Demon Queen
1.11.
Wenn man in einer Kleinstadt lebt, kann man nicht einfach aus dem Unterricht rennen, wenn gerade eine historische Szene nachgespielt wird, die die Englischlehrerin seit Wochen vorbereitet hat. Jedenfalls nicht ungestraft. An den meisten Highschools würde man zeitweise der Schule verwiesen werden oder zumindest nachsitzen müssen. In Gatlin war die Strafe, dass Amma einen zwang, mit einem Tablett Erdnussbutterkekse bei der Lehrerin zu Hause aufzukreuzen.
Und genau das tat ich jetzt.
Ich klopfte an die Tür und hoffte, dass Mrs English nicht zu Hause war. Ich starrte auf das rot gestrichene Holz und trat nervös von einem Bein aufs andere. Lena mochte rote Türen. Rot sei so fröhlich, sagte sie immer, und Caster hätten keine roten Türen. Für Caster waren Türen gefährlich – wie überhaupt alle Schwellen für Caster gefährlich waren. Nur Sterbliche hatten rote Türen.
Meine Mutter hatte rote Türen gehasst. Und sie konnte auch Leute, die rote Türen hatten, nicht leiden. Wer in Gatlin eine rote Tür hatte, der gehörte ihrer Meinung nach zu der Sorte Mensch, die sich gern damit brüstete, anders zu sein. Aber wer glaube, es genüge schon, eine rote Tür zu haben, um sich von anderen zu unterscheiden, der sei in Wahrheit auch nicht anders als die anderen.
Ich hatte keine Zeit, mir meine eigenen Gedanken über rote Türen zu machen, denn gerade ging die vor meiner Nase schwungvoll auf. Mrs English stand vor mir, in einem geblümten Kleid und in Plüschpantoffeln. »Ethan! Was machst du denn hier?«
»Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen, Ma’am.« Ich hielt das Tablett hoch. »Ich habe Ihnen ein paar Plätzchen mitgebracht.«
»Wenn das so ist, dann solltest du wohl besser hereinkommen.« Sie trat einen Schritt zurück und machte die Tür ganz auf.
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Ich war davon ausgegangen, dass ich mich entschuldigen und ihr Ammas berühmte Erdnussbutterplätzchen in die Hand drücken würde, und damit wäre alles ausgestanden. Dass ich ihr Haus betreten müsste, war mir nicht in den Sinn gekommen. Rote Tür hin oder her, die Sache lief völlig anders als geplant.
»Warum setzen wir uns nicht ins Wohnzimmer?«
Ich folgte ihr in einen winzigen Raum, der anders war als jedes Wohnzimmer, das ich kannte. Aber es war ja auch das kleinste Haus, das ich je betreten hatte. An den Wänden hingen Dutzende Familienporträts in Schwarz-Weiß, eines neben dem anderen. Sie waren so alt, und die Gesichter darauf waren so klein, dass ich direkt davor hätte stehen bleiben müssen, um sie mir genauer anzuschauen. Sie wirkten seltsam privat, was für Gatliner Verhältnisse merkwürdig war, wo doch jeder ständig in der Öffentlichkeit stand, egal ob er noch lebte oder schon tot war.
Aber gut, Mrs English war eben seltsam.
»Setz dich bitte. Ich hole dir ein Glas Wasser.« Das war keine Aufforderung, sondern eher ein Befehl. Sie ging in die Küche, die etwa doppelt so groß war wie ein Schrank. Ich hörte den Wasserhahn rauschen.
»Danke, Ma’am.«
Auf dem Sims über dem offenen Kamin reihten sich Keramikfigürchen – eine Weltkugel, ein Buch, eine Katze, ein Hund, ein Mond, ein Stern. Es war Lilian Englishs Variante des Nippes, den auch die Schwestern über die Jahre hinweg gesammelt hatten und den niemand anrühren durfte – und der inzwischen als Scherbenhaufen in ihrem Vorgarten lag. In der Mitte des Simses stand ein kleines Fernsehgerät mit einer Zimmerantenne, das bestimmt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr funktionierte. Darauf stand eine spinnenförmige Pflanze, die das ganze Arrangement wie einen überdimensionierten Blumentopf wirken ließ. Nur dass die Pflanze aussah, als würde sie eingehen, was den Blumentopf, der keiner war, auf dem Fernseher, der auch keiner war, auf dem Kamin, der kein Kamin war, ziemlich nutzlos machte.
