Kapitel 7

Leichen. Eine Leiche im Leben zu sehen reichte. Vor Chick hatte Frank zwei Tote gesehen. Sie hatte die leblosen Körper ihrer Eltern in der Wohnung entdeckt. Amanda gegenüber hatte sie diesen Moment als riesiges, zermalmendes Gefühl beschrieben, das einem die Luft abschnürte. All ihre bisherige emotionale Sicherheit, Wärme und persönliche Entfaltung schrumpften — wie eine verschrumpelte alte Kaffeebohne — zu einem harten Klümpchen Bitterkeit zusammen, das sich als ständige Mahnung in ihrem Gehirn einnistete. Wenn sie ganz besonders einsam war, spürte Frank das Klümpchen unter ihrer linken Augenbraue stark pulsieren.

»Du hast noch nie einen Toten gesehen«, sagte Frank zu ihrer Schwester.

»Nein«, antwortete Amanda.

Wenn es bei solchen Angelegenheiten eine Jungfräulichkeit gäbe, hätte Amanda jetzt ihre Leichen-Unschuld verloren. In der Nacht, als Frank Mutter und Vater entdeckte, hatte Amanda eine Verabredung. Frank rief hundertmal bei ihr an, bis Amanda endlich abhob, um die schlimmste Nachricht ihres Lebens zu erfahren. Gott sei Dank musste Frank diesmal niemanden verständigen.

»So ein Elend«, sagte Amanda.

»Ja, Totsein ist so ungefähr das größte Elend, das einem zustoßen kann.«

»Nicht Totsein. Den Toten zu sehen.«

»Glaub mir«, sagte Frank, »Chick ist noch viel elender dran als wir.«

Die Schwestern machten sich schleunigst auf den Rückweg ins RTB. Amanda verzog sich hinter die Theke, um Bohnen zu mahlen, Pfund für Pfund. Frank zählte das Geld in der Kasse fünfmal nach, bis sie sicher war, dass sie es richtig zusammengerechnet hatte. Sie mussten irgendetwas tun, um den Anblick von Chick auf dieser Bahre — steif, blau und in kniender Haltung — aus dem Kopf zu bekommen. Schauderhaft.

»Wir müssen das Café öffnen«, bemerkte Frank.

»Ein Mensch ist tot«, sagte Amanda.

»Das tut mir auch sehr Leid, aber wir müssen den Laden aufmachen. Noch drei Tage geschlossen zu haben, können wir uns nicht leisten. Wir können uns nicht einmal leisten, weitere drei Stunden geschlossen zu haben. Obwohl ich nicht weiß, was wir den Leuten erzählen sollen, wenn sie hier hereinspazieren.« Frank hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie nur an sich dachte und an das Romancing the Bean. Und Amanda hatte Recht: Ein Mensch war tot. Sollten sie einen Trauergottesdienst finanzieren? Mit welchem Geld?

»Wir müssen etwas für ihn tun«, sagte Amanda. »Ich könnte einige Worte sagen, eine Art Lobesrede halten.« Sie räusperte sich. »Charles Peterson war ein netter, ein bescheidener Mann. Er... ähm, hatte sehr lange Beine.«

Frank schüttelte den Kopf. »Du weißt doch überhaupt nichts über ihn.«

»Ich empfinde etwas für ihn. Ich trauere noch den Möglichkeiten nach«, sagte Amanda. »Jemand kann einem doch wichtig sein, selbst wenn man ihn nicht genau kennt.«

»Über mir hängt ein Fluch, Amanda«, sagte Frank. »Ganz sicher. Alles, was ich tue, geht schief. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, den Glauben. Clarissa wird sich wahnsinnig aufregen. Und es ist alles mein Fehler.«

»Wieso ist das dein Fehler?«, wollte Amanda wissen. »Hast du Chick umgebracht?«

»Irgendwie ist es mein Fehler«, beharrte Frank. »Warte, bis alles aufgedeckt ist. Dann wird sich herausstellen, dass es irgendwie wegen mir passiert ist.«

