26
Am späten Donnerstagabend öffnete Gabriel im Herrenhaus ein Portal, um mit Juliette nach Luskentyre zurückzukehren und ein paar Sachen zu holen. Sie hatten beschlossen, dass die Sternenengel und ihre Lieben vorerst im Erzengelhaus am sichersten aufgehoben wären. Sogar Eleanores eher sture Eltern waren gezwungen worden, ihre Berghütte zu verlassen und in eine der vielen Gästesuiten zu ziehen.
Juliette hatte Max auf das europäische Festland begleitet und mit ihren eigenen Eltern gesprochen. Sie war der Ansicht gewesen, am besten könnte sie ihnen mittels überzeugender Beispiele klarmachen, dass sie übernatürliche Fähigkeiten besaß. Also hatte sie mit einer knappen Geste das Kaminfeuer gelöscht und die Edelstahlkochtöpfe ihrer Mutter durch die Küche fliegen lassen, und damit war die Sache geklärt.
Ihre Eltern waren immer noch schockiert, und eine Weile würden sie wohl noch brauchen, um sich daran zu gewöhnen, aber sie waren widerstandslos ins Herrenhaus übergesiedelt. Dort verstauten sie gerade, von Michael und Max unterstützt, ihre Habseligkeiten.
Juliette selbst hatte sehr viele Sachen in ihrem Cottage zurückgelassen, als sie Gabriel am Dienstagnachmittag nach Slains gefolgt war. Nun brauchte sie ihren Laptop, ihre Kleider, und sie sehnte sich inständig nach Nessie und seinem vertrauten tröstlichen Parmaveilchenduft. Außerdem musste sie dem Eigentümer des Cottages den Schlüssel zurückgeben und den Mietvertrag kündigen. Danach waren noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, bevor sie mit Gabriel aus Sicherheitsgründen ins Herrenhauses zurückkehren würde.
Mittlerweile war sie an den Anblick des flirrenden Portals gewöhnt und, wie sie voller Stolz feststellte, auch an das seltsame Gefühl, gezerrt und gestoßen zu werden, während sie mit Gabriel die Schwelle überquerte und ihr Cottage betrat. Hinter ihnen schloss sich das Portal.
Im Inneren des kleinen Hauses herrschten Dunkelheit und Stille. Gabriel schwenkte eine Hand in Richtung Kamin, und ein Torffeuer loderte auf. Verwirrt hob Juliette die Brauen. So viel hatte sie inzwischen gesehen, so viele Überraschungen erlebt. Trotzdem wusste sie noch immer nicht, ob sie sich in dieser neuen, machtvollen Welt jemals heimisch fühlen würde.
Dann schloss Gabriel die Augen und berührte den Rahmen der Haustür. Goldadern durchzogen das Holz und die Wände, breiteten sich aus und erreichten sogar die Vorhänge, deren honigfarbener Stoff golden zu schimmern begann.
Juliette konnte nur kopfschüttelnd zuschauen. Schließlich öffnete Gabriel die Augen. »Hol deine Sachen, Babe. Inzwischen erledige ich alles hier unten.«
Nach einem tiefen Atemzug nickte sie und ging nach oben ins Schlafzimmer. Zu ihrer Überraschung hingen alle Kleider, die sie vor ihrem Ausflug nach Slains schon in ihre Reisetasche gepackt hatte, jetzt wieder im Schrank.
Noch mehr Magie.
Sie akzeptierte es mit zwiespältigen Gefühlen, seufzte und suchte noch einmal heraus, was sie mitnehmen würde. Dabei entdeckte sie etwas, was sich zuvor nicht dort befunden hatte. In dem Fach über den Kleidern lag. ein Buch, auf dem in goldenen Lettern der Titel Dorcha Draíodóir prangte.
Mit gerunzelter Stirn ergriff sie das dicke, schwere, in Leder gebundene Buch und öffnete es. Auf dem Vorsatzblatt las sie eine handgeschriebene Nachricht.
Liebe Juliette,
dies fand ich in der Bibliothek von Stornoway. Eine unterhaltsame Lektüre zur Einstimmung auf Ihre Arbeit an der Mini-Serie.