Neben dem Kamin stand ein kleines Bücherregal, das wirklich ein Bücherregal war, denn es befanden sich Bücher darin. Ich beugte mich vor, um die Titel zu lesen. Wer die Nachtigall stört. Der Unsichtbare. Frankenstein. Dr. Jekyll und Mr Hyde. Große Erwartungen.
Die Eingangstür fiel laut ins Schloss – und gleich darauf hörte ich eine Stimme, die ich im Haus meiner Englischlehrerin am allerwenigsten erwartet hätte.
»Große Erwartungen. Eines meiner Lieblingsbücher. Es ist so … tragisch.«
Sarafine stand in der Tür und beobachtete mich aus ihren gelben Augen. Abraham hatte sich in dem abgewetzten geblümten Sessel in der Zimmerecke materialisiert. Er hatte es sich bequem gemacht, als sei er ein gern gesehener Gast in diesem Haus. In seinem Schoß lag das Buch der Monde.
»Ethan? Hast du etwa die Tür aufgema…«
Mrs English kam aus der Küche geeilt. Ich weiß nicht, was sie mehr erschreckte, die Anwesenheit von Fremden in ihrem Wohnzimmer oder der Anblick von Sarafines gelben Augen, jedenfalls ließ sie das Wasserglas fallen, und es zerbrach dumpf auf ihrem geblümten Teppich. »Wer sind diese Leute?«
Ich sah Abraham an. »Sie sind meinetwegen gekommen.«
Er lachte. »Diesmal nicht, Junge. Wir sind aus einem anderen Grund hier.«
Mrs English zitterte. »Ich habe keine Wertsachen. Ich bin nur eine einfache Lehrerin.«
Sarafine lächelte, was sie noch wahnsinniger aussehen ließ. »Oh doch, Sie haben etwas, was für uns sehr wertvoll ist, Lilian.«
Mrs English wich einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber Sie sollten jetzt gehen. Meine Nachbarn haben sicher schon die Polizei gerufen. Dies hier ist eine sehr ruhige Straße.« Ihre Stimme wurde lauter. Kein Zweifel, Mrs English stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Lasst sie in Ruhe!« Als ich auf Sarafine zugehen wollte, spreizte sie die Finger.
Eine Kraft, zehnmal stärker als jede Faust, schlug gegen meine Brust. Ich taumelte gegen den Bücherschrank und die Bücher fielen in einer Staubwolke zu Boden.
»Setz dich, Ethan. Ich denke, es wäre angebracht, dass du dir das Ende der Welt, so wie du sie kennst, anschaust.«
Ich konnte nicht aufstehen. Sarafine hatte mich eisern im Griff.
»Sie sind ja wahnsinnig«, wisperte Mrs English mit weit aufgerissenen Augen.
Sarafine richtete ihren entsetzlichen Blick auf sie. »Und Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen.«
Abraham drückte seine Zigarre auf Mrs Englishs Beistelltisch aus und erhob sich. Er schlug das Buch der Monde auf, als hätte er ein Lesezeichen an eine ganz bestimmte Stelle gelegt.
»Was haben Sie vor? Noch mehr Vexe rufen?«, schrie ich.
Diesmal lachten sie beide. »Im Vergleich zu dem, was ich jetzt herbeirufe, nimmt sich ein Vex wie eine Hauskatze aus.« Er begann, in einer Sprache zu lesen, die ich nicht verstand. Es war wahrscheinlich eine Caster-Sprache, vielleicht Niadisch. Die Worte klangen melodisch, bis er sie in unserer Sprache wiederholte und ich ihre Bedeutung verstand.
»Aus Blut, Asche und Kummer. Für die Dämonen, die in den Tiefen wohnen …«
»Hören Sie auf!«, rief ich, aber Abraham würdigte mich keines Blickes.
