Kapitel 16
Amanda hörte das Klopfen, tat aber, als würde sie nichts bemerken. Wer konnte um 6 Uhr früh an ihre Türe hämmern? Matt würde schon öffnen. Er schlief auf der Wohnzimmercouch, drei Meter von der Wohnungstür entfernt.
Das Hämmern hörte nicht auf. Amanda schälte sich aus dem Bett, schlüpfte in ihre Pantoffeln und schlurfte den Flur entlang. Matt saß auf der Couch und betrachtete seine Nägel.
»Kannst du nicht aufmachen?«, fuhr Amanda ihn gereizt an.
»Ich bin nur ein Gast«, gab er zurück.
»Du bist ein Angestellter«, schnauzte sie. »O Gott, es tut mir Leid, dass ich das gesagt habe.« Es passierte also noch immer, dachte sie. Wie konnte es sein, dass stechende Bemerkungen aus ihrem Mund flogen wie Bienen?
»Es muss dir nicht Leid tun«, entgegnete er. »Ich mag diese Seite an dir.«
»Welche Seite?«, fragte sie und griff nach der Türklinke.
»Die mit dem scharfen Rand.«
Amanda gefiel die Anspielung nicht: War sie sonst etwa weich und formlos? Sie öffnete die Wohnungstür.
Draußen stand Clarissa. In der Hand hielt sie ein Exemplar der New York Post fest umklammert. Sie sah wie immer göttlich aus in ihrem schokobraunen Twinset, den schwarzen Jeans, Pfennigabsätzen und dem pelzbesetzten Mantel. Amanda suchte in Clarissas Gesicht nach Anzeichen dafür, dass sie Frank vergeben hatte, denn sie hatte einen Großteil des vergangenen Abends damit zugebracht, Clarissas aufgewühlte Gefühle zu besänftigen. Als Frank auf Clarissas »Plastikleben« angespielt hatte, hatte sie genau ins Schwarze getroffen.
»Dein Leben ist nicht aus Plastik«, hatte Amanda am vergangenen Abend zu Clarissa gesagt, nachdem Frank und Walter gegangen waren.
»Sie denkt, ich bin eine Barbiepuppe«, sagte Clarissa.
»Nein, denkt sie nicht. Sie möchte wirklich deine Freundin sein.«
»Sie will nicht meine Freundin sein. Sie will irgendeine Freundin. Nur weil sie im Leben mehr Probleme gehabt hat, heißt das noch lange nicht, dass ihre Gefühle mehr zählen als meine. Wie kann sie nur behaupten, das Romancing the Bean liege mir nicht am Fierzen. Es liegt mir am Herzen. Sogar sehr. Es gibt viele Dinge, die mir sehr wichtig sind.«
»Ich glaube dir«, tröstete Amanda.
»Das zu hören tut gut«, sagte Clarissa. »Denn es stimmt wirklich. Und selbst wenn es das nicht täte, bin ich deshalb schlecht? Ich mache hier meinen Job. Für euch und für mich. Von Francesca beleidigt zu werden, ist wirklich das Letzte, was ich brauche. Ich könnte genauso gut sie beleidigen.«
»Klar könntest du das.« Amanda gefiel die Richtung gar nicht, die die Unterhaltung nahm.
»Ihr Sinn für Mode liegt im absoluten Niemandsland.«
»Clarissa...«
»Und gegenüber Männern benimmt sie sich jämmerlich. Es gelingt ihr kaum, mit ihnen zu reden. Sie schafft es kaum, sich mit Frauen zu unterhalten. Frank ist schlicht und einfach seltsam, paranoid. Und so intelligent, wie sie denkt, ist sie auch nicht.«
Amanda wollte das alles nicht hören. »Weißt du, Clarissa«, sagte sie, »Frank hat Probleme, ihre Emotionen zu kontrollieren. Sie kämpft dagegen an, aber es klappt nicht. Und immer, wenn sie ausbrechen, bekommt jeder der Umstehenden sein Fett ab. Wenn du versuchst, sie nur eine Minute lang zu verstehen, wirst du ihr verzeihen können und alles vergessen, was sie gesagt hat, da bin ich sicher.«
Die blonde Frau schaute Amanda an. Ihre Lippen waren leicht zu einem Schmollmund verzogen. Dann lächelte sie, als hätte sie eine Entscheidung gefällt. »Du bist wirklich richtig nett, Amanda. Du setzt dich für deine Schwester ein und gibst dir Mühe, dass es mir besser geht. Ich bin froh, dass wir uns kennen gelernt haben. Es ist doch fast unmöglich, als Erwachsener mit jemandem eine neue, enge Freundschaft zu schließen, was meinst du?«
»Absolut«, sagte Amanda. Vor allem, wenn du deine neue beste Freundin schon dein ganzes Leben lang gekannt hast, dachte sie.
