Kapitel 17

Nachdem sie geduscht, sich angezogen und eine dritte Tasse der Brasilia-Mischung getrunken hatte, war Frank wieder munter. Sie wusste, dass ihre Schwester keine spezielle Strategie verfolgte. Amanda wüsste nicht einmal, wo sie anfangen sollte. Frank dagegen hatte einige Ideen. Sie war froh, dass Amanda sie überredet hatte, es nochmals zu probieren.

Der Schlag von Walters und Clarissas doppeltem Verrat saß tief, aber er war lange nicht so verheerend wie andere Verletzungen, mit denen Frank in der Vergangenheit zurechtkommen musste. Wenn sie überhaupt etwas fühlte, dann Stolz. Denn Walters und Clarissas Anziehungskraft erlegen zu sein bedeutete ja, dass sie sich sozial zugänglich genug verhalten und Interesse gezeigt hatte. Zorn musste den Racheplan vor einem Jahr ausgebrütet haben, als sie sein Buch verrissen hatte. Der Zeitpunkt, den er gewählt hatte, um sie zu vernichten, war perfekt. Woher wusste er, dass Frank am Rande des Ruins stand, als Clarissa zur Tür hereinspaziert kam? Nur eine Sache in seinem Plan ging nicht auf, dachte Frank: Dadurch, dass sie offen zu der Schuld stand, die sie ihren Eltern gegenüber hatte, befreite sie sich von ihr. Als sie es vor Walter erwähnt hatte, war ihr Schuldgefühl schon weniger quälend geworden. Aber nachdem es nun die ganze Stadt erfahren hatte, fühlte sie sich mit einem Mal leichter.

Trotzdem musste sie den Schock erst überwinden. Einfach weinen. Das Schlimmste daran war, dass Frank sich so dumm vorkam. Matt hatte mit allem richtig gelegen: Der Wunsch, es Clarissa recht zu machen, hatte sie ganz offensichtlich blind gemacht. Allein der Gedanke, dass sie sich Sorgen über eine Verabredung mit Walter gemacht hatte, weil sie dadurch Clarissa kränken könnte. Irgendwie hatte sie der Blondine nie über den Weg getraut.

Und Walter hatte sie mit allen Mitteln der Kunst hereingelegt. Wie viel Mitgefühl hatte er doch gezeigt! Warum hatte er überhaupt Sex mit ihr gehabt, nachdem sie ihm schon vorher genug neuen Stoff für seine Story geliefert hatte? Aus reiner Lust? Oder steckte die Gier nach Macht dahinter? Frank war in seinen Armen eingeschlafen, im Glauben, es wäre die erste Nacht von vielen mit ihm. Wann hatte er sich weggeschlichen?

Klar, Walter musste umgebracht werden. Frank überlegte, ob Matt ihn gegen ein Honorar verschwinden lassen würde. Nachdem Frank und Matt die Kanne Kaffee im Wohnzimmer der Greenfieldschen Wohnung geleert hatten, fragte sie: »Hast du schon einmal jemanden getötet?«

»Das meinst du nicht wirklich?«

»Vergiss es.« Es war eine nette Phantasie, aber bei genauerem Nachdenken wahrscheinlich ein schlechter Plan.

»Nur fürs Protokoll, ich habe noch nie jemanden umgebracht. Ich bin Pazifist. Aber wenn du willst, dass ich die Wohnung oder das Geschäft von jemandem vollsprühe, fühle ich mich geehrt.«

»Noch nicht«, entgegnete Frank.

»Ich sehe es vor mir, in großen roten Buchstaben: >Walter Robbins hat Perot gewählt<. Oder so ähnlich.«

»Das würdest du für mich tun?«, fragte Frank.

»Wenn du die Materialkosten übernimmst«, gab er zurück.

Amanda war fertig geduscht und angezogen und inzwischen dabei angelangt, sich etwas »frisch zu machen«, wie sie es nannte, wozu auch halbstündiges Föhnen der Haare gehörte. Clarissa telefonierte währenddessen in der Küche. Frank war frustriert, dass ihre Schwester den Tag so gemächlich anging. Vielleicht wollte sie Zeit gewinnen, in der Hoffnung auf eine Eingebung, was als Nächstes zu tun war. Die Uhr zeigte schon zehn.

Endlich tauchte Amanda aus ihrem Zimmer auf, geföhnt und gestylt, bereit, den Tag in Angriff zu nehmen. Sie setzte sich auf die Couch. »Du bist dran mit Duschen, Matt«, sagte sie.

»Wenn du willst, dass ich aus dem Zimmer gehe, sag es einfach«, antwortete er.

»Ich will nicht, dass du aus dem Zimmer gehst«, gab sie zurück. »Ich will, dass du duschst.« Matt stand auf, lief ins Badezimmer und schlug die Tür zu.

Frank lachte. »Du bist heute aber knallhart.«

»Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Frank«, sagte ihre Schwester.

»Und poetisch.«

»Ich glaube, deine Direktheit färbt allmählich auf mich ab. Und mein Wesen auf dich.«

Frank überlegte. Sie leugnete nicht, dass sie sich zu öffnen begann, so, wie Amanda es immer schon tat.

