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Zwölf

Als van Appeldorn am nächsten Morgen ins Büro kam, erwartete Cox ihn schon mit finsterem Gesicht.

«Was ist denn los?»

«Der werte Herr Staatsanwalt hat gerade angerufen», antwortete Cox und kniff die Lippen zusammen.

«Verstehe.» Van Appeldorn setzte sich. «Was wollte er denn diesmal?»

«Unsere Unterstützung. Von wegen, ab jetzt übernimmt er die Öffentlichkeitsarbeit allein! Die Presse macht ihm anscheinend ganz schön Feuer unterm Hintern. Und der will er heute auf einer PK gegenübertreten – mit uns, wohlgemerkt. Den Termin wollte er natürlich nicht mit einem Lakaien wie mir absprechen.»

Van Appeldorn seufzte. «Ich weiß, der Typ ist ein Kotzbrocken.»

Schnittges und Penny kamen herein.

Bernie trug ein kleines Tablett mit Kuchenstücken. «Die sind von einer kleinen Familienfeier übrig geblieben.»

Penny wedelte mit einer Zeitung. «Der Artikel über Lis und Lisken steht sogar im überregionalen Teil.» Dann sah sie Cox’ Gesicht. «Was ist passiert?»

«Dr. Müller hat angerufen», erklärte van Appeldorn.

«Ich habe das Gefühl, die ganze Welt wird mittlerweile nur noch von solchen Rotzlöffeln regiert», meinte Cox bitter. «Nicht die geringste Bildung, kein Geschichtsbewusstsein, keine Ahnung von Zusammenhängen, dafür aber jede Menge ungebrochene Selbstherrlichkeit. Und ich Idiot setze mich gestern noch hin und maile dem Kerl den Bericht mit unseren neuen Ermittlungsergebnissen zu, genau in der Form, in der er ihn haben wollte. Und was erzählt mir diese Pfeife gerade? Das ‹Dossier›, wie er es ausdrückte, sei völlig unbrauchbar! Er benötige die reinen Fakten, unsere Interpretationen und Schlussfolgerungen interessierten ihn nicht die Bohne.»

Penny sperrte den Mund auf.

Schnittges lachte. «Komisch, ich dachte immer, genau dafür würden wir bezahlt.»

Van Appeldorn hatte seinen PC schon hochgefahren und überflog Cox’ Bericht.

«Gute Arbeit, Peter», sagte er und meinte es ernst, er selbst war nicht unbedingt ein Meister des geschriebenen Wortes.

Er rieb sich die Hände. «Dann wollen wir unserem Herrn Staatsanwalt mal zeigen, wo die Glocken hängen. Der Bericht kommt in Kurzfassung in die Pressemappe, und zwar mit allen Interpretationen und Schlussfolgerungen.»

«Ist das nicht eigentlich dasselbe?», wollte Penny wissen.

«Zwei Wörter kommen einfach besser», brummte Schnittges. «Hauptsache, es hört sich gut an, der Sinn ist vollkommen egal.»

Van Appeldorn achtete nicht auf ihn. «Was meinst du, Peter, sollen wir die Pressekonferenz für 14 Uhr ansetzen? Schaffst du das mit den Einladungen und der Mappe?»

«Kein Problem.»

«Prima, mit etwas Glück haben wir bis dahin vielleicht auch schon die Gesichtsrekonstruktionen.» Er überlegte. «Könntet ihr beide, Penny und du, wohl die Konferenz übernehmen?»

«Kein Problem», antwortete diesmal Penny, denn Cox war immer noch beleidigt. «Wenn der feine Herr sich denn mit dem niederen Volk zufriedengibt …»

«Das werde ich ihm schon beibiegen», meinte van Appeldorn mit grimmiger Freude.

Er schaute Schnittges an. «Bernie und ich werden uns heute wohl oder übel um diese Hetzelgeschichte kümmern müssen.»

Schnittges sprach aus, was auch schon van Appeldorn durch den Kopf gegangen war: «Am einfachsten wäre es wohl, wenn wir mit Britta Vermeer reden könnten. Glaubt ihr, sie kann das schon verkraften?»

Penny wiegte zweifelnd den Kopf, aber Cox nickte. «Wir haben sie gestern kurz besucht. Sie war alles in allem ganz gefasst. Gereons Eltern kümmern sich um den Hof, und Brittas Mutter ist auch da.»

