59
Enthüllungen
Sie hatten Jamie fortgeschafft. Zitternd und
verstört wurde ich in das private Arbeitszimmer des Gouverneurs
geführt, zusammen mit Marsali, die trotz meiner abwehrenden Geste
darauf bestand, mir das Gesicht mit einem feuchten Tuch
abzureiben.
»Aber sie können doch nicht ernsthaft glauben, daß
Papa etwas damit zu schaffen hat!« sagte sie bereits zum
fünftenmal.
»Das tun sie auch nicht.« Inzwischen hatte ich mich
wieder in der Gewalt und war imstande, ihr zu antworten. »Aber sie
vermuten, Mr. Willoughby stecke dahinter, und den hat Jamie
mitgebracht.«
Entsetzt starrte sie mich an.
»Mr. Willoughby? Nie und nimmer!«
»Sollte man meinen.« Ich fühlte mich, als hätte
mich jemand verprügelt, so sehr schmerzten mir alle Glieder.
Zusammengekauert saß ich auf einem kleinen Sofa und drehte ratlos
ein Glas Weinbrand zwischen den Händen. Ich konnte ihn nicht
trinken.
Ich war mir weder darüber im klaren, was ich
empfinden sollte, noch wußte ich die widersprüchlichen Ereignisse
dieses Abends einzuordnen. Meine Gedanken sprangen zwischen der
grausigen Entdeckung in der Toilette und der Szene, die sich hier
in diesem Raum vor meinen Augen abgespielt hatte, hin und
her.
Immer noch sah ich Jamie und Lord John so deutlich
vor mir, als wären sie auf die Wand gegenüber gemalt.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte ich laut und
fühlte mich gleich eine Spur besser.
»Ich auch nicht«, pflichtete Marsali mir bei. Sie
ging im Zimmer auf und ab. Das Klacken ihrer Absätze auf dem
Parkett wechselte ab mit dem gedämpften Geräusch ihrer Schritte auf
dem geblümten
Teppich. »Er kann es nicht gewesen sein. Ich weiß, er ist ein
Heide, aber wir kennen ihn doch!«
Kannten wir ihn wirklich? Kannte ich Jamie? Ich
hätte es beschwören können, und dennoch… Die Frage, die er mir in
unserer ersten gemeinsamen Nacht, die wir im Bordell verbracht
hatten, stellte, hatte ich nicht vergessen: Willst du mich haben
und es mit dem Mann wagen, der ich bin, um des Mannes willen, den
du gekannt hast? Damals hatte ich geglaubt - glaubte es auch
jetzt -, daß sich der Mann, den ich von früher kannte, nicht so
sehr von dem Mann unterschied, den ich endlich wiedergefunden
hatte. Aber wenn ich mich nun doch getäuscht hatte?
»Ich habe mich nicht geirrt!« murmelte ich und
umschloß grimmig das Glas. »Nein!« Es mußte etwas anderes
dahinterstecken - so sehr konnte ich mich in Jamie nicht täuschen,
daß er sich tatsächlich Lord John Grey heimlich zum Liebhaber
genommen hatte.
Laoghaire hatte er dir auch verschwiegen, rief mir
eine boshafte innere Stimme ins Gedächtnis zurück.
»Das ist etwas anderes«, antwortete ich ihr
entschieden.
»Was meinst du?« Marsali sah mich überrascht
an.
»Ich weiß es selbst nicht. Hör nicht hin.« Ich fuhr
mir mit der Hand übers Gesicht, als könne ich damit meine
Verwirrung und Erschöpfung einfach wegwischen. »Sie brauchen
lange.«
Die Uhr mit dem Walnußgehäuse schlug zwei Uhr
morgens, als sich die Tür schließlich öffnete und Fergus in
Begleitung eines grimmig wirkenden Milizsoldaten eintrat.
Fergus sah recht mitgenommen aus. Der Haarpuder
hatte sich wie Schuppen auf den Schultern seines dunkelblauen Rocks
verteilt, und der Rest verlieh seiner Frisur einen Grauton, der den
jungen Kerl um zwanzig Jahre gealtert aussehen ließ. Nicht
verwunderlich - ich fühlte mich nicht anders.
»Wir können jetzt gehen, chérie«, sagt er
ruhig zu Marsali. Dann wandte er sich zu mir. »Begleiten Sie uns,
Madame, oder warten Sie auf den Herrn?«
»Ich warte«, gab ich zur Antwort. Ich würde mich
nicht eher schlafen legen, als bis ich Jamie gesehen hatte, egal,
wie lange es noch dauerte.
»Dann werde ich die Kutsche hierher
zurückschicken«, meinte er und schob Marsali hinaus.
Als sie an dem Soldaten vorbeigingen, ließ der Mann
eine Bemerkung fallen. Fergus hatte sie offenbar verstanden, denn
er versteifte sich. Dann drehte er sich zu dem Soldaten um, der auf
den Fußballen wippte und ein gemeines Lächeln aufgesetzt hatte. Ein
Grund, Fergus zu verprügeln, käme ihm offensichtlich gerade
recht.
Doch zu seiner Überraschung strahlte Fergus ihn
charmant mit perlweißen Zähnen an.
»Ich bedanke mich für Ihre Hilfe in dieser
unangenehmen Angelegenheit, mon ami«, sagte er und streckte
ihm eine schwarzbehandschuhte Hand entgegen, die der Mann verblüfft
ergriff.
Da riß Fergus unvermittelt den Arm zurück. Man
hörte ein Reißen, gefolgt von einem leisen Klappern, und ein
Schwall Holzspäne ergoß sich auf das Parkett.
»Das können Sie behalten«, meinte er großzügig.
»Ein Zeichen meiner Wertschätzung.« Und weg waren sie. Der Soldat
blieb zurück und starrte entsetzt auf die offensichtlich
abgetrennte Hand, die er fest in der seinen hielt.
Eine weitere Stunde verging, ehe sich die Tür
erneut öffnete. Diesmal trat der Gouverneur ein. Er war immer noch
ansehnlich und makellos wie eine weiße Kamelie, allerdings zeigten
sich an den Blütenrändern bereits erste bräunliche Verfärbungen.
Ich setzte das Glas Weinbrand ab, erhob mich und sah ihn
erwartungsvoll an.
»Wo ist Jamie?«
»Er wird immer noch von Oberst Jacobs, dem
Milizkommandanten, vernommen.« Nachdenklich sank er in seinen
Sessel. »Ich wußte gar nicht, daß er so bemerkenswert gut
französisch spricht.«
»Vermutlich gibt es noch andere Seiten an ihm, die
Sie nicht kennen«, entgegnete ich, um ihn zu ködern. Ich brannte
darauf zu erfahren, wie vertraut er mit Jamie war. Doch leider biß
er nicht an. Statt dessen nahm er nur seine Perücke ab, legte sie
zur Seite und fuhr sich erleichtert durch das feuchte, blonde
Haar.
»Meinen Sie, es gelingt ihm, sich über einen
längeren Zeitraum so zu verstellen?« fragte er mich stirnrunzelnd.
Er war offenbar so sehr mit dem Mord und mit Jamie beschäftigt, daß
er mich kaum zur Kenntnis nahm.
»Ja«, gab ich knapp zur Antwort. »Wo hält man ihn
fest? Ich stand auf und strebte auf die Tür zu.
