29

Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte Juliette sich nicht bewegen können. Wärme und Wohlbehagen umfingen ihren Körper wie ein Kokon, lähmten und beruhigten sie gleichermaßen. Dass der Schuss losgegangen war, wusste sie. Aber sie hatte keine Schmerzen empfunden, nur eine wohltuende innere Ruhe, als wäre sie von Morphium high gewesen.

Samael, dachte sie jetzt, während sie dem Gespräch der beiden Männer lauschte, die zu beiden Seiten ihrer reglosen Gestalt standen.

So schnell war es geschehen. Daniel hatte sie in das zweite Auto gesetzt und erklärt, er würde ihr Blut brauchen. Und dann war eine Stimme in ihrem Kopf erklungen, die sie überall erkannt hätte. Juliette. Tief und kraftvoll und von jener berückenden Sinnlichkeit, die jeder Frau den Atem nahm. Sam war die personifizierte männliche Potenz. Sobald er in ihr Gehirn eingedrungen war, hatte sie seine Nähe überdeutlich wahrgenommen.

Leise hatte er gelacht, und der betörende Laut hatte in ihrer Seele widergehallt. Sie hatte die Augen geschlossen. Als sie wieder aufgeblickt hatte, hatte Sam vor dem Wagen auf der Straße gestanden.

Daniel hatte das Lenkrad zur Seite gerissen, um ihm auszuweichen. Dann hatte sich alles ringsum in ein Chaos verwandelt. Trotzdem hatte sie sich nicht gefürchtet, denn seit Sam telepathisch ihren Namen ausgesprochen hatte, war sie von dieser inneren Ruhe erfüllt. Daniel hatte sie auf der Fahrerseite aus dem Auto gezerrt, und sie hatte genug Willenskraft für den Versuch aufgebracht, sich loszureißen, wenn auch nur halbherzig. Denn sie hatte gewusst, dass es keinen Sinn haben würde. Außerdem war es ihr egal gewesen, weil Sams anthrazitfarbene Augen auf sie wie eine Droge gewirkt hatten.

Zwischen ihren Rippen hatte sie die Mündung von Daniels Waffe gespürt, einen bohrenden Schmerz. Gelassen hatte sie sich das Geschoss in der Kammer vorgestellt und sich gefragt, wie es sich in ihrer Brust anfühlen würde. Vielleicht war dies die einzige Methode, die ihren endgültigen Tod bewirken würde? In keinem ihrer zahlreichen Leben war Juliette erschossen worden.

Wenig später hatte sie eine Antwort erhalten, die sie nicht erwartet hatte. Der Schuss hatte sich aus der Waffe gelöst. Ihr tat nichts weh, doch sie verlor die Kontrolle über ihren Körper. Mit geschlossenen Augen war sie zusammengebrochen und hatte etwas Nasses gespürt, das ihre Kleider und den Boden unter ihr tränkte. Sam hatte sie in seiner Gewalt. Eindeutig. Aber seltsamerweise hatte ihr die Existenz eines Wesens, das sie so ganz und gar beherrschte, keine Angst eingejagt.

Alles wird gut, hatte er ihr versprochen.

Offenbar war anschließend ein Deal ausgehandelt worden. Die beiden Männer hatten sich entfernt, ein kurzes Schweigen war entstanden. Irgendwo in der Nähe hatte es geblitzt. Sie hatte sich die Ohren zuhalten wollen, weil es donnern würde. Doch sie hatte sich nicht rühren können. Krachend hatte der Donner den Asphalt und ihren Körper erschüttert.

Mit gesenkten Lidern wartete sie nun, bis sie Schritte hörte. Sie öffnete die Augen und sah Samael an ihrer Seite knien. Blinzelnd verlor sie sich in seinem stürmischen Blick. Wie schön er ist!

»Wie fühlen Sie sich?« Mit sanften Fingern strich er ihr das Haar aus dem Gesicht.