«Okay», meinte Schnittges zögernd, «dann versuchen wir es.»

Van Appeldorn griff zum Telefon. «Aber vorher rufe ich, wie gewünscht, Dr. Müller zurück.»

Man hörte ein Ticken an der Tür, dann kam eine junge Frau hereingewirbelt. Sie sah, dass van Appeldorn telefonierte, und schien die Spannung im Raum zu spüren, denn sie zog die Schultern hoch, hob die Mappe, die sie bei sich hatte, vor den Mund und machte sich daran, den Raum auf Zehenspitzen wieder zu verlassen.

Van Appeldorn hielt sie, während er weitersprach, mit einer schnellen Geste zurück.

Sie nahm die Mappe wieder herunter und strich sich das blonde Lockengewirr aus dem Gesicht. Die dunklen Augen blitzten neugierig.

Sobald van Appeldorn den Hörer aufgelegt hatte, trat sie näher. «Ich bin Marie Beauchamp, aber das haben Sie sich bestimmt schon gedacht.» Sie lächelte in die Runde. «Und ich bringe die Rekonstruktionen.» Sie legte die Mappe auf Bernies Schreibtisch ab und öffnete sie. «Die Magnettafel da vorn, darf ich sie dort aufhängen?»

Jetzt endlich hatte van Appeldorn sich berappelt und stand auf. «Norbert van Appeldorn, schön, Sie endlich kennenzulernen.»

Marie schüttelte ihm die Hand und schaute dann die anderen an. «Dass Sie Penny sein müssen, ist wohl klar. Aber wer von Ihnen beiden ist nun Peter und wer Bernie?»

Cox und Schnittges sprachen gleichzeitig.

Sie nickte. «Ich darf also an die Tafel dort?» Und fing an, die Rekonstruktionen aufzuhängen.

«Die beiden Downkinder sind natürlich ein kleines Problem», erklärte sie. «Deren Physiognomie ist, wie Sie sich denken können, ähnlich.»

Sie hängte das nächste Bild auf. «Die Kleine mit dem Hydrozephalus», sagte sie leise.

Cox wurde die Kehle eng. Hatte Bernie nicht gesagt, Kinder in dem Alter sähen sich alle ähnlich? Das Kind dort war eindeutig das kleine Mädchen von dem verblassten Foto, das Bernhard Claassen ihm gezeigt hatte.

Und Marie bestätigte es. «Das ist Rosel Claassen. Arends DNA-Abgleich ist eindeutig.»

Dann hängte sie die letzten Aufnahmen an die Tafel.

«Lis und Lisken», murmelte Cox.

Marie nickte wieder. «Ich habe den Artikel heute früh in der Zeitung gelesen. Und Sie haben wahrscheinlich recht: Von der Physiognomie und vom Alter her könnten diese Frauen hier tatsächlich Mutter und Tochter sein.»

Sie klappte die Mappe zu und runzelte die Brauen. «Wo …? Ach, da ist sie ja!»

Damit zog sie eine CD aus ihrer Jackentasche. «Hier sind alle Aufnahmen drauf. So können Sie die beliebig vervielfältigen.»

Sie drückte sie Schnittges in die Hand und stand bereits an der Tür. «Viel Glück! Es täte einem wirklich gut, wenn diese Menschen wieder eine Identität bekämen.»

Und damit war sie weg.

Bernie starrte die CD an.

«Und ich wollte sie gerade fragen, ob sie zur Pressekonferenz kommen will», meinte van Appeldorn benommen.

«Tja …»


Penny wusste inzwischen einiges über den Oberarzt Reiter.

Dass er 1912 in Goch geboren worden war, zum Beispiel, und später in Düsseldorf Humanmedizin studiert hatte. Sie kannte die Namen und Geburtsdaten seiner Eltern und Geschwister, wusste, an welcher Schule er gewesen war, wo in Düsseldorf er während seines Studiums gewohnt hatte und dass er im Alter von fünfundzwanzig Jahren seine erste Stelle angetreten hatte, als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des St.-Antonius-Hospitals in Kleve. Gewohnt hatte er dann in der Wasserstraße – bis zum 7. Oktober 1944.

Danach gab es keine Spur mehr von ihm.

