7. Kapitel

«Nun zier dich nicht so. Ganz ehrlich, wann hattest du zuletzt so richtig guten, unvergesslichen, atemberaubenden Sex?»

Elissa saß mir gegenüber auf ihrem großen weißen Sofa, ich hatte mich in den Sessel mit Fußhocker gekuschelt. Der Wohnbereich war sparsam möbliert, außer den Sitzmöbeln gab es noch eine Récamière aus einem Stahlgestell mit Kuhfell-Leder, einen kleinen rollbaren Tisch mit alkoholischen Getränken und mehrere Schalen auf dem weichen hellgrauen Teppichboden, in denen Zeitschriften, Stifte und CDs aufbewahrt wurden. Auf der einen Seite stand eine große weiße Bodenvase mit einer einzelnen dunkelroten Amaryllis, an der gegenüberliegenden hing ein überdimensionales gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto von der Manhattaner Skyline. Darunter war ein künstlicher Kamin an die Wand montiert, in dem ein Ethanol-Feuer brannte. Ein Flachbildschirm an der Wand und eine moderne und sehr teure Design-Stereoanlage waren die einzigen schwarzen Gegenstände in dieser Hälfte des Zimmers, die schwarze Treppe in der Mitte bildete einen gewollten Kontrast zu dem hellen und gemütlichen Bereich, in dem wir saßen.

Obwohl es schon spät am Vormittag war, waren wir beide noch im Schlafanzug und nippten an der gefühlten siebten Tasse Kaffee. Die Dessertauswahl am gestrigen Abend hatte sich schwieriger gestaltet als zunächst angenommen – je mehr Dessertweine ins Spiel kamen, desto kniffliger. Beim eisgekühlten Champagner hätte ich schon nicht mehr sagen können, ob ich Schokolade oder Kirschen auf den Törtchen schmeckte. Aber dank des basischen Wassers war mir auch heute ein Schädel erspart geblieben.

Für ein Frühstück fehlte uns beiden noch der Platz im Magen, also hatten wir uns mit Kaffee versorgt und angefangen, über unser Leben zu plaudern.

«Als wenn Sex immer das Wichtigste wäre.» Ich fragte mich, wie wir auf dieses Thema gekommen waren.

«Weich nicht aus! Ich hatte jedenfalls vor gut drei Wochen ein Date mit einem wesentlich jüngeren Mann, den ich auf einer Party getroffen habe. Wir kamen ins Quatschen, es gab reichlich Alkohol dazu, und dann hab ich ihn mit zu mir genommen. Ich war schon fast nackt, als wir aus dem Fahrstuhl gestiegen sind und …»

«Herzlichen Dank. Noch genauer möchte ich es gar nicht wissen. Und was heißt denn bitte ‹wesentlich jünger›? Ein Freund von deinem Koch?»

«Na, ich habe nicht nachgefragt, aber ich nehme mal an, er war bestimmt unter dreißig. Sehr knackig, Sixpack und die richtigen Muskeln da, wo sie sein sollen. Und noch heiß darauf, es mir zu besorgen. Nicht so ein alter abgeschlaffter Sack, der sich am liebsten einen blasen lässt und dann wegpennt.»

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder Entrüstung vortäuschen sollte. «Das ist ja ekelhaft. Du weißt schon, dass es einen Ausdruck für Frauen wie dich gibt? Habe ich gerade erst in einer Zeitung gelesen: ‹Berglöwin›. Nach der Faustregel muss die erfolgreiche Frau zum Zeitpunkt der Einschulung ihres Lovers mindestens volljährig gewesen sein.»

Elissa winkte gleichgültig ab. «Das kommt wohl hin. Ist doch nichts dabei, guck dich mal um: Madonna, Demi Moore, Susan Sarandon. Männer dürfen doch auch Freundinnen haben, die wesentlich jünger sind. Wusstest du, dass man bei denen das eigene Alter durch zwei teilt und dann plus sieben rechnet? Haut fast immer hin, achte mal drauf. Außerdem hast du immer noch nicht auf meine Frage geantwortet.»

«Ach, Elissa, ich führe doch nicht Buch darüber, wann, wie lange und in welcher Stellung ich mit Toni Sex habe.»

«Solltest du aber. Ich bewundere dich. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man jemandem mehr als fünfzehn Jahre treu sein kann.» Sie schüttelte ungläubig den Kopf. «Bei mir entpuppen sich die Typen leider spätestens nach ein paar Wochen als totale Loser. Oder sagen wir, ich habe bisher noch niemanden gefunden, der es wert gewesen wäre, dass ich für ihn all meine Freiheiten aufgebe. Hast du dich nie in jemand anderes verknallt, einfach so? In Hannas Mathelehrer zum Beispiel oder in einen Praktikanten in Tonis Firma?»

«Spinnst du? Im Übrigen hat Hanna in Mathe eine Lehrerin.» Ich stand auf, um mir aus der Küche ein Glas Wasser zu holen, bevor ich einen Koffeinschock bekam.