»Im Audienzzimmer«, antwortete er. »Aber Sie
sollten nicht…«
Ich hörte nicht hin, sondern riß die Tür auf und
steckte den Kopf hinaus, zog ihn jedoch im selben Augenblick hastig
wieder zurück und schlug die Tür zu.
Mit angemessen ernster Miene näherte sich der
Admiral, dem ich bereits bei der Begrüßungszeremonie begegnet war.
Mit Admirälen verstand ich zwar umzugehen, er war jedoch in
Begleitung einer Schar rangniedrigerer Offiziere, in deren Mitte
ich ein mir wohlbekanntes Gesicht entdeckt hatte, obwohl der Mann
die Uniform eines Leutnants trug anstelle eines übergroßen
Kapitänsrockes.
Er war rasiert und sah ausgeruht aus, doch sein
Gesicht war geschwollen und blau verfärbt. Jemand hatte ihn vor
nicht allzulanger Zeit zusammengeschlagen. Trotz seines veränderten
Aussehens erkannte ich Thomas Leonard sofort. Ich hatte das
untrügliche Gefühl, daß es ihm mit mir ebenso gehen würde, obwohl
ich ein violettes Keid trug.
Verzweifelt sah ich mich im Raum nach einem
geeigneten Schlupfwinkel um. Doch außer unter dem Schreibtisch
konnte ich mich nirgends verstecken. Der erstaunte Gouverneur
beobachtete mich argwöhnisch.
»Was…«, setzte er an, aber ich fuhr zu ihm herum
und legte den Finger auf die Lippen.
»Verraten Sie mich nicht, wenn Ihnen Jamies Leben
lieb ist!« flüsterte ich melodramatisch, warf mich auf das
Zweiersofa, schnappte mir das feuchte Tuch, legte es mir aufs
Gesicht und versuchte mein bestmögliches, entkräftet zu
wirken.
Die Tür öffnete sich, und ich hörte die hohe,
nörgelnde Stimme des Admirals.
»Lord John…«, begann er, brach aber sogleich ab,
als er meine hingestreckte Gestalt sah, und fuhr mit leiser Stimme
fort: »Oh! Ich störe offenbar.«
»Nicht direkt, Admiral.« Grey reagierte prompt, das
muß ich zu seiner Ehre sagen. Er klang so beherrscht als hätte er
des öfteren bewußtlose weibliche Wesen in seiner Obhut. »Der
Anblick der Leiche war zuviel für die Dame.«
»Oh!« wiederholte der Admiral, vor Mitgefühl
zerfließend. »Das verstehe ich nur zu gut. Sicher ein entsetzlicher
Schock.« Zögernd senkte er die Stimme zu einem heiseren Flüstern
und fragte: »Schläft sie?«
»Vermutlich«, beruhigte der Gouverneur ihn. »Der
Weinbrand hätte ausgereicht, um ein Pferd niederzustrecken…« Meine
Finger zuckten, doch es gelang mir, stillzuliegen.
»Verstehe. Weinbrand ist die beste Medizin. Ich
wollte Ihnen mitteilen, daß ich zusätzliche Truppen von Antigua
angefordert habe. Sie stehen Ihnen zur Verfügung, falls die
Militärpolizei den Kerl nicht vorher findet.«
»Hoffentlich nicht«, wandte sofort eine zum
Äußersten entschlossene Stimme aus der Gruppe der Offiziere ein.
»Ich will den gelben Scheißkerl selbst fangen. Es würde dann
allerdings nicht viel von ihm übrigbleiben, was sich lohnte, an den
Galgen zu hängen.«
Aus den Reihen der Männer erhob sich zustimmendes
Gemurmel, dem der Admrial jedoch energisch Einhalt gebot.
»Ihre Gefühle in Ehren, meine Herren«, sagte er in
normaler Lautstärke, »aber wir halten uns in jeder Hinsicht an das
Gesetz, und Sie werden das auch Ihren Truppen klarmachen. Wenn der
Schurke gefangen ist, soll er dem Gouverneur vorgeführt werden,
damit ihm die gerechte Strafe zuteil wird. Dafür verbürge ich
mich.«
Dann ging der Admiral wieder zum Flüsterton über,
um sich zu verabschieden.
»Ich bleibe in der Stadt und quartiere mich in
MacAdams Hotel ein«, krächzte er. »Wenn Sie Unterstützung brauchen,
Eure Exzellenz, schicken Sie einen Boten.«
Leise verließen die Marineoffiziere das Zimmer. Ich
hörte Schritte und das Rascheln und Ächzen eines Sessels. Dann war
es still.
»Sie können jetzt aufstehen, wenn Sie möchten«,
sagte Lord John nach einer Weile. »Ich nehme nicht an, daß Sie der
Schock tatsächlich derart mitgenommen hat«, fügte er ironisch
hinzu. »Ein einfacher Mord läßt eine Frau, die eine Typhusepidemie
ohne fremde Hilfe in den Griff bekommen hat, wohl kaum in Ohnmacht
fallen.«
Ich nahm mir das Tuch vom Gesicht, schwang die
Beine auf den Boden und setzte mich auf. Das Kinn in die Hände
gestützt, lehnte er auf seinem Schreibtisch und musterte
mich.
»Es gibt solche und solche Schocks«, sagte ich und
unsere Blicke trafen sich, während ich mein feuchtes Haar
zurückstrich. »Falls Sie verstehen, was ich meine.«
Er wirkte zunächst überrascht, doch dann dämmerte
es ihm offenbar. Er griff in seine Schreibtischschublade und holte
meinen weißseidenen, veilchenbestickten Fächer hervor.
»Ich nehme an, er gehört Ihnen. Ich habe ihn im
Flur gefunden.« Sein Mund verzog sich gequält, als er mich
anblickte. »Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie sehr mich
Ihr Erscheinen schockiert hat.«
»Das bezweifle ich sehr«, erwiderte ich. Meine
Finger waren immer noch eiskalt, und ein großer, frostiger Klumpen
lag mir schwer im Magen. Vergeblich versuchte ich, ihn
hinunterzuzwingen. »Haben Sie nicht gewußt, daß Jamie verheiratet
ist?«
Er verzog das Gesicht, als hätte man ihn plötzlich
geohrfeigt, und zwinkerte.
»Ich wußte, daß er früher einmal verheiratet war«,
berichtigte er mich. Er ließ die Hände sinken und begann mit den
Gegenständen zu spielen, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Er
erzählte mir, oder besser, gab mir zu verstehen, daß Sie gestorben
seien.«
Grey griff nach einem kleinen, silbernen
Briefbeschwerer und drehte und wendete ihn in seinen Händen.
Unverwandt blickte er auf die glänzende Oberfläche, die ein großer
Saphir zierte, der im Kerzenlicht blau schimmerte.
»Hat er mich nie erwähnt?« fragte er leise. Ich war
mir nicht sicher, ob Schmerz oder Ärger in seiner Stimme
mitschwang. Unwillkürlich empfand ich so etwas wie Mitleid mit
ihm.
»Doch«, erwiderte ich. »Er sagte, Sie seien sein
Freund.« Das feingezeichnete Gesicht erhellte sich ein wenig, und
er blickte auf.
»Wirklich?«
»Sie müssen verstehen«, fuhr ich fort, »Er… ich …
wir waren durch den Aufstand voneinander getrennt worden. Jeder
dachte, der andere sei tot. Ich habe ihn erst vor vier Monaten
wiedergetroffen.
Greys Gesicht entspannte sich.