Die Schwestern öffneten das Café erst um 7.30 Uhr. Den ganzen Vormittag über strömten Gäste herein und erkundigten sich nach Mr Coffee und wann er wieder in Erscheinung treten würde. Frank wollte nicht erklären, was passiert war, und log. Sie versicherte der Kundschaft, dass der King höchstpersönlich jeden Augenblick hereinspazieren musste. Amanda verschwand in regelmäßigen Abständen auf dem Klo, um ihre Tränen zu trocknen. Währenddessen lief das Geschäft gut — der Sturm vor der Ruhe, dachte Frank. Sie versuchte einige hundertmal, bei Clarissa anzurufen, doch niemand hob ab. Als Matt gegen Mittag auftauchte, erzählte Frank ihm, dass man Chick tot zu Hause aufgefunden hatte.

»Was ist passiert?«, fragte er.

»Das wissen wir nicht«, sagte Frank. Keiner wusste etwas Genaueres.

Matt nickte. »Wo, hast du gesagt, hat man ihn gefunden?«

Amanda und Frank tauschten einen Blick aus. »In seiner Wohnung in der Joralemon Street. Warum fragst du?«, sagte die Schwester mit den rot geweinten Augen.

»War er im Haus oder draußen?«

Frank wusste es nicht. »Ich habe keine Ahnung.«

»Matt, hast du Chick schon vorher kennen gelernt?«, fragte Amanda. »So, wie ihr euch gestern Abend unterhaken habt, bin ich fast sicher, dass ihr euch schon gekannt habt. Eure Körpersprache signalisierte Vertrautheit Frank verdrehte die Augen. Sie fragte sich, ob Amanda wohl wusste, was ihre Körpersprache in diesem Augenblick zum Ausdruck brachte.

»Was soll das heißen? Ist das ein Verhör? Wenn man in diesem Land zu viele Fragen stellt, wird man entweder für verrückt erklärt oder für einen Verbrecher gehalten. Zum Glück bin ich aber normaler als alle anderen hier. Und ich lebe nach meinen eigenen Regeln, verstanden? Ich kenne den Unterschied zwischen richtig und falsch.« Dann schnappte er sich einen Besen und fing wie ein Wilder an zu kehren. Die Schwestern hielten es für das Beste, ihn allein und in Ruhe arbeiten zu lassen.

Die alte Dame, Lucy, die gerne endlos Kaffee in Anspruch nahm, tauchte an diesem Tag unmittelbar nach dem Mittagessen auf. Sie hatte ihr PowerBook dabei und war ganz offensichtlich beleidigt, dass sie keinen Tisch für sich allein ergatterte. Schimpfend stürmte sie in Richtung Theke: »Sie sind das beste Beispiel dafür, dass wir in einer moralisch verkommenen Gesellschaft leben, in der gierige und frivole Menschen wie Sie die Verantwortung für Familie und Heim nicht ernst nehmen. Haben Sie keine Würde? Dieser Wettbewerb war erbärmlich! Und jetzt bedienen Sie diesen sexbesessenen Pöbel da. Gott wird Sie strafen.«

Amanda drehte sich zu Frank. »Hat sie Recht? Ist Chicks Tod etwas wie eine göttliche Strafe?«

»Lucy«, sagte Frank, »ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie jahrelang ein treuer Gast gewesen sind. Aber Sie können nicht davon ausgehen, dass wir Ihnen einen Tisch reservieren. Und kostenlos nachgießen können wir auch nicht mehr.«

Lucys Augen blitzten. »Unverschämte Göre!« Sie verschwand, ohne auch nur eine Tasse getrunken zu haben.

