14. Kapitel

Komme morgen nach Berlin und treffe mich mit einem alten Freund, der im Restaurant 44 im Swissôtel arbeitet – treffen dort um 13 Uhr zum Essen?

Nach Okes gestriger SMS war ich wie ferngesteuert durch den Tag und den Abend gestolpert, hatte morgens wie in Trance die Kinder in die Schule gebracht, die heute beide nicht vor dem frühen Abend zurück sein würden, und war nun auf dem Weg in das Restaurant am Kurfürstendamm in Berlin.

Natürlich hatte ich hin und her überlegt, ob ich mich wirklich mit Oke treffen sollte. Elissa fand, dass ich mich endgültig für eine Affäre entschied, wenn ich ihm zusagte. Zumal ich Toni nichts davon erzählen musste, weil der gerade in Barcelona einen Werbespot für eine neue Eissorte eines Joghurt- und Milchkonzerns drehte und erst morgen wieder zurück sein würde. Für meine Verhältnisse hatte ich ausgesprochen lange unschlüssig vor dem Kleiderschrank gestanden und mich schließlich für ein knielanges, schlichtes zweiteiliges dunkelbraunes Kleid und dazu passende Stiefel entschieden. Darüber zog ich eine hellblaue Strickjacke. Sicher nichts, das einem Karl Lagerfeld Jubelschreie entlockt hätte, aber ich fand, schlichtes Schwarz machte alt. Und alt wollte ich bei einem Treffen mit Oke auf keinen Fall aussehen. Mit dem Make-up hatte ich mir besonders Mühe gegeben, und es war mir tatsächlich gelungen, natürlich und frisch und nahezu ungeschminkt auszusehen.

Im Parkhaus des Hotels blieb ich einen kleinen Moment zögernd im Auto sitzen. Dann sagte ich mir, dass ich endlich herausfinden musste, warum ich diese SMS-Sucht entwickelt hatte und warum mir die fast täglichen Nachrichten von Oke so wichtig geworden waren. Nicht zuletzt wartete ein phantastisches Essen auf mich.

Mit dem Fahrstuhl konnte ich direkt ins Restaurant im vierten Stock fahren und dabei im großen Wandspiegel noch einmal mein Outfit überprüfen. Meinen Mantel hatte ich im Wagen gelassen und nur die Handtasche mitgenommen. Sah einfach schicker aus, wenn mir auch eigentlich zu kalt war. Beim Versuch, aus dem Lift auszusteigen, wurde ich fast von einem älteren Ehepaar umgerannt – er im dunkelblauen Anzug mit Marineknöpfen, diagonal gestreifter Krawatte und Leichenbittermiene vorneweg, sie im sandfarbenen Kostüm hinterher, wild gestikulierend und offensichtlich nicht bester Laune. «Isch hobbe die Foxn digge! Mior schdähd’s bis hior ohm!»

War das Essen hier so schlecht? Oder war das einfach eine Ehe, die das Haltbarkeitsdatum überschritten hatte? Die Fahrstuhltür schloss sich hinter den beiden.

Ich stand noch in Schockstarre da, als ich angesprochen wurde. «Ilse? Ilse, bist du das?»

«Oke! Hallo!»

«Ich war mir bei deiner Rückansicht nicht ganz sicher, ob du’s bist. Toll, dass es geklappt hat. Komm, ich stell dir den Freund vor, der hier kocht.»

Er gab mir kurz wie einer entfernten Bekannten die Hand und drehte sich um. Ich dackelte Oke das kleine Stückchen vom Flur zum Restaurant hinterher. Eigenartig, ihn hier in Berlin zu treffen. Mir war noch nicht klar, ob ich mich freute oder ob es mir doch ein wenig unheimlich war, mich meinen Gefühlen für ihn so auszusetzen.