»Ich verstehe«, sagte er langsam. »Lieber Himmel,
da haben Sie sich zwanzig Jahre lang nicht gesehen?« Sprachlos
starrte er mich an. »Und vier Monate? Weshalb… wie…?«
Kopfschüttelnd schob er die Fragen beiseite.
»Nun, das tut jetzt nichts zur Sache. Aber hat er
Ihnen nicht erzählt… ich meine… hat er Ihnen nichts von Willie
gesagt?«
Verständnislos sah ich ihn an.
»Wer ist Willie?«
Statt einer Antwort öffnete Grey seine
Schreibtischschublade. Er zog einen kleinen Gegenstand hervor und
legte ihn auf die Tischplatte. Gleichzeitig bedeutete er mir, näher
zu treten.
Es war ein kleines, ovales Porträt in einem
geschnitzten dunklen Rahmen aus edlem Holz. Plötzlich gaben meine
Knie nach. Ich mußte mich setzen. Während ich die Miniatur genauer
betrachtete, war ich mir Greys Anwesenheit nur noch vage
bewußt.
Er könnte Briannas Bruder sein, war mein erster
Gedanke. »Gott im Himmel, er ist Briannas Bruder!« war mein
zweiter, und er warf mich fast um.
Kein Zweifel! Das Porträt zeigte einen Knaben im
Alter von neun oder zehn Jahren mit weichen Zügen. Sein Haar war
kastanienbraun, nicht rot. Doch keck blickten die schrägen blauen
Augen über die gerade Nase hinweg, die um wenige Millimeter zu lang
war, und hohe Backenknochen zeichneten sich unter der glatten Haut
ab. Die selbstbewußte Kopfhaltung entsprach der des Mannes, der ihm
dieses Gesicht gegeben hatte.
Die Miniatur entglitt fast meinen zitternden
Händen. Ich legte sie zurück auf den Schreibtisch, hielt aber die
Hand darauf, aus Angst, das kleine Bild könnte hochspringen und
mich beißen. Mitfühlend beobachtete Grey mich.
»Wußten Sie es nicht?«
»Wer…« Meine Stimme war heiser. Ich räusperte mich.
»Wer ist seine Mutter?«
»Sie ist tot.«
»Wer war sie?« Wellenartig breitete sich der Schock
in meinem Körper aus. Jennys Bemerkung klang mir im Ohr: »Er
gehört nicht zu den Männern, die allein schlafen sollten.«
Offensichtlich.
»Sie hieß Geneva Dunsany«, sagte Grey. »Die
Schwester meiner Frau.«
Bei dem Versuch, all diese Enthüllungen zu
begreifen, wurde mir ganz schwindelig. Wahrscheinlich verhielt ich
mich alles andere als taktvoll.
»Ihre Frau?« wiederholte ich seine
Worte und stierte ihn an. Puterrot wandte er den Blick ab.
Spätestens jetzt gab es keinen Zweifel mehr an seiner
Neigung.
»Ich glaube, Sie täten verdammt gut daran, mir zu
erklären, was Sie mit Jamie, dieser Geneva und dem Jungen zu tun
haben«, sagte ich und nahm das Porträt erneut zur Hand.
Nachdem er sich wieder gefaßt hatte, musterte er
mich kühl und reserviert.
»Ich sehe mich in keiner Weise dazu verpflichtet«,
erklärte er.
Ich widerstand dem Wunsch, ihm meine Fingernägel in
die Wangen zu graben, doch meine Absicht ließ sich offenbar aus
meinem Gesicht lesen, denn er erhob sich, um sich im Ernstfall
rasch außer Gefahr bringen zu können. Argwöhnisch betrachtete er
mich über die ausladende schwarze Tischplatte hinweg.
Nach ein paar tiefen Atemzügen löste ich meine
geballten Fäuste und sprach, so ruhig ich konnte.
»Das stimmt. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn
Sie es mir sagen würden. Weshalb hätten Sie mir sonst das Bild
zeigen sollen?« fügte ich hinzu. »Da ich nun schon soviel weiß,
werde ich den Rest auch noch von Jamie erfahren. Sie können mir
ebensogut ihre Version erzählen.« Ich blickte zum Fenster. Der
Himmelstreifen, der zwischen den halbgeöffneten Fensterläden
hindurchschimmerte, war nach wie vor tiefschwarz, die Dämmerung
noch in weiter Ferne. »Wir haben Zeit.«
Er seufzte tief und legte den Briefbeschwerer
zurück. »Sieht ganz danach aus.« Plötzlich deutete er auf die
Karaffe. »Möchten Sie etwas Weinbrand?«
»Ja«, willigte ich sofort ein. »Und Sie nehmen am
besten auch einen. Sie haben ihn sicher ebenso nötig wie
ich.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine
Lippen.
»Ist das ein ärztlicher Rat?« fragte er
sarkastisch.
»Absolut«, entgegnete ich.
Nachdem wir diesen kleinen Waffenstillstand
geschlossen hatten, setzte er sich zurück.
»Sie sagten, Jamie hätte mich erwähnt«, griff er
meine Worte
auf. Offensichtlich war ich bei Jamies Namen zusammengezuckt, denn
er blickte mich stirnrunzelnd an.
»Ist es Ihnen lieber, wenn ich ihn bei seinem
Nachnamen nenne?« fragte er kühl. »Ich weiß allerdings wirklich
nicht, welchen ich wählen soll.«
»Ist schon gut.« Mit einer Handbewegung tat ich die
Bemerkung ab und nahm einen Schluck. »Ja, er hat Sie erwähnt. Er
sagte, Sie seien der Kommandant des Gefängnisses in Ardsmuir
gewesen… und ein Freund, dem er vertrauen könne«, fügte ich
widerstrebend hinzu. Möglicherweise war Jamie tatsächlich davon
überzeugt, aber ich war mir da nicht so sicher.
»Ich freue mich, das zu hören«, sagte Grey leise.
Er blickte auf die braune Flüssigkeit in seinem Glas und lächelte.
Er nahm einen Schluck und setzte es dann kurz entschlossen
ab.
»Wie er Ihnen bereits erzählt hat, sind wir uns in
Ardsmuir begegnet«, begann er. »Als das Gefängnis geschlossen wurde
und die anderen Gefangenen zur Zwangsarbeit nach Amerika verkauft
wurden, veranlaßte ich, daß Jamie statt dessen auf ein Gut in
England namens Helwater verlegt wurde, das Freunden meiner Familie
gehört.« Er sah mich zögernd an und fügte schlicht hinzu: »Ich
konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn nie wieder zu sehen.«
In wenigen Worten legte er mir die Fakten über
Genevas Tod und Willies Geburt dar.
»Hat er sie geliebt?« fragte ich. Der Weinbrand
trug dazu bei, daß sich meine Hände und Füße erwärmten, aber das,
was mir so schwer im Magen lag, konnte er nicht auflösen.
»Er hat nie mit mir über Geneva gesprochen«, sagte
Grey. Er stürzte den Rest seines Weinbrands hinunter, hustete und
schenkte sich nach, bevor er mich wieder ansah und hinzufügte:
»Aber ich bezweifle es. Ich habe sie nämlich gekannt.« Er verzog
den Mund. »Er hat mir auch nichts von Willie erzählt. Aber es
kursierten eine Menge Gerüchte über Geneva und den alten Grafen von
Ellesmere. Doch als der Knabe vier oder fünf war, ließ die
Ähnlichkeit zwischen Jamie und Willie keinen Zweifel daran, wer der
Vater war - zumindest für jemanden, der genau hinsah.« Wieder nahm
er einen großen Schluck. »Ich vermute, daß meine Schwiegermutter es
weiß, aber sie würde natürlich niemals ein Wort darüber
verlieren.«
»Wirklich nicht?«
Er starrte mich an.