Alles Gute
Law
Verstört blinzelte sie. Als sie über die Seiten strich, spürte sie eine verknickte Ecke, schlug das Buch an dieser Stelle auf und fing an zu lesen. Ohne Mühe verstand sie den gälischen Text.
… diesmal war der Sternenengel auf den Angriff vorbereitet. Zu lange hatte die Frau gelebt, zu weit war sie gekommen, um dem Schwarzen Zauberer zu gestatten, sie dergestalt auszubluten. Als er an ihr saugte, hielt sie ihre Magie in ihrem Innern fest, gefangen in den Tiefen ihrer Seele. Für immer verweigerte sie ihm, was ihr Wesen ausmachte.
Hier endete das Kapitel. Auf der nächsten Seite begann eine neue, völlig andere Geschichte. Aufmerksam studierte Juliette den Absatz ein zweites Mal. Gefangen, dachte sie. In ihrem Gehirn schwirrte ein Puzzleteilchen umher, als suchte es eine Ergänzung. Doch es fand keine.
Seufzend steckte sie das Buch in ihre Reisetasche, zusammen mit den anderen Sachen, die sie mitnehmen wollte. Dann holte sie nur noch den Plüschelefanten, der auf dem Kopfkissen lag. Liebevoll küsste sie ihn und packte ihn ein, bevor sie den Reißverschluss der Tasche zuzog.
»Ich bin fertig!«, rief sie und nahm den Laptop vom Nachttisch.
Als sie sich umdrehte, sah sie Gabriel am Türrahmen lehnen. Mit funkelnden Augen schaute er ihr zu, ein Lächeln verlieh seinem Gesicht eine überirdische Vollkommenheit.
»Was ist los?«, fragte sie ein bisschen nervös, fühlte sich aber auch geschmeichelt, weil sie so interessiert beobachtet wurde.
Da ging er zu ihr. »Du raubst mir den Atem, meine Süße.« Zärtlich umfasste er ihr Gesicht. »Wie kann man so klein und doch so stark sein und so unschuldig?« Verwirrt strich er ihr das Haar aus der Stirn. »Du strafst die Realität Lügen.« Und dann fand sein Mund ihren.
Der sanfte Kuss sandte elektrisierende Ströme durch Juliettes Körper und erweckte ihre Nervenenden zu köstlichem neuem Leben. Den Laptop ließ sie auf das Bett fallen, die Reisetasche zu Boden. Sie vergrub die Hände in Gabriels schwarzem Haar und erwiderte seinen Kuss.
Mit seinem starken Arm umfing er ihre Taille und presste sie an seine Hüften, als könnte er sich ihr gar nicht nahe genug fühlen. Immer leidenschaftlicher küsste er sie.
Plötzlich zuckte sie zusammen, weil jemand gegen die Haustür hämmerte. Gabriel hob den Kopf. Reglos lauschten sie, bis sie das Klopfen erneut hörten. Nun dröhnte es noch lauter.
»Black!«, ertönte ein heiserer Schrei. »Komm heraus, schnell! Black? Bist du da, Junge?«
Diese Stimme erschien Juliette vertraut. Natürlich, sie gehörte Stuart Burns, Gabriels gutem Freund, dem Ehemann der Frau, die so wunderbar für sie gekocht hatte. Sein Ruf klang atemlos, voller Angst.
Dicht gefolgt von Juliette, rannte Gabriel die Treppe hinab und öffnete die Haustür. »Da bin ich, Stuart.«
Das Gesicht von Ruß geschwärzt, das weiße Haar grau vor Asche, stand Stuart Burns auf der Schwelle. Seine Kleider rochen nach Flammen und waren teilweise durchnässt, die blauen Augen vor Furcht weit aufgerissen.
»Was ist passiert?«, fragte Gabriel ebenso erschrocken wie alarmiert, und auch Juliettes Sorge wuchs.
»Das Kinderheim ist in Flammen aufgegangen! Tristan wurde verletzt. Und wir können Beth nirgends finden.« Qualvoll schnappte Stuart nach Luft. Offenbar war er von dem Heim so schnell wie möglich hierhergerannt.
Wer sind Tristan und Beth? Der Inspector hatte ein Kinderheim erwähnt, das Gabriel finanzierte. Daran erinnerte sich Juliette. Aber es war noch nicht fertig, niemand wohnte darin. Also musste das alte Heim Feuer gefangen haben. Und die Kinder sitzen darin fest.