»Es ist genauso wie das Yin-Yang-Symbol. Dein Yin-Punkt dehnt sich über dein Yang-Feld aus. Und mein Yang-Kreis wächst in mein Yin-Feld hinein.«

»Wenn du es sagst.« Frank stellte sich einen weißen Kreis vor, der sich wie ein Tropfen Farbe auf schwarzer Leinwand verteilte. Weiße Bäche, die wie Speichen von dem Klecks ausgingen.

»Ich sah gerade das Bild eines Zebras vor mir«, sagte Amanda. »Ich möchte zu gerne wissen, wo das herkam.«

Clarissa rief von der Küche aus nach den beiden Schwestern. »Amanda! Es ist jemand für dich am Telefon.«

»Wer ist es?«, fragte sie.

»Benji Morton. Willst du zurückrufen?«

»Sie hört überhaupt nicht mehr auf zu telefonieren — in unserem Haus. Mit wem spricht sie?«, flüsterte Frank Amanda zu. »Geh ran.«

Amanda rief: »Ich komme.«

Die Schwestern liefen in die Küche. Franks Blick fiel sofort auf das Weinglas auf dem Tisch — ein Überbleibsel von ihrer Nacht mit Walter. Ihr graute vor dem Keulenschlag der Erinnerung. Sie atmete tief ein und wieder aus, so, wie Amanda es immer predigte, und Frank musste sich eingestehen: Es half. Also atmete sie erneut tief ein und wieder aus, während Amanda den Anruf entgegennahm.

»Benji?«, fragte Amanda ins Telefon. »Rufst du mich aus dem Gefängnis an? Oh, klasse. Ich freue mich, dass... Ich weiß, es tut mir Leid. Ich habe reagiert auf... Ja, es ging alles so schnell.«

»Was?«, fragte Frank.

Amanda winkte ab. »Ich habe Bert Tierney von deinem Bürotelefon aus angerufen. Ja. Ja. Ich weiß. Du solltest dich selbst fragen, warum du meinst, Lügen verbreiten zu müssen über dein... Weil du weißt, dass eine Lüge nicht... Gut, einverstanden. Wir sind gleich drüben.«

Sie hängte ein. Clarissa und Frank warteten darauf, dass sie ihnen alles erzählte. »Benji hat uns zu sich in die Wohnung eingeladen, zu Kaffee und Scones«, sagte sie.

»Mich nicht?«, fragte Clarissa.

»Nein, nur Frank und mich.«

»Warum sollte Morton uns treffen wollen?«, wunderte sich Frank.

»Er braucht unsere Hilfe«, antwortete Amanda.

»Und er denkt, die bekommt er?«, fragte Frank.

»Denk an dein Yin«, entgegnete Amanda.

Benji könnte für Frank wichtig werden, wenn sie gezwungen wären, ihre Räume an das Moonburst zu vermieten. Das wäre der einzige Weg, die Wohnung zu halten. »Also gut, gehen wir«, erklärte sie sich deshalb bereit.

»Und was ist mit mir?«, fragte Clarissa.

»Du bist nicht eingeladen«, gab Frank zurück.

»Was soll ich machen?«, fragte sie hilflos. Sobald sie nicht mehr als bösartige Puppenspielerin die Fäden ziehen konnte, war Clarissa planlos. Unbedeutend.

»Hast du keine Hausaufgaben zu erledigen?«, fragte Frank.

»Clarissa, bitte bleib hier und geh ans Telefon, falls jemand anrufen sollte. Und sag Matt, wir sind schnell mal weggegangen. «

Clarissa nickte, während sich Frank über die Großzügigkeit ihrer Schwester wunderte. Die beiden zogen ihre Mäntel an und verließen die Wohnung. Draußen sahen sie, dass das Moonburst noch immer geschlossen war. Die Schlange derer, die für Kaffee vor der Bagel-Bäckerei neben dem Romancing the Bean anstanden, reichte bis zum nächsten Block.

Als sie bei Benjis Haus in der Joralemon Street ankamen, wies Amanda Frank darauf hin, dass das Absperrband der Polizei entfernt worden war. Das musste bedeuten, dass die Polizei die Untersuchungen am Tatort und die gerichtsmedizinischen Analysen abgeschlossen hatte. Frank drückte auf Benjis Klingelknopf — Apartment zwei. Die Eingangstür öffnete sich automatisch, ohne dass er gefragt hätte, wer zu ihm wollte. Die Schwestern gingen hinauf und Benji öffnete die Wohnungstür. Er trug eine graue Trainingshose, dazu ein ausgeleiertes T-Shirt mit dem Logo von Moonburst, und war schuhlos.

»Zieh dich wegen uns nicht an«, sagte Frank.

»Vor einer Stunde haben sie mich entlassen«, begann Benji. »Gegen eine Kaution von hunderttausend Dollar bin ich wieder auf freiem Fuß.«

Während des einen Tages im Gefängnis musste Benji zehn Pfund abgenommen haben. Sein normalerweise rötliches Gesicht war so grau wie seine Hose. Er bat sie, auf einem s-förmigen Sofa aus rotem Samt und mit Troddeln an den Kissen Platz zu nehmen. Frank überlegte, ob er das gute Stück bei einem Bordell-Ramschverkauf erstanden hatte. Alle seine Möbel sahen so aus, als hätte er sie aus verschiedenen, aber gleichermaßen knalligen Pornofilm-Szenerien zusammengesucht. Nichts passte zusammen, aber die Tatsache, dass alles ähnlich schäbig aussah, verlieh dem seltsamen Sammelsurium Harmonie.

