38
Der Advokat
Wie ich vermutet hatte, hielten die Bakterien dem modernen Antibiotikum nicht stand. Binnen vierundzwanzig Stunden war das Fieber so gut wie abgeklungen. Auch die Entzündung im Arm besserte sich im Laufe der folgenden zwei Tage zusehends.
Am vierten Tag bestrich ich die Wunde dünn mit Sonnenhutsalbe und verband sie. Dann ging ich ins obere Stockwerk, um mich anzuziehen und fertig zu machen.
Während der vergangenen Tage hatten Ian, Janet, der junge Ian und die Dienstboten immer wieder hereingeschaut, um zu sehen, welche Fortschritte Jamie machte. Nur Jenny ließ sich nicht blicken. Aber mir war klar, daß sie dennoch darüber im Bilde war, was in ihrem Haus vor sich ging. Obwohl ich niemandem gesagt hatte, daß ich nach oben gehen wollte, fand ich bei Betreten des Zimmers neben dem Waschgestell einen großen Krug mit heißem Wasser und ein neues Stück Seife vor.
Ich nahm sie in die Hand und schnupperte daran: kostbare französische Maiglöckchenseife. Ein leiser Wink, welchen Status ich im Haus einnahm - zweifellos war ich ein ehrenwerter Gast, aber keinesfalls Teil der Familie, in der sich jeder mit gewöhnlicher Seife aus Talg und Lauge begnügte.
»Na gut«, murmelte ich und schäumte den Waschlappen ein. »Mal sehen, was noch kommt.«
Ich frisierte mich soeben vor dem Spiegel, als ich hörte, wie jemand im Hof eintraf. Ich ging die Treppe hinunter und mußte feststellen, daß eine Horde Kinder vom Haus Besitz ergriffen hatte und zwischen Küche und vorderem Salon hin und her trollte. Zwischen ihnen erblickte ich den einen oder anderen mir fremden Erwachsenen, der mich neugierig beäugte.
Ich betrat den Salon. Man hatte Jamies Bett weggeräumt. Statt dessen saß er, in eine Decke gehüllt, auf dem Sofa, umringt von vier oder fünf Kindern. Er war ordentlich rasiert, in ein frisches Leinennachthemd gekleidet und trug den Arm in einer Schlinge. Neben ihm standen Janet, der junge Ian und ein lächelnder junger Mann, der, wenn man die Form seiner Nase genau betrachtete, wohl auch dem Fraser-Clan angehörte, ansonsten aber so gut wie keine Ähnlichkeit mit dem kleinen Jungen besaß, den ich zuletzt vor zwanzig Jahren in Lallybroch gesehen hatte.
»Da kommt sie!« rief Jamie erfreut, als er mich sah, woraufhin sich der ganze Raum voll Leute zu mir umwandte.
»Erinnerst du dich noch an den jungen Jamie?« fragte Jamie, der Ältere, und deutete mit dem Kopf auf den großen, breitschultrigen jungen Mann mit dem gelockten schwarzen Haar und einem strampelnden Bündel im Arm.
»Ja, die Locken erkenne ich wieder«, antwortete ich lächelnd. »Der Rest hat sich ein bißchen verändert.«
Der junge Mann grinste mich an. »Ich entsinne mich noch gut an dich, Tante«, sagte er mit warmer, weicher Stimme. »Ich saß auf deinem Schoß, und du hast ›Zehn kleine Schweinchen‹ mit meinen Zehen gespielt.«
»Das ist doch nicht möglich!« erwiderte ich entsetzt.
»Magst du es vielleicht bei dem kleinen Benjamin machen?« schlug er lächelnd vor. »Bestimmt fällt es dir dann wieder ein.« Er beugte sich vor und legte mir das Bündel vorsichtig in den Arm.
Benjamin schien ein wenig verdutzt, als sich ein fremdes Gesicht über ihn neigte, zeigte aber keine Spur von Mißfallen. Statt dessen öffnete er das rosa Mündchen sperrangelweit, schob seine Faust hinein und kaute nachdenklich darauf herum.
Ein kleiner blonder Junge in Tweedhosen lehnte an Jamies Knie und sah mich staunend an. »Wer ist das, Nunkie?« fragte er laut flüsternd.
»Das ist deine Großtante Claire«, antworte Jamie ernst. »Du hast doch gewiß schon von ihr gehört, oder?«
»Aye«, sagte der Junge und nickte heftig. »Ist sie so alt wie die Oma?«
»Noch älter«, entgegnete Jamie feierlich. Der Kleine starrte mich einen Moment an und wandte sich dann mit verächtlicher Miene zu Jamie.