Gabriel zögerte nicht. Soviel sie wusste, hatte er vor seiner Rückkehr nach Schottland in New York als Feuerwehrmann gearbeitet. Und so war seine Reaktion ganz natürlich – prompt erwachten die Instinkte eines Mannes, der oft genug Flammen gesehen hatte. Mit überirdischer Geschwindigkeit, wie ein dunkler Schemen, schoss er an Stuart vorbei. Erst nach zehn Schritten drehte er sich um. »Bleib drin, Juliette, geh nicht weg!« Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er in halsbrecherischem Tempo die Straße hinauf.
Noch nie hatte Juliette einen Mann so schnell laufen sehen. Sehr eindrucksvoll. Und völlig übermenschlich.
An ihrer Seite fuhr Stuart sich mit bebender Hand durchs Haar. Dann folgte er Gabriel. Nervös schaute sie ihm nach und dachte an seine Worte. ›Tristan wurde verletzt.‹ Das muss
ein kleiner Junge sein. Und er braucht meine Hilfe.
Keinesfalls würde sie untätig im Cottage warten, während verwundete Kinder ihrer Heilkräfte bedurften. Sie spähte über ihre Schulter ins Wohnzimmer. Warm und gemütlich. Voller Goldadern und -fäden, die sie schützen sollten. Viel zu auffällig begünstigte das Timing des Feuers die Absichten der Adarianer. Insbesondere, weil man jemanden brauchen würde, der Brandwunden heilen konnte. Zweifellos eine Falle.
Trotzdem würde Juliette die Schmerzen unschuldiger Kinder nicht ignorieren, nur weil ihr unangenehme Konsequenzen drohten. Das passte nicht zu ihr. Und so schloss sie die Haustür hinter sich.
Sofort nahm sie den Brandgeruch in der Luft wahr. Und sie spürte die Hitze, klebrig, unnatürlich.
Sie eilte los. Bald sah sie über dem Moor ein schwaches rötliches Licht am dunklen Horizont. Das Feuer. Dann schaute sie zum Himmel empor. Der fast volle Mond starrte zurück, von fliegender Asche getrübt.
Sicher brauchen die Leute Wasser. Dafür konnte Juliette sorgen. Ohne stehen zu bleiben, lief sie die Straße entlang auf den fernen Schimmer zu und konzentrierte sich auf das Wetter.
Der Wind frischte auf und fuhr ihr durch das lange Haar. In der frischen Brise schmeckte sie Salz. Der Wind wehte vom Meer heran. Zufrieden nickte sie. Sehr gut, weiter so. Jetzt malte sie sich Wolken aus. Die sollten sich über dem Schimmer bilden, der immer heller glühte, während sie so dahinrannte.
Auf ihren Befehl ballten sich die Wolken zusammen und verdunkelten den Himmel, schwer von Wasser.
Bald näherte sie sich dem rötlichen Licht, hörte Männer schreien, und ein anschwellendes Dröhnen begann die Stimmen zu übertönen. Was das war, wusste Juliette: das Feuer. Die Luft wurde immer wärmer und erschwerte ihr das Atmen. Wäre es Tag gewesen, hätten Ascheschleier, von den Flammen emporgeschleudert, das Himmelsblau verdüstert.
Auf dem nächsten Hügel blieb sie stehen und betrachtete das Inferno. Das Feuer lärmte ohrenbetäubend, knackte und knisterte, wütete und zischte in der Nacht. Um das brennende Gebäude rannten mehrere Dutzend Leute herum. Die Gesichter konnte sie nicht ausmachen; sie sah nur dunkle Gestalten. Zwei hielten einen Schlauch fest, andere schwangen Schaufeln. In der Ferne heulten Sirenen.
Juliette schaute zur Straße auf der anderen Seite des Kinderheims und betete um die Ankunft eines Feuerwehrwagens. Da spürte sie etwas Feuchtes auf ihrer Wange und blickte nach oben. Noch ein Regentropfen fiel herab, in eines ihrer Augen. Entschlossen verdrängte sie Erleichterung und Dankbarkeit, senkte die Lider und konzentrierte sich mit aller Kraft. Ja, öffnet eure Schleusen, ihr Wolken! Lasst es in Strömen regnen! Und die Wolken gehorchten.