In diesem Restaurant war ich noch nie gewesen. Elissa hatte mir erzählt, dass der Koch aus Kroatien kam und den Betrieb vom viel gefeierten Tim Raue übernommen hatte. Sein Nachfolger hatte sich auf das Kochen mit Kräutern spezialisiert. Vor allem der Mittagstisch war bei Geschäftsleuten sehr beliebt, weil man sich sein Menü aus den angebotenen Gängen selbst zusammenstellen konnte. Das Interieur erschien mir sehr edel, runde Tische mit weißen Tischdecken, hellbeigefarben bezogene hochlehnige Stühle mit elegantem Rückenschwung. Modern, aber nicht ungemütlich. Der Raum war mit Tannenzweigen in hohen Bodenvasen und geschmackvollen kleinen Gestecken auf den Tischen weihnachtlich dekoriert, überall brannten weiße Kerzen in schmalen Leuchtern. Ohne Oke hätte ich mich wegen der vielen Kellner und unzähligen Bestecke geängstigt, ein ganzes Essen ohne Fleckenunfälle und Peinlichkeiten zu überstehen. Aber sein Lächeln und die Wärme, die von seinem Körper ausging, beruhigten mich.

Ein freundlicher junger Kellner nickte Oke zu und führte uns zu einem Tisch am Fenster. «Herr Kresovic kommt gleich zu Ihnen. Kann ich etwas zu trinken anbieten? Vielleicht einen Champagner?»

«Gerne.» Ein Glas durfte ich mir wohl gönnen, ohne dass ich gleich den Wagen stehen lassen musste. Schließlich würde ich gleich reichlich zu essen bekommen.

«Ich nehme nur ein stilles Wasser, bringen Sie uns bitte eine große Flasche», orderte Oke.

Der Kellner verschwand. Kurz darauf erschien eine junge Kollegin an meiner Seite, die mit einem freundlichen «Darf ich?» meine Handtasche vom Boden aufhob und auf ein kleines Holzbänkchen stellte. Beeindruckend.

«Woher kennt ihr euch denn, du und dieser Koch hier?», versuchte ich, die leicht sperrige Stimmung mit Smalltalk aufzulockern.

«Totaler Zufall. Wir sind uns am Flughafen in Tokio über den Weg gelaufen, als unsere Maschine mehrere Stunden Verspätung hatte. Danijel hatte Imagawayaki dabei, so ein rundes gefülltes Gebäck, und bot mir davon an. Darüber kamen wir zum Thema Kochen und stellten fest, dass wir beide in Japan unterwegs gewesen waren, um Küchen zu testen und möglichst viele Gerichte zu probieren … Da kommt er ja.»

Ein junger, mittelgroßer Mann mit wenig – fast gar keinen – Haaren, fröhlich blitzenden braunen Augen und Lachfältchen kam strahlend auf unseren Tisch zugeeilt.

«Oke, mein Lieber! Ich dachte, du kommst zum Schnippeln in die Küche, statt dich hier bewirten zu lassen.» Er lachte, zog Oke aus dem Stuhl in seine muskulösen Arme und tätschelte ihm den Rücken. «Haaach, Junge, ist das schön, dich zu sehen.» Dann schob er Oke zurück und drehte sich zu mir. «Entschuldigen Sie die Unhöflichkeit, aber die Wiedersehensfreude … Willkommen. Sie müssen Ilse sein, ich habe schon viel von Ihnen gehört.» Er reichte mir formvollendet die Hand und setzte sich dann, um dem Kellner Platz zu machen, der mit den Getränken an den Tisch getreten war.

Wie war denn das gemeint: ‹schon viel von Ihnen gehört›? Was hatte Oke über mich gequatscht? Egal, das konnte ich später herausfinden. Ich griff nach der Speisekarte und vertiefte mich in das Mittagsangebot.

«Karte könnt ihr vergessen, ich habe etwas für euch vorbereitet», unterbrach er mich, kaum hatte ich zu lesen angefangen, und fuhr dann an Oke gerichtet fort: «Wenn du magst, komm nachher in die Küche, dann stelle ich dir die Kollegen vor und zeige dir alles. Kannst bestimmt noch was von mir lernen.» Er lachte, klopfte dann mit der Handfläche auf den Tisch und stand auf. «Lasst es euch schmecken. Bis später.» Und ging, nicht ohne mir ein letztes Lächeln zu schenken und Oke zuzunicken.