«Ich will dich ja nicht zu Dingen verführen, die du gar nicht willst. Aber manchmal denke ich, es würde dir ganz guttun, ein wenig lockerzulassen. Es schadet doch nichts, mal ein bisschen herumzuknutschen. Falkensee ist weit weg auf dem Festland, das würde Toni nie im Leben erfahren.» Elissa sprach lauter, um diesem spannenden Thema bloß keine Pause einzuräumen. «Oke fand dich toll. Was mich überhaupt nicht wundert, so, wie du seine Köstlichkeiten vertilgt hast. Ein größeres Kompliment kannst du einem Kerl, der so in seinem Beruf aufgeht wie Oke, gar nicht machen. Der hat ja gestern mehr gesprochen als normalerweise in einer ganzen Woche. Und heute Abend sind auf der Party auch ein paar sehr interessante Männer dabei.»

«Ach, daher weht der Wind.» Ich ließ mich wieder in den Sessel fallen. «Du versuchst, deine ledigen Freunde an die Frau zu bringen, damit es auf jeden Fall ein gelungenes Fest der Liebe wird und alle glücklich nach Hause gehen.» Manchmal war ich überrascht, auf welche Ideen Elissa kam. Aber alles musste ich aus alter Freundschaft ja nicht mitmachen. «Ohne mich, auch wenn du meine beste Freundin bist. Ich würde auch nicht wollen, dass Toni wild in der Gegend herumknutscht und mir nichts davon erzählt. Außerdem stehe ich nicht auf Schulkinder. Auch nicht wenn sie phantastisch kochen können. Wie kommst du überhaupt darauf, dass Oke mich toll fand?» Mir wurde aus unerfindlichen Gründen warm ums Herz.

Elissa schälte sich aus dem Sofa. «Das spürt man doch. Mit mir unterhält er sich nicht so lange, und gefüttert hat er mich auch noch nie. Beschwer dich nicht bei mir, wenn du am Ende als Einzige ungeküsst nach Hause gehen musst. Ich leg mich jetzt hin, sonst penne ich schon lange vor dem Dessert heute Abend ein. Du auch?»

«Ach nein. Ich lese erst noch ein wenig und gehe dann vielleicht spazieren. Außerdem habe ich Tom versprochen, später zu Hause anzurufen. Bleibt es dabei, dass wir uns im Restaurant treffen?»

Elissa nickte. «Ja, ich fahre auf jeden Fall schon früher hin. Willst du, dass ich meinen Friseur anrufe oder dich zu einer Massage in meinem Fitnessstudio anmelde?»

Hätte ich meine Freundin nicht so gut gekannt, hätte ich den Vorschlag vielleicht als Beleidigung aufgefasst.

«Das ist sehr nett, aber ich lege mich lieber in die Badewanne und lasse mir Zeit beim Anziehen und Schminken. Wenn heute Abend so viele granatenmäßige Typen aufschlagen, möchte ich natürlich mithalten können. Einen Föhn hast du ja sicher?»

«Unterste Schublade im Schrank unter dem Waschbecken», erklärte Elissa. «Wenn du sonst noch etwas brauchst, dann wühl dich einfach durch meine Sachen. Fühl dich wie zu Hause. Gute Erholung und bis nachher.» Sie gab mir einen Kuss auf den Scheitel und verschwand.

 

Ich nahm mir eine Zeitschrift vom Tisch und versuchte, mich auf die Texte und bunten Bilder zu konzentrieren. Aber ich musste immer wieder daran denken, was Elissa gesagt hatte. Schließlich starrte ich nur noch durch die Fenster auf das bewegte Meer und hing meinen Gedanken nach.

Hatte ich mich womöglich in meinem Leben zu bequem eingerichtet? Wann hatte ich das letzte Mal darüber nachgedacht, ob ich noch in Toni verliebt war? Wann hatte ich mir das letzte Mal Mühe gegeben, um für meinen Mann richtig toll auszusehen? Wann hatte Toni mir das letzte Mal Blumen mitgebracht oder versucht, mich mit einer ausgefalleneren Idee zu überraschen? Konnte ich mich noch an das letzte Mal erinnern, als ich seinetwegen weiche Knie bekommen hatte? Und wann hatten wir uns das letzte Mal so richtig gezofft? Sicher, ab und zu gerieten wir uns mächtig in die Haare. Wenn es darum ging, welche Schule für Hanna die richtige war, ob wir im Winter nicht mal alleine Urlaub im Süden machen sollten und wenn es sich um die sterbenslangweiligen Geburtstagsfeiern bei Tonis zahlreichen Verwandten drehte. Aber diese Streitereien konnten wir meistens schnell wieder beilegen. Ernsthafte Auseinandersetzungen hatte es zwischen uns in den vergangenen Jahren nicht gegeben. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Ich schob diese Gedanken weg. Und auch das lächelnde Gesicht des friesischen Kochs, das immer wieder durch meinen Kopf spukte. Natürlich war er ein netter Kerl und sah phantastisch aus, aber ich war nicht auf Abenteuersuche. Ich wollte einfach eine nette Zeit haben, war hergekommen, um mich zu amüsieren und meine Familie für ein paar Tage Familie sein zu lassen. Aber nicht, um sie komplett aus meinen Gedanken zu streichen und Dinge anzufangen, die mir später leidtun würden.

Wenn ich heute Abend einen guten Eindruck hinterlassen wollte, war noch einiges zu tun. Ich musste mein Gesicht mit der mitgebrachten Feuchtigkeitsmaske versorgen und unbedingt meine Haare auf Heißwickler drehen. Und ich hatte noch nicht endgültig entschieden, was ich anziehen sollte. Auf keinen Fall wollte ich aussehen wie eine Mutti vom Land. Besser, ich checkte noch mal den Inhalt meiner Koffer.