Als Juliette die bereits vertraute Schwäche in ihrem Körper fühlte, neigte sie den Kopf. Würde sie noch jemanden heilen können, nachdem sie nun den Regen heraufbeschworen hatte? Energisch verbannte sie diese Angst aus ihrem Gehirn. Ja, sie würde alle Wunden heilen, niemals versagen, eher sterben.
Inzwischen war sie klatschnass. Eine Hand über den Augen, spähte sie hinunter, auf der Suche nach Verletzten. Etwa dreißig Meter zur Linken des Gebäudes drängten sich stehende und kniende Leute, die Umrisse der Gestalten waren aus der Ferne kaum erkennbar. Juliette ließ den Arm sinken und lief auf sie zu. Einmal rutschte sie auf dem glitschigen, regennassen Boden aus. Doch sie fand ihr Gleichgewicht sofort wieder, eilte weiter und erreichte die Gruppe rasch.
Bedrückt musterte sie die traurigen Gesichter und hörte ein Schluchzen. Während sie sich einen Weg zwischen den Leuten bahnte, hielt sie vergeblich nach Gabriel Ausschau. Im Zentrum der Versammlung angelangt, sah sie einen alten Mann, der sich über einen kleinen Jungen beugte, der am Boden lag. Die Lider des Kindes waren geschlossen, die Haare großteils verbrannt, die Kleider verkohlt, die nackten Arme und das Gesichtchen voll schlimmer Brandwunden.
Aus einem ersten Impuls heraus wollte Juliette schreien und sich übergeben, doch sie nahm sich zusammen und kniete neben dem Mann nieder. Er trug die schwarze Kleidung und den weißen Kragen eines Vikars, und sie sah Tränen in seinen blauen Augen, helle Rinnsale auf seinen rußgeschwärzten Wangen.
Sie verschwendete keine Kräfte auf Erklärungen. Was sie sagen konnte, würde ohnehin nicht glaubhaft klingen. Stattdessen legte sie eine Hand auf die Brust des Jungen und spürte, wie die Leute ringsum erstarrten, von unterschiedlichen Reaktionen auf die Einmischung erfüllt. Gewiss, das Kind gehörte zu ihnen. Sie war eine Fremde. Was zum Teufel machte sie hier?
Doch sie ignorierte ihre Umgebung, schloss die Augen und konzentrierte sich. Unter ihren Fingern spürte sie die Lebenskraft des Jungen. So schwach wie eine Rauchfahne wehte sie aus seinem Körper, wollte sich aus dem zerstörten Inneren befreien, das sie bisher festgehalten hatte. Aber sein Herz schlug immer noch, der Puls kaum.
Mit ihrer ganzen Macht drängte Juliette die Lebenskraft in die schmale Brust zurück und stellte sich vor, wie der Junge früher ausgesehen haben musste. Unbeschadet. Gesund. Glücklich. Kein Kind durfte jemals sterben, wenn sie es verhindern konnte. Hier würde es keine kleinen Särge geben.
Ringsum hörte sie die Leute nach Luft schnappen, Stimmen voller Staunen, die sich unter den Lärm des unkontrollierbaren, wütenden Feuers mischten. An Juliettes Seite begann der Vikar laut zu beten. Das alles beachtete sie nicht. In ihrem eigenen Körper breitet sich die Schwäche noch spürbarer aus, aber Juliette gab nicht nach, vereinte ihr Innerstes mit der Seele des Kindes.
Unter ihrer Hand fühlte sie eine Regung und schlug die Augen auf. Tristan war geheilt, keine einzige Brandwunde verunstaltete seine Arme. Noch immer schwärzte Ruß seine Kleidung. Aber auf seinem Kopf wuchs dichtes blondes Haar, strahlend blaue Augen in einem hübschen Gesicht erwiderten Juliettes Blick.
Dann blinzelte Tristan und holte tief Luft. »Meine Schwester. Wo ist sie?«
Als Juliette aufstand, wich die Menschenmenge vor ihr zurück. Der Vikar bekreuzigte sich. Mit geweiteten Augen erhob er sich langsam. Sie schaute an ihm vorbei zur Ruine des Kinderheims, die trotz des Regengusses immer noch brannte, anscheinend unverändert.