»Gut.« Alles schien so unwirklich. Als sie die Stirn runzelte, lachte er, reichte ihr eine Hand und half ihr, sich aufzusetzen. Sie schaute an sich herab und nahm an, sie würde Blut sehen. Doch ihre Kleider waren nur ein bisschen nass vom Regen. Kein Blut. Keine Einschussstelle. Weder in den Stoffen noch in ihrem Körper. Sie tastete ihre Brust ab, suchte vergeblich nach der Wunde. Zitternd atmete sie auf und wich Sams Hand nicht aus, die ihre Wange berührte.

»Hat er Ihnen wehgetan?«

Als er den Adarianer erwähnte, sah sie sich um. Anscheinend war sie mit Sam allein auf der Straße. Sie entdeckte nur zwei Autos, in einigem Abstand voneinander. Keine Spur von Daniel. Sie erinnerte sich an sein Verhalten. Er hatte das Heim angezündet. Hilflose Kinder waren in den Flammen gefangen gewesen. Aber ihr hatte er nichts zuleide getan, sondern sie stattdessen mit Traubenzucker gestärkt. Plötzlich bezweifelte sie sogar, dass er auf sie geschossen hatte. »Nein«, antwortete sie.

»Dann werde ich ihm erlauben, am Leben zu bleiben.« In Sams Augen schimmerten ernsthafte Gefühle. Er reichte ihr wieder seine Hand, stand auf und zog sie mit sich hoch. Mühelos kam sie auf die Beine, ihre Schwäche war verflogen. Samael hatte ihr Kraft gegeben. Auf welche Weise, wusste sie nicht. Was in den letzten zehn Minuten ihres Lebens geschehen war, konnte sie nicht einmal erahnen.

Groß und stark, von der Aura seiner Macht umgeben, stand Sam vor ihr. Sie roch einen Hauch seines Eau de Cologne, das die Wirkung seiner Nähe noch steigerte und seltsame Emotionen in ihr weckte. Irgendwie vertrieb er andere Gedanken aus ihrem Gehirn, ihre Sorge, ihre Angst.

Was genau wollte er von ihr? »Warum sind Sie hier?«, hörte sie sich unsicher fragen.

»Eine sehr gute Frage«, flüsterte er und streichelte ihre Wange. »Und eine wichtige. Falls Sie meinen, warum ich mich jetzt auf dieser Straße befinde – sagen wir einfach, ich hatte mich schon seit einiger Zeit für die Fähigkeiten eines gewissen Adarianers interessiert.«

Hinter Daniel war er her gewesen? All der Aufwand nur, damit er Daniel in die Finger bekam? Wieso gab er sich so viel Mühe, um einen Adarianer in seine Gewalt zu bringen, der sich unsichtbar machen konnte? Samael erschien ihr viel mächtiger. Und darin lag der Grund ihrer Verblüffung. Er verwirrte sie in zu vielen Punkten.

»Warum sind Sie hier!« Sie wies auf die Umgebung.

»Wie gesagt, eine gute Frage.« Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. »Leider kann ich sie nicht beantworten.«

Sie erinnerte sich an Liliths Worte. Konnte er nicht? Oder wollte er nicht?

»Nur eins möchte ich betonen«, fügte er hinzu, »die Welt ist gefährlich. Besonders für Sternenengel.« Er neigte sich vor, umfasste ihre Schultern, drückte einen zarten Kuss auf ihre Stirn. Dann näherte er seine Lippen ihrem Ohr. Von Schwindelgefühlen fast überwältigt, schloss sie die Augen. »Halten Sie Ihre fünf Sinne beisammen, Juliette. Beherzigen Sie die Lektionen der Geschichte.«

Nun wich er ein wenig zurück, und sie öffnete die Augen.

»Juliette!«

Der Ruf eines Mannes ließ sie in Sams sanftem Griff zusammenzucken. Als sie ihm den Rücken kehrte, sah sie, wie Gabriel, Michael und Uriel mit übernatürlicher Geschwindigkeit einen Hang herabstürmten.

Zuerst traf Gabriel bei ihr ein. Ehe sie reagieren konnte, riss er sie an seine heiße Brust. »O Gott, Juliette.« Abrupt verstummte er und hielt sie einfach nur fest. Dann fragte er: »Was um alles in der Welt machst du hier draußen?« Er schob sie auf Armeslänge von sich und musterte sie von Kopf bis Fuß.