»Nein. Was wäre Ihnen denn lieber - daß Ihr
Enkelkind neunter Graf von Ellesmere und Erbe eines der
wohlhabendsten Güter Englands ist oder der mittellose Bastard eines
schottischen Verbrechers?«
»Ich verstehe.« Ich nippte an meinem Weinbrand und
versuchte mir Jamie mit einem jungen englischen Mädchen namens
Geneva vorzustellen, was mir nur zu gut gelang.
»Jamie war die Ähnlichkeit auch nicht verborgen
geblieben«, sagte Grey. »Klugerweise gelang es ihm, Helwater zu
verlassen, bevor sie jedem ins Auge fiel.«
»Und an dieser Stelle kommen Sie wieder ins Spiel,
nehme ich an«, fragte ich.
Er nickte mit geschlossenen Augen. In der
Gouverneursresidenz herrschte Stille. Nur entfernte Geräusche
erinnerten mich daran, daß sich hier auch noch andere Menschen
aufhielten.
»Richtig«, entgegnete er. »Jamie gab den Jungen in
meine Obhut.«
Der Stall von Helwater war solide gebaut. Im
Winter war er angenehm warm, im Sommer eine kühle Oase. Der
stattliche rötlichbraune Hengst zuckte träge mit den Ohren, als
eine Fliege ihn belästigte, und genoß gleichmütig und zufrieden die
Pflege seines Stallburschen.
»Isobel ist sehr verärgert über dich«, sagte
Grey.
»Tatsächlich?« Jamies Stimme klang ungerührt. Es
gab keinen Anlaß mehr für ihn, sich darüber Gedanken zu machen, daß
er bei einem Mitglied der Familie Dunsany Mißfallen
erregte.
»Sie hat gesagt, du hättest Willie von deiner
Abreise erzählt und ihn damit sehr traurig gemacht. Er hat den
ganzen Tag geheult.«
Jamie hatte das Gesicht abgewandt, aber Grey
bemerkte, wie sich die Muskeln seines Halses anspannten. Er lehnte
sich zurück an die Stallwand und beobachtete die gleichmäßigen Auf-
und Abbewegungen des Striegels, die auf dem schimmernden Fell des
Pferdes schwarze Bahnen hinterließen.
»Wäre es nicht besser gewesen, dem Jungen nichts
davon zu erzählen?« fragte Grey leise.
»Für Lady Isobel gewiß.« Fraser drehte sich um
und legte den Striegel beiseite. Dann gab er dem Hengst zum
Abschluß einen Klaps. Diese Geste hatte in Greys Augen etwas
Endgültiges. Morgen wäre Fraser bereits nicht mehr da. Er spürte
einen Kloß im Hals. Dann er hob er sich und folgte dem Schotten aus
dem Stall.
»Jamie …«, setzte er an und legte ihm die Hand
auf die Schulter. Jamie drehte sich rasch um. Er hatte seine Züge
wieder unter Kontrolle, doch in seinen Augen sah man den Kummer.
Schweigend blickte er auf den Engländer hinab.
»Es ist wirklich besser, wenn du gehst«, sagte
Grey. Fraser blickte erschreckt auf, doch sofort gewann die
Vorsicht wieder die Oberhand.
»Findest du?« sagte er.
»Das sieht doch ein Blinder«, bemerkte Grey
sachlich. »Würden die Leute einem Stallburschen mehr Beachtung
schenken, wäre ihnen die Ähnlichkeit schon längst aufgefallen.« Er
warf einen Blick auf den Hengst und zog eine Augenbraue hoch. »So
mancher Vorfahr prägt seinen Stamm. Ich habe das untrügliche
Gefühl, daß jeder deiner Nachkommen dir wie aus dem Gesicht
geschnitten sein wird.«
Jamie gab keine Antwort, doch er wirkte auf Grey
ein wenig blasser als zuvor.
»Bestimmt fällt es dir auch auf - das heißt,
vielleicht auch nicht«, berichtigte er sich. »Du hast vermutlich
keinen Spiegel, oder?«
Jamie schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Nein«,
antwortete er gedankenverloren. »Ich rasiere mich über der
Wassertränke.« Er atmete tief durch.
»Aye, nun gut. Er blickte hinüber zum Haus,
dessen Flügeltüren zum Rasen weit geöffnet waren. Bei schönem
Wetter spielte Willie dort nach dem Essen.
»Wollen wir ein paar Schritte gehen?« fragte er
Grey unvermittelt und trabte, ohne eine Antwort abzuwarten, am
Stall vorbei auf den Pfad, der von der Koppel hinab zur Weide
führte. Ungefähr nach einer Viertelmeile bleib er in einer sonnigen
Lichtung unweit des Weihers stehen.
Im Gegensatz zu Fraser hatte Grey das rasche
Tempo ins Schwitzen gebracht. Ein zu träges Leben in London, schalt
er sich.
Abrupt drehte Jamie sich zu Grey um und sagte
geradeheraus: »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Falls du befürchtest, ich würde jemandem davon
erzählen…«, begann Grey und schüttelte den Kopf. »Du glaubst doch
nicht im Ernst, daß ich so etwas täte, oder? Schließlich weiß ich
es bereits eine ganze Weile - oder vermute es zumindest.«
»Nein.« Ein schwaches Lächeln umspielte Jamies
Mund. »Nein, so schätze ich dich nicht ein. Aber ich möchte dich
bitten…«
»Ja«, entgegnete Grey prompt. Jamie schürzte die
Lippen.
»Willst du nicht erst einmal wissen, worum es
geht?«
»Ich denke, ich weiß es bereits. Du möchtest,
daß ich mich um den Jungen kümmere und dir über sein Wohlergehen
berichte.«
Jamie nickte.
»Ja, genau.« Sein Blick wanderte die Anhöhe
hinauf bis zu dem Haus, das halb verborgen hinter dem Ahornwäldchen
lag. »Sicher bedeutet es für dich eine Last, wenn ich dich darum
bitte, hin und wieder von London hierherzukommen, um nach ihm zu
sehen.«
»Ganz und gar nicht«, unterbrach ihn Grey. »Ich
wollte dir heute nachmittag ohnehin etwas erzählen, was mich
betrifft. Ich heirate.«
»Heiraten?« Fraser stand der Schock ins Gesicht
geschrieben. »Eine Frau?«
»Es bleibt mir wohl keine andere Wahl«,
entgegnete Grey trocken. »Ja, eine Frau. Lady Isobel.«
»Guter Gott! Das kannst du nicht
machen!«
»Doch, ich kann«, widersprach ihm Grey. Er
verzog das Gesicht. »Ich habe meine Fähigkeiten bereits in London
erprobt. Sei versichert, daß ich Lady Isobel ein angemessener
Ehemann sein werde. Man muß diesen Akt nicht unbedingt genießen, um
ihn auszuführen - aber vielleicht weißt du das ja bereits aus
eigener Erfahrung.«
Etwas wie Wehmut war in Jamies Augen zu lesen,
die Grey nicht verborgen blieb. Fraser wollte etwas sagen,
entschloß sich dann aber doch dagegen.