Penny wusste, dass er nicht beim Bombenangriff umgekommen war, denn er wurde nicht in der Opferliste aufgeführt. Und sie wusste, dass er nach 1944 nicht mehr im Kreis Kleve gelebt hatte, weil er in keinem Melderegister auftauchte.

Sie hatte sogar herausgefunden, dass er, anders als Dr. Zirkel, nicht entnazifiziert worden war. Das konnte natürlich bedeuten, dass Reiter nie Mitglied der NSDAP gewesen war, aber das hielt sie für unwahrscheinlich.

Schließlich hatte sie sich an die Ärztekammern gewandt und erfahren, dass ein Dr. Dietrich Reiter nach 1944 in keinem Ärzteverzeichnis mehr auftauchte. Also hatte er wohl nicht mehr als Arzt praktiziert. Oder seinen Namen geändert. Oder er war ins Ausland gegangen. Nach Südamerika, wie so viele Nazis?

Sie stöhnte leise.

Cox, der gerade dabei war, Kopien der Rekonstruktionen für die Presse auszudrucken, schaute auf. «Was hast du?»

Sie verdrehte die Augen. «Ich werde noch verrückt wegen dem Kerl.» Dann blitzte ein Gedanke auf. «Heilpraktiker! So etwas gibt es doch in Deutschland.»

Cox nickte. «Den Beruf haben die Nazis erfunden. Es ging ihnen wohl darum, der ‹Durchjudung› der Ärzteschaft möglichst schnell etwas entgegenzusetzen, durch ‹arische› Heiler.»

«Und man hat den Beruf nach dem Dritten Reich nicht wieder abgeschafft? Unglaublich!»

«In Österreich schon, auch in der DDR. Nur bei uns nicht.»

Penny überlegte. «Sind Heilpraktiker auch in Kammern organisiert?»

«Keine Ahnung, aber ich weiß, dass sie beim Gesundheitsamt gemeldet sein müssen.»

In diesem Moment klingelte das Telefon, und gleichzeitig klopfte es.

Sie wechselten einen Blick, dann nahm Cox den Hörer ab, und Penny ging zur Tür.

Eine junge Frau stand dort. Sie hatte ein Album dabei und schaute ziemlich verunsichert drein. «Es ist wegen dem Artikel heute in der Zeitung … Ich habe da ein Foto gefunden.»

Penny lächelte sie aufmunternd an und nahm sie mit in van Appeldorns Büro.

«Setzen Sie sich doch.»

Die Frau mochte um die dreißig sein, sie hatte braunes Haar und ein nettes Fuchsgesicht.

«Ich habe das alles in der Zeitung verfolgt», sagte sie. «Mit den Toten, die Sie am Opschlag gefunden haben. Ich finde es so schrecklich, das mit dem ‹unwerten Leben›. Ich hatte das Wort noch nie gehört … Ich wusste überhaupt nichts davon.» Es war, als ob sie über sich selbst den Kopf schüttelte.

«Dazu sind Sie doch auch viel zu jung», meinte Penny beschwichtigend. «Wie ist denn Ihr Name?»

«Lena Stankowski», antwortete die Frau. «Ich bin Anwaltsgehilfin. Und natürlich haben wir in der Schule die Nazizeit durchgenommen. Aber in meinem Kopf war das alles ganz weit weg, in Berlin oder so, in Großstädten eben. Mir ist überhaupt nie in den Sinn gekommen, dass auch hier bei uns furchtbare Dinge passiert sind.»

Sie schob das Album über den Tisch, es war mit kariertem Leinen bezogen und roch muffig.

«Das hat mal meinem Großonkel gehört», erklärte sie. «Es lag bei meinen Eltern auf dem Speicher. Als ich den Artikel über die beiden Frauen gelesen habe, ist mir dieses Foto eingefallen.» Sie schlug das Album auf. «Mein Großonkel hat es mir mal gezeigt, da muss ich so zwölf oder dreizehn gewesen sein, und ich weiß noch, dass es mich irgendwie gegruselt hat.»

Penny betrachtete die erstaunlich scharfe Aufnahme: Zwei Frauen hatten sich Arm in Arm vor einem Treppengiebelhaus aufgebaut und flirteten mit der Kamera. Lis und Lisken, keine Frage. Marie Beauchamp hatte die Gesichter erstaunlich gut rekonstruiert.