Frank rief ihr hinterher: »Im Moonburst finden Sie bestimmt einen freien Tisch.«

Wie auf ein Stichwort kam Benji Morton zur Tür herein. Er sah ganz annehmbar aus, gekleidet in Jeans, rote Holzfällerjacke und Timberland-Stiefel. Unter dem Arm hatte er ein Exemplar der New York Post klemmen. »Arbeiten selbst am Ruhetag?«, fragte Frank, die sich große Mühe gab, fröhlich zu wirken.

»Euren Trumpf im Kampf ums Überleben einfach kaltzustellen... Da könnt ihr euren Laden doch gleich dichtmachen.«

»So schnell verbreiten sich Neuigkeiten«, flüsterte Frank. Sie wollte nicht, dass die Gäste die Wahrheit erfuhren.

»Klar, vor allem, wenn es auf der Titelseite der Zeitung steht«, sagte er und warf die Post auf die Theke. »Ich freue mich darauf, für eure Räume einen Pachtvertrag auszuhandeln, wann immer ihr wollt.«

Frank schnappte nach Luft und Amanda stürzte sich auf die Titelseite. Das Foto war perfekt: Amanda und Chick, die sich verträumt in die Augen schauten. Darunter die Schlagzeile: KAFFEE TRINKEN UND STERBEN. Und weiter lautete es im Text: »Kaffee-King tot aufgefunden — Bildschöne Besitzerin besonders verdächtig.«

»Der Fotograf vom Brooklyn Courier muss der Post die Bilder verkauft haben, die er gestern Abend gemacht hat«, sagte Frank.

Amandas Hände zitterten, als sie die Zeitung hielt. »Bildschöne Besitzerin? Das kommt aber auf dem Foto nicht gut heraus.« Demnach war ihre Eitelkeit größer als ihr Kummer.

»Ein fabelhaftes Foto«, stellte Benji fest. »Du könntest dir nicht ähnlicher sehen.«

»Meine Haare sind fransig, die Haut sieht fleckig aus. Mein Kinn — es sieht fast dreimal so groß aus, wie es in Wirklichkeit ist. Dazu würde ich allenfalls bemerkenswerte Besitzerin sagen.«

»Du machst dir Sorgen um deine Haare?«, fragte Frank. »Dass man dich Mörderin nennt, interessiert dich weniger als irgendwelche Flecken im Gesicht? Wenn du dich nicht mit Chick verabredet hättest, hätte er daheim vor dem Fernseher gesessen wie ein normaler Mensch und wäre nicht umgebracht worden. Und jetzt geht es durch die gesamte Presse. Kapierst du es denn immer noch nicht? Wer trinkt schon Kaffee bei einer Mörderin? Man muss ja fürchten, Arsen in den Koffeinfreien gekippt zu bekommen!«

Amanda starrte sie an. »Frank, ganz ruhig.«

»Sag kein Wort mehr über das Foto, Amanda«, fuhr Frank fort. »Du weißt genau, dass du gut aussiehst. Und selbst wenn du das nicht tätest, selbst wenn du was weiß ich wie ausschauen würdest, würde kein Mensch so primitiv sein und jetzt darauf achten.« Frank riss ihr die Zeitung aus der Hand und schlug sie auf, um den Artikel zu lesen.

Doch Amanda nahm die Zeitung sofort wieder an sich. »Eitelkeit und Trauer liegen nah beieinander. Deswegen kann eine Frau von einer Trennung absolut niedergeschmettert sein und gleichzeitig hingerissen, dass sie mit der Herzschmerz-Diät fünf Kilo abnimmt. Und deswegen sagte Oma auch immer: >Leg Lippenstift auf, dann fühlst du dich gleich besser.< Und wenn ich schon die Titelseite einer größeren Zeitung der Metropole ziere, ist es kein Verbrechen, gut ausschauen zu wollen.« Amanda, die rhetorisch nicht sehr versiert war, lächelte, als sie ausgesprochen hatte. »Und in Anbetracht der Tatsache, dass der Artikel von mir handelt, werde ich ihn auch zuerst lesen.«

»Du kannst von Glück reden, dass die Post, was den Leseranteil betrifft, nur drittrangig ist.« Frank riss ihr die Zeitung wieder aus der Hand.