»Erzähl mir keine Märchen, Nunkie! Sie sieht längst nicht so alt aus wie Oma! Ihre Haare sind doch nur ein bißchen grau.«
»Danke, mein Kind.« Ich strahlte ihn an.
»Ist sie wirklich unsere Großtante Claire?« Der Junge ließ nicht locker und blickte mich immer noch zweifelnd an. »Mama sagt, daß Großtante Claire vielleicht sogar eine Hexe war, aber diese Dame sieht eigentlich gar nicht wie eine aus. Sie hat ja nicht mal eine einzige Warze auf der Nase!«
»Danke«, sagte ich noch einmal, wenn auch etwas kühler. »Und wie heißt du?«
Doch jetzt barg er nur schüchtern den Kopf in Jamies Ärmel und verweigerte die Antwort.
»Er heißt Angus Walter Edwin Murray Carmichael«, antwortete Jamie für ihn, während er dem Kleinen das seidige Haar zerzauste. »Maggies ältester Sohn. Die meisten nennen ihn Wally.«
»Wir nennen ihn Rotznase«, klärte mich ein kleines rothaariges Mädchen auf, das neben mir stand. »Weil seine Nase immer voller Schnodder ist.«
Blitzartig schnellte Angus Walters puterroter Kopf aus den Hemdfalten seines Onkels, und er funkelte seine Verwandte an.
»Stimmt gar nicht!« schrie er. »Nimm das zurück!« Ohne abzuwarten, ob sie dazu willens war oder nicht, stürzte er mit geballten Fäusten auf sie zu, wurde jedoch von seinem Großonkel am Kragen gepackt und zurückgezogen.
»Man schlägt keine Mädchen«, erklärte er ihm. »Das ist unmännlich.«
»Aber sie hat gesagt, ich bin voller Rotz!« heulte Angus Walter. »Ich muß sie hauen!«
»Und, Mistress Abigail, es ist nicht besonders höflich, sich über das Aussehen eines andern auszulassen«, wies er das Mädchen entschieden zurecht. »Du solltest dich bei deinem Cousin entschuldigen.«
»Aber er ist doch…« beharrte Abigail. Jamies strenger Blick ließ sie verstummen. Mit hochrotem Gesicht senkte sie die Augen und murmelte: »Entschuldige, Wally.«
Aber Wally wollte sich mit dieser Entschuldigung nicht zufriedengeben. Sie war beileibe keine Entschädigung für die ungeheure Erniedrigung, die er hatte einstecken müssen. Erst als sein Onkel ihm versprach, ihm eine Geschichte zu erzählen, ließ er von seiner Cousine ab.
»Erzähl mir die von dem Wassergeist und dem Reiter«, drängte der kleine Rotschopf und schubste die anderen beiseite.
»Nein, die von dem Teufel, der Schach spielt«, warf ein anderer ein. Jamie wirkte wie ein Magnet auf die Kinder: Zwei Jungen zupften an seiner Decke, während ein kleines Mädchen mit braunem Haar hinter ihm auf das Sofa stieg und emsig begann, ihm die Haare zu flechten.
»Wie hübsch, Nunkie«, murmelte sie, ohne sich um den Tumult um sie herum zu kümmern.
»Es ist Wallys Geschichte«, entschied Jamie und machte so dem Spektakel ein Ende. »Er kann sich aussuchen, was er hören möchte.« Er zog ein sauberes Taschentuch unter dem Kissen hervor und hielt es Wally an die Nase, die in der Tat recht unansehnlich war.
»Fest blasen«, forderte er ihn mit gedämpfter Stimme auf und fügte dann lauter hinzu: »Also, welche möchtest du hören?«
Nachdem Wally sich gehorsam geschneuzt hatte, bat er: »Die heilige Bride und die Gänse, Nunkie.«
Jamies Blick wanderte zu mir. Nachdenklich sah er mich an.
»Gut«, meinte er nach einer Weile. »Ihr wißt ja, daß die Graugänse ein Leben lang zusammenbleiben. Wenn man eine ausgewachsene Gans tötet, muß man so lange warten, bis der Partner kommt, um sie zu betrauern. Dann muß man auch ihn töten, sonst grämt er sich zu Tode und hört nicht auf, verzweifelt nach seiner Gefährtin zu rufen.«
Als der kleine Benjamin in seinen Windeln strampelte, lächelte Jamie und widmete sich wieder Wally, der mit offenem Mund am Knie seines Großonkels lehnte.