Vielleicht ist die Hitze zu stark, und das Wasser verdunstet, bevor es das Feuer erreicht. Zu ihrer Schwäche gesellte sich Frustration. Das hätte sie besser machen müssen. Warum erloschen die Flammen nicht? Sie stellte sich Tristans kleine Schwester in dieser Hölle vor. Lieber Gott, nein. Heißer Zorn erfasste sie. Wie war das geschehen?
»Verschwinde!«, kreischte sie in die Nacht und hob ihre Arme, schrie ihre Wut dem Brand entgegen, der sie die ganze Zeit angebrüllt hatte.
Ein vehementer Windstoß traf sie von hinten. Taumelnd landete sie auf allen vieren. Nein, dachte sie. Das war kein Wind. Sondern etwas anderes.
Blinzelnd schaute sie das brennende Gebäude an, auf das sich diese seltsame Druckwelle zubewegte. Für sie spürbar. Beinahe sichtbar. Sie beobachtete, wie sie an der Ostseite gegen das Heim prallte und sich wie eine Löschdecke über das Feuer legte. Die Flammen sanken unter dem Gewicht in sich zusammen, schwelten und erloschen. Aus den Fenstern, die Juliette zuvor nicht hatte sehen können, quoll schwarzer Rauch.
Sie starrte die Fenster an und bildete sich ein, jeden Moment würden winzige Arme und Hände aus dem Qualm ragen, Hilfe oder einen Fluchtweg suchen. Jetzt wuchs Juliettes Zorn. Aber gleichzeitig wurde sie von einer Schwäche erfüllt, die sie nie zuvor empfunden hatte. Das war neu, ließ ihre Finger und Zehen prickeln. Unregelmäßig hämmerte ihr Herz gegen den Brustkorb. Sie schloss die Augen und bemühte sich zu atmen. Doch die Wut beherrschte alles in ihrem Innern.
Plötzlich hörte sie ein Kind schreien, schrill und voller Entsetzen. Sie hob den Kopf. Nein. Erinnerungen stürmten auf sie ein. Erinnerungen an einen Scheiterhaufen und einen Mob fanatischer Dorfbewohner. Nein!
Noch eine Druckwelle strömte durch sie hindurch, warf sie auf den Bauch und saugte die letzte Kraft aus ihr heraus. Irgendwie gelang es ihr, den Kopf zu heben und zu sehen, wie das Kinderheim von einem magischen Kraftfeld überlagert wurde, wie noch mehr Flammen erstickten.
Das bin ich, dachte sie erschöpft, mein Werk.
Juliette hatte das Feuer löschen wollen, und jetzt erlosch es. Sie konzentrierte sich auf die restlichen züngelnden Flammen, um sie mit all ihrer Macht zu vernichten. Allmählich zogen sie sich ins Innere der Ruine zurück. Sie starrte den tödlichen Rauch an, den sie produzierten, und malte sich aus, wie sie erstarben, entzog ihnen die Luft, berieselte sie mit ihrem Regen.
Und dann senkte sie den Kopf und schloss wieder die Augen. Sie hörte Geschrei, spürte sanfte Hände, die sie auf den Rücken drehten. Entsetzt und ungläubig erhoben sich Stimmen, andere waren dankbar und voll des Lobes.
»Das hat sie bewirkt«, sagte jemand ehrfürchtig, und sie erkannte die Stimme des Vikars. »Sie wurde uns von Gott gesandt«, flüsterte er. Jemand berührte ihre Stirn. Doch sie bemerkte es kaum. Ihr Körper wurde gefühllos, ihr Herz schmerzte so seltsam.
»Gehen Sie weg von ihr«, erklang eine tiefe Stimme.
Juliette wollte die Augen öffnen. Aber sie gehorchten ihr nicht. Sie versuchte es noch einmal. Da flatterten ihre Wimpern. Langsam hoben sich ihre Lider. Ein großer blonder Mann stand vor ihr, eine Waffe in der rechten Hand.
»Wer sind Sie?«, fragte der Vikar, offenbar nicht gewillt, Juliette im Stich zu lassen.
»Ich bin der Tod, alter Mann«, erwiderte der Adarianer und schenkte ihm ein bösartiges Lächeln, bevor er die Waffe hob und sie mit einem unheilvollen Klicken entsicherte.