Auf einmal hatten die Schwestern die Zeitung in Fetzen gerissen. Benji machte den vergeblichen Versuch, sein Exemplar zu retten. »He, hört auf«, rief er. »Ihr schuldet mir fünfunddreißig Cent.« Die Gäste blickten irritiert auf.

Die Türglocke bimmelte und Clarissa stolperte herein, ungefähr fünfzig Exemplare der Post eng an sich gepresst. »Achtung, Mädels!«, johlte sie. »Wir haben das Schiff geentert! «

»Die Titanic?«, sagte Frank spitz.

»Die Bounty«, antwortete sie. Wieder bimmelte die Türglocke. Diesmal kam der J. Crew-Dressman hereinstolziert. Auch er schleppte mehrere Dutzend Exemplare der Post mit sich. »Die kannst du in die Ecke legen«, sagte Clarissa zu Walter. Die Schwestern, die etwas irritiert dreinschauten, fragte sie: »Habt ihr den Artikel gelesen?«

»Wir waren gerade damit beschäftigt, ihn zu zerreißen.«

Benji half Clarissa beim Abladen des Stoßes und stapelte alle Exemplare auf den Fußboden, bis auf eines, das er sich unter den Arm klemmte. Er drehte sich zu Frank um und sagte: »Ich überlasse euch jetzt eurem Ruin.« Was er auch tat, indem er fluchtartig ging.

Frank schnappte sich das oberste Exemplar, Amanda holte sich ebenfalls eines, so dass sie den Artikel gleichzeitig lesen konnten. »Wie kam die Post so schnell an Fotos heran?«, wunderte sich Frank.

Clarissa wusste die Erklärung: »Als ich dem Pressefritzen die Story anbot, war ich so clever, ihn mit dem Fotografen vom Brooklyn Courier in Kontakt zu bringen. Heute braucht man schon den richtigen Dreh, um eine Zeitung an den Mann zu bringen. Keine Fotos, keine Story. Das habe ich in einem Medienkurs gelernt.«

Die Schwestern waren so ins Lesen vertieft, dass sie Clarissas Eigenlob fast nicht beachteten. Amanda las laut: »Nach der Aussage von Paul McCartney, Barkeeper im Heights Café, saß das Pärchen nur zirka fünfzehn Minuten zusammen. Dann stürmte Mr Peterson aus dem Restaurant. McCartney sagte gegenüber einem Journalisten der Post, das Paar hätte einen schrecklichen Streit gehabt. Nachdem Mr Peterson gegangen war, schwor ihm Ms Greenfield Rache dafür, dass er sie verlassen hatte.«

»Das ist doch überhaupt nicht wahr!« Amanda glaubte nicht, dass Paul so etwas zu einem Journalisten gesagt haben sollte.

Frank las weiter: »Todesursache war ein Schlag auf den Kopf. Mr Peterson erlitt einen Schädelbruch. Der Gerichtsmediziner wird außerdem eine Blutprobe für ein toxikologisches Gutachten nehmen.«

»Ich habe nie Rache geschworen«, versicherte Amanda den Umstehenden, noch immer fassungslos. »Das ist Verleumdung oder nennt man das Rufmord? Der ganze Artikel ist eine einzige Lüge. Armer Paul. Es muss schrecklich für ihn sein, so falsch zitiert zu werden. Ich höre sein Lamento bis hierher.«

»Klar ist es übertrieben«, sagte Clarissa zu Amanda. »Aber wir brauchten doch etwas Sensationelles. Die Geschichte, die du mir am Telefon erzählt hast, war nicht spektakulär genug. Deshalb habe ich dem Pressemenschen gesagt, er kann sie ausschmücken.«

Frank wusste überhaupt nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie fragte Amanda: »Ich habe doch den ganzen Vormittag versucht, Clarissa anzurufen.«

»Ich habe sie auf ihrem Handy erreicht«, gab Amanda zu.