Sarafine drehte ihre Hände leicht, und ich spürte, wie sich meine Brust zusammenkrampfte. »Du bist Zeuge eines historischen Augenblicks, Ethan – sowohl für Caster wie auch für Menschen. Ein bisschen mehr Ehrfurcht, wenn ich bitten darf.«
Abraham las weiter. »So rufe ich nun ihren Schöpfer.«
Kaum hatte Abraham das letzte Wort ausgesprochen, schnappte Mrs English nach Luft, und ihr Körper verfiel in Zuckungen. Sie verdrehte die Augen und sackte wie eine Stoffpuppe zu Boden. Ihr Hals war seltsam abgeknickt und sie sah schrecklich leblos aus.
So als wäre sie tot.
Abraham fing wieder an zu lesen, aber ich hatte das Gefühl, unter Wasser zu sein, alles klang so fern und gedämpft. Wie viele Menschen mussten denn noch sterben?
»… um sie zu rächen. Und um zu dienen!« Abrahams Stimme dröhnte so laut durch das kleine Zimmer, dass die Wände bebten. Er schlug das Buch der Monde zu und trat zu der leblosen Mrs English.
Die Pflanze, die wie eine Spinne aussah, fiel vom Fernseher, und der Blumentopf zerschellte am Kamin. Die kleinen Figürchen schwankten, das ganze Leben von Mrs English zerbrach in Stücke.
»Sie kommt!«, sagte Sarafine zu Abraham. Beide hatten nur Augen für Mrs English. Ich versuchte aufzustehen, aber der Druck auf meiner Brust war zu groß. Was immer da gerade vor sich ging, ich konnte es nicht aufhalten.
Es war längst zu spät.
Zuerst reckte Mrs English den Hals, dann richtete sie sich nach und nach auf, als würde sie von einer unsichtbaren Schnur in die Höhe gezogen. Es war entsetzlich anzuschauen, ihr lebloser Körper bewegte sich wie der einer Marionette. Dann stand sie da und öffnete die Augenlider.
Aber sie hatte keine Augen mehr. An deren Stelle waren nur dunkle Schatten.
Der Raum hatte aufgehört zu beben und im Zimmer war es ganz still.
»Wer ruft mich?« Mrs English hatte das gesagt, aber es war nicht ihre Stimme. Es war überhaupt keine menschliche Stimme. Sie war monoton und mechanisch, gespenstisch und unheilvoll.
Abraham lächelte. Er war stolz auf das, was er vollbracht hatte. »Ich habe dich gerufen. Die Ordnung ist zerstört, und ich rufe dich, damit du jene ohne Seele um dich scharst. Damit jene, die in den Abgründen der Unterwelt hausen, sich uns anschließen.«
Die Schattenaugen von Mrs English starrten an ihm vorbei ins Leere, aber die Stimme antwortete ihm. »Das kann nicht geschehen.«
Sarafine sah Abraham entsetzt an. »Was soll das heißen …«
Er brachte Sarafine mit einem Blick zum Schweigen, dann wandte er sich an das Wesen in der menschlichen Hülle von Mrs English. »Ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt. Wir haben Körper für sie. Bring die, die ohne Seelen sind, her und überlasse ihnen die Körper der Lichten Caster. Das wird die Neue Ordnung sein und du wirst sie besiegeln.«
Mrs English gab dumpfe Laute von sich, so als würde das Wesen in ihr auf eine wahnwitzige Art und Weise lachen. »Ich bin die Lilum. Die Zeit. Die Wahrheit. Die Bestimmung. Der Endlose Fluss. Das Rad des Schicksals. Ihr gebietet nicht über mich.«
Lilum. Lilian English. Es war wie ein schlechter kosmischer Witz. Abgesehen von dem einen Satz, der kein Witz war und den ich andauernd im Geiste wiederholte.
Das Rad des Schicksals zermalmt uns alle.
Abraham wirkte schwer angeschlagen, Sarafine taumelte sogar zurück. Was immer die Lilum war, die beiden hatten ganz offensichtlich geglaubt, sie könnten diese Kreatur beherrschen.
Abraham packte das Buch der Monde fester und änderte seine Taktik. »Dann ersuche ich dich als die Königin der Dämonen. Hilf uns, eine neue Ordnung zu errichten. Eine, in der das Lichte für immer vom Dunklen verfinstert wird.«
Ich war starr vor Schreck. Alles passte zusammen. Der Shadowing Song hatte recht. Was immer es mit dieser Lilum auf sich hatte, der Song hatte mich mehr als einmal vor der Demon Queen und dem Rad des Schicksals gewarnt.