»Amanda? Hallo? Ist jemand da?«, fragte Matt von der Couch aus.
Amanda schaute auf und bemerkte, dass sie Clarissa die Tür offen hielt, ohne sie hereingebeten zu haben oder zur Seite gegangen zu sein, damit sie hätte hereinkommen können. »Ich muss wieder eingeschlafen sein«, entschuldigte sie ihr Verhalten. »Komm rein.«
Clarissa trat ein. Amanda forderte sie mit einer Geste auf, sich auf die Couch zu setzen. Clarissa schaute auf den Platz neben Matt und blieb stehen. »Soll ich dir den Mantel abnehmen?«, fragte Amanda.
»Schau dir das an.« Clarissa drückte Amanda das Post-Exemplar in die Hand. Unter einem nicht sehr schmeichelhaften Foto von Frank stand folgende Schlagzeile: borgia-schwester gesteht schuld am tod ihrer eltern.
Amanda spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. »Nein«, flüsterte sie.
»Ich habe nichts mit dem Erscheinen dieser Story zu tun«, beeilte sich Clarissa zu versichern.
»Wer schuld daran ist, ist nicht meine größte Sorge«, erklärte Amanda. Wenn Frank das sah, würde sie explodieren, denn das war ein Totalangriff, kein fragwürdiger Publicity-Gag mehr. Das war grausam.
»Ich denke, es ist nicht schlimmer als die Andeutung der Post, du hättest Chick umgebracht«, sagte Clarissa.
Tränen schossen in Amandas Augen. »Es ist viel, viel schlimmer, Clarissa.« Frank hatte Amanda damals am Tag der Beerdigung erzählt, dass ihre Eltern vielleicht hätten gerettet werden können, wenn sie früher nach Hause gekommen wäre. Die Polizei war nicht dieser Ansicht gewesen, aber Frank hatte sich geweigert, ihr zu glauben. Seit jenem Tag hatte Frank kein Wort mehr gegenüber Amanda — und soweit sie wusste, auch sonst niemandem gegenüber — von ihren ungerechtfertigten Schuldgefühlen erzählt.
Clarissa holte tief Luft. »Da ist noch etwas, Amanda. Der Artikel stammt diesmal nicht von Piper Zorn.«
»Wer hat ihn dann verfasst?«, fragte Amanda und blätterte, um den Artikel zu finden. »Walter!« Sie rang nach Atem. Eine Zeile in zehn Punkt Schriftgröße: Walter Robbins.
Die Flurdielen knackten. Frank kam ins Wohnzimmer, schläfrig und zufrieden, und rieb sich die Augen wie ein Kind. »Was ist mit Walter?«, fragte sie. »Guten Morgen übrigens.« Frank lächelte nervös in Clarissas Richtung. Amanda versuchte, die Zeitung zu verstecken, indem sie sich darauf setzte. Aber Frank erhaschte einen Blick von der Titelseite.
»Was haben die Borgia-Schwestern diesmal gemacht?«, fragte sie und forderte Amanda durch eine Geste auf, ihr die Zeitung zu geben. Die jüngere Schwester zögerte.
»Gib sie ihr«, sagte Matt.
Amanda überließ Frank das tintenschwarze Sensationsblatt. Matt, Clarissa und Amanda beobachteten schweigend, wie Frank die Seiten in bleierner Stille las. Franks Augen wanderten über die ganze Länge einer Spalte hinunter und dann wieder hoch zum Beginn der nächsten. Sie zeigte keinerlei Regung, während sie las. Nicht einmal ein Wimpernzucken.
Schließlich sagte sie: »Entschuldigt mich.« Sie ging in ihr Zimmer zurück und schloss ruhig die Tür.
Amanda flüsterte Matt und Clarissa halblaut zu: »Es hat sie mehr mitgenommen, als ich gedacht hatte.«
Clarissa saß auf dem Rand des Couchtisches. »Wie konntest du das nur wollen?«, fragte sie.
