte die Nummer und wandte Penny und Schnittges den Rücken zu.

«Herr Heller? Van Appeldorn hier, Kripo Kleve, Sie erinnern sich? Richtig! Es sind leider noch ein paar Fragen aufgetaucht, die Sie uns vielleicht beantworten können … Nein, am liebsten heute noch … In Kalkar? Na, das trifft sich doch gut! Dann könnten Sie ja in einer halben Stunde hier sein … Fünfundvierzig Minuten? Okay, ja, richtig, im Präsidium, selbes Büro. Ich erwarte Sie.»

«Ich würde gern wissen, ob Britta Markus Heller kennt», sagte Penny.

Die beiden Männer schauten sie an. Es dauerte ein paar Sekunden. «Ja, ich auch», erwiderten sie dann gleichzeitig.

«Peter werden wir heute nicht so schnell wieder zu Gesicht bekommen, nehme ich an. Da waren’s nur noch drei …» Schnittges stand auf. «Ich mache mich auf den Weg, und ihr seht zu, dass ihr was aus dem Yuppiemakler rauskriegt.»

Noch vor einem Jahr hätte van Appeldorn Schwierigkeiten damit gehabt, wenn ihm einer einfach so die Entscheidung aus der Hand genommen hätte, aber jetzt … Zwei Leute mussten bei einer Vernehmung zugegen sein, und Penny war nicht die erste Wahl für eine Befragung Britta Vermeers. Bernie hatte die einzig sinnvolle Schlussfolgerung gezogen.

«Fein», sagte er deshalb. «Dann frisch ans Werk!» Das war ein bisschen daneben, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.


Schnittges wartete, bis Britta Vermeer eine Kundin zu Ende bedient hatte.

«Sie ist viel zu dünn für eine Frau, die gerade ein Kind geboren hat», dachte er.

Schließlich wandte sie sich ihm zu. «Meine Mutter sagt, ich soll euch vom Hof jagen, ihr macht uns nur alle verrückt.» Sie klang müde und wütend. «Was ist das für ein Mist, dass Gereon vergiftet worden sein soll!»

Bernie legte einfach den Arm um sie und drückte sie kurz an sich. «Es tut mir so leid.»

Ihre Schultern entspannten sich. «Was denn jetzt noch?»

«Nur ein paar Fragen.» Schnittges ließ sie los. «Kennst du einen Markus Heller?»

Sie runzelte die Stirn. «Ja, den kenne ich. Warum? Was ist mit dem?»

«Erst mal nichts», antwortete Schnittges. «Und seit wann kennst du den?»

«Ich weiß nicht genau.» Sie überlegte. «Er hat bei uns eingekauft vor ein paar Monaten … ich glaube, da war ich schon schwanger … Ja, genau, er ist mit Gereon ins Gespräch gekommen, und es stellte sich heraus, dass Markus auch ein Motorradfreak ist und sogar schon zweimal auf der Isle of Man dabei war. Seitdem kommt er immer mal auf einen Kaffee vorbei, wenn er in der Gegend zu tun hat, und fachsimpelt mit Gereon.»

Schnittges hörte einen Unterton. «Magst du ihn nicht?»

«Ich weiß nicht recht.» Sie rieb sich die Oberarme. «Er ist ganz nett, aber er ist eben Makler, und dieser Beruf hat für mich irgendwie immer etwas Halbseidenes. Was vermutlich ungerecht ist.»

«Heller makelt also hier in der Gegend?»

«Ja, soweit ich verstanden habe, arbeitet er gern im ländlichen Bereich. Und er ist wohl ganz gut im Geschäft, jedenfalls hat er irgendwas mit diesem neuen Golfparadies in Moyland zu tun.»

Schnittges hatte davon in der Zeitung gelesen. Ein holländischer Multimillionär hatte in Moyland ein riesiges Areal Land zusammengekauft, auf dem er einen Luxus-Golfplatz mit dazugehörigem Fünf-Sterne-Hotel anlegte.

«Was genau, weiß ich allerdings nicht. Ich habe nur gehört, wie er sich hier im Laden mit unserem Bürgermeister darüber unterhalten hat.»


Markus Heller stellte seine Aktenmappe neben dem Stuhl ab und strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn. «Ich kann Ihnen doch noch helfen?»

«Das hoffen wir», antwortete Penny und betrachtete ihn interessiert.

«Mittlerweile haben wir alle Spuren am Tatort ausgewertet, und daraus ergeben sich ein paar Fragen.» Van Appeldorn entschied sich für den Frontalangriff. «In den Gummistiefeln, die der Täter getragen und am Tatort hinterlassen hat, haben wir Spuren Ihrer DNA gefunden.»

«Was?» Heller wich alle Farbe aus dem Gesicht. «Glauben Sie etwa, ich hätte Rainer umgebracht?»

«Wir glauben gar nichts, wir sind hier ja nicht in der Kirche», gab van Appeldorn zurück.

«Wir hätten nur gern ein paar Erklärungen», sagte Penny milde. «Wie ist denn wohl Ihre DNA in diese Gummistiefel gekommen?»