Benji nahm auf einem großen Kapitänssessel aus schwarzem Leder ihnen gegenüber Platz. »Ich kann noch immer nicht glauben, was mir widerfahren ist.« Er strich seine roten Haare zurück und fuhr fort: »Ich habe immer gedacht, vielleicht bekomme ich eines Tages Krebs. Oder ich werde überfallen und mit einem Messer niedergestochen. Vielleicht auch von einem Bus überfahren. Aber kein Mensch kommt auf die Idee, fälschlicherweise unter Mordverdacht zu geraten.«

»Du Ärmster!«, bedauerte ihn Amanda. »Was kann ich für dich tun?«

»Bist du so nett und holst den Kaffee? Er steht in der Küche. Um die Ecke.« Er deutete nach hinten in die Wohnung und Amanda sprang von der Couch auf. Das Ziel gab ihr Schwung.

Frank blieb ruhig sitzen. Benji blickte sie an und starrte dann auf seine behaarten Zehen. Frank war die Situation peinlich, sie musste das Schweigen brechen. »Gibt es einen Zeugen?«, erkundigte sie sich.

Benji nickte. »Ja, eine Frau. Ich weiß nicht, wer sie ist. Sie hat ihren Hund spazieren geführt und gesehen, wie ich mich mit Chick vor dem Haus stritt. Und wir haben auch tatsächlich gestritten. Er klingelte mich um 2 Uhr früh heraus und wollte bei mir übernachten. Ich sagte ihm, er solle verschwinden. Daraufhin hielt er gut fünf Minuten lang den Klingelknopf gedrückt. Deshalb ging ich hinunter, beschimpfte ihn und bin dann wieder nach oben gelaufen. Als Nächstes hörte ich die Sirene eines Rettungswagens jaulen. Als ich hinaussah, konnte ich beobachten, wie Chicks Leiche von Sanitätern auf eine Bahre gehievt wurde.«

»Warum hat die Frau ihren Hund ausgerechnet um 2 Uhr morgens ausgeführt?«, fragte Frank.

»Ich habe keine Ahnung«, heulte Benji. »Vielleicht hat der Hund Abführtabletten gefressen.«

Frank zog die Augenbrauen hoch, während Benji weitersprach. »Wenn dir das alles passieren würde, würdest du dir auch einige seltsame Theorien zurechtlegen. Wer auch immer sie ist und was auch immer sie hier gemacht hat: Sie erzählte jedenfalls den Bullen, dass sie sah, wie ich Chick einen Abfalleimer auf den Kopf schlug. Sie zeigte ihnen sogar die Delle. An jedem dieser Abfalleimer sind mindestens fünfzig Dellen. Meine Fingerabdrücke waren auf dem Henkel. Kein Wunder, ich wohne hier, um Himmels willen! Das ist unglaublich, einfach lächerlich. Undenkbar, dass ich, direkt vor den Augen meiner Nachbarn, einen Mann töte und dann auf meiner eigenen Treppe liegen lasse. Die Bullen scheint es nicht sehr zu interessieren, ob die Geschichte einen Sinn ergibt. Sie wollen nur eine Verhaftung. Warum sollte die Frau lügen?«

»Die Polizei braucht ein Motiv«, sagte Frank.

»Sie braucht keines, wenn sie einen Augenzeugen hat«, erklärte er. »Sie hat mich bei einer Gegenüberstellung identifiziert.«

Amanda kam mit einer Kaffeekanne und drei Moonburst-Tassen zurück. Sie schenkte ein, servierte den Kaffee und setzte sich. Als sie alle Kaffee hatten, sagte Frank: »Es ist unmöglich zu erschmecken, woher dieser Kaffee stammt. Er ist so verbrannt, dass man ihn nicht mehr zuordnen kann.«

»Auf eine Kaffee-Debatte bin ich jetzt nicht scharf, Francesca«, sagte Benji.

Amanda stellte ihre Tasse auf den überdimensionalen Ottomanen-Tisch. »Es tut mir schrecklich Leid, was dir passiert ist, Benji, aber mir ist nicht klar, was Frank und ich für dich tun könnten.«

»Die einzige Möglichkeit, mich zu entlasten, besteht darin, die Person zu finden, die es getan hat«, erklärte er.

»Und du denkst, wir wissen, wer Chick getötet hat?«, fragte Frank.

»Ich will damit nicht sagen, dass ihr in die Sache verwickelt seid«, beschwichtigte er. »Euch zu verärgern ist wirklich das Letzte, was ich möchte. Ich fasse kaum, dass ihr bereit wart, zu mir herüberzukommen, so wie wir uns in den vergangenen zwei Jahren gegenseitig behandelt haben. Es tut mir Leid, Francesca. Es tut mir wirklich aufrichtig Leid, was das Moonburst deinem Laden angetan hat. Ich weiß, es ist jetzt nicht der richtige Augenblick, davon anzufangen, aber ich hatte immer das Gefühl, dass uns unsere Jobs daran gehindert haben, eine persönliche Beziehung aufzubauen.«

Redet er wirklich mit mir?, fragte sich Frank. »Für dich bedeutet das Moonburst einen Job, aber Barney Greenfield’s — Romancing the Bean — ist mein Erbe«, sagte sie.