»Wie hätte man es ihr vorenthalten sollen?«, gab Matt zurück. »Das war keine normale Reaktion. Sie ist ins Niemandsland abgedriftet.«
Amanda schob Matts Beine vom Rand des Couchtisches. »Sag das nicht!«, verlangte sie entsetzt, weil er Recht hatte.
»Ich fasse es nicht, dass alles so aus dem Ruder gelaufen ist«, sagte Clarissa.
»Tut es dir Leid?«, erkundigte sich Amanda.
»Klar tut es mir Leid«, antwortete Clarissa. »Ich bin doch kein Monster. Wenn ich geahnt hätte, dass Walter etwas so Privates schreiben würde, hätte ich nie zugestimmt.«
Amanda musste sich verhört haben: »Zugestimmt?«
»Jeder hat sich irgendetwas vorzuwerfen«, mischte sich Matt ein.
»Ich brauche einen Kaffee«, sagte Amanda. »Matt, bist du so lieb? Im Gefrierfach liegt eine Venezuela-Mischung. Nimm die French Press.« Nicht dass sie Matt aus dem Zimmer schicken wollte, aber sie spürte, dass irgendetwas Schwerwiegendes zwischen Clarissa und ihr in der Luft lag. Matts knappe Bemerkungen wären keine große Hilfe.
Sobald Matt das Wohnzimmer verlassen hatte, forderte Amanda sie auf: »Erzähl es mir noch mal, Clarissa. Wie hast du Walter kennen gelernt?«
Die blonde Frau versuchte sich zusammenzunehmen, aber schließlich war es mit ihrer Selbstsicherheit vorbei. Sie fiel in sich zusammen und starrte ihre Stiefeletten an: »Ich habe Walter durch Piper kennen gelernt.«
»Und woher kennst du Piper?«
»Vom Printmedien-Kurs im letzten Jahr«, gestand Clarissa. »Ich habe mich ihm vorgestellt und wir waren einige Male zusammen beim Abendessen.«
An ihrem Gesichtsausdruck erkannte Amanda, dass sie miteinander geschlafen hatten. Clarissa bestätigte es mit dem Satz: »Mein ganzes zukünftiges Leben hängt von Medienkontakten ab.«
»Walter?«, fragte Amanda.
»Darauf komme ich noch«, fauchte Clarissa. Ihre Augen blitzten.
»Mach nicht mich an, wenn du eigentlich böse auf dich selbst bist«, wies Amanda sie zurecht.
Clarissa schnaubte fast. »Ich kann auch hier herausspazieren, ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen.«
»So, kannst du?«, fragte Amanda spitz. »Das bezweifle ich.«
Clarissas Blick wurde weicher. »Amanda, ich fühle mich schrecklich wegen dieser Titelseite.« Sie tippte auf die Post auf dem Tisch. »Ich lernte Walter kennen, als ich bei der Redaktion vorbeisah, um mit Piper über den Mr Coffee-Wettbewerb zu sprechen. Ich habe ihm alles über euch beide erzählt, über den Laden und das Konzept. Für eine richtige David-und-Goliath-Geschichte wollte er, dass Walter Robbins, sein Schützling in der Zeitung, als Mr Coffee gewählt wird. Walter sollte einen Insider-Bericht in der ersten Person über die Konkurrenz von Moonburst schreiben.«
Amanda erinnerte sich daran, wie Clarissa Walter als Endrundenkandidat gepuscht hatte. »Warum hast du uns das alles nicht erzählt?«
»Piper und Walter hielten das für keine gute Idee.«
»Gehörte auch zum Spiel, dass du ein Auge auf Walter werfen musstest?« Amanda dachte an ihr Geplauder über ein Doppel-Date.
»Es war die Lösung eines Problems: zu erklären, warum wir so viel Zeit miteinander verbrachten«, sagte sie. »Du kannst nicht leugnen, dass wir eine lawinenartige Presse von der Post gekriegt haben. Und dass uns diese Presse massenweise neue Kundschaft beschert hat.«
»An dem Tag bist du mit den vielen Zeitungsexemplaren gekommen«, sagte Amanda. »Ich habe gedacht, du hättest sie gekauft.«
»Walter hatte sie mir gegeben.«
»Claude, die Designerin, und Mabel, der Maler?«
»Ihre Namen hatte ich von Piper.«
»Keine Studenten?«, fragte Amanda.