»Du hast ihre Handynummer?«

»Und ihren Pager.«

»Ich habe auch ihre Pagernummer nicht.«

Amanda lächelte. »Vielleicht will Clarissa nicht, dass du sie über den Pager erreichst.«

Das tat weh, dachte Frank. »Ich verstehe das nicht.«

»Clarissa will nichts von dir hören«, wiederholte Amanda.

»Ich meine, was soll das? Warum ist das hier die Bounty? Soll das eine Meuterei werden? Wer ist der Kapitän? Und weshalb hast du die Story manipuliert?« Schon wieder gewann Amanda den Beliebtheitswettbewerb. Dabei hatte Frank gedacht, Clarissa mochte sie wirklich.

Bevor Clarissa etwas sagen konnte, bemerkte Walter J. Crew: »Für die Publicity ist es am besten, wenn die Presse phantasiert. Und am allerbesten ist es, wenn sie tobt. Du wirst schon sehen, Francesca. Das zieht Kundschaft an.« Zu Clarissa sagte er: »Wo soll ich mich hinsetzen? Ans Fenster? Und ich brauche noch Kaffee und Kekse.«

»Setz dich besser an einen Tisch in der Mitte«, instruierte ihn Clarissa. Zu den beiden Schwestern sagte sie: »Da Chick tot ist, habe ich Walter, unseren Zweitplatzierten, als Mr Coffee engagiert. Er ist genau der Richtige. Und selbst eine schlechte Presse ist eine gute Presse. Wir sind auf der Titelseite der New York Post\ Absoluter Wahnsinn! Nur deswegen habe ich das mit den Fotos arrangiert und den Journalisten überzeugt, die Story zu bringen. Und nur zur Information, Francesca: Amanda wusste nicht, was ich aus dem machen würde, was sie mir erzählte. Außerdem habe ich ihr gestern Nacht meine Handy- und meine Pagernummer gegeben, für euch beide.«

Frank sah, wie Clarissa und Amanda einen Blick tauschten. Log sie? Warum war sie nicht diejenige, die heimlich Blicke mit Clarissa tauschte? Frank konnte nicht verhindern, dass ein schauderhaftes Gefühl des Abgelehntwerdens in ihr hochkroch. »Was machen wir, wenn die Polizei kommt, um Amanda festzunehmen?«, fragte sie.

»Das wird nicht passieren«, versicherte Clarissa den beiden. »Dem Polizeisprecher zufolge, der auch im Artikel zitiert wird, weist nichts darauf hin, dass Amanda etwas mit dem Mord zu tun hat. Und hier steht« — sie ging zu Frank und deutete auf eine Zeile ganz am Ende des Artikels — , »dass für die Polizei mehrere andere Verdächtige ernsthaft in Frage kommen. Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte. Und es ist mir auch egal. Wer weiß, in welchen Schwierigkeiten Chick steckte? Wer von uns weiß schon etwas von ihm? Dass er in den letzten zehn Jahren außer Landes war? Zum Bergsteigen? Er konnte im Ausland in alle möglichen Dinge verwickelt gewesen sein. Es tut mir Leid, dass Chick tot ist, denn er war ein toller Mann. Aber wir müssen weiterleben, und das heißt, wir müssen zugunsten des Ladens Furore machen. Ich bin sicher, Amanda ist einer Meinung mit mir.«

Clarissa stand neben Frank. Der überwältigende Vanilleduft erinnerte Frank an die Kekse, die ihre Mutter zur Weihnachtszeit immer für die Gäste gebacken hatte. »Welcher Journalist druckt wissentlich eine gefälschte Geschichte wie diese da?«, fragte sie Clarissa. »Ist das nicht völlig unmoralisch?«