«Netter Typ. Überhaupt sehr schön hier», stellte ich anerkennend fest.

«Du müsstest mal im Sommer herkommen.» Oke deutete in Richtung Terrasse. «Da hinten auf dem Dach hat Danijel einen Kräutergarten eingerichtet, mitten in der Stadt, das ist schon einzigartig. Und die Idee, mittags kleiner portionierte Gänge zu servieren, funktioniert hervorragend.»

«Wäre das auch was für dein Restaurant?»

«Nee, auf Sylt würde das nicht funktionieren. Da frühstücken die Leute spät und reichlich und gehen dann am Abend schön essen. Aber was den Kräutereinsatz angeht, kann ich mir bestimmt noch etwas von Danijel abgucken.»

Zwei Kellner kamen an unseren Tisch und stellten zeitgleich die kleinen Teller mit dem obligatorischen Gruß aus der Küche vor uns ab. Einer der beiden kommentierte, was uns da grüßte: glasierter Räucheraal mit Pumpernickel, Schwarzwurzeln und Meerretticheis, angerichtet wie bei einem Shooting für ein Edel-Kochbuch. Eigentlich aß ich lieber Stracciatella, aber nur im Sommer. Zu dem Fisch war das Meerretticheis ein echter Knaller, scharf, aber durch die Konsistenz auch wieder mild. Köstlich.

Während die Kellner Wasser nachschenkten, teilten sie uns mit, dass Herr Kresovic auch die korrespondierenden Weine für uns ausgesucht habe. Ich kam gar nicht dazu einzuwenden, dass ich keinen Alkohol mehr trinken wollte. Egal, sollten sie bringen, was der Weinkeller hergab. Ich würde einfach nur an meinen Gläsern nippen. Auf keinen Fall wollte ich wieder so die Kontrolle verlieren wie an unserem ersten Abend. Schließlich war ich hier, um herauszufinden, ob Oke in meinem Leben eine Rolle spielte – und wenn ja, welche.

Die Vorspeise bestand aus einer gebratenen Garnele mit Avocadocreme. Aber weil ich so damit beschäftigt war, Oke anzusehen und seinen Restaurant-Geschichten zuzuhören, konnte ich mich auf das kunstvoll arrangierte Essen kaum konzentrieren. Beim Hauptgang (Rinderfilet mit Steinpilzen, Blaubeeren und Molejus) verstummte mein Gesprächspartner und gab sich ganz dem Essen hin.

«Himmel, ist das gut», schwärmte er. «Auf die Idee wäre ich nie gekommen, es statt der roten Früchte zu so einem winterlichen Gericht mit Blaubeeren zu versuchen. Muss ich mir merken.»

Als mir endlich klarwurde, dass Oke mich nur eingeladen hatte, um nicht allein essen zu müssen, und keinesfalls, weil er mir gegenüber besondere Gefühle hegte, geschweige denn einen Plan für nach dem Essen hatte, war ich fast ein wenig enttäuscht.

«Was ist denn eigentlich Molejus?», fragte ich, um mich abzulenken und außerdem das Gespräch unverfänglich wieder in Gang zu bringen.

«Mole ist eine scharfe Kakao-Gewürzmischung, mit der der entfettete eingekochte Fleischfond oder Bratensaft, also Jus, abgeschmeckt wird. Du bist doch die Feinschmeckerin, wenn du die Augen schließt, schmeckst du bestimmt eine Menge heraus.»

Ich versuchte es. Tatsächlich, wenn ich mich ganz auf den Geschmack konzentrierte, konnte ich einiges erkennen. «Schokoladenaroma? Oder Marzipan? Warte … Nüsse!» Ich öffnete die Augen wieder.