»Dunsany wird zu alt, um das Gut
weiterzuführen«, erklärte Grey. »Gordon ist tot, und Isobel und
ihre Mutter können die Aufgaben nicht allein bewältigen. Unsere
Familien kennen sich seit Jahrzehnten. Es ist eine passende
Verbindung.«
»Ach, wirklich?« Die Ironie in Jamies Stimme war
nicht zu überhören. Grey errötete und antwortete gereizt: »Ja. Eine
Ehe beschränkt sich nicht auf körperliche Liebe. Sie umfaßt viel
mehr.«
Fraser wandte sich abrupt ab. Er schlenderte
hinüber zum Weiher, stellte sich an das sumpfige Ufer und blickte
eine Weile über die gekräuselten Wellen. Geduldig wartend löste
Grey unterdessen die Schleife, die sein Haar zusammenhielt, und
ordnete seine dichte blonde Mähne.
Schließlich kam Fraser langsam zurück. Er hielt
den Kopf immer noch gesenkt, als wäre er tief in Gedanken. Als er
Grey gegen-überstand, sagte er leise zu ihm: »Du hast recht. Es
steht mir nicht zu, dich zu verurteilen. Gewiß wirst du Lady Isobel
nicht kompromittieren.«
»Natürlich nicht«, entgegnete Grey. »Außerdem
bedeutet es, daß ich immer hiersein werde und mich um Willie
kümmern kann.«
»Heißt das, du quittierst den Dienst?« fragte
Jamie ungläubig.
»Ja«, erwiderte Grey und lächelte ein wenig
wehmütig. »Es ist auch eine Erleichterung. Ich glaube, ich tauge
nicht zum Leben als Soldat.«
Fraser wirkte gedankenversunken. Ich wäre…
dankbar«, sagte er, »wenn du meinem… Sohn ein Stiefvater sein
könntest.« Er hatte das Wort offensichtlich nie zuvor
ausgesprochen, und sein Klang schien wie ein Schock auf ihn zu
wirken. »Ich wäre dir wirklich sehr verbunden.« Jamies Stimme hörte
sich an, als wäre ihm der Kragen zu eng. Dabei trug er das Hemd
offen. Während Grey ihn gespannt betrachtete, verfärbte sich das
Gesicht des Schotten dunkelrot.
»Als Dank… wenn du magst… ich meine, ich wäre
bereit… das heißt…«
Grey unterdrückte ein Lachen. Sachte legte er
seine Hand auf den Arm des kräftigen Schotten, und Jamie bemühte
sich, nicht zurückzuzucken.
»Mein lieber Jamie«, sagte er. »Bietest du mir
tatsächlich deinen Körper an als Dank für mein
Versprechen?«
Frasers Gesicht war rot bis zum
Haaransatz.
»Aye«, schnappte er kurz. »Willst du ihn oder
nicht?«
Jetzt lachte Grey tatsächlich -
lauthals.
»O mein Gott«, stöhnte Grey, ließ sich am Ufer
des Weihers nieder und wischte sich die Augen. »Daß mir tatsächlich
ein solches Angebot gemacht wird!«
Fraser stand über ihn gebeugt und blickte auf
ihn herab. Das Morgenlicht zeichnete ihn als Silhouette und ließ
sein Haar gegen den blaßblauen Himmel wie Feuer sprühen. Grey
meinte, einen Zug um Frasers Mund zu erkennen, in dem sich
Heiterkeit mit tiefer Erleichterung mischte.
»Du willst mich also nicht?«
Grey stand auf und strich sich über den
Hosenboden. »Wahrscheinlich begehre ich dich bis ans Ende meiner
Tage«, erklärte er sachlich. »Aber so sehr ich versucht
bin…«
Er schüttelte den Kopf und strich sich das nasse
Gras von den Händen.
»Glaubst du tatsächlich, ich würde dafür eine
Bezahlung erwarten - oder fordern?« fragte er. »Ein solches Angebot
würde mich zutiefst in meiner Ehre kränken, wenn ich nicht wüßte,
welch starke Gefühle ihm zugrunde liegen.«
»Nun gut«, murmelte Jamie. »Ich wollte dich
nicht beleidigen.«
Grey wußte einen Augenblick lang nicht, ob er
weinen oder lachen sollte. Statt dessen streckte er eine Hand aus
und berührte sanft Jamies Wange, die allmählich wieder ihre
natürliche Farbe annahm. Leise sagte er: »Außerdem kannst du mir
nicht geben, was du nicht hast.«
Grey fühlte, wie sich der Körper vor ihm
entspannte.
»Ich biete dir meine Freundschaft an«, sagte
Jamie. »Falls sie dir etwas wert ist.«
»Ja, sehr viel.« Die beiden Männer standen eine
Zeitlang schweigend nebeneinander, dann seufzte Grey und blickte
zur Sonne. »Es ist schon spät. Sicherlich hast du heute noch eine
Menge zu tun, oder?«
Jamie räusperte sich. »Aye, das habe ich. Ich
sollte mich wohl um meine Angelegenheiten kümmern.«
»Ja.«
Grey zog sein Gewand zurecht und wollte gerade
aufbrechen. Aber Jamie zögerte noch einen Augenblick. Plötzlich
trat er entschlossen vor, beugte sich hinunter und umschloß Greys
Gesicht mit den Händen.
Warm spürte Grey sie auf seiner Haut, leicht und
kräftig wie die Schwingen eines Adlers. Jamies weiche, volle Lippen
berührten seinen Mund. Ein flüchtiger Eindruck der Zärtlichkeit und
Stärke, die sich dahinter verbargen. John Grey stand zwinkernd in
der gleißenden Sonne.
»Oh«, stieß er hervor.
Jamie lächelte ihn scheu an.
»Aye«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß ich
vergiftet bin.« Dann wandte er sich um und ließ Lord John Grey am
Ufer des Weihers zurück.
Der Gouverneur schwieg eine Weile. Dann blickte er
traurig lächelnd auf.
»Das war das erstemal, daß er mich aus freien
Stücken berührt hat«, sagte er leise. »Und das letztemal - bis zum
heutigen Abend, als ich ihm eine Kopie dieser Miniatur
überreichte.«
Ich saß vollkommen regungslos da. Was empfand ich
eigentlich? Bestürzung, Zorn, Entsetzen, Eifersucht und Mitleid
durchfuhren mich - ein Durcheinander von Gefühlen.
Nicht weit von uns entfernt war vor wenigen Stunden
eine Frau gewaltsam zu Tode gekommen. Doch im Vergleich zu dieser
Miniatur - einem kleinen, unbedeutenden, in Rottönen gemalten Bild
- wirkte die Szene in der Toilette geradezu unwirklich. Das
Verbrechen, seine Vergeltung und alles andere hatte im Augenblick
so gut wie kein Gewicht.
Der Gouverneur blickte mich forschend an.
»Natürlich hätte ich Sie auf dem Schiff erkennen
müssen«, sagte er. »Aber ich hatte natürlich gedacht, sie seien
bereits lange tot.«
»Es war ja auch dunkel«, antwortete ich ziemlich
blöde. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Locken. Ich war recht
benommen. Erst dann erfaßte ich den Sinn seiner Bemerkung.
»Wieso hätten Sie mich erkennen müssen? Wir sind
uns doch nie zuvor begegnet.«
Er zögerte und nickte dann.