»Frank, ich glaube, Benji versucht dir zu sagen, dass du ihm nicht gleichgültig bist.«

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

Benji wirkte nervös. »Musst du ja auch nicht. Durch die Verhaftung sind mir einige Dinge klar geworden und ich wollte das loswerden. Denk darüber nach. Wenn du dich mit mir verabreden willst, ich bin interessiert.«

»Wie romantisch«, flüsterte Frank ihrer Schwester zu. Frank war so desinteressiert, dass sie sich nicht einmal geschmeichelt fühlte. Aber es bewies ihr, dass man eine Menge verpasste, wenn man wild dazu entschlossen war, einen Teil von sich selbst zu ignorieren.

»Ich weiß immer noch nicht ganz genau, warum wir hier sind«, sagte Amanda zu Benji.

»Ihr wart mit Chick befreundet und ich habe ebenfalls einige Zeit mit ihm verbracht. Wenn wir uns austauschen, finden wir vielleicht etwas heraus.«

»Jetzt bietet sich dir endlich eine Gelegenheit für deine Nachforschungen, Amanda«, sagte Frank.

Die jüngere Schwester nickte. »Eigentlich kenne ich Chick überhaupt nicht«, sagte sie zu Benji. »Ich möchte aber mehr über ihn erfahren, vielleicht aus Respekt oder Liebe, ich weiß nicht genau. Mich interessiert, wie du ihn kennen gelernt hast.«

»Ich soll also einfach erzählen?«, fragte Benji.

»Bitte«, drängte Amanda.

Der Manager des Moonburst fummelte unsicher an der ledernen Sessellehne herum. »Also, die ganze Angelegenheit beginnt, bevor ich Chick Peterson überhaupt kennen gelernt habe. Soll ich dennoch erst bei Chick anfangen oder wollt ihr die ganze Geschichte hören?«

»Alles ist von Bedeutung, findest du nicht?«, sagte Amanda freundlich, um ihn aus der Reserve zu locken.

Benji nickte. »Es beginnt auf dem College. Bert Tierney und ich sind zusammen zur Schule gegangen — das ist der Mann in Vietnam, mit dem du telefoniert hast, Amanda. Unsere Freundschaft war von Konkurrenzdenken geprägt. Nach dem Abschluss ging er zur Harvard Business School. Ich besuchte Fordham.«

»Fordham ist eine hervorragende Schule«, sagte Amanda.

Er wischte das Kompliment weg wie einen Fussel. »Es ist nicht Harvard. Nachdem wir beide unsere Master of Business Administration-Diplome in der Tasche hatten, suchte er sein Glück in der weiten Welt. Ich versuchte das Gleiche und kam bis in meinen Hinterhof. Sechs Jahre nach dem Abschluss bin ich Manager von einem Café in Brooklyn.«

»Vor ein paar Wochen«, fuhr Benji fort, »rief Tierney mich zu Hause an. Aus heiterem Himmel. Er erzählte mir, er wäre in Vietnam und würde eine Hotelanlage an irgendeinem Strand bauen. Die vietnamesische Regierung würde verzweifelt versuchen, den Tourismus ins Rollen zu bringen, und dem Amerikaner von Harvard helfen, wo sie nur konnte. Er hatte bereits Millionen aus den Kassen privater Investoren in sein Hotel in Buon Ma Thuot gesteckt — das ist irgendwo unten im Süden. Er sagte, die anderen Ferienhotels im Land würden von Einheimischen geführt, die keine Ahnung davon hätten, was Touristen aus dem Westen wünschten. Er plante, mit seinem Hotel einen Riesenerfolg zu landen, sich dann zurückzulehnen und zuzusehen, wie das Geld nur so hereinrollte. Ich hörte mir seine Prahlereien an und tat so, als würde ich mich für ihn freuen. Stattdessen brannte ich vor Eifersucht.

Da platzte ich damit heraus, dass ich Vizepräsident für den weltweiten Verkauf bei Moonburst wäre«, sagte Benji. »Ich dachte, das wäre international genug, um ihm zu imponieren. Er wollte wissen, warum ich nicht in Seattle wäre, worauf ich ihm erzählte, dass das Unternehmen mich als seinen Mann in New York auserkoren hätte. Ich sagte, dass ich die meiste Zeit über in Arbeit versank und Geschäfte mit Besitzern von Kaffeeplantagen in aller Welt tätigte. Und Tierney glaubte mir! Und nicht nur das, er wollte auch, dass wir miteinander ins Geschäft kommen. Er wusste von einer Kaffeeplantage bei sich in der Nähe. Die Einheimischen, die den Kaffee ernteten, mussten achtzig Prozent der Ernte und des Gewinns an die Regierung abgeben. Aber er würde, so sagte er, seine Beziehungen spielen lassen, damit ich für die verbleibenden zwanzig Prozent ins Geschäft kommen könnte.