Oke grinste. «Gar nicht schlecht. Ist aber bei Mole schwierig, weil es so viel ist. Es ist eine mexikanische Mischung aus Kakao, schwarzem Pfeffer, Chili, Knoblauch, Zimtblüten, manchmal auch Anis und Vanille. Ein tolles Gewürz. Auf meiner Karte in Westerland habe ich Kaninchenrücken mit Karotte in Kaffeebutter und Molejus.»

Typisch Oke, beim Thema Kochen und Essen kam er ins Plaudern. Was unsere gemeinsame Nacht auf der Insel anging, herrschte Schweigen. Schließlich brachten die überaus freundlichen, aber höflich zurückhaltenden Kellner das Dessert: einen lauwarmen Glühweinkuchen mit Valrhona-Schokolade, Vanille- und Mandarinensorbet. Auch der Nachtisch sah aus wie gemalt.

«Bevor du fragst, Valrhona ist eine der ersten Adressen für Schokolade in Frankreich. Die beliefern berühmte Restaurants in aller Welt, wie das Ducasse in Monte Carlo und das Cirque in New York. Phantastische Produkte, immer mit mindestens vierzig Prozent Kakaoanteil.»

Oke beendete seinen Vortrag, um sich genießerisch einen Löffel Sorbet in den Mund zu schieben.

Wir quatschten über die Feiertagsgäste, die nach und nach auf Sylt eintrafen, über die Weihnachtswünsche meiner Kinder und die Zutaten der Gerichte. Ich fühlte, wie die Anspannung langsam von mir abfiel.

Nach dem Dessert wurde hausgemachte Kokos- und Lavendelschokolade gereicht, und Danijel kam noch einmal zu uns. «Tut mir leid, dass ich nicht mehr Zeit für euch hatte. Hat es geschmeckt?» Er blieb am Tisch stehen und musterte uns fragend.

«Es war phantastisch. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so unglaublich gut gegessen habe.» Ich meinte jedes Wort, wie ich es sagte.

«Das freut mich. Frauen essen ja gern leicht, da kommt meine Kräuterküche gut an.»

«Das gilt nicht nur für Frauen, mein Lieber.» Oke erhob sein Glas in Richtung des Küchenchefs. «Ich fand es auch herausragend. Einiges habe ich trotz eiserner Konzentration nicht herausgeschmeckt, darüber müssen wir in Ruhe reden.»

«Kauf dir mein Kochbuch!» Die Männer lachten und klatschten sich ab. «Sehen wir uns gegen sechs wieder hier? Dann können wir mit den Kollegen fachsimpeln.»

«Gern», lächelte Oke.

Danijel verabschiedete sich, spazierte zurück zur Küche und blieb unterwegs immer wieder an einem der Tische stehen, um mit den Gästen zu sprechen.

«Wenn du Lust hast, können wir einen Ku’damm-Bummel machen. Ich müsste nur meine Jacke aus dem Zimmer holen», schlug Oke schließlich vor. «Willst du mitkommen oder hier auf mich warten?»

«Ich komme mit.» Nie im Leben hätte ich auch nur eine Sekunde allein im Restaurant sitzen und warten können. Ich wäre durchgedreht oder hätte in kürzester Zeit einen Zustand der Volltrunkenheit erreicht.

 

«Wieso hast du eigentlich ein Zimmer? Bleibst du länger in Berlin?», fragte ich kurze Zeit später.

Au Backe, klang das jetzt nach Hoffnung? Oke ging vor mir einen typischen Hotelflur entlang, hellbrauner Fußboden, links und rechts nummerierte Türen, Bilder an den Wänden, alles sehr ordentlich, edel und relativ neu. Als er stehen blieb, um das Kärtchen in den dafür vorgesehenen Schlitz an seiner Tür zu stecken, rannte ich ihn beinahe um. Es durchfuhr mich wie ein Blitz – da war er wieder, dieser wunderbare Geruch. Ich wollte Oke küssen, das war das Einzige, woran ich denken konnte. Ich wollte seine weichen Lippen spüren und mich einfach fallen lassen. Wann hatte ich das letzte Mal mit Toni geschlafen? Wieso konnte ich mich daran nicht erinnern?

