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Am Freitagmittag rief Chester Kaplan bei Safferstein an. «Der Mann, der Ihren Mantel mitgenommen hat, Billy, hat ihn mir eben zurückgebracht. Ein Bursche namens Cy Pelow. Ich habe mir erlaubt, die Taschen zu durchsuchen und habe den Umschlag mit dem Pillenfläschchen gefunden. Sie werden sich freuen, Billy: Auf dem Umschlag stand Ihr Name, und das Flaschenetikett trug ebenfalls Ihren Namen, oder vielmehr den Ihrer Frau. Sie haben sich also umsonst Sorgen gemacht.»

«Vielen Dank, Chet, das ist wirklich eine gute Nachricht. An und für sich hatte ich mir ja schon gedacht, dass ich dem Polizisten den richtigen Umschlag gegeben habe, denn wenn der falsche Name draufgestanden hätte, dann hätte er das bestimmt bemerkt. Außerdem bin ich gestern Vormittag in den Drugstore gegangen, um für Mona eine Nachfüllung zu besorgen. Dabei sah ich, dass der Name des Patienten auch auf die Flasche geschrieben wird, daher vermutete ich, selbst wenn die Kestlers sich den Umschlag nicht angesehen hätten, müssten sie es bestimmt gemerkt haben, wenn der falsche Name auf der Flasche gestanden hätte. Ich war meiner Sache ziemlich sicher, aber ein bisschen unruhig war ich doch immer noch. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mich angerufen haben. Es ist eine große Erleichterung zu wissen, dass ich absolut nichts mit Kestlers Tod zu tun gehabt habe.»

«Selbstverständlich», gab Kaplan zurück. «Ich bin froh, dass ich zufällig zu Hause war, als der Mantel abgeliefert wurde. Edie hätte bestimmt nicht daran gedacht, in den Taschen nachzusehen. Und ich war eigentlich nur zu Hause, weil wir aufs Land zu der Klausur fahren wollen. Wie wär’s, haben Sie nicht Lust mitzukommen? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie genau in der richtigen Stimmung dafür sind.»

«Tja, ich weiß nicht, Chet. Jetzt, wo Mona krank ist, glaube ich, lieber nicht.»

«Das kann ich verstehen. Richten Sie ihr Grüße aus.»

«Mache ich gern. Übrigens, ich hatte neulich abends gar keine Gelegenheit, Sie zu fragen. Wie sieht’s denn aus mit dieser Klausurangelegenheit?»

«Großartig, Billy, großartig. Wir haben die überwiegende Mehrheit. Zwar sind nicht alle unbedingt daran interessiert, dass die Synagoge eine Klausur erwirbt, wissen Sie, obwohl das heute große Mode ist. Aber selbst diejenigen, denen das nicht ganz passt, sind am Erwerb eines Grundstücks interessiert, auf dem sie am Wochenende Camping machen und wo ihre Kinder in den großen Ferien an einem Sommerlager teilnehmen können. Die Opposition besteht, soweit ich das bis jetzt feststellen kann, im Grunde nur noch aus dem Rabbi.»

«Warum ist der Rabbi dagegen?»

«Na ja, wissen Sie – er ist ein konservativer Typ. Wer weiß, vielleicht ist er auch ein bisschen eifersüchtig auf Rabbi Mezzik.»

«Ja, aber wenn Rabbi Small bei der Vorstandssitzung anfängt, darüber zu diskutieren …»

«Ich glaube kaum, dass er an der Sitzung teilnehmen wird.»

«Warum denn nicht?»

«Weil am Sonntag in der Schule Elternsprechtag ist und er den ganzen Vormittag mit den Eltern beschäftigt sein wird. Also, ich habe inzwischen vor, unsere Sitzung draußen im Camp abzuhalten. Wissen Sie, alles klarzumachen. Und wenn wir am Sonntagmorgen dann unsere reguläre Sitzung haben, brauchen wir die Angelegenheit bloß noch zur Abstimmung vorzulegen, weil wir die Diskussion ja bereits hinter uns haben. Anschließend vertagen wir uns.»

«Donnerwetter, das ist ein geschickter Schachzug, Chester! Das muss Ihnen der Neid lassen.»

 

Der Freitag begann ziemlich schlimm für Dr. Cohen. Der Vormittag brachte ihm nicht nur Kestlers Anruf, sondern außerdem das peinliche Bewusstsein, dass Polizeichef Lanigan das Gespräch mit anhörte. Der Tag wurde auch nicht gerade besser dadurch, dass sich sein nächster Patient verspätete und somit den ganzen Terminplan über den Haufen warf. Infolgedessen hatte er noch um zwölf Uhr mittags mit seinem letzten Patienten zu tun, und die Kollegen mussten ohne ihn zum Lunch gehen.

Er selbst aß in einer Imbissstube auf einem Hocker mit dem Gesicht zur Wand. Kaum war er in seine Praxis zurückgekehrt, als man aus dem Krankenhaus anrief, um ihn zu benachrichten, ein Patient mit Herzinfarkt habe einen Rückfall erlitten, er möge sofort herüberkommen. Er nahm sich gerade noch die Zeit, das Mädchen in der Telefonzentrale zu bitten, sie möge seine nachmittags bestellten Patienten anrufen und die Termine auf nächste Woche verschieben. Ganz zuletzt ergänzte er noch: «Und, Madeleine, rufen Sie bitte noch meine Frau an, und sagen Sie ihr, dass ich heute nicht nach Hause komme.»

Um halb drei erst war Dr. Cohen dann im Krankenhaus fertig. Er fuhr geradewegs zu den Kaplans. Als er dort eintraf, musste er jedoch feststellen, dass weder in der Einfahrt noch vor dem Haus Wagen standen. Er kam zu spät. Das schien ihm ein durchaus adäquater Abschluss dieses Tages zu sein. Dennoch stieg er die Stufen hinauf und klingelte. Mrs. Kaplan öffnete. «Ach, Dr. Cohen, nicht wahr?»

«Ganz recht. Vermutlich sind sie alle schon abgefahren.»

«Ja, vor ungefähr einer Viertelstunde. Wissen Sie, wie man fahren muss?»

Er schüttelte den Kopf.

«Augenblick mal. Chet hat ein paar Straßenkarten vervielfältigen lassen.» Sie verschwand, kam aber wenige Minuten darauf wieder. «Damit werden Sie sich bestimmt leicht zurechtfinden. Es ist wirklich nicht weiter schwierig. Vielleicht holen Sie sie sogar ein. Sie machen manchmal eine Kaffeepause.»