Clarissas Lächeln erinnerte an eine schlitzohrige Katze. »Das kommt darauf an, wie du unmoralisch definierst. Also, Francesca, wie wäre es mit einer Tasse Kaffee für unseren neuen Mr Coffee?« Sie ging zu einem Tisch, der voller Gäste war. »Meine Damen, Sie haben doch nichts dagegen, wenn unser Mr Coffee sich zu Ihnen setzt?« Da sie nichts dagegen hatten, setzte er sich zwischen zwei erwartungsvolle Damen. Sie kicherten, als er seinen Mantel auszog und seine schönen Arme unter dem gestärkten royalblauen Hemd mit angeknöpftem Kragen zum Vorschein kamen.

Clarissa schwirrte zwischen den Gästen umher und verteilte Post-Exemplare. Die Leute schnappten nach Luft, schauten Amanda an und bestellten einen weiteren Kaffee. Frank war sprachlos. »Geschieht dies alles wirklich?«, fragte sie.

Amanda nickte. »Ich frage mich, was wir dagegen unternehmen sollen.«

Clarissa gesellte sich wieder zu ihnen. Sie trug eine muschelfarbene Seidenbluse, und Frank hätte schwören mögen, die Umrisse ihrer Brustwarzen gesehen zu haben. Clarissa begann: »Das ist einfach super! Wie sich doch alles so entwickelt hat, wie ich es mir vorgestellt habe. Es sind bestimmt vierzig Leute im Café! Das sind schon einige mehr als letzte Woche, als ich zum ersten Mal hier hereingekommen bin. Nun, ich denke, ich brauche euch nicht daran zu erinnern, wie es vorher hier aussah.« Sie schaute zu Walter hinüber. Er verstand es großartig, seine weiblichen Tischgenossinnen zu unterhalten. »Und Walter — er ist ein Schatz. Er hat einige wunderbare Ideen für den Wettbewerb. Wir waren die ganze Nacht auf und haben uns darüber unterhalten, was wir alles während seiner Amtszeit als Mr Coffee machen könnten. Wir waren uns darüber einig, dass seine ständige Anwesenheit im Café und der regelmäßige Besuch seiner Dressman-Freunde mehr wert wären als nur Kaffee und Kuchen gratis. Ich habe mit ihm ausgemacht, dass wir ihnen dreißig Dollar pro Stunde zahlen. Ich glaube, das ist fair, wenn man bedenkt, wie viel mehr Kaffee wir verkaufen und wie viel Publicity uns das einbringt. Überlegt nur: Wir könnten einen Romancing the Bean-Kalender auf-legen. Tassen, Untersetzer verkaufen. Damit machen wir ein Vermögen.«

»Unglaublich«, staunte Amanda, die ihre Rolle als hauseigener Schlächter offensichtlich akzeptierte.

»Das geht mir alles zu schnell«, sagte Frank. Allmählich entglitt ihr die Kontrolle über ihren eigenen Laden. Als sie auf den großen Aufschwung gehofft hatte, hatte sie sich das etwas anders vorgestellt.

»Denkt an die Menge Geld, waschkörbeweise«, schwärmte Clarissa. »Ich denke an Expansion, wir könnten in Park Slope etwas aufmachen.«

»Stopp.« Frank hob abwehrend die Hände. »Einiges ist mir noch unklar.«

Clarissa und Amanda warfen sich wieder einen verständnisvollen Blick zu, ganz als würde sie die Toleranz Frank gegenüber vereinen. »Was verstehst du nicht?«, fragte Clarissa.

»Warum warst du die ganze Nacht auf, um dich mit Walter über seine Regentschaft als Mr Coffee zu unterhalten?«, fragte Frank. »Chicks Leiche wurde erst am Morgen gefunden.«