Die ältere der beiden trug ein dunkles Kleid, unter dem klobige orthopädische Schnürstiefel hervorlugten, die jüngere einen engen Rock und einen noch engeren Pullover, der ihren Buckel gut sichtbar werden ließ. Der tiefe V-Ausschnitt jedoch lenkte den Blick des Betrachters auf eine attraktivere Körperregion. Beide Frauen trugen das lange Haar mit Kämmen nach hinten gesteckt, beide hatten dunklen Lippenstift aufgelegt und die Augenbrauen mit dickem Strich nachgezogen.

«Wissen Sie, wer die Frauen sind, wie sie hießen?»

«Nein, leider nicht. Mein Großonkel ist schon lange tot. Er war Fotograf, aber die Aufnahmen in diesem Album muss er schon als Junge gemacht haben. Sie können sie sich gerne anschauen. Er scheint einfach in der Stadt irgendwelche Leute fotografiert zu haben. Meine Eltern kennen die Menschen auch nicht. Aber ich dachte, ich sollte Ihnen das Foto trotzdem zeigen.»

«Definitiv», sagte Penny. «Wären Sie damit einverstanden, wenn wir das Foto an die Presse geben?»

«Ja, natürlich bin ich damit einverstanden. Vielleicht finden Sie durch das Bild doch noch jemanden, der weiß, wie Lis und Lisken wirklich hießen. Am besten, Sie behalten das ganze Album hier.»


Peter sah so zufrieden aus, dass Penny grinsen musste.

«Wer war denn am Telefon?»

«Ein Klever, der mittlerweile in Neuss lebt und Zeitung gelesen hat: Konrad Velten, einundfünfzig Jahre alt. Sein Vater, ebenfalls Konrad Velten, mittlerweile verstorben, hat dem Sohn in einer stillen Stunde von seinem ‹ersten Mal› erzählt.»

«Lisken!», rief Penny.

«Lisken», bestätigte Cox. «Elisabeth Velten nämlich. Und sie war seine Cousine.»

«Wessen?», fragte Penny verwirrt.

«Die Cousine des Vaters, also Konrad Velten senior. Deren Mutter, also unsere Lis, war nämlich die Schwester seines Vaters, also seine Tante. Und die, also Elisabeth I., war wohl das schwarze Schaf im Veltenclan. Hat nie geheiratet, dennoch eine Tochter geboren, nämlich Elisabeth II., also Lisken. Und mein Informant wusste, dass auch schon Lis in jüngeren Jahren in ihrer Freizeit dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen ist.»

«Das hatte ich mir schon gedacht.» Penny schlug das Album auf und legte es vor ihn hin. «Lis und Lisken.»

Cox wich unvermittelt zurück. «Gott, ist das schräg!»

Dann schaute er genauer hin. «Sie haben sich gern», stellte er fest.

«Das habe ich auch gedacht. Zusammen nehmen es die beiden mit jedem auf der Welt auf. Die sollen nur kommen!»

«Das sind sie dann ja wohl auch …»


Britta Vermeer sah zum Fürchten aus: dunkle Ränder um die Augen, die Wangen eingefallen, die trockenen Lippen aufgesprungen.

«Tut mir leid», entschuldigte sie sich. «Der Kleine will alle drei Stunden gestillt werden. Ich weiß schon gar nicht mehr, ob Tag oder Nacht ist, manchmal nicht einmal, welches Jahr wir schreiben, und wenn meine Mutter nicht hier wäre, hätte ich vermutlich vergessen, wie ich heiße.»

Van Appeldorn konnte sich noch gut an die ersten Wochen mit Paul erinnern, daran, wie schlecht es Ulli gegangen war, aber er wusste nicht, was er sagen sollte.

Britta saß im Schneidersitz auf dem Sofa, die Arme dicht vor dem Körper verschränkt, so als wäre ihr kalt. Sie schaute vor sich hin. «Es ist alles so unwirklich.» Ihre Stimme klang belegt. «Ich weiß, dass Gereon nie mehr wieder durch diese Tür da kommen wird. Ich weiß, dass er tot ist. Aber richtig begreifen kann ich es nicht.» Sie blickte auf ihre Uhr. «Wir müssen uns ein bisschen beeilen. In spätestens einer Dreiviertelstunde hat Jasper wieder Hunger, und ich würde vorher gern noch duschen. Worum geht es denn?»