Statt zu antworten, blinzelte sie. Wie sollte sie ihre Erlebnisse in Worte fassen? Verstört schaute sie über ihre Schulter zu Sam. Aber sie sah ihn nicht. Sie war allein mit den zwei Autos und den drei Erzengeln.

Aufmerksam suchten Michael und Uriel mit ihren Blicken die Gegend ab. »Wann seid ihr beide hier angekommen?«, fragte sie, um sich abzulenken.

»Soeben«, entgegnete Michael, ohne sie mit seinen saphirblauen Augen anzusehen. »Dein Freund hatte ein gewaltiges Durcheinander in unserem Haus angerichtet.« Inzwischen hatten sich alle Brüder mit ihr angefreundet und duzten sie. »Deshalb sind wir sofort zu ihm geeilt und dann mehr oder weniger der Straße gefolgt.«

Das erklärt, wie sie mich gefunden haben, dachte sie. Wahrscheinlich hatten sie gewusst, dass Daniel ein Auto benutzen würde, und das zweite dank ihres ungewöhnlichen Tempos bald eingeholt. Aber … das Durcheinander im Herrenhaus?

Fragend schaute sie Gabriel an. »Eine lange Story, Liebes.« Lässig winkte er ab. »Wie großartig du warst. Du hast den Brand gelöscht.«

Errötend nickte sie.

»Und Tristan gerettet.«

Wieder nickte sie und senkte den Kopf. Sein Lob stimmte sie unbehaglich. Da berührte er ihre Wange, so ähnlich wie zuvor Sam. Aber wenn Gabriel es tat, entfachte er tiefere Gefühle in ihr.

Behutsam zwang er sie, seinen Blick zu erwidern, hielt sie im Silber seiner Seele gefangen, und sie glaubte, ganz Schottland würde sie umarmen. »Wie hast du das bloß geschafft?«, flüsterte er fast atemlos vor Bewunderung.

»K … keine Ahnung«, stotterte sie verlegen. »Wie geht’s Beth?«, wechselte sie das Thema. So schrecklich hatte Tristan sich um seine Schwester gesorgt. Und ich genauso.

»Es geht ihr gut«, antwortete Gabriel und strich zärtlich mit seinem Daumen über ihre Wange, wie er es am liebsten tat. »Dank dir.« Sein sanfter Kuss verscheuchte alle Spuren der Kälte, die ihren Körper erfüllt hatte, und ihr wurde ein bisschen schwindlig. »Die Leute haben mir erzählt, du seist entführt worden«, flüsterte er an ihren Lippen. »Von dem Mann, der den Vikar erschossen hat.«

»O Gott.« Sie rückte ein wenig von ihm ab. »Ist der alte Mann …«

»Leider hat er’s nicht überlebt, Liebes.«

Von schmerzlicher Trauer erfasst, stöhnte sie leise. »Dieser Adarianer namens Daniel hat mich hierhergebracht. Gerade hatte er die Autos gewechselt, da kam Sam und …«

»Sam?« Plötzlich hörten Uriel und Michael auf, das Terrain zu sondieren, und starrten Juliette an.

»Ja, er …« Ehe sie weitersprechen konnte, wurde sie zusammen mit Gabriel von einem gewaltigen Windstoß gegen das größere Auto geschmettert. Sofort fand der Erzengel sein Gleichgewicht wieder, schob sie hinter seinen Rücken und schirmte sie gegen die Quelle des Sturms ab: eine Schar Adarianer, die auf einem der Hügel auftauchte.

Fluchend postierte Uriel sich neben Gabriel, und Michael trat an Gabes andere Seite. Juliette erkannte drei der Adarianer – den Farbigen, den Dunkelhaarigen und den blauäugigen Blonden, ihre Gegner im Kampf bei Callanish.

Jetzt hatten sich vier andere hinzugesellt, alle so groß und stark wie ihre Gefährten. Juliette wurde flau im Magen.

»Wo ist er?«, flüsterte Uriel.

»Wo ist wer?«, fragte sie.