Da verlor ich allmählich etwas das Maß«, sagte Benji. »Ich ließ mich zu einigen unverbindlichen Bemerkungen hinreißen. Schließlich sagte Tierney, er kenne einen Amerikaner, der mit den Montagnards, den Stammesangehörigen der einheimischen Bergvölker, zusammengearbeitet hatte, um einen hybriden Robusta/Liberica-Baum zu ziehen, der Bohnen mit doppelt so viel natürlichem Koffein hervorbrachte wie die indonesischen Pflanzen. Tierney meinte, die Bohnen würden ein Riesenhit in Amerika sein.«

Und Tierney hatte Recht, dachte Frank. Wie viele Amerikaner tranken Kaffee allein wegen des Koffeins? Benji fuhr fort: »Ich sagte ihm, dass ich keinen Kaffee kaufen könnte, ohne ihn vorher probiert zu haben, worauf er mich einlud, nach Vietnam zu kommen. Von da an saß ich in der Patsche, hatte ich doch eben noch damit angegeben, dass ich für das Moonburst um die ganze Welt flog. Nun beschwichtigte ich ihn, indem ich sagte, wir wären mindestens noch bis März an Verträge gebunden. Damit ließ er die Idee fallen. Aber dann bat er mich um Investitionskapital — tatsächlich war das der eigentliche Grund seines Anrufs. Später erfuhr ich, dass er alle, die in seinem Adressbuch standen, abgeklappert hatte, um Geld zusammenzukratzen. Ich versprach, ihm tausend Dollar zu schicken. Damit beendeten wir das Gespräch, und ich hoffte, nie wieder von ihm zu hören.«

Frank war überzeugt, Benji hätte die tausend Dollar geschickt, nur um nicht aufzufliegen. »Chick — der amerikanische Botaniker — tauchte eine Woche später im Moonburst auf«, erzählte Benji weiter. »Nach zirka fünf Minuten hatte er herausgefunden, dass ich keine besondere Stellung im Moonburst-Imperium innehatte. Ich war bereit, alle Lügen zuzugeben, aber Chick meinte: >Wenn ich jetzt schon einmal hier bin und ein Pfund von den Bohnen dabeihabe, können wir doch einen Versuch machen.< Ich hatte Verbindungen zu einem regionalen Einzelhandelsdirektor in Seattle. Allmählich begeisterte ich mich für die Idee. Um unseren neuen Pakt zu begießen, brühten Chick und ich eine Kanne von dem Pfund gerösteter Bohnen auf, die er geschmuggelt hatte — er hatte auch einige rohe Bohnen für, wie er sagte, seinen persönlichen Gebrauch dabei — , und setzten uns zusammen, um eine Strategie auszuarbeiten. Ich nippte einmal von dem Gebräu und kippte fast um, so raste mein Herz und so schoss das Blut durch meine Adern aufgrund des Koffeingehalts. Außerdem schmeckte er furchtbar. Unter keinen Umständen würde das Moonburst Kaffee verkaufen, der so miserabel schmeckte.«

»Da bin ich aber anderer Ansicht«, schaltete sich Frank ein.

»Du hast diesen Kaffee noch nicht probiert«, gab Benji zurück. »Ich sagte zu Chick, dass wir das Kaffee-Projekt begraben müssten. Und weil ich ein schlechtes Gewissen wegen der ganzen Angelegenheit hatte, bot ich ihm an, dass er bei mir wohnen könnte. Er war ein höflicher Gast, aber nach einigen Tagen wollte ich meine Privatsphäre wiederhaben. Außerdem ging er mir auf die Nerven. Er hing im Moonburst herum und erzählte meinen Gästen von seinen Wunderbohnen. Immer wieder kam er hinter die Theke und nahm sich Kostproben von Kaffee und Gebäck, bis meine Geduld am Ende war und ich ihn bat zu verschwinden. Anscheinend ist er dann vor eurer Tür gelandet.«

»Wo ist das Pfund geröstete Bohnen?«, fragte Frank. Den Vorrat an ungerösteten Kaffeebohnen musste Chick selbst aufgegessen und so eine Überdosis erwischt haben, abzüglich der Bohnen, die Matt Frank gegeben hatte.

»Chick hat das meiste davon behalten. Zirka ein Viertelpfund ließ er mir als Probe da, für den Fall, dass ich meine Meinung änderte. Ich sperrte es in den Safe, Chick wollte es nie zurück. Ich nehme an, es liegt immer noch da.«

»Gibst du es uns?«, bat Frank. Sie war neugierig, wie das Gebräu schmeckte.

»Leider befinden sich die Safeschlüssel zurzeit irgendwo im Abwassersystem von New York City«, erklärte Benji.

Amanda kicherte. »Tut mir Leid.«

Frank hatte keine Ahnung, wovon sie sprachen. Aber es war ihr eigentlich auch egal. »Wir können den Safe jederzeit knacken«, sagte sie laut zu sich selbst.

»Erzähl mir mehr von Chick«, sagte Amanda. »Als er bei dir wohnte, hat er da lang geschlafen? Ist er bei Tagesanbruch aus dem Bett gesprungen? Kochte er sich etwas oder aß er Zerealien aus der Schachtel? Hat er gelesen, bevor er ins Bett ging? War er ein ordentlicher Mensch?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Benji.