»Also«, setzte er an, »vor vielen, vielen Jahren - länger, als ihr euch vorstellen könnt - betrat Bride zusammen mit Michael, dem Gesegneten, den Boden der Highlands…«
In diesem Moment begann Benjamin leise zu protestieren und an meinem Kleid zu saugen. Jamie, der Jüngere, war mitsamt der restlichen Familie verschwunden, und ich machte mich auf die Suche nach Benjamins Mutter, während Jamie die Geschichte fortsetzte.
Umringt von Mädchen und Frauen, fand ich sie in der Küche. Ich drückte ihr Benjamin in den Arm und stellte mich den anderen vor. Man begrüßte sich, tauschte Freundlichkeiten aus und musterte einander.
Die Frauen waren alle sehr nett zu mir. Offenbar hatte sie alle von mir gehört, denn keine von ihnen schien darüber verwundert, daß Jamies erste Frau zurückgekehrt war - sei es aus dem Reich der Toten oder aus Frankreich, je nachdem, aus welcher Quelle die Nachricht stammte.
Trotzdem spürte ich eine unterschwellige Spannung. Alle vermieden es, Fragen zu stellen. Woanders ließe sich das als Höflichkeit deuten, nicht aber in den Highlands: Einer Fremden wurde während eines Besuchs sämtliche Einzelheiten ihres Lebens entlockt.
Sie behandelten mich zwar äußerst höflich und zuvorkommend, tauschten aber hinter meinem Rücken Blicke und machten leise Bemerkungen auf gälisch.
Am sonderbarsten war jedoch, daß Jenny fehlte. Sie war die Seele von Lallybroch. Immer wenn ich im Haus weilte, war ihre Gegenwart bis in den letzten Winkel spürbar, und die Bewohner von Lallybroch kreisten um sie wie Planeten um die Sonne. Es war völlig untypisch für sie, die Küche zu verlassen, wenn sich so viele Leute in ihrem Haus aufhielten.
Seit dem Abend, an dem ich mit dem jungen Ian zurückgekehrt war, wich sie mir aus, was unter den gegebenen Umständen durchaus verständlich war. Auch ich war nicht erpicht auf ein Gespräch mit ihr. Dennoch wußten wir beide, daß wir noch einiges zu klären hatten.
Obwohl es sehr gemütlich in der Küche war, fand ich es doch ein bißchen zu warm. Von all den Gerüchen - nach trocknender Wäsche, heißer Stärke, nassen Windeln und schwitzenden Körpern, von Haferkuchen, die in heißem Fett schwammen, und Brotlaiben, die im Ofen buken - wurde mir allmählich übel. Als Katherine für das Teegebäck einen Krug Rahm benötigte, ergriff ich daher sofort die Gelegenheit zur Flucht und bot mich an, zur Molkerei zu gehen und welchen zu holen.
Nach der drückenden Atmosphäre empfand ich die kalte, feuchte Luft so wohltuend, daß ich einen Augenblick stehenblieb und mir die Küchendünste aus Haaren und Röcken schüttelte, bevor ich zur Molkerei ging. Sie lag etwas abseits vom Haupthaus und war von dem Melkhaus, das an die beiden Koppeln mit Schafen und Ziegen grenzte, leicht zu erreichen. In den Highlands wurden Rinder hauptsächlich wegen des Fleisches gezüchtet. Kuhmilch, so meinte man, sei nur etwas für Kranke.
Als ich aus der Molkerei trat, sah ich zu meiner Überraschung, daß Fergus gedankenverloren am Koppelzaun lehnte und die flauschigen Hinterteile betrachtete. Ich hatte ihn nicht hier erwartet und fragte mich, ob Jamie wußte, daß er zurückgekehrt war.
Jennys wertvolle importierte Merinoschafe, die von Hand gefüttert und erheblich mehr gehätschelt und gepflegt wurden als ihre Enkelkinder, erspähten mich und drängten in der Hoffnung auf einen Leckerbissen aufgeregt blökend zum Zaun. Verwundert blickte Fergus auf und winkte verlegen. Er rief mir etwas zu, was aber im Lärm unterging. Neben dem Pferch stand eine große Tonne mit erfrorenem Kohlgemüse. Ich nahm einen schlaffen grünen Kopf heraus, verteilte ihn an die gierigen Mäuler und hoffte, die Schafe auf diese Weise zum Schweigen zu bringen.
