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«Ach, ist es mal wieder so weit, Chief?», fragte Safferstein, während er lächelnd nach seinem Scheckbuch griff.
Lanigan sah ihn verständnislos an. Dann fiel ihm ein, wann er das letzte Mal bei Safferstein gewesen war. «Ach so, Sie meinen den Polizistenball? Nein, nein, die Karten dafür verkaufen wir erst in einigen Wochen. Nein, diesmal geht es um eine persönliche Angelegenheit.»
«Darf ich raten? Ihre Frau hat keine Lust mehr, so ein großes Haus zu versorgen, wo Sie doch jetzt nur noch zu zweit sind, sie möchte das Haus verkaufen und in eine moderne Wohnung umziehen.»
«Schon wieder falsch», entgegnete Lanigan grinsend. «Sie möchte ein Geschäft aufmachen, einen Laden für Glückwunschkarten und Geschenkartikel. Ich kann nicht sagen, dass ich verrückt vor Freude darüber bin, aber …»
«Nun, warum nicht? Dann hat sie was zu tun, und sie kann durchaus ein recht hübsches Einkommen herausschlagen.»
«Tja, allerdings. Ein kleiner Nebenverdienst ist heutzutage …»
«Gewiss, und ich habe genau den richtigen Laden für sie oder werde ihn wenigstens in zwei Monaten haben. In Lynn, in der Market Street. Was ist denn los?», fragte er, als Lanigan den Kopf schüttelte.
«Sie hat sich schon ein Objekt ausgesucht», antwortete Lanigan. «Sie interessiert sich für den leer stehenden Laden im Goralsky-Block. Wie ich hörte, haben Sie ihn von der Synagoge gekauft.»
«Warum ausgerechnet dort, Chief? Die Lage ist doch gar nicht so gut.»
«Der Laden liegt in der Salem Road, und da gibt’s eine Menge Verkehr.»
«Ja, aber die Leute, die nach Boston fahren oder in die entgegengesetzte Richtung, nach Norden, machen gewöhnlich nicht hier Halt, um eine Glückwunschkarte oder ein Geschenk zu kaufen. Für so ein Geschäft braucht man regen Anliegerverkehr», erklärte Safferstein.
«Tja, also Amy meint, es würden eine Menge Leute hinkommen, weil nebenan der Drugstore ist. Der existiert schon über ein halbes Jahrhundert und war immer in denselben Händen. Er ist so eine Art Institution. Sogar Leute aus meinem Stadtviertel gehen dort einkaufen. Sie kaufen doch selber auch im Town-Line Drugstore, nicht war?»
Safferstein schüttelte den Kopf. «Nein, eigentlich nie. Ich war nur einmal neulich abends da, als der Sturm kam, wissen Sie, weil ich annahm, dass alle anderen Geschäfte geschlossen hatten. Normalerweise aber kaufe ich nicht da ein. Übrigens, ich wollte mich noch bei Ihnen dafür bedanken, dass Ihr Beamter aus dem Streifenwagen so hilfsbereit war. Sie wissen doch sicher, was passiert ist, nicht wahr?»
«O ja, gewiss. Der Sergeant hat alles gemeldet.»
«Ich wollte schon einen Brief schreiben und der Polizei ein Kompliment machen. Würde das Ihnen und Ihren Leuten nützen?»
Der Chief grinste. «Schaden könnte es sicher nicht, einen derartigen Brief bei den Akten zu haben, vor allem, wenn die Stadtversammlung zusammentritt, um über unser Budget zu beraten. Aber wissen Sie, ich habe eigentlich nie so recht begriffen, wieso Sie in den Besitz der Pillen kamen.»
«Ich war zufällig dort und unterhielt mich mit Aptaker, als der Arzt das Rezept durchtelefonierte. Der andere Apotheker war am Telefon und fragte Aptaker, ob sie das Medikament ausliefern könnten. Aptaker sagte nein, aber ich hatte den Namen und die Adresse gehört – man konnte ihn überall im Laden hören –, und da es sich offenbar um einen Notfall handelte, erbot ich mich, die Pillen abzugeben.»
«Kannten Sie den alten Kestler?»
«Nie kennen gelernt, aber es lag an meinem Heimweg. Warum sollte ich da nicht aushelfen?»
«Haben Sie gehört, was ihm zugestoßen ist?»
Safferstein nickte. «Ja, ich war drüben bei Chet Kaplan. Ich wollte warten, bis das Unwetter nachließ, und dann erst heimfahren. Der Arzt rief Al Muntz an, während ich dort war, und der berichtete es uns. Schlimm!»
«Ja, so was kommt immer wieder vor», erklärte Lanigan philosophisch.
«Also, wegen des leer stehenden Ladens. Ich glaube kaum, dass ich Ihnen den vermieten kann.»
«Warum denn nicht?», fragte der Polizeichef.
«Weil ich andere Pläne damit habe.»
Lanigan hatte zwar schon die Information, die er brauchte, aber er fand, er müsse sein ursprüngliches Anliegen doch noch ein wenig weiterverfolgen, damit Safferstein nicht bei längerem Nachdenken darauf kam, dass er eigentlich nur an Aptaker interessiert war. Darum sagte er jetzt steif: «Wenn Sie sich Sorgen machen, ob meine Frau die Miete zahlen kann …»
Und Safferstein, der wusste, wie wichtig es für seine Geschäftsinteressen war, mit den städtischen Beamten auf freundschaftlichem Fuß zu stehen, hob protestierend beide Hände. «O nein, Chief, das ist es nicht. Glauben Sie mir!»
Lanigan stieß sofort nach. «Haben Sie vielleicht einen anderen Mieter?»
Jetzt konnte er natürlich lügen und behaupten, er habe den Laden tatsächlich bereits vermietet, doch wenn sich dann herausstellte, dass das nicht stimmte, glaubte Lanigan vielleicht, dass er ihm etwas verschwiegen habe. Und warum sollte er es ihm auch nicht anvertrauen? Alles war unter Dach und Fach, und in ein paar Tagen würden es ohnehin alle wissen. Er lachte kurz auf. «Hören Sie, Chief – können Sie schweigen?»
«Selbstverständlich.»
«Ich meine, auch Ihrer Frau gegenüber?»
Lanigan lachte. «Das fällt mir zwar ein bisschen schwerer, aber ich übe mich schließlich ständig darin. Ich erzähle ihr nie etwas über die Dinge, die mir beruflich zu Ohren kommen, es sei denn, es handelt sich um Informationen, die bereits veröffentlicht sind.»
«Nun», sagte Safferstein vertraulich, «ich kann Ihnen den Laden nicht vermieten, weil ich das Haus abreißen will. Ich besitzen schon sämtliche Grundstücke jener Gegend oder habe Optionen auf sie. Der Goralsky-Block war das letzte Objekt. Ich möchte da nämlich das größte Einkaufszentrum von ganz New England bauen, direkt an der Salem Road.»
«Ich verstehe.» Der Chief lächelte. «Wissen Sie, ein anderer Grund, warum meine Frau unbedingt den Laden haben wollte, war der, dass sie sich sagte, sobald Sie den Block übernähmen, würden Sie ihn genauso schön modernisieren wie die anderen Objekte, die Sie besitzen.»
Safferstein grinste vor Genugtuung. «Nichts weiter als Glück, Chief. Ich habe eben Glück gehabt.»
«Ziemlich beständiges Glück aber», entgegnete Lanigan. «Und deshalb war es vielleicht doch nicht nur Glück.»