»Wieso weißt du das nicht? Ihr habt doch einige Tage zusammen gewohnt?«

»Ja, aber in der Zeit bekam ich ihn hier kaum zu Gesicht. Ich verlasse gegen 6 Uhr das Haus, um den Laden aufzumachen, und da war er noch nicht wach. Er hat meine Lebensmittel gegessen, Pasta, Hühnchenreste, Obst, Getreide, Eier — aber ich weiß nicht, ob er es aus dem Topf oder von einem Teller aß. Normalerweise räumte er seine Sachen auf. Und ob er las, bevor er ins Bett ging, weiß ich nicht, denn ich liege um 22 Uhr in der Falle.«

»Hast du in deinem Zimmer geschlafen?«

»Da vorne. Ich bin gekommen, habe meine Tür zugemacht, und das war’s dann für die Nacht.«

»Wo hat Chick geschlafen?«, wollte Amanda wissen.

»Auf der Couch.«

»Auf dieser Couch? Das ist doch eher ein s-förmiges Sofa. Wie hat er das denn gemacht? Er war gut über einen Meter achtzig groß.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Benji. »Darüber habe ich nie nachgedacht.«

»Zuerst schlief er auf einer äußerst unbequemen Couch und dann bei uns auf dem Kellerboden. Seine letzten Nächte müssen qualvoll und unruhig gewesen sein. Er suchte sich Essen zusammen, wo er konnte, war hungrig, verzweifelt und sehnte sich nach menschlicher Wärme. Er jagte seinen Träumen hinterher, die sich nie realisieren lassen würden.«

»Du tauchst ihn in ein zu romantisches Licht«, unterbrach Frank ihre Schwester.

»Warum sagst du das?«

»Ich bekomme allmählich ein anderes Bild von Chick.«

»Welches?«

»Er war ein Schmarotzer.«

Amanda rang nach Atem. »Er war Botaniker!«

Frank biss sich auf die Lippen. Sie hätte ins Detail gehen können, darlegen, wie Chick jemanden ausnutzte, bis dessen Tür sich schloss. Wenn Amanda ihn bei ihrer Verabredung nicht beleidigt hätte, hätte sie ihn sicher als Übernachtungsgast auf der Pelle gehabt, bis sie ihn auch hätte rausschmeißen müssen, da war Frank sicher. Es drängte sich ihr der Gedanke auf, dass es Chicks eigentliche Absicht war, Amanda herumzukriegen, um sich Zugang zu ihrem Zuhause zu verschaffen. Vielleicht war das zum Teil der Grund, warum er aus dem Heights Café hinausgerannt war: Amanda hätte sich am nächsten Tag nach ihm umgeschaut und ihn gebeten, bei ihr zu wohnen. War das möglich? War Chick ein berechnender Schmarotzer? Doch Frank behielt ihre Theorie für sich, denn sie wollte Amanda auf keinen Fall beunruhigen. Gleichzeitig war sie überrascht, wie sehr ihr die Idee gefiel, dass sie einander ergänzten und dass sie sich einander geöffnet hatten. Und dass sich außerdem ein Teil der einen in der anderen geöffnet hatte. Das alles wollte Frank nicht aufs Spiel setzen, indem sie Amandas Seifenblase namens Chick zerplatzen ließ.

»Du hast Recht«, sagte Frank. »Chick hatte einfach eine Pechsträhne.«

»Das bringt mich zu dem Mord zurück. Hast du irgendeine Idee, Amanda? Empfängst du eine deiner Botschaften?«

»Es hat mir gut getan, Chick in dem ganzen Zusammenhang zu sehen, aber weiter fällt mir nichts dazu ein«, sagte sie. »Lasst das ein paar Stunden in mir wirken, vielleicht kommt irgendwas an die Oberfläche.«

»Mir bleibt nichts weiter übrig, als dich zu bitten, dass du es versuchst«, sagte Benji.

Frank wischte über ihre Jeans und stand auf. »Gehen wir, Amanda.«

Die Schwestern bedankten sich bei Benji, wünschten ihm Glück und gingen. Als sie auf der Straße waren, sagte Amanda, fröstelnd wegen der kalten Luft und Benjis Elend: »Die ganze Zeit und Energie, die wir dafür aufgewendet haben, Benji als rücksichtslosen Gegner hinzustellen, war offensichtlich verschwendet. Er ist einfach ein verzweifelter Tropf.«

»Wie wir alle?«, fragte Frank, während sie nach Hause liefen.

»Das glaubst du doch selbst nicht«, konterte Amanda. »Du hältst dich für ziemlich intelligent. Gib es zu.«

»Und du hältst dich für ziemlich hübsch.«

»Na ja, ich hasse falsche Bescheidenheit«, sagte sie und klimperte mit ihren langen Wimpern.

»Vielleicht weiß Matt, wo der restliche Kaffee hingekommen ist.«

»Wir sollten ihn fragen«, sagte Amanda.

»Was diese Bohnen angeht, bin ich wirklich neugierig.« Frank war auch der Ansicht, dass Bohnen mit hohem Koffeingehalt attraktiv für die Gäste wären. Wenn sie einem natürlich eine Todesdosis Koffein verpassten, war das ein Problem. Aber es war ja erst die erste Hybrid-Generation. Würde man Robusta- und Liberica- mit Arabica-Pflanzen kreuzen, ergäbe das vielleicht einen höheren Koffeingehalt und einen besseren Geschmack. Eine verfeinerte Hybrid-Pflanze konnte ein Vermögen wert sein.