»Abraxos«, erklärte Michael, ohne die Feinde aus den Augen zu lassen. »Er ist nicht dabei.«

»Irgendwo in der Nähe muss er sein«, meinte Gabriel. »Ich spüre ihn. Verdammt deutlich.«

Juliette musterte die hochgewachsenen Gestalten und erinnerte sich an die Szene aus dem Horrorfilm The Lost Boys, in der David und seine Jungs von einem Hügel auf Michael herabstarrten. Soeben hatten sie ein unschuldiges Opfer ausgesaugt. Wird uns das auch passieren?

Was hatte Daniel gesagt? ›Ich brauche Ihr Blut.

»Steig ins Auto, Juliette«, befahl Gabriel.

Sie wollte protestieren. Doch dann fühlte sie, wie sich das Blech hinter ihr verbog, und verstand, was er tat: Er öffnete ein Portal.

Plötzlich schrie er auf, die Erde bebte, die Temperatur sank um zwanzig Grad, ein Blitz traf Michael. Ein monströser Missklang zerriss die Atmosphäre und verschluckte alle anderen Geräusche. Unter Juliettes Füßen bäumte sich der Asphalt auf und warf sie nach vorn auf die Knie, während das Portal hinter ihr wirbelnd zufiel und ihr den einzigen Fluchtweg nahm. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah Gabriel, in einem Kraftfeld gefangen. Wie eine gigantische Faust hob es ihn hoch und schleuderte ihn in die Luft. Kreischend sprang sie auf und wollte zu ihm laufen.

Aber Uriel hielt sie fest. »Steig ins Auto«, fuhr er sie an. Ein vernünftiger Rat, das sah sie ein, obwohl das Portal nicht mehr existierte. Im Wagen war sie am sichersten aufgehoben, und sobald es einem der drei Brüder gelang, ein neues Portal zu öffnen, würde sie hindurchschlüpfen.

Aber bevor sie gehorchen konnte, versank die Welt in Finsternis. Erschrocken schrie Juliette auf, als Uriel von ihr weggezerrt wurde. War sie erblindet? Verzweifelt bemüht, nicht in Panik zu geraten, rieb sie sich die Augen und versuchte ihre Umgebung zu ertasten. Doch sie spürte nur das Auto. In der arktischen Kälte begannen ihre Finger zu erfrieren. Instinktiv ließ sie sich neben dem Wagen nieder und schob ihre Hände in die Jackentaschen. Wenigstens ein bisschen Wärme. Schluchzend fühlte sie, wie ihre Tränen auf den Wangen vereisten.

Und dann streiften ihre Finger etwas Glattes, Hartes. Das Armband! Gabriels Geschenk. Seither hatte sie ihre Kleidung mehrmals gewechselt, aber das Schmuckstück stets bei sich getragen.

Um sie herum lärmte es, immer heftiger bebte die Erde. Bei jedem Atemzug brannten Juliettes Lungen in der unnatürlichen Kälte. Als sie den Mund öffnete, schmerzten ihre Zähne, die Nasenlöcher waren fast zugefroren. In ihrer Nähe ertönte eine Explosion, ein Knacken erklang, als würde eine Eissäule einstürzen.

Beherzigen Sie die Lektionen der Geschichte.‹ In ihrem Gehirn hallten Sams Worte wider, vernehmlich im Wirbel ihrer Gedanken, der schrillen Dissonanz der einstürzenden Welt. Welche Lektionen? Was habe ich in meinen vielen Leben gelernt, was mich für einen Kampf gegen die Adarianer wappnen könnte?

Ihr Herz pochte im Schnellfeuertempo, nacktes Entsetzen erfasste sie so eisig wie der Frost ringsum. Intuitiv schlug sie die Hände vors Gesicht, um es zu schützen, als in ihrer Nähe ein Blitz zuckte, und sie versank in noch schwärzerem Nichts.

Bald werde ich sterben, dachte sie hysterisch, Gabriel nie wieder küssen, niemals mit ihm nach Schottland ziehen, keine Dissertation über dieses Land schreiben. Das einzige Material, das ich hier gelesen habe, war diese blöde Seite in dem Buch, das Law mir in den Schrank gelegt hatte.