»Doch. Erinnern Sie sich noch an einen dunken Wald
in der Nähe von Carryarrick im schottischen Hochland, vor zwanzig
Jahren? Und an einen Jungen mit einem gebrochenen Arm? Sie haben
ihn wieder geheilt.« Er hob einen Arm zur Veranschaulichung.
»Jesus H. Roosevelt Christ!« Ich griff nach
dem Weinbrand und nahm einen großen Schluck, bis ich husten und
keuchen mußte. Mit Tränen in den Augen sah ich ihn an. Jetzt, da
ich wußte, wer er war, erkannte ich die schmale Statur und die
zarteren, weicheren Konturen des Jungen wieder, der er einst
gewesen war.
»Bis dahin hatte ich noch nie die Brüste einer Frau
gesehen«, sagte er. »Es war ein ziemlicher Schock für mich.«
»Von dem Sie sich aber offensichtlich recht gut
erholt haben«, entgegnete ich kühl. »Aber anscheinend haben Sie
Jamie vergeben, daß er Ihnen den Arm gebrochen und gedroht hat, Sie
zu erschießen.«
Er errötete und setzte sein Glas ab.
»Ich… nun… ja«, stammelte er plötzlich.
Wir saßen eine Weile schweigend da, nicht wissend,
was wir miteinander reden sollten. Ein- oder zweimal holte er Luft,
als wolle er zum Sprechen ansetzen, aber er sagte nichts.
Schließlich schloß er die Augen, als befehle er seinen Geist in
Gottes Hände, öffnete sie wieder und sah mich an.
»Wissen Sie…«, begann er und hielt inne. Er
richtete den Blick nicht auf mich, sondern auf seine zu Fäusten
geballten Hände. Ein blauer Stein glitzerte an einem Finger und
glänzte wie eine Träne.
»Wissen Sie…«, sagte er erneut, ohne aufzublicken,
»was es heißt, jemanden zu lieben und ihm niemals Frieden, Freude
oder Glück schenken zu können?«
Er sah mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an. »Zu
wissen, daß man ihn niemals glücklich machen kann, obwohl beide
keine Schuld trifft, sondern nur, weil man nicht der Richtige für
den anderen ist?«
Ich schwieg. Ich hatte nicht sein, sondern ein
anderes gutaussehendes Gesicht vor Augen, dunkelhaarig, nicht
blond. Ich fühlte nicht die warme Tropennacht, sondern den eisigen
Winter in Boston.
…sondern nur, weil man nicht der Richtige für
den anderen ist.
»Ja, ich weiß es«, flüsterte ich und preßte die
Hände im Schoß zusammen. Ich hatte zu Frank gesagt: Verlaß mich.
Aber er konnte nicht, und ich konnte ihn nicht wahrhaftig lieben,
nachdem ich der Liebe meines Lebens woanders begegnet war.
O Frank, sagte ich lautlos zu mir selbst. Vergib
mir.
»Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie an das
Schicksal glauben«, fuhr Lord John fort. Ein vages Lächeln huschte
über sein Gesicht. »Sie scheinen am besten geeignet, die Frage zu
beantworten.«
»Sollte man meinen«, antwortete ich trübe. »Aber
ich weiß es ebensowenig wie Sie.«
Er schüttelte den Kopf und nahm die Miniatur in die
Hand.
»Ich nehme an, ich kann mich glücklicher als die
meisten schätzen«, sagte er leise. »Etwas hat er von mir
angenommen.« Seine Züge wurden weich, als er in das Gesicht des
Jungen sah, das ihm aus der Miniatur entgegenblickte. »Und mir
etwas von unschätzbarem Wert gegeben.«
Draußen näherten sich gedämpfte Schritte. Es
klopfte kurz an die Tür, und ein Milizsoldat steckte den Kopf
herein.
»Hat sich die Dame erholt?« fragte er. »Oberst
Jacobs hat das Verhör beendet, und Monsieur Alexandres Kutsche ist
vorgefahren.«
Hastig erhob ich mich.
»Ja, es geht mir gut.« Ich wandte mich zum
Gouverneur um. Was sollte ich ihm sagen? »Ich… danke Ihnen für… das
heißt…«
Er machte eine steife Verbeugung und trat hinter
seinem Schreibtisch hervor, um mich hinauszubegleiten.
»Ich bedaure zutiefst, daß Sie ein derart
schreckliches Erlebnis hatten, Mylady«, sagte er mit diplomatischem
Bedauern in der Stimme. Er hatte seine offizielle Haltung wieder
angenommen und wirkte so glatt wie seine Parkettböden.
Ich folgte dem Milizsoldaten, wandte mich jedoch an
der Tür noch einmal um.
»Ich bin froh, daß Sie nicht wußten, wer ich bin,
als wir uns in jener Nacht an Bord der Porpoise begegnet
sind. Damals… haben Sie mir gefallen.«
Eine Sekunde wirkte er höflich und unerreichbar.
Dann ließ er die Maske fallen.
»Sie mir auch«, sagte er leise. »Damals.«
Mir war, als wäre ich mit einem Fremden unterwegs.
Der Morgen graute, und sogar in der düsteren Kutsche konnte ich nun
Jamies erschöpftes Gesicht erkennen. Sobald wir uns vom
Gouverneurspalast
etwas entfernt hatten, nahm er die lächerliche Perücke vom Kopf
und verwandelte sich von dem gepflegten Franzosen zurück in den
zerzausten Schotten.
»Glaubst du, daß er es war?« fragte ich
schließlich, nur um etwas zu sagen.
Bei meinen Worten öffnete er die Augen und zuckte
die Achseln.
»Ich weiß nicht«, entgegnete er kraftlos. »Das habe
ich mich heute nacht tausendmal gefragt - und wurde noch öfter
danach gefragt.« Er rieb sich heftig über die Stirn.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand so etwas
tut. Und dennoch… nun, du weißt ja, wozu er fähig ist, wenn er
getrunken hat, und er hat ja schon einmal jemanden in diesem
Zustand umgebracht. Erinnerst du dich an den Zollbeamten im
Bordell?« Ich nickte. Jamie beugte sich vor, stützte die Ellbogen
auf die Knie und legte den Kopf in die Hände.
»Aber dies ist etwas anderes«, meinte er. »Ich weiß
nicht so recht - aber vielleicht ja doch. Du hast gehört, was er an
Bord über Frauen gesagt hat. Und wenn diese Mrs. Alcott tatsächlich
mit ihm geliebäugelt hat…« »Das hat sie«, warf ich ein. »Ich habe
es gesehen.«
Er nickte, ohne aufzublicken. »Und etliche andere
auch. Aber wenn sie ihm das Gefühl gegeben hat, ihr sei die Sache
ernster, als sie es in Wirklichkeit war, und sie ihn dann
vielleicht abgewiesen und womöglich sogar ausgelacht hat… und
sternhagelvoll, wie er war… und überall an den Wänden hingen die
Messer griffbereit…« Seufzend setzte er sich aufrecht hin.
»Gott weiß es«, sagte er düster. »Ich nicht.« Er
strich sich mit der Hand das Haar glatt.
»Und noch was: Ich habe ihnen gesagt, ich hätte
Willoughby kaum gekannt, daß wir uns auf dem Postschiff
kennengelernt hätten, das von Martinique gekommen war, und ich
sagte, daß wir nett zu ihm sein wollten und ihn daher allen
möglichen Leuten vorgestellt haben, ohne zu wissen, woher er stammt
oder was für einen Kerl wir tatsächlich vor uns hatten.«
»Haben sie dir das abgenommen?«
Er sah mich schief an.