Es entstand ein kurzer Moment der Verlegenheit. Ich kam mir vor wie damals, als ich im Sportunterricht in meiner ausgeleierten Minnie-Maus-Unterwäsche vor der ganzen Klasse am Seil hatte hochklettern müssen, weil der Lehrer mich dazu erziehen wollte, die Sportklamotten nicht mehr zu vergessen. Tatsächlich erreichte er nur, dass ich ihn für den Rest meiner Schulzeit abgrundtief hasste.

Oke schob die Tür auf, und mir stockte bei dem phantastischen Ausblick fast der Atem. Drei riesige Fenster eröffneten den Blick über die Stadt. Auf der einen Seite sah ich die Gedächtniskirche, auf der anderen Häuser, so weit ich unter dem grauen Winterhimmel schauen konnte.

Eigentlich bewohnte Oke kein Zimmer, sondern eine Suite. Es gab einen Schreibtisch, ein breites Bett mit dunkelbraun gemusterter Tagesdecke und eine kleine Sitzecke mit beigefarbenen Polstersesseln und einem kleinen Sofa neben einem der Fenster. Im modernen Wandschrank war bestimmt ein Flatscreen versteckt, denn daneben lag eine Fernbedienung. Außerdem entdeckte ich eine moderne Kaffeemaschine, für die George Clooney Werbung machte.

«Bin gleich wieder da – dann muss ich noch kurz mit meinen Leuten in Westerland telefonieren. Danach können wir los.» Damit verschwand Oke im Badezimmer.

Ich setzte mich auf das Bett, streifte meine Stiefel ab und lehnte mich in die weichen Kissen zurück. Nur für einen kurzen Moment entspannen. In der letzten Nacht hatte ich so schlecht geschlafen. Erst hatte ich lange wach gelegen, dann war ich mehrmals wegen sehr phantasievoller Träume aufgewacht, in denen meistens ein Koch die Hauptrolle spielte. Kein Wunder also, dass ich nach dem Alkohol am Mittag das Gefühl hatte, jemand würde mir mit Gewalt die Lider zudrücken. Nur für ein Minütchen die Augen schließen …

***

«Ilse, Iiilse. Halloooo!»

Als ich aufwachte, blickte ich direkt in Okes blaue Augen. Er kniete vor dem Bett und versuchte, mich sanft zu wecken. Mist, ich war tatsächlich einfach so weggepennt. Wie peinlich. Und wie unglaublich blau diese Augen waren, wie sinnlich diese Lippen direkt vor meinem Gesicht meinen Namen flüsterten. Dann war da auch wieder dieser Geruch, bei dem ich mir wie in einer Umarmung vorkam. Der Alkohol, der Schlafmangel der vergangenen Nacht und dieser Duft … Ich war wie berauscht.

Ich drehte leicht den Kopf und brachte meine Lippen noch näher an die von Oke. Die Wärme seines Körpers fühlte sich vertraut an. Es war, als würde mich ein unsichtbarer Magnet immer dichter an seine Lippen ziehen, noch ein Stückchen näher und noch ein Stückchen. Und dann küssten wir uns. Es war genauso wunderbar wie in meiner Erinnerung. Seine Lippen waren weich und warm, sein Mund schmeckte nach Schokolade und Kaffee. Ich zog ihn zu mir auf das Bett und streifte ihm den Pullover über den Kopf, um seine Haut zu spüren. Plötzlich fühlte ich mich wieder wie mit fünfzehn, als ich mit meinem ersten Freund gefühlte Stunden knutschend in seinem Jugendzimmer verbracht hatte.

Oke war zunächst zurückhaltend, ließ sich eher von mir küssen, als selbst die Initiative zu ergreifen. Vorsichtig erkundete er mit der Zungenspitze meinen Mund. Aber dann schob er seine Hand unter meine Bluse und begann, sie aufzuknöpfen, während er mich weiterküsste. Seine Hand strich zart über meinen Bauch, und mich überlief ein Schauer, als er den Stoff des Oberteils von meiner Haut schob. Langsam tasteten sich seine Finger über meinen Rücken zum Verschluss des BHs und versuchten, ihn zu öffnen. Gut, dass ich Belinda angezogen hatte (zauberhafter Push-up-BH in Rosé mit zarter Stickerei in Dunkelrot und zierlichen Spaghettiträgern ab 67,95 €, dazu passender figurschmeichelnder Shorty-Slip ab 24,95 €). Relativ schlicht, aber aufregend. Oke stöhnte.