«Was weiß denn ich?» Heller klang verzweifelt, fing sich dann aber. «Ich habe auf dem Hof ein Paar alte Stiefel von Rainer gefunden, und die habe ich die ganze Zeit getragen.»

«Auch im Haus?»

«Ja, dort ist es ja auch nicht viel sauberer als in den Ställen, und ich wollte mir meine Schuhe nicht verderben.»

«Was haben Sie mit den Stiefeln gemacht, als Sie am Sonntag den Hof verlassen haben?», fragte van Appeldorn. «Haben Sie sie gereinigt?»

Heller guckte verblüfft. «Warum hätte ich das tun sollen? Nein, ich habe sie im Kuhstall stehenlassen, wo ich sie auch gefunden hatte.»

«Auf welchem Weg haben Sie das Haus verlassen?»

«Hintenraus über die Tenne, dort stand ja auch mein Wagen.»

«Haben Sie die Dusche gereinigt?», wollte Penny wissen.

«Wie bitte? Ach so, ich habe das ganze Bad geputzt, ja. Gott sei Dank hatte Rainer einen Hochdruckreiniger, sonst hätte ich den Schmutz gar nicht abgekriegt.»

«Und wann haben Sie das Bad geputzt?»

«Na, als ich angekommen bin, vorletzten Dienstag. Glauben Sie mir, so, wie das dort aussah, hätten Sie auch keinen Fuß darein gesetzt.»

«Waren Sie von Dienstag bis Sonntag die ganze Zeit auf dem Hof?», übernahm nun van Appeldorn wieder. «Oder sind Sie zwischendurch einmal weggefahren?»

«Nein, ich war die ganze Zeit dort», antwortete Heller bestimmt, besann sich dann aber noch einmal. «Am Mittwoch bin ich nach dem Füttern zum Supermarkt gefahren, um ein paar anständige Lebensmittel einzukaufen.»

«Mit Ihrem Wagen?»

«Nein.» Heller wirkte verlegen. «Ich habe Rainers Benz genommen. Den wollte ich immer schon mal fahren, ist ja fast schon ein Oldtimer.»

«Und der Blutfleck auf der Rückbank ist Ihnen nicht aufgefallen?», fragte Penny spitz.

«Da war ein Blutfleck? Nein, den habe ich nicht bemerkt. Na ja, kein Wunder bei dem Krempel, der in der Karre rumfliegt.» Er kniff die Augen zusammen. «Woher stammt denn der Fleck?»

«Das tut im Moment nichts zur Sache», beschied van Appeldorn. «Wo waren Sie am Dienstag, den 20. 10.?»

«An dem Tag, als Rainer ins Krankenhaus musste? Da muss ich überlegen …» Heller fummelte an seiner Brille herum. «Vormittags war ich daheim im Büro und habe mich um die Buchführung der Apotheke gekümmert, und nachmittags habe ich Golf gespielt.»

«Mit wem?»

«Allein.»

«Und wo?»

«In Moyland.»

«Und wo waren Sie am letzten Dienstag, dem 27. 10.?»

Heller schüttelte heftig den Kopf. «Ich kann es wirklich nicht fassen, dass Sie mich nach meinem Alibi fragen! Aber gut, am letzten Dienstag hatte ich zwei Banktermine mit Kunden. Ich kümmere mich nämlich auch darum, dass mit deren Finanzierungen alles glattgeht.»

«Das lässt sich dann ja leicht überprüfen.»

«In der Tat, ich schreibe Ihnen gern alles auf.»

«Das wäre sehr nett», meinte Penny freundlich. «Wann waren denn die Banktermine?»

«Einer vormittags, einer am frühen Nachmittag. Danach habe ich eine kurze Runde Golf gespielt und bin dann nach Hause gefahren.»

«Dafür gibt es doch sicher auch Zeugen.»

«Fragen Sie den Wirt vom Clubhaus.» Heller war sichtlich verärgert.

«Kannten Sie Gereon Vermeer?», fragte Penny unvermittelt.

Heller kühlte schlagartig ab. «Ja, schrecklich, dieser Unfall … Eigentlich wollte ich zu seiner Beerdigung, aber ich konnte meine Termine nicht absagen. Ich habe oft bei Vermeers eingekauft, Gereon war ein echt feiner Kerl.»


Gegen drei beschloss Cox, für heute Schluss zu machen. Er hatte Reiters Arbeit nicht gefunden, aber morgen war auch noch ein Tag.

Jetzt hatte er Kopfschmerzen, weil er zu wenig getrunken hatte, außerdem war er hungrig. Auf dem Weg zum Auto hatte er plötzlich den Geschmack von Tomatensugo auf der Zunge.

Auf ihrer Motorradtour durch die Toskana im letzten Sommer hatten sie die köstlichsten Sugos gegessen und sich zu Hause gleich Rezepte besorgt, um sie nachzukochen, aber sie hatten nie wirklich gut geschmeckt. Penny glaubte, dass einfach alles besser schmeckte, wenn man in Urlaubsstimmung war, aber er war davon überzeugt, dass sie einfach nicht die richtigen Tomaten hatten auftreiben können.

Hier in Düsseldorf gab es doch diese vielgepriesene Feinkostabteilung im Karsch-Haus …