Clarissa schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht.«
Inzwischen war Amanda klar: Clarissa war eine pathologische Lügnerin. Alles, was sie über ihre persönlichen Beziehungen gesagt hatte, war falsch. Obendrein hatte sie vorsätzlich die Konkurrenz zwischen den Schwestern geschürt, damit sie zwischen den beiden hin- und herlavieren konnte.
»Was ich nicht verstehe: Warum hast du das alles gemacht?«, fragte Amanda.
Clarissas Mund bildete nur noch eine dünne, gerade Linie. »Ich wollte mein Projekt für die Uni durchziehen.«
»Von dem Augenblick an, als du zu unserer Tür hereinspaziertest, bist du etwas zu penetrant vorgegangen. Du hast uns überfallen.« Amanda formulierte den Vorwurf, obwohl sie nicht ganz sicher war, ob er stimmte. »Bist du wenigstens Studentin und kurz vor dem Abschluss?«
»Klar bin ich Studentin und kurz vor dem Abschluss! Okay. Es war so: Piper bat mich, zu euch in den Laden zu gehen und meine Dienste anzubieten. Ich dachte, er wäre großzügig. Er sagte, er kenne Francesca aus der Zeit, als sie Zeitschriftenredakteurin war, und dass er sie nicht aus den Augen verloren habe und ihr helfen wolle. Ich dachte, er wollte ihr anonym einen Gefallen tun.«
»Du musst doch gemerkt haben, dass er genau das Gegenteil bezweckte«, sagte Amanda.
»Ich wollte ihm einfach glauben. Er hatte mir nach meinem Abschluss einen Job bei der Zeitung versprochen. Das war es wert. Meine Ideen und Bemühungen, das Café zu retten, waren echt. Ich liebe die fliederfarbenen Wände. Ehrlich.« Sie blickte zu Boden. »Ich bin auch ein Opfer.«
»So ein Mist«, sagte Matt. Er trug ein Tablett mit Tassen und einer Kanne Kaffee herein und lud alles auf dem Tisch ab. »Ich weiß, was du bist«, sagte er zu Clarissa. »Opfer ist nicht das richtige Wort dafür.«
»Jetzt kommt es nicht mehr darauf an, was ihr denkt«, ent-gegnete Clarissa. »Was passiert ist, ist passiert. Ob ihr mir glaubt oder nicht, es ändert auch nichts mehr.«
Zu dieser finsteren Bemerkung schenkte Matt den Kaffee ein. »Was glaubt ihr, was sie da drin macht?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung von Franks Zimmer.
Auch Amanda stellte sich diese Frage. Kein Laut drang zu ihnen. Schließlich erhob sie sich und ging den Flur entlang. Gerade, als sie die Hand auf den Türknauf legen wollte, flog Franks Tür auf. Ihre Schwester hatte sich ihre weiten Klamotten übergezogen — ausgebeulte Jeans, ein langärmeliges T-Shirt und leichte Turnschuhe. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die Stumpfheit ihrer Augen versetzte Amanda in Angst und Schrecken.
»Frank, möchtest du frischen Kaffee?«, fragte Matt.
»Ich habe Clarissas Geschichte durch die Tür gehört«, sagte sie, während sie ins Wohnzimmer kam. Frank nahm eine der drei unberührten Kaffeetassen. »Venezuela mit« — sie roch intensiv an dem Kaffee — »Mexiko und« — sie nippte — »einem Hauch Brasilia.« Selbstverständlich hatte sie Recht. Amanda fragte sich, wie Frank es ohne Kaffee aushalten würde, wenn sie den Laden schließen müssten. Amanda mochte die Sensiblere sein, aber was Kaffee anbelangte, war Frank eindeutig sensibler.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, verkündete Frank.
Alle blickten sie an. »Was es auch sein mag, wir unterstützen dich.«
»Unterstützt mich lieber nicht so schnell«, warnte Frank.
»Was du auch tun willst, ich bin einverstanden«, versicherte Amanda.
Frank nickte abwesend und setzte sich neben ihre Schwester auf die Couch. Während sie sprach, starrte sie so intensiv auf ihre Tasse, als würde der liebe Gott jeden Moment auf der Kaffeeoberfläche erscheinen.