»Ja, fürs erste, aber das Postschiff kehrt in sechs
Tagen wieder in den Hafen zurück - dann werden sie den Kapitän
verhören und
feststellen, daß er Monsieur Etienne Alexandre und seine Frau nie
zu Gesicht bekommen hat, geschweige denn einen winzigen,
gelbgesichtigen, mordenden Teufel.«
»Das könnte in bißchen unangenehm werden«, bemerkte
ich und dachte an Fergus und den Milizsoldaten. »Wir haben uns
wegen Mr. Willoughby bereits ziemlich unbeliebt gemacht.«
»Gar nicht auszudenken, wie wir dastehen, wenn die
sechs Tage abgelaufen sind und sie ihn immer noch nicht gefunden
haben«, bestätigte er. »Wahrscheinlich wird es auch nicht länger
als sechs Tage dauern, bis es sich vom Blue Mountain House bis nach
Kingston herumspricht, wer bei den MacIvers zu Besuch ist - du
weißt ja, die Dienstboten wissen allesamt, wer wir sind.«
»Verdammt.«
Sein Lächeln brachte mein Herz zum Schmelzen.
»Du kannst die Dinge so nett in Worte fassen,
Sassenach. Also, das heißt, wir müssen Ian binnen sechs Tagen
finden. Ich mache mich sofort auf den Weg nach Rose Hall. Aber erst
muß ich mich ein wenig ausruhen.« Er gähnte herzhaft hinter
vorgehaltener Hand und schüttelte zwinkernd den Kopf.
Wir schwiegen, bis wir das Blue Mountain House
erreicht hatten und auf Zehenspitzen in unser Zimmer geschlichen
waren.
Ich ließ im Ankleidezimmer das schwere Korsett zu
Boden fallen und löste die Nadeln aus meiner Frisur.
Mit einem Seidenhemd bekleidet, ging ich ins
Schlafzimmer, wo Jamie im Hemd an der Flügeltür stand und über die
Lagune blickte.
Als er mich hörte, winkte er mich zu sich und legte
den Finger auf die Lippen.
»Komm her, sieh mal«, flüsterte er.
In der Lagune schwamm eine kleine Herde Seekühe.
Massige graue Körper glitten durch das dunkle, kristallfarbene
Wasser und tauchten glänzend wie glatte, nasse Felsen auf. Außer
dem Morgengezwitscher, das die Vögel unweit des Hauses soeben
anstimmten, war nur das Prusten der nach Luft schnappenden Seekühe
zu hören und dann und wann ihre gespenstischen Rufe, die einem
hohlen, weit entfernten Jammern ähnelten.
Seite an Seite beobachteten wir sie schweigend. Als
die ersten Sonnenstrahlen auf die Wasserfläche trafen, färbte sich
die Lagune
grün. In diesem Zustand höchster Erschöpfung, in dem man jede
Empfindung übernatürlich stark wahrnimmt, war ich mir Jamies
Anwesenheit so bewußt, als würde ich ihn berühren.
John Greys Enthüllungen hatten fast all meine
Befürchtungen und Zweifel zerstreut. Nur etwas blieb ungeklärt:
Warum hatte Jamie mir nichts von seinem Sohn erzählt? Natürlich
besaß er gute Gründe für seine Verschwiegenheit, aber dachte er
etwa, ich könnte sein Geheimnis nicht bewahren? Vielleicht, so
schoß es mir durch den Kopf, hatte er ja wegen der Mutter des
Knaben geschwiegen. Womöglich hatte er sie doch geliebt, und Grey
hatte die Beziehung falsch eingeschätzt.
Sie war tot. War es von Bedeutung, wenn er sie
geliebt hatte? Die Antwort lautete: ja. Ich hatte Jamie zwanzig
Jahre lang für tot gehalten, und es hatte an meiner Zuneigung zu
ihm nichts geändert. Vielleicht hatte Jamie ähnlich für dieses
englische Mädchen empfunden. Ich schluckte und beschloß, ihn
geradeheraus zu fragen.
Er hatte die Stirn gekraust und sah abwesend
aus.
»Was denkst du?« fragte ich ihn schließlich. Ich
brachte einfach nicht den Mut auf, die Frage zu stellen, die mir
auf der Seele lag.
»Mir ist gerade ein Gedanke gekommen«, antwortete
er und starrte immer noch zu den Seekühen hinüber. »Im Zusammenhang
mit Willoughby.«
Die zurückliegenden Ereignisse schienen weit
entfernt und unbedeutend. Aber es war schließlich ein Mord
geschehen.
»Und was?«
»Tja, zunächst hatte ich mir nicht vorstellen
können, daß Willoughby so etwas tun könnte. Wie ist überhaupt
jemand zu einer solchen Tat imstande?« Er hielt inne und fuhr mit
dem Finger über die Fensterscheibe, die durch die Wärme der
aufgehenden Sonne beschlagen war. »Aber…« Er wandte das Gesicht zu
mir.
»Nun könnte ich es mir doch vorstellen.« Er sah
besorgt aus. »Er war allein. Sehr allein.«
»Ein Fremder in einem fremden Land«, sagte ich
leise und erinnerte mich an die Verse, die er mit schwarzer Tinte
geschrieben und dann dem Meer anvertraut hatte.
»Genau.« Er strich sich durchs Haar, das im
Tageslicht kupferfarben leuchtete. »Das einzige, was einen Mann
seine Einsamkeit vergessen läßt, ist, bei einer Frau zu
liegen.«
Er blickte auf seine Hände, drehte die Innenflächen
nach außen und strich sich mit dem Zeigefinger der linken Hand über
den vernarbten Mittelfinger.
»Deshalb habe ich Laoghaire geheiratet«, sagte er
leise. »Nicht weil Jenny mich gedrängt hat. Nicht weil ich Mitleid
hatte mit den beiden kleinen Mädchen. Nicht einmal, weil meine Eier
schmerzten.« Er verzog den Mund. »Sondern weil ich vergessen
wollte, daß ich allein war«, schloß er leise.
Er drehte sich wieder zum Fenster.
»Falls der Chinese zu ihr gegangen ist - mit dieser
Sehnsucht, diesem Bedürfnis - und von ihr abgewiesen wurde…« Er
zuckte die Achseln und starrte über das kühle Grün der Lagune
hinweg. »Aye, möglicherweise hat er es getan«, sagte er.
Ich stand neben ihm. Mitten in der Lagune erhob
sich eine Seekuh aus dem Wasser, drehte sich auf den Rücken und
wandte das Junge auf ihrer Brust der Sonne zu.
Er schwieg eine Weile, und ich wußte nicht, wie ich
das Gespräch auf das lenken konnte, was ich im Gouverneurspalast
gesehen und gehört hatte.
Er schluckte und wandte sich mir zu. Sein Gesicht
war von Müdigkeit gezeichnet, aber in seinem Blick lag eine
Entschlossenheit, die er immer an den Tag legte, wenn er sich auf
einen Kampf einließ.
»Claire«, sagte er, und ich erstarrte. Er nannte
mich nur dann bei meinem Namen, wenn es um etwas Ernstes ging.
»Claire, ich muß dir etwas sagen.«
»Was?« Ich hatte darüber nachgedacht, wie ich die
Frage formulieren sollte, aber plötzlich wollte ich nichts hören.
Ich trat einen halben Schritt zurück, weg von ihm, aber er packte
mich am Arm.
