48
Gnade
Während der nächsten Tage spielte sich eine feste Routine ein - das geschieht selbst in den grauenvollsten Situationen, vorausgesetzt, sie halten eine Weile an. Nach einer Schlacht kann ein Arzt heroische Arbeit leisten. Er weiß, daß er durch das Stillen einer Blutung ein Leben rettet, daß sein rasches Eingreifen einen Arm oder ein Bein vor der Amputation bewahrt. Bei einer Epidemie ist das anders.
Da gibt es lange Tage, wo man nur beobachtet und gegen die Keime ankämpft - ohne angemessene Waffen. Es geht nur noch um Zeitgewinn, und man tut all die kleinen, vielleicht sogar nutzlosen Dinge, die im Kampf gegen den unsichtbaren Feind aber immer wieder getan werden müssen - und all das mit der schwachen Hoffnung, daß man die Kräfte des Kranken so lange stützen kann, bis er die Belagerer besiegt.
Eine Epidemie ohne Medikamente zu bekämpfen gleicht einem Kampf gegen Schatten. Ich kämpfte ihn nun schon seit neun Tagen, und weitere sechsundvierzig Männer waren gestorben.
Dennoch stand ich jeden Morgen bei Tagesanbruch auf, klatschte mir Wasser auf die verquollenen Augen und begab mich, ausgerüstet mit nichts als einem Fäßchen Alkohol und meiner Hartnäckigkeit, aufs Schlachtfeld.
Ein paar Siege konnte ich verzeichnen, aber selbst die hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Ich fand die mutmaßliche Quelle der Krankheitserreger - einen Messesteward namens Howard. Zunächst hatte er in einer der Geschützgruppen gedient, aber nachdem ihm eine Kanonenkugel die Finger gequetscht hatte, war er der Kombüsenmannschaft zugeteilt worden.
Howard hatte die Kanonenschützen bedient, und der erste Kranke - jedenfalls nach den lückenhaften Unterlagen des toten Schiffsarztes Mr. Hunter zu urteilen - war einer der Seeleute gewesen, die dort aßen. Kurz darauf gab es vier weitere Fälle unter den Schützen, und dann hatte sich die Krankheit ausgebreitet.
Als Howard zugab, eine Epidemie wie diese schon auf anderen Schiffen miterlebt zu haben, war die Sache klar. Doch dem Koch fehlten wie allen anderen an Bord Leute, und so schlug er mein Ansinnen schlichtweg ab, Howard freizustellen, »nur weil sich ein dummes Frauenzimmer etwas in den Kopf gesetzt hat«.
Da auch Elias ihn nicht umstimmen konnte, war ich gezwungen, den Kapitän einzuschalten. Der schätzte die Umstände jedoch völlig falsch ein und erschien in Begleitung mehrerer bewaffneter Marinesoldaten in der Kombüse. Nach einer höchst unerfreulichen Begegnung wurde Howard - der lautstark protestierte und wissen wollte, was man ihm eigentlich vorwarf - ins Schiffsgefängnis verbannt, dem einzigen Ort, wo seine Quarantäne sichergestellt war.
Als ich von der Kombüse an Deck kam, versank die Sonne im Meer. Ihre Strahlen überzogen die Wogen des Atlantiks mit goldenem Licht. Verzaubert blieb ich stehen.
Zwar hatte ich solche Augenblicke schon früher erlebt, aber sie erstaunten mich immer wieder aufs neue. Es geschah immer dann, wenn ich in meinem Beruf großer Belastung ausgesetzt war, wenn ich knietief in Sorgen und Arbeit steckte. Plötzlich sah ich aus dem Fenster, öffnete eine Tür, blickte in ein Gesicht, und dann überkam er mich aus heiterem Himmel - dieser Augenblick des Friedens.
Das Schiff glitt in einer Lichterspur dahin, und der weite Horizont war nicht länger ein bedrohliches Monument der Leere, sondern die Wohnstätte der Freude. Für einen kurzen Moment lebte ich im Zentrum der Sonne. Sie wärmte und reinigte mich, so daß ich die Krankheit und ihre Ausdünstungen vergaß und alle bitteren Gefühle aus meinem Herzen wichen.