Ich versuchte, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen.
Die Lilum antwortete mit ihrer nervenaufreibend monotonen Stimme. »Licht und Dunkel sind für mich nicht von Belang. Es gibt nur eine Kraft, die aus dem Dunklen Feuer geboren ist, aus dem alle Kraft entspringt.«
Wovon redete sie? Sie war die Königin der Dämonen. War sie nicht schon allein deshalb Dunkel?
»Nein.« Sarafines Stimme war nur noch ein Flüstern. »Das ist unmöglich. Die Königin der Dämonen ist das wahre Dunkle.«
»Meine Wahrheit ist das Dunkle Feuer, das der Ursprung von beidem ist. Von Licht und Dunkel.«
Sarafine wirkte ratlos und verwirrt. So hatte ich sie noch nie gesehen.
Da wurde mir klar, dass weder sie noch Abraham die Lilum verstanden. Ich konnte nicht behaupten, dass ich sie verstanden hätte, aber ich hatte zumindest begriffen, dass sie nicht in dem Sinne Dunkel war, wie die beiden geglaubt hatten. Sie war etwas Eigenes. Vielleicht war sie Grau, eine ganz neue Schattierung im Spektrum zwischen Licht und Dunkel. Oder vielleicht war es genau andersherum, und die Lilum war weder Licht noch Dunkel, sondern die Abwesenheit von beidem.
So oder so hatte sie nichts mit ihnen gemein.
»Aber du kannst eine Neue Ordnung errichten«, flehte Sarafine.
Mrs English drehte ruckartig den Kopf in Sarafines Richtung. »Das kann ich. Aber das hat seinen Preis.«
»Und was ist dieser Preis?«, rief ich, ohne nachzudenken.
Der Kopf schnellte in meine Richtung.
»The Crucible.«
Die Königin der Dämonen oder das Rad des Schicksals oder wer auch immer sie war, sprach ganz sicher nicht von meiner Englischhausaufgabe und dem Theaterstück. »Ich verstehe nicht …«
»Halt die Klappe, Junge«, schnauzte Abraham mich an.
Die Lilum hatte ihre leeren Augen immer noch auf mich gerichtet. »Diese Sterbliche hat viele verschiedene Worte dafür.« Die Lilum hielt inne. Ganz offensichtlich sprach sie von Mrs English. »Crucible hat viele Bedeutungen für die Sterblichen. Es ist ein Schmelztiegel. Ein Gefäß, in dem man Metalle schmilzt. Eine Allegorie der Sterblichen.« Suchte die Lilum etwa in den Gedanken von Mrs English nach dem richtigen Wort? »Und eine Feuerprobe. Eine schwere Prüfung.« Sie verstummte. »Ja. Eine Prüfung. Am Achtzehnten Mond.«
»Worin besteht die Prüfung?«, fragte ich atemlos.
»Am Achtzehnten Mond«, wiederholte sie. »Für einen, der die Ordnung erneuern wird.«
Es war die gleiche Botschaft wie in meinem Shadowing Song, jedenfalls zum größten Teil.
Der Eine, der Zwei ist.
»Wer ist es?«, wollte Abraham wissen. »Sag es mir! Wer wird die Ordnung wiederherstellen?«
Mrs Englishs Kopf ruckte in einer unnatürlichen Bewegung, sodass die schwarzen Augenhöhlen auf Abraham gerichtet waren. Ein Donnern grollte durchs Haus. »Du hast mir nichts zu befehlen.«
Ehe er antworten konnte, schossen zwei blendend helle Lichtstrahlen aus den dunklen Augenhöhlen und trafen Abraham und Sarafine. Abraham hatte nicht einmal Zeit, sich zu entmaterialisieren. Der Lichtstrahl zerstob in alle Richtungen und erleuchtete den ganzen Raum. Sarafines unsichtbare Faust auf meiner Brust war plötzlich weg. Ich legte den Arm über die Augen, um mich gegen das gleißende Licht zu schützen, aber es blendete mich trotzdem wie bei einem ungeschützten Blick in die Sonne.