Er hielt etwas in seiner Faust verborgen, das er
jetzt in meine Hand legte. Ohne hinzusehen, wußte ich, was es war.
Ich fühlte die Schnitzereien des zarten ovalen Rahmens und die
rauhe Oberfläche des Gemäldes.
»Claire.« Seine Kehle zitterte, als er schluckte.
»Claire… ich muß es dir sagen. Ich habe einen Sohn.«
Ich erwiderte nichts, sondern öffnete nur die Hand.
Da war es wieder - das Gesicht, das ich bereits in Greys
Arbeitszimmer betrachtet
hatte, die kindliche, ein wenig naseweise Kopie des Mannes mir
gegenüber.
»Ich hätte dir früher von ihm erzählen sollen.« Er
forschte in meinem Gesicht, was ich wohl empfinden mochte, aber
ausnahmsweise waren meine Züge, von denen sich sonst jede
Gefühlsregung ablesen ließ, ausdruckslos.
»Ich habe niemandem von ihm erzählt«, sagte er.
»Nicht einmal Jenny.«
Das wunderte mich so sehr, daß ich herausplatzte:
»Jenny weiß nichts davon?«
Er schüttelte den Kopf und blickte wieder zu den
Seekühen. Aufgeschreckt durch unsere Stimmen, hatten sie sich etwas
weiter entfernt erneut niedergelassen und taten sich am Seegras
gütlich.
»Es war in England. Es… er ist… na ja, ich konnte
nicht sagen, daß er von mir ist. Er ist ein Bastard, verstehst du?«
Vielleicht war es das Rot der aufgehenden Sonne, das sich auf
seinen Wangen spiegelte. Er biß sich auf die Lippe und fuhr dann
fort.
»Er war noch ein kleiner Junge, als ich ihn zum
letztenmal gesehen habe, und ich werde ihn auch nie wieder sehen -
außer auf einem kleinen Bild wie diesem.« Er nahm das Porträt und
neigte sich blinzelnd darüber.
»Ich hatte Angst, dir davon zu erzählen«, sagte er
leise. »Ich fürchtete, du würdest denken, ich hätte ein Dutzend
Bastarde in die Welt gesetzt und daß Brianna mir egal sei, weil ich
ein zweites Kind habe. Aber sie ist mir nicht einerlei, Claire,
ganz und gar nicht, das mußt du mir glauben.« Er hob den Kopf und
blickte mir in die Augen.
»Vergibst du mir?«
»Hast du…« Ich erstickte fast an der Frage, aber
ich mußte sie stellen. »Hast du sie geliebt?«
Ungeheure Traurigkeit breitete sich über sein
Gesicht, aber er wandte den Blick nicht ab.
»Nein«, erwiderte er leise. »Sie… wollte mich. Ich
hätte eine Lösung finden und ihr Einhalt gebieten sollen, aber ich
konnte nicht. Sie wollte, daß ich bei ihr liege. Ich tat es… und
sie ist daran gestorben.« Nun senkte er die Augen. »Vor Gott bin
ich schuld an ihrem Tod. Vielleicht ist meine Schuld sogar noch
größer, weil ich sie nicht geliebt habe.«
Ich sagte nichts, sondern hob meine Hand und
berührte seine Wange. Er legte seine darüber und schloß die
Augen.
»Wie ist er?« fragte ich leise. »Dein Sohn?«
Er lächelte mit geschlossenen Augen.
»Er ist verzogen und dickköpfig«, antwortete er
ebenso leise. »Schlecht erzogen, laut und temperamentvoll.« Er
schluckte. »Und tapfer, lebenslustig und stark.« Seine Worte waren
kaum zu verstehen.
»Und dein Sohn«, sagte ich. Seine Hand drückte
meine noch stärker.
»Mein Sohn«, sagte er. Er seufzte tief, und ich sah
unter seinen geschlossenen Lidern Tränen schimmern.
»Du hättest Vertrauen zu mir haben sollen«, sagte
ich schließlich. Er öffnete die Augen, ohne meine Hand
loszulassen.
»Vielleicht«, sagte er leise. »Immer wieder habe
ich überlegt, wie ich es dir sagen soll. Das von Geneva und Willie
und John - weißt du die Sache mit John?« Er runzelte die Stirn,
wirkte aber sofort erleichtert, als ich nickte.
»Er hat es mir erzählt. Alles.« Er blickte mich
verwundert an, fuhr aber fort.
»Vor allem, nachdem du das mit Laoghaire
herausgefunden hattest. Wie hätte ich es dir erzählen und dann noch
erwarten können, daß du den Unterschied verstehst?«
»Welchen Unterschied?«
»Geneva - Willies Mutter - wollte meinen Körper«,
sagte er leise. »Laoghaire brauchte meinen Namen und meiner Hände
Arbeit, um sie und die Kinder zu versorgen.« Unsere Augen trafen
sich. »John… na ja.« Er zuckte die Achseln. »Ich kann ihm nicht
geben, was er will, und er ist ein zu guter Freund, um darum zu
bitten. Aber wie hätte ich dir all das erklären sollen? Und wenn
ich dir dann sage, daß du die einzige bist, die ich wirklich liebe?
Wie hättest du mir glauben können?«
Die Frage hing in der Luft.
»Wenn du es sagst«, erklärte ich ihm, »glaube ich
es dir auch.«
»Wirklich?« Er klang leicht verwundert.
»Weshalb?«
»Weil du ein aufrichtiger Mann bist, Jamie Fraser«,
sagte ich und lächelte, um nicht zu weinen. »Und möge Gott dir
deshalb gnädig sein.«
»Nur dich«, sagte er kaum hörbar, »dich will ich
mit meinem Körper verehren, dir mit meinen Händen dienen, dir
meinen Namen und mein Herz und meine Seele schenken. Weil ich bei
dir nicht lügen muß und du mich trotzdem liebst.«
»Jamie«, sagte ich leise und legte die Hand auf
seinen Arm. »Du bist nicht mehr allein.«
Er drehte sich um, nahm mich bei den Armen und
suchte meinen Blick.
»Ich habe es dir geschworen«, sagte ich. »Als wir
geheiratet haben. Ich habe es damals nicht so gemeint, aber ich
habe es geschworen - und heute meine ich es so.« Ich drehte seine
Hand um und tastete über die zarte Haut seines Handgelenks, wo der
Herzschlag unter meinen Fingern pulsierte und die Klinge seines
Dolches sich einst in sein Fleisch geschnitten hatte, damit sich
sein Blut auf ewig mit meinem mischte.
Ich drückte mein Handgelenk auf seines, Puls an
Puls, Herzschlag an Herzschlag.
»Blut von meinem Blut…« wisperte ich.
»Fleisch von meinem Fleische.« Sein Flüstern war
tief und heiser. Plötzlich kniete er vor mir nieder und legte seine
gefalteten Hände in meine - die Geste eines Hochländers, der seinem
Anführer Treue schwört.
»Ich schenke dir meine Seele«, sagte er und hielt
den Kopf über unser beider Hände geneigt.
»Bis wir unser Leben aushauchen«, schloß ich leise.
»Aber es ist noch nicht vorbei, Jamie!«
Er erhob sich, entkleidete mich, und ich legte mich
nackt auf das schmale Bett, zog ihn im Schatten des weichen gelben
Lichtes zu mir herab und begleitete ihn heim, immer und immer
wieder, und keiner von uns beiden war allein.