Schnittges raffte sich auf. «Ist eine holländische Firma an Sie und Gereon herangetreten, die hier einen Agropark anlegen will?»

«Ja, klar», antwortete Britta. «An alle Bauern in der Gegend. Kamen mit dem üblichen vollmundigen Versprechen: Wir würden alle Teil einer Genossenschaft, wovon besonders die kleinen Bauern profitieren würden. Mit dem Wort ‹Genossenschaft› kannst du die älteren Landwirte immer ködern. Die denken sofort an Raiffeisen, also muss das wohl was Gutes sein. Intensivlandwirtschaft, Unterglasanbau, Direktsaat, das ist alles nichts Neues. In Amerika und Asien gibt es das schon lange – auch in Holland. Aber dort sind die Bauern und die Umweltverbände jetzt endlich aufgewacht und wollen den ganzen Mist nicht mehr.»

«Auch wenn das jetzt blöd klingt», begann van Appeldorn, «aber ich verstehe überhaupt nichts von Landwirtschaft. Wieso ist diese Art von Anbau Mist?»

«Das kann man in Holland sehen. In großen Teilen der Niederlande gibt es überhaupt keinen Naturboden mehr, nur noch künstlich hergestellten Mulch. Gemüse wird meist auf Nährlösungen gezogen. Die Universität Wageningen hat eine große Untersuchung durchgeführt und herausgefunden, dass holländisches Gemüse so gut wie keine Nährstoffe mehr enthält. Und sie hat auch festgestellt, dass der landwirtschaftlich genutzte Boden so überdüngt ist, dass er eigentlich auf eine Sondermülldeponie gehört. Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, werden die Holländer endlich wach, und die Agrarkonzerne kriegen bei denen kein Bein mehr auf den Boden.» Sie guckte richtig böse. «Und da klopfen die natürlich jetzt bei uns an, wir liegen ja quasi direkt vor deren Tür.»

«Wenn die Geschichte zu solch schlimmen Ergebnissen führt, wieso macht dann die Wirtschaftsförderung so dick Werbung dafür?», fragte Bernie. «Das verstehe ich nicht.»

«Ach, die!» Britta machte eine wegwerfende Handbewegung. «Die wissen doch überhaupt nicht, was da abgeht. Die hören nur die magischen Wörter ‹Arbeitsplätze› und ‹Profit›. Damit kannst du doch jeden ködern. Was da weltweit wirklich läuft, durchschauen die nicht oder wollen es nicht wissen. Ich bringe es mal auf einen ganz simplen Punkt: Warum sollen wir hier in Bedburg-Hau Tomaten anbauen für Menschen in Afrika? Die sollen ihr Gemüse selbst anbauen. Das können die nämlich.»

Van Appeldorn musste an Ackermann und das Milchpulver denken.

«Uns kommen sie immer mit dem Welthunger!» Britta hatte sich heißgeredet. «Dabei wäre alles so einfach. Man müsste nur überall auf der Welt die regionalen Produkte fördern, dann käme man in den meisten Gegenden schon ziemlich gut zurecht. Aber stattdessen macht man sich abhängig von einer Handvoll verbrecherischer Konzerne und kräht fröhlich: Globalisierung!»

Das Babyphon schaltete sich ein, und man hörte ein leises Knötern.

Schnittges schaute sich nervös um, aber Britta winkte ab. «Das dauert noch ein bisschen, meine Mutter wird ihn sicher erst wickeln. Dass die Wirtschaftsförderung auf den Zug aufspringt», fuhr sie dann fort, «kann ich ja noch irgendwie verstehen, aber dass jetzt auch die NABU und der BUND dieses Agropark-Projekt unterstützen, kapiere ich ums Verrecken nicht.»

Bernie erzählte ihr Hetzels Geschichte, und sie musste ein wenig lächeln.

«Volker ist ein netter Kerl, vielleicht ein wenig zu gutmütig. Bei uns sind die Herren mit den Hüten auch aufgetaucht, als wir abgelehnt hatten. Aber nur einmal! Gereon hat ihnen sofort mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch gedroht und unseren Anwalt angerufen. Danach war Ruhe.»