Und dieses Stöhnen ließ mich zur Besinnung kommen. Was machte ich hier eigentlich? Das war ja schlimmer als in jeder Vorabendserie im Fernsehen. Ich rappelte mich auf.

Oke zog seine Hand wieder zurück und sah mich fragend an. «Was ist denn los?»

«Ich kann das nicht. Tut mir leid.» In Wahrheit hätte ich ihn bei seinem Anblick am liebsten weitergeküsst.

Oke setzte sich ebenfalls auf. Er gönnte mir noch einen kurzen Blick auf seinen durchtrainierten Oberkörper, bevor er nach seinem Pullover angelte und ihn wieder mit Schurwolle verhüllte. Er sah mich ernst an.

«Ilse, du hast mich geküsst. Es kam mir nicht so vor, als hätten wir irgendetwas gemacht, was du nicht willst. Ich hatte nicht geplant, mit dir eine Nummer zu schieben. Verstehen muss ich dieses Hin und Her nicht, oder?»

Während ich meine Bluse zuknöpfte, versuchte ich, Ordnung in das Chaos in meinem Kopf zu bringen.

«Ich weiß es ja selbst nicht. Kann sein, dass ich mich in dich verknallt habe, kann aber auch sein, dass ich mich gern in dich verknallen würde, weil mein Leben ein wenig Aufregung gut vertragen könnte. Wenn ich sehe, wie du lebst, bin ich wirklich neidisch. Im Moment würde ich nichts lieber tun, aber ich kann trotzdem nicht mit dir schlafen. Wenn ich mir vorstelle, mein Mann ginge mit einer anderen ins Bett, weil er sich mit mir langweilt …» Es schüttelte mich.

Oke ging zu der Kaffeemaschine, um sie einzuschalten, und sagte leise: «Ich glaube, es wäre besser, wenn du jetzt gehst. Vielleicht denkst du mal in Ruhe darüber nach, was in deinem Leben so mies läuft, dass du auf dem Rücken Dritter nach einer Lösung suchst. Richtig ist das nicht, und so hätte ich dich auch nicht eingeschätzt.» Er konzentrierte sich ganz und gar auf die Zubereitung seines Kaffees und schaute mich nicht an.

Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, griff hastig nach meinen Stiefeln und schlüpfte hinein. Die Handtasche lag auf dem Fußboden, ich raffte sie an mich und drehte mich noch einmal zu Oke um.

«Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht weh tun, und es war keine böse Absicht, als ich zugesagt habe, mich mit dir zu treffen. Ich hatte gehofft, ich könnte herausfinden, was ich für dich empfinde …»

«Und, weißt du das jetzt?»

«Nein. Also … du bist mir nicht egal. Es macht mich traurig, dass ich dich enttäuscht habe, aber ich kann nicht aus meiner Haut.»

In dem Moment, in dem ich es aussprach, wusste ich, dass dies genau der Wahrheit entsprach. Ich war zur Ehebrecherin einfach nicht gemacht.

«Schon gut.» Oke drehte sich um und nahm eine Kaffeekapsel, die er in die Maschine steckte. «Wir sollten die Dinge nicht zerreden. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir über ein paar Angelegenheiten miteinander sprechen könnten.»

Ich war überrascht von seiner Besonnenheit, aber er war noch nicht am Ende.

«Ihr Frauen seid echt seltsam. Ich hab keinen Schimmer, was du eigentlich willst. Aber das bequatschen wir wohl lieber ein andermal.»

Er drehte sich demonstrativ von mir weg, und ich verließ leise weinend das Zimmer.