»Wäre Clarissa vor zwei Wochen nicht ins Barney Greenfield’s gekommen, würden wir vor dem Bankrott stehen. Den Wettbewerb bereue ich nicht, er war durchaus erfolgreich. Mir hat die Idee gefallen, Leute zusammenzubringen, das Café zu einem Treffpunkt für Fremde zu machen, zu einer Anlaufstelle für Menschen, die dadurch weniger einsam im Leben wären. Leider werden wir wegen all dieser... Umstände nie erfahren, was aus der Grundidee geworden wäre. Jetzt ist unser Café zur Monstrositäten-Show geworden. Und wir sind die Monstrositäten«, sagte sie und nippte am Kaffee. »Niemand wird je vergessen, was passiert ist. Wir sind gebrandmarkt, Amanda. Alle hier im Viertel hassen uns.« Sie machte eine Pause. Ihr versteinertes Gesicht begann zu bröckeln. »Ich habe beschlossen, das Café zu schließen«, sagte sie. »Ich möchte nicht mehr kämpfen. Ich gebe auf. Ich habe unseren Berater von der Citibank angerufen, um zu erfahren, welche Möglichkeiten wir haben. Wir sind wieder da, wo wir vor zwei Wochen standen. Immerhin haben wir eine ganze Menge Demütigungen und Enttäuschungen mehr vorzuweisen.«
Dann fing Frank an zu weinen. Sie bebte vor Schluchzen. Ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zusammengekniffen. Amanda erinnerte sich nicht, sie je so erlebt zu haben. Sie rutschte näher zu ihrer zitternden Schwester und legte vorsichtig die Hand auf Franks Schulter. Amanda spürte Franks Schlüsselbein durch das dünne T-Shirt hindurch. Frank war so zierlich. Sie zog ihre Schwester in die Arme und Frank versank in ihrer üppigen Brust. Amanda kam sich vor wie eine Taube. Sie streichelte Frank über das Haar und drückte sie fest an sich. Ob sich Frank je von ihrer Mutter so hatte trösten lassen?
»Dieser Pessimismus sieht dir gar nicht ähnlich, Frank«, sagte sie. Frank schluchzte immer noch. An Amandas Busen gedrückt, schüttelte sie den Kopf. »Komm«, fuhr Amanda fort. »Ich habe mich immer auf dich verlassen, wenn es darum ging, das Leben von der positiven Seite zu sehen.«
»Vergiss es, Amanda«, heulte Frank. »Das ist vorbei.«
Die jüngere Schwester blickte zu Matt. Er hob seine Hände, als wollte er sagen: »Was jetzt?« Amanda lächelte ihm herzlich zu. Er wollte ehrlich helfen. Währenddessen trank Clarissa ihren Kaffee. Sie wirkte unbeteiligt und hatte offensichtlich ein reines Gewissen. Amanda mutmaßte, dass Clarissas Bedauern vorerst in der Versenkung verschwunden war.
Nach einer weiteren Minute des Schluchzens hob Frank die Hand und wischte sich über die Augen. »Ich muss einige Anrufe erledigen«, sagte sie.
»Zeit für einen Wurf«, schlug Amanda vor.
»Was?«, fragte Frank.
»Einen Wurf. Weiter verlange ich nichts. Um zu sehen, wie deine Energie fließt. Wenn sich etwas verändert hat, verlange ich einen Tag Aufschub, bevor du die Geschäftsauflösung in die Wege leitest. Gewähre mir einen Wurf, und wenn die Zeichen günstig stehen, einen Tag Aufschub.«
»Du träumst wie immer«, entgegnete Frank.
»Und was ist daran schlecht?« Amanda hatte keine Ahnung, was sie mit dem Tag anfangen würde, aber sie musste eine Möglichkeit finden, Zeit zu schinden. Vielleicht fühlte sich Frank in einigen Stunden wieder besser.
Die ältere der beiden Schwestern wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen. »Wirf deine Pennys«, sagte sie.
Amanda wühlte in ihrer Tasche und kramte sechs Kupfermünzen hervor, die sie an Frank weitergab. »Ich will, dass du sie wirfst, Frank«, befahl sie. »Es ist wichtig, dass du diesen Wurf machst.«
»Jetzt wirf diese Scheißpennys«, sagte Frank.
Amanda warf. Die Münzen drehten sich und fielen. Amanda legte sie auf dem Couchtisch von oben nach unten in eine Reihe und studierte die Münzen, wobei sie einige unverständliche Laute von sich gab.
»Und?«, fragte Frank. »Was bedeutet es?«
»Es bedeutet gar nichts«, sagte Amanda. »Weißt du das nicht: Das I Ging ist nichts als eine Ladung Mist.«
Frank musste tatsächlich lachen. »Okay«, räumte sie ein. »Ein Tag Aufschub.«