Plötzlich lichtete sich das magische Dunkel. Juliette wurde in grelle Farben getaucht, die zu der Kakofonie passten, und ließ die Hände sinken, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der blauäugige blonde Adarianer im Torfmoor am Hang eines Hügels landete und eine Fontäne aus Torfklumpen in die Luft schoss. Uriel hatte ihn dorthin geschleudert. Uriel, der jetzt in den Himmel emporschwebte, von gigantischen schwarzen Flügeln getragen.

Verblüfft schnappte Juliette nach Luft, die erneut eisig in ihren Lungen brannte. Sie hustete qualvoll, dann schlang sie die Arme um ihren Leib und sah sich rasch um.

Gabriel und der große schwarzhäutige Adarianer kämpften miteinander. Beide bluteten aus diversen Wunden, sodass es Juliette fast das Herz zerriss. Drüben im Torfmoor landete Uriel jetzt am Boden. An seinem Rücken falteten sich die großen schwarzen Schwingen zusammen und verschwanden, bevor er und der Blondschopf aufeinander zustürmten und einander an der Kehle packten.

Juliette riss den Blick von ihnen los und entdeckte Michael, der zwei Adarianer gleichzeitig bekämpfte. An manchen Stellen war seine Kleidung versengt. Offenbar hatte er sich nach dem Blitzschlag selbst geheilt. Nachdem er einen der Feinde mit einem Fausthieb erledigt hatte, stürzte sich sofort noch einer auf ihn und stellte seine immense Kraft auf die Probe.

Juliette war beeindruckt. Michael war wahrhaftig immer noch ein Krieger. Doch der Frost forderte seinen Tribut, sie verlor das letzte Gefühl in ihren Fingern und Zehen. Als sie sich von Michael abwandte, sah sie den dunkelhaarigen Adarianer etwa zwanzig Meter von ihr entfernt stehen. Durchdringend starrte er sie an, seine schwarzen Augen glitzerten in diesem unnatürlichen Winter mit beängstigender Intensität. Das musste der Mann sein, der die Temperatur kontrollierte. Er erschwerte ihr das Denken, die Bewegungen und den Erzengeln wahrscheinlich den Kampf.

Ein Blitz soll ihn treffen!, dachte sie. Aber sogar ihr Gehirn schien jetzt zu stottern, vor Kälte fast betäubt. Sie schaute nach oben in die Schwärze, versuchte sich auf unsichtbare Wolken zu konzentrieren. Da schnellte der Boden unter ihr empor und warf sie gegen das Auto. Der harte Aufprall presste alle Luft aus ihren Lungen, in ihrem Blickfeld tanzten Sterne.

Warum bringt er mich nicht einfach um? Stöhnend krümmte sie sich zusammen und zog ihre Knie an die Brust. Der dunkelhaarige Adarianer war mächtig genug, um sie an jeder Gegenwehr zu hindern, beeinflusste die Luft, die sie einatmete, den Boden unter ihrem Körper. Worauf wartete er?

Sie ignorierte den Schmerz des Aufpralls und sah zu ihm auf. Noch immer beobachtete er sie, sichtlich fasziniert. Irgendwie gewann sie den Eindruck, er wäre in ihr Inneres gelangt, würde ihren Gedanken lauschen, ihre Furcht schüren.

Für einen kurzen Moment hoffte sie voller Zorn, er könnte ihre Gedanken tatsächlich lesen. Du kannst mich mal!

»Das wird er, meine Kleine, wenn er an der Reihe ist.«

Verwirrt fuhr sie herum und begegnete einem eisblauen Augenpaar. Ein schwarzhaariger Mann stand reglos in der Kälte, dicht neben ihr. Ungewöhnlich schön, wie er war, erinnerte er sie sofort an einen der vier Erzengel. Mit einem gewinnenden Lächeln entblößte er zwei lange, spitze Reißzähne.

Aus Juliettes Kehle drang ein gellender Schreckensschrei, als der Boden unter ihr wegsackte. Drei Meter. Sechs Meter. Plötzlich entfloh sie den Fesseln der Schwerkraft, denn der schwarzhaarige, blauäugige Vampir umfing sie und flog mit ihr in den Himmel hinauf.