Anstatt in die Montague Street einzubiegen, um nach Hause zu gelangen, sagte Frank zu Amanda: »Ich habe eine Idee. Geh eine Runde mit mir spazieren.«

»Wohin?«

»Komm einfach.«

Amanda zuckte die Achseln. Sie schnürte ihren Mantel enger und lief hinter Frank her. Sie gingen die Hicks Street hinunter bis über die Promenade, hinein nach North Heights. Dann bog Frank nach rechts in die Middaugh Street ab. Es war eine der Straßen mit vereinzelt liegenden Blocks, die gar nicht zum üblichen gehobenen viktorianischen Stil von Brooklyn Heights passte. Die meisten Häuser hier waren aus Holz, nicht aus Brownstone. Alle sahen baufällig und heruntergekommen aus, mit verwitterten Schindeln und Eingangstüren, von denen die Farbe abblätterte. Es war die Slumgegend von Brooklyn Heights, wahrscheinlich das Pendant zur nobelsten Straße von Manhattans Lower East Side. Sie liefen den Block entlang und blieben an der Ecke zur Clinton Street stehen. Frank blickte an einem grauen Haus hoch, das sehr baufällig wirkte. Sie schaute auf die Nummer an der Tür und sagte: »Wir sind da.«

Sie klopfte an die schmutzige graue Tür. Die Fenster im Erdgeschoss waren weiß wie Seife, aber Frank sah drinnen schwere Vorhänge. Sie hämmerte weiter, auch als nach ein paar Minuten noch immer niemand öffnete.

»Ich glaube nicht, dass jemand zu Hause ist«, meinte Amanda.

»Er schläft«, mutmaßte Frank. »Tagsüber schläft er.«

»Veranstalten wir ein Interview mit einem Vampir?«, witzelte Amanda.

»Mit einem Bäcker.«

In dem Moment öffnete ein Riese, der an ein Marshmallow erinnerte, die Tür. Patsie Stromboli. Er trug einen pinkfarbe-nen gestreiften Pyjama, der Frank an Piglet aus Winnie the Pooh erinnerte, nur fünftausendmal größer. Sein braunes Haar war gelockt und schien sich in einem einzigen Strang wieder und wieder um seinen Kopf zu legen. Die durchschimmernde Kopfhaut hatte die Farbe von Zimtschnecken.

»Was gibt’s«, fragte er eher erschöpft als ärgerlich.

»Patsie Stromboli, hi. Ich bin Francesca Greenfield. Sie bekommen monatlich einen Scheck von uns zugeschickt.« Frank hatte ihn seit der Highschool nicht mehr gesehen. Seit der Zeit, als sie das Geschäft übernommen hatte, hatten Patsie und sie schriftlich oder fernmündlich korrespondiert, niemals von Angesicht zu Angesicht. »Es ist schon eine Weile her. Sie haben sich nicht verändert«, bemerkte Frank. Hatte er auch nicht. Vielleicht war sein Haar länger.

Patsie lächelte und zeigte schmuddelige Zähne. »Francesca Greenfield. Sie sehen Ihrem Vater immer ähnlicher.«

»Wie geht es Ihrem Kopf, Patsie? Ich hoffe, es ist alles in Ordnung«, sagte Amanda.

Er lächelte ihr schläfrig zu und sagte: »Und Sie sehen genauso aus wie Ihre Mutter. Meinem Kopf geht es gut. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich Sie so erschreckt habe.«

Würde Amanda ihm den Kopf abhacken, würde der Typ sich noch dafür entschuldigen, so viel Blut zu verspritzen, dachte Frank. »Dürfen wir hereinkommen?«, fragte sie. Es war kalt auf der Straße.

Sobald sie drinnen waren, ließ Frank ihre Augen über die 120 Quadratmeter wandern. An der einen Wand ragte eine riesige Gefriertruhe in den Raum. Daneben stand ein massiver Viking-Ofen. Auf einem gewaltigen Tisch mit Stahltresen befand sich ein Zwanzig-Liter-Cuisinart. In der hinteren Ecke erspähte Frank ein Feldbett — ein Kingsize-Feldbett wohlgemerkt — und einen Schrank. Eine Tür neben dem Bett musste zu einem Badezimmer mit einer Duschkabine führen.

»Meine Arbeit ist mein Leben«, sagte Patsie, als wollte er seine Wohnverhältnisse erklären.

»Wirklich, ich bewundere Männer, die nicht vom Kaufrausch besessen sind. Materielle Dinge geben weder Liebe noch garantieren sie den Seelenfrieden. Und keinesfalls bringen sie einen auch nur einen Schritt der spirituellen Erleuchtung näher.«

Patsie nickte. »Manchmal, wenn ich um Mitternacht alleine bin und backe, kann ich fast hören, wie sich die Erde dreht.«

»Zen und die Kunst zu backen?«, fragte Frank. Unter dem Feldbett sah sie einen Aschenbecher und eine kleine rote Haschpfeife.

Patsie trat unbehaglich von einem seiner winzigen Füße auf den anderen. Auf einmal fragte er voller Selbstbewusstsein: »Was kann ich für Sie tun? Stimmt etwas mit den Backwaren nicht?«

»Nein, nein«, beschwichtigte Frank umgehend. »Aber ich habe mich gefragt, ob Sie eventuell bei einer Ihrer Auslieferungen ein halbes Pfund Kaffeebohnen in unserem Keller gefunden haben.«

»Ein halbes Pfund Kaffee?«

»Ich vermute, es war in einem Sack.«

»Sie lagern Kaffee nie im Keller«, sagte er. Er hatte Recht. Frank kaufte kleine Mengen, so dass die Bohnen frisch blieben und oben im Geschäft aufbewahrt werden konnten.