Die unerträgliche Helligkeit verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war, und ich ließ den Arm wieder sinken. Ich hatte schwarze Flecken vor den Augen, aber mein Blick wanderte wie von selbst zu der Stelle, wo Abraham und Sarafine gewesen waren.
Sie waren verschwunden.
»Sind sie tot?«, fragte ich voller Hoffnung. Vielleicht hatte Abraham das Buch der Monde ein Mal zu viel benutzt. Das Buch gewährte nie etwas umsonst.
»Tot.« Die Lilum hielt inne. »Nein, die Zeit der Rechenschaft ist noch nicht gekommen.«
Da war ich anderer Meinung, aber ich konnte schlecht mit einem Wesen streiten, das so mächtig war, dass es sogar Abraham und Sarafine verschwinden lassen konnte. »Was ist mit ihnen passiert?«
»Ich zwang sie zu gehen. Ich wollte ihre Stimmen nicht hören«, lautete die Erwiderung, was keine Antwort auf meine Frage war.
Aber ich hatte noch eine weitere Frage und für die musste ich erst Mut aufbringen. »Derjenige, der die Prüfung am Achtzehnten Mond bestehen muss … ist das der Eine, der Zwei ist?«
Die dunklen Augenhöhlen richteten sich auf mich und die Stimme begann zu sprechen. »Der Eine, der Zwei ist und der die Schuld tilgen muss. Das Dunkle Feuer, aus dem alle Macht entspringt, wird die Neue Ordnung bringen.«
»Also können wir sie wiederherstellen? Die Ordnung, meine ich?«
»Wenn die Schuld getilgt ist, wird es eine Neue Ordnung geben.« Sie sagte es ohne jede Regung, als wenn das, was ich mir erhoffte, völlig bedeutungslos wäre.
»Was genau ist mit Tilgung gemeint?«
»Tilgung. Begleichung der Schuld. Opfer.«
Opfer.
Von dem Einen, der Zwei ist.
»Nicht Lena«, flüsterte ich. Ich durfte sie nicht ein zweites Mal verlieren. »Bitte nicht. Sie wollte die Ordnung nicht zerstören.«
»Dunkel und Licht. Das vollkommene Gleichgewicht. Wahre Magie.« Die Lilum verstummte. Dachte sie nach? Suchte sie in Mrs Englishs Gedanken wieder nach Worten? Oder war sie es jetzt auch leid, meine Stimme zu hören? »Nein, sie ist es nicht. Das Kind der Dunkelheit und des Lichts wird die Neue Ordnung nach der Tilgung der Schuld in Kraft setzen.«
Lena würde nicht geopfert werden.
Ich holte tief Luft. »Wer ist es?«
»Es existiert ein weiterer.«
Vielleicht hatte sie meine Frage nicht verstanden. »Wer?«
»Du wirst den Einen finden, der Zwei ist.« Die leeren schwarzen Augenhöhlen starrten mich an.
»Warum ausgerechnet ich?«
»Weil du der Lotse bist. Derjenige, der den Weg weist zwischen unseren beiden Welten. Zwischen der Welt der Dämonen und der Welt der Sterblichen.«
»Und wenn ich gar kein Lotse sein will?«, sagte ich, ohne nachzudenken. Es stimmte ja auch. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wie ich diesen Auserwählten finden sollte. Und ich hatte keine Lust, dass das Schicksal der Sterblichen und der Caster auf meinen Schultern ruhte.
Die Wände fingen wieder an zu beben. Die Keramikfigürchen stießen aneinander und der kleine Mond rutschte gefährlich nahe an den Rand des Kaminsimses.
»Ich verstehe. Wir können uns nicht aussuchen, was wir in der Ordnung der Dinge sind. Ich bin die Königin der Dämonen.« Hieß das etwa, auch sie wollte nicht unbedingt das sein, was sie war? »Die Ordnung der Dinge ist über allem. Der Fluss fließt. Das Rad dreht sich. Jeder Augenblick verändert den nächsten. Du hast alles verändert.« Die Wände hörten auf zu beben und der Mond blieb direkt an der Simskante stehen.
»Das ist der Weg. Es gibt keinen anderen.«
Das verstand ich.
Es war das Letzte, was die Lilum sagte, ehe Mrs English reglos zusammensackte.