Der Bock, ein riesiges wolliges Tier namens Hughes, bahnte sich unter lautem autokratischen Rufen den Weg in die vorderste Reihe. Fergus, der jetzt neben mir stand, nahm einen Kohlkopf und schleuderte ihn mit voller Wucht auf das Tier.
Tais-toi!« rief er verärgert.
Hughes wich zurück und gab ein erstauntes Bäh! von sich. Tief verletzt trottete er davon. Seine Herde folgte ihm, unzufrieden blökend.
Fergus warf ihnen einen feindseligen Blick nach.
»Unnütze, laute, stinkende Biester«, sagte er. Ziemlich undankbar, fand ich, wo er ihnen doch den Schal und die Strümpfe, die er trug, verdankte.
»Schön, dich zu sehen, Fergus«, sagte ich, ohne seine schlechte Laune zu beachten. »Weiß Jamie schon, daß du zurück bist?« Ich fragte mich, inwieweit Fergus über die jüngsten Ereignisse Bescheid wußte, denn vermutlich war er gerade erst in Lallybroch eingetroffen.
»Nein«, antwortete er gleichgültig. »Ich sollte ihm wohl sagen, daß ich hier bin.« Doch er machte keine Anstalten dazu, sondern starrte wieder auf den aufgewühlten Boden der Koppel. Irgend etwas beschäftigte ihn. Hoffentlich war nichts mit dem Auftrag schiefgegangen.
»Hast du Mr. Gage ohne Schwierigkeiten gefunden?« fragte ich.
Zunächst blickte er mich verständnislos an, doch dann hellte sich seine Miene auf.
»Ja, Mylord hatte recht. Gage und ich haben die anderen gewarnt. Anschließend sind wir gemeinsam zur Taverne gegangen, wo sie sich treffen sollten. Natürlich warteten dort auch eine ganze Reihe verkleidete Zollbeamte. Aber da mögen sie so lange warten wie ihr Kumpan im Faß, hahaha!«
Das grimmige Leuchten in seinen Augen erlosch gleich wieder. Er seufzte.
»Natürlich können wir nicht damit rechnen, daß man uns etwas für die Pamphlete bezahlt. Die Druckerpresse ist zwar in Sicherheit, aber weiß der Himmel, wie lange es dauern wird, bis Mylords Geschäft wieder läuft.«
Überrascht stellte ich fest, daß sich seine Stimme ziemlich kläglich anhörte.
»Du hilfst dort doch nicht mit, oder?« fragte ich ihn.
Er zuckte die Achseln. »Helfen kann man es nicht nennen, Madame. Aber der Herr war so freundlich, mir zu erlauben, meinen Anteil vom Handel mit Weinbraund in die Druckerei zu investieren. Mit der Zeit wäre ich dann ein richtiger Partner geworden.«
»Ich verstehe«, erklärte ich. »Brauchst du Geld? Ich könnte dir vielleicht…«
Überrascht blickte er mich an. Dann verzog er den Mund zu einem breiten Lachen, so daß seine makellosen weißen Zähne zum Vorschein kamen.
»Danke, nein, Madame. Ich selbst brauche ja nicht viel. Mir reicht, was ich habe.« Er klopfte auf die Seitentasche seines Rocks, in der es beruhigend klimperte.
Stirnrunzelnd hielt er inne und vergrub die Hände in den Taschen.
»Nein…«, sagte er langsam. »Es ist nur… also, ein Drucker zu sein ist ein höchst angesehener Beruf.«
»Das bezweifle ich nicht«, entgegnete ich verdutzt, und er lächelte bitter.
»Die Schwierigkeit besteht darin, daß ein Schmuggler zwar genug verdient, um für eine Frau sorgen zu können, aber den Eltern einer ehrenwerten jungen Dame wird dieser Beruf kaum gefallen.«
»Oho!« sagte ich. Es dämmerte mir. »Du willst heiraten? Eine ehrenwerte junge Dame?«
Er nickte schüchtern.
»Ja, Madame. Aber ich sage ihrer Mutter nicht zu.«
Eigentlich konnte man es ihr nicht verübeln. Fergus war zwar ein wirklich flotter Bursche, aber es mangelte ihm an einigen Dingen, die konservativen schottischen Eltern sehr am