»Vielleicht hat es Ihnen jemand gegeben? Oder verkauft?« Frank hatte eine Theorie, die Wunderbohnen-Theorie. Chick wohnte im Keller, und er brauchte schnell etwas Bargeld, um Amanda den Hof machen zu können. Also hatte er ein paar von seinen Wunderbohnen an den Riesen verkauft. Sie mussten sich irgendwo im Keller über den Weg gelaufen sein. Frank wusste nicht genau, was Chick Patsie über die Bohnen gesagt hatte, aber so pfiffig war der Bäcker nicht.

»Ich rieche etwas«, sagte Frank. Ihre Spürhundnase führte sie zu einem Backregal neben dem Ofen. Auf jedem Brett lagerte eine andere kulinarische Köstlichkeit: Scones, Kuchen, Muffins, Obstkuchen, Biscotti, kleine Töpfchen mit Crème brûlée. Sie konnte den Kaffeegeruch von Leckerbissen zu Leckerbissen nicht mehr unterscheiden. »Er ist da drin, stimmt’s?«, sagte Frank. »Der Kaffee ist da drin.«

Patsie seufzte und nickte. »Für die Crème brûlée habe ich Stunden gebraucht. Zweimal ist sie im Ofen gewesen. Dann die Auflaufförmchen. Aber sie ist der Mühe wert. Im Rezept stand gemahlener Kaffee. Also musste ich die Bohnen mahlen und dann noch per Hand zerstoßen. Und ich bin begeistert, wie gut die Kaffee-Orangen-Scones geworden sind. Zwei gehäufte Esslöffel frisch gemahlener Kaffee pro Dutzend. Ich habe schon fast ein ganzes Blech davon selbst gegessen. Vielleicht habe ich deshalb schlecht geschlafen.« Während er sprach, war sein Kinn fast nicht von seinem Hals zu unterscheiden.

»Was ist das?«, fragte Frank und hob ein Gebäckstück in einer kleinen Blechform hoch.

»Gute Wahl«, stellte er anerkennend fest. »Das ist ein Chiffon Caffe Mini Pie. Mit Graham Cracker-Kruste. Eigelb, eine Tasse doppelt kräftiger, extrastarker, frisch aufgebrühter Kaffee. Ein Spritzer frischer Zitronensaft, etwas Zitronenschale. Probieren Sie. Genießen Sie.«

Frank schälte den Kuchen aus seinem metallenen Mäntelchen und knabberte an der Kruste. Sie biss ein größeres Stück ab. »Ah«, gurrte sie. Unglaublich. Frank aß das ganze Teil. »Jetzt habe ich Beweismaterial vernichtet.«

»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, sagte Amanda. »Ist das der vietnamesische Kaffee? In Gebäck verbacken?«

»Vietnamesisch?«, wiederholte Patsie. »Matt sagte, die Bohnen werden in Singapur extra zum Backen gezogen.«

Matt? Matt hatte ihm die Bohnen verkauft? Tja, dann war Franks Wunderbohnen-Theorie nicht aufgegangen. »Sie sprechen von Matt, dem Gammler. Der, der Ihnen die Cappucci-no-Maschine auf den Kopf geschlagen hat?«, präzisierte Frank.

Patsie nickte. Sein Kinn verschwand. »Ja, der.«

»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Frank. Sie musste herauskriegen, wie die Bohnen von Chick zu Matt gelangt waren. Doch das war kein Problem, sie brauchte ihn nur zu fragen. »Versprechen Sie mir etwas?«, sagte sie zu Patsie. »Essen oder verkaufen Sie das Gebäck nicht. Frieren Sie es ein.« So furchtbar die Bohnen zum Aufbrühen waren, so fantastisch waren sie zum Backen. Diese vietnamesischen Bohnen könnten letztendlich doch zu vermarkten sein. Als koffeinhaltiger Snack. Würden die Amerikaner so etwas kaufen?

Patsie erklärte sich einverstanden, die Köstlichkeiten aus Kaffee einzufrieren. Die Schwestern bedankten sich bei ihm und liefen nach draußen. Patsie rief ihnen nach: »Warten Sie! Soll ich eigentlich Ihnen oder Mr Phearson die Rechnung für Januar ausstellen? Ich kann Ihre Rechnung ja einfach an das Heights Café schicken.«

»Was hat Todd Phearson mit der Rechnung für unsere Backwaren zu tun?«, fragte Frank.

Patsie wirkte durcheinander. »Morgen ist der 15. Januar.«

»Und?«

»Wissen Sie nichts von der Vereinbarung?«

Frank lief es eiskalt den Rücken hinunter, aber nicht wegen der Kälte. »Von welcher Vereinbarung?«, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Sie beide sollten besser mit Mr Phearson sprechen.«

»Ich habe ihm nichts zu sagen.«

»Aber ich bin sicher, er hat Ihnen etwas zu sagen«, entgegnete Patsie, während er seine verwitterte Tür schloss.