Ich hatte diesen Augenblick nie bewußt gesucht, ihn nie benannt, doch ich erkannte ihn immer, wenn er mir denn gewährt wurde. Diesen kurzen Augenblick genoß ich still, wunderte mich und nahm es dann hin, daß mir diese Gnade auch hier zuteil werden konnte.
Dann tauchte die Sonne unter. Der Augenblick war vorüber, und wie immer spürte ich noch einen Nachhall des Friedens. Ich bekreuzigte mich und ging nach unten.
 
Vier Tage später starb Elias Pound. Mit geschwollenen Augen und fiebernd war er bei mir im Schiffslazarett aufgetaucht. Grelles Licht konnte er nicht ertragen. Sechs Stunden später lag er im Delirium, unfähig, sich vom Lager zu erheben. Am folgenden Morgen schmiegte er seinen runden Kopf an meinen Busen, nannte mich »Mutter« und verschied in meinen Armen.
Tagsüber tat ich, was getan werden mußte, und am Abend stand ich neben Kapitän Leonard, als er die Bestattungszeremonie abhielt. Dann wurde der Leichnam von Seekadett Elias Pound dem Meer übergeben.
Ich lehnte die Einladung des Kapitäns, mit ihm zu Abend zu essen, ab und suchte mir statt dessen ein ruhiges Plätzchen auf dem Achterdeck neben einer der großen Kanonen, wo niemand mein Gesicht sah. Wieder bot sich mir ein prachtvoller Sonnenuntergang, doch diesmal wurde mir kein Moment der Gnade gewährt, diesmal fand ich keinen Frieden.
Als sich die Dunkelheit über das Schiff senkte, erlahmte die Betriebsamkeit an Deck. Ich lehnte den Kopf gegen die Kanonen. Einmal ging, raschen Schritts und alle Gedanken auf seine Aufgabe gerichtet, ein Matrose an mir vorbei, doch dann war ich allein.
Jeder einzelne Muskel tat mir weh, mein Rücken war steif, die Füße geschwollen, doch all das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die mein Herz zusammenkrampften.
Jedem Arzt ist es ein Greuel, einen Patienten sterben zu sehen. Der Tod ist der Feind, und jemanden, den man betreut, an den Sensenmann zu verlieren, kommt einer Niederlage gleich. Man empfindet nicht nur Trauer über den Verlust und den Schrecken ob seiner Endgültigkeit, man fühlt sich auch betrogen und unfähig. Zwischen Sonnenaufgang und -untergang hatte ich dreiundzwanzig Männer verloren. Elias war nur der erste gewesen.
Mehrere waren gestorben, während ich sie mit kaltem Wasser wusch oder ihnen die Hände hielt. Andere mußten allein in ihrer Hängematte sterben, weil ich nicht rechtzeitig zu ihnen kommen konnte. Eigentlich hatte ich geglaubt, mich an die Bedingungen dieses Jahrhunderts gewöhnt zu haben, doch der Gedanke, daß Penicillin die meisten der Kranken hätte retten können, mir aber nicht zur Verfügung stand, fraß an meiner Seele.
Die Schachtel mit den Spritzen und Ampullen war auf der Artemis zurückgeblieben. Aber selbst wenn ich sie dabeigehabt hätte, hätte ich sie nicht einsetzen können. Und wenn doch, hätte ich damit nicht mehr als ein oder zwei Leben gerettet. Aber das konnte ich mir noch so oft vorhalten - angesichts der Vergeblichkeit erfüllte mich ohnmächtige Wut. Ich biß die Zähne so fest zusammen, daß mir die Wangenknochen weh taten, wenn ich von einem Kranken zum nächsten ging und nichts bieten konnte als gekochte Milch und Schiffszwieback.
Unsicher taumelten meine Gedanken von einem Mann zum anderen. Ich sah jeden vor mir, den ich heute versorgt hatte, sah ihre Gesichter - schmerzverzerrt oder vom Tod geglättet -, und alle sahen sie mich an. Mich. Ich hob die Hand, die so wenig ausrichten konnte, und schlug sie gegen die Reling. In meiner wilden Wut und Ohnmacht spürte ich nicht einmal den Schmerz, den das hervorrief.
»Das dürfen Sie nicht!« hörte ich hinter mir eine Stimme sagen, und eine Hand schloß sich um meinem Arm, bevor ich ein zweitesmal zuschlagen konnte.
»Lassen Sie mich los!« Ich kämpfte, aber ich wurde eisern festgehalten.
»Aufhören!« befahl er resolut. Er schlang seinen freien Arm um meine Taille und zog mich von der Reling fort. »Das dürfen Sie nicht«, wiederholte er. »Sie könnten sich verletzen.«
»Verdammt! Das ist mir völlig egal!« Ich wand mich in seinem Griff, ließ mich dann aber entmutigt zusammensinken.
Als er mich losließ, wandte ich mich zu ihm. Vor mir stand ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zu den Seeleuten gehörte er nicht, denn seine Kleider, obwohl vom langen Tragen zerknittert und schmutzig, waren vornehm und von guter Qualität. Der taubengraue Rock war meisterhaft geschneidert und betonte die schlanke Figur, und das Jabot an seinem Kragen war aus Brüsseler Spitze gefertigt.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte ich erstaunt. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen, schniefte und glättete instinktiv meine Haare. Ich konnte nur hoffen, daß er in der Dämmerung mein Gesicht nicht sah.
Er lächelte und reichte mir ein zerknülltes, aber sauberes Taschentuch.
»Ich heiße Grey«, antwortete er mit einer knappen, höflichen Verbeugung. »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie die berühmte Mrs. Malcolm sind, deren Heldentaten von Kapitän Leonard so lautstark gepriesen werden?« Als ich eine Grimasse schnitt, hielt er inne.
»Tut mir leid«, sagte er. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an, Madam! Mir lag es ganz und gar fern, Sie zu beleidigen.« Da er ehrlich erschrocken wirkte, schüttelte ich den Kopf.
»Nicht gerade heldenhaft, wenn man den Männern beim Sterben zusieht«, erklärte ich. Meine Stimme war rauh, und ich putzte mir die Nase. »Ich bin da, das ist alles. Vielen Dank für das Taschentuch.« Unschlüssig überlegte ich, ob ich es ihm zurückgeben sollte, aber einfach einstecken mochte ich es auch nicht. Er löste das Problem mit einer abwinkenden Handbewegung.
»Kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun?« Er zögerte. »Einen Becher Wasser? Vielleicht einen Schluck Weinbrand?« Er griff in seine Rocktasche, zog eine silberne Reiseflasche mit eingraviertem Familienwappen hervor und reichte sie mir.
Mit einem dankbaren Nicken nahm ich das Fläschchen und trank einen kräftigen Schluck. Fast augenblicklich spürte ich, wie die Last der Verantwortung leichter wurde und sich neue Kraft in mir ausbreitete. Ich seufzte tief und trank noch einmal. Es half wirklich.
»Vielen Dank«, sagte ich heiser, als ich ihm die Flasche zurückgab. Da mir das ein wenig kurz angebunden erschien, fügte ich hinzu: »Ich hatte ganz vergessen, daß man Weinbrand auch trinken kann. In letzter Zeit habe ich damit hauptsächlich Leute abgewaschen.« Aber diese Feststellung führte dazu, daß mir erneut und überdeutlich die Ereignisse des Tages vor Augen traten. Müde sank ich wieder auf das Pulverfaß, auf dem ich vorher gesessen hatte.
»Ich vermute, daß die Seuche unvermindert ihre Opfer fordert«, meinte er ruhig. Seine blonden Haare schimmerten golden im Licht einer Laterne.
»Nicht unvermindert.« Ich schloß die Augen, weil alles so trostlos schien. »Heute hatten wir nur einen Neuerkankten. Gestern waren es vier und vorgestern sechs.«
»Das klingt vielversprechend«, stellte er fest. »So als hätten Sie den Kampf gegen die Seuche gewonnen.«
Ich schüttelte langsam den Kopf. Er kam mir dumpf und schwer vor.
»Nein, wir können lediglich dafür sorgen, daß sich keine weiteren Männer mehr anstecken. Aber für die Männer, die schon krank sind, kann ich nichts, rein gar nichts tun.«
»Ach wirklich?« Er griff nach meiner Hand. Verblüfft überließ ich sie ihm. Er strich mit dem Daumen über die Brandblase, die ich mir beim Abkochen der Milch zugezogen hatte, und dann über die roten Knöchel, die vom ständigen Kontakt mit dem Alkohol wund und rissig waren.
»Für jemanden, der nichts tut, schienen Sie aber recht aktiv, Madam«, stellte er trocken fest.
»Natürlich tue ich etwas!« fuhr ich ihn an und entzog ihm die Hand. »Nur richte ich damit nichts aus.«
»Ich bin sicher -« setzte er an.
»Nein, nichts!« Ich schlug mit der Hand gegen die Kanone, eine dumpfe Handlung, in der die Sinnlosigkeit des ganzen Tages zusammengefaßt zu sein schien. »Wissen Sie, wie viele Kranke ich heute verloren habe? Dreiundzwanzig! Seit Morgengrauen bin ich auf den Beinen, bin bis zu den Knien in Schmutz und Erbrochenem gewatet und was ist dabei herausgekommen? Nichts. Haben Sie gehört? Ich konnte ihnen nicht helfen!«
Er hatte das Gesicht abgewandt, aber seine Schultern zeigten, wie angespannt er war.
»Ich habe Sie gehört«, sagte er leise. »Sie beschämen mich, Madam. Auf Befehl des Kapitäns habe ich meine Kajüte nicht verlassen, aber ich hatte keine Ahnung, daß die Dinge so schlimm stehen. Hätte ich es gewußt, wäre ich Ihnen trotz aller Anordnungen zu Hilfe gekommen, das versichere ich Ihnen.«
»Warum?« fragte ich geradeheraus. »Das ist nicht Ihre Aufgabe.«
»Ist es denn Ihre?« Rasch wandte er sich zu mir um, und zum erstenmal sah ich ihn genauer. Er war etwa Ende Dreißig und hatte ein angenehmes Gesicht mit feinen Zügen und großen, blauen Augen.
»Ja«, antwortete ich.
Er betrachtete mich erstaunt. Dann wurde er nachdenklich.
»Ich verstehe.«
»Nein, das tun Sie nicht, aber das spielt keine Rolle.« Um meine Kopfschmerzen zu lindern, drückte ich die Fingerspitzen an die Stirn, auf die Punkte, die mir Mr. Willoughby gezeigt hatte. »Wenn der Kapitän sagt, Sie sollen in Ihrer Kajüte bleiben, dann leisten Sie ihm wohl besser Folge. Im Schiffslazarett gibt es genügend Helfer… bloß eben… daß wir nichts ausrichten können.« Entmutigt ließ ich die Hände sinken.
Er ging die paar Schritte zur Reling und blickte über das weite Wasser. Hin und wieder, wenn eine Welle das Sternenlicht einfing, funkelte es.
»Ich verstehe Sie wirklich«, wiederholte er, als spräche er zu den Wogen. »Zunächst habe ich Ihren Kummer weiblichem Mitgefühl zugesprochen, aber nun sehe ich, daß etwas anderes Sie bewegt.« Er hielt inne und krampfte die Hände um die Reling.
»Ich war Soldat, Offizier«, sagte er. »Und ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man das Leben anderer in der Hand hat - und es verliert.«
Ich schwieg, und auch er sagte nichts mehr. Aus der Ferne drangen die üblichen Geräusche der Matrosen. Schließlich seufzte er und wandte sich wieder zu mir um.
»Letztendlich läuft es darauf hinaus, daß man eins erkennt: Man ist nicht Gott.« Er schwieg, aber dann fuhr er fort. »Und daß man diese Tatsache bedauert.«
Ich merkte, daß ein Teil der Anspannung von mir wich. Die frische Brise kühlte mir den Nacken, und sanft wie eine zärtliche Hand strichen mir die Locken über die Wangen.
»Ja«, sagte ich.
Er zögerte, als wüßte er nicht so recht, was er sagen sollte. Dann beugte er sich herunter, nahm meine Hand und küßte sie - eine schlichte Geste, ohne Affektiertheit.
»Gute Nacht, Mrs. Malcolm«, sagte er und wandte sich ab. Dann hörte ich, wie sich seine Schritte entfernten.
Er war nur wenige Meter gegangen, als ein Seemann an mir vorbeieilte und mit einem Schrei bei ihm stehenblieb. Es war Jones, einer der Stewards.
»Mylord: Sie sollten doch in Ihrer Kajüte bleiben! Die Nachtluft macht krank, und wir haben eine Seuche an Bord. Und dann noch der Befehl vom Kapitän! Was fällt Ihrem Diener denn ein, Mylord, Sie einfach so auf Deck herumlaufen zu lassen?«
Mein neuer Bekannter nickte entschuldigend.
»Ja, ja, ich weiß. Ich hätte nicht nach oben kommen dürfen, aber ich hatte einfach das Gefühl, wenn ich nur noch einen Augenblick in der Kajüte bliebe, müßte ich ersticken.«
»Besser ersticken, als an der Seuche krepieren, wenn sie mir die Bemerkung gestatten, Mylord!« erwiderte Jones streng. Mein Bekannter erhob keinen Protest, sondern murmelte etwas und verschwand in der Dunkelheit.
Ich streckte den Arm aus und packte Jones am Kragen, als er an mir vorbeikam. Abrupt blieb er stehen. Vor Schreck hatte es ihm den Atem verschlagen.
»Ach, Sie sind es, Mrs. Malcolm!« Um sich zu beruhigen, hielt er sich die knochige Hand vor die Brust. »Herr im Himmel, ich dachte, es wäre ein Gespenst, wenn Sie entschuldigen, Gnädigste.«
»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, entgegnete ich höflich. »Ich wollte Sie nur fragen, mit wem Sie da gerade gesprochen haben.«
»Ach, der?« Jones sah über die Schulter, aber Mr. Grey war längst verschwunden. »Nun, das ist Lord John Grey, der neue Gouverneur von Jamaika.« Mit kritisch gerunzelter Stirn sah er in die Richtung, in die mein Bekannter verschwunden war. »Er dürfte eigentlich gar nicht hier heraufkommen, denn der Kapitän hat die strikte Anweisung gegeben, daß er unten bleibt. Das fehlte uns jetzt noch, mit einem toten Staatsmann an Bord in den Hafen einzulaufen!«
Er schüttelte mißbilligend den Kopf. Dann wandte er sich mit einem kurzen Nicken zu mir um.
»Wollen Sie nicht zu Bett gehen? Soll ich Ihnen ein Täßchen Tee bringen? Und vielleicht noch ein wenig Zwieback?«
»Nein, danke, Jones«, sagte ich. »Ich mache noch mal eine Runde durchs Schiffslazarett, bevor ich mich schlafen lege. Ich brauche nichts.«
»Sollten Sie sich anders besinnen, Gnädigste, brauchen Sie es nur zu sagen, ganz gleich, wie spät es ist. Gute Nacht.« Er tippte sich an die Stirn und eilte davon.
Ich blieb noch einen Augenblick an der Reling stehen und sog die frische Nachtluft ein. Bis zum Morgengrauen blieben mir noch einige Stunden Zeit. Über mir funkelten hell und klar die Sterne, und plötzlich merkte ich, daß mir nun doch noch ein Augenblick der Gnade gewährt wurde.
»Ihr habt recht«, sagte ich zum Meer und zum Himmel. »Ein Sonnenuntergang allein hätte nicht gereicht. Ich danke euch.« Und dann ging ich nach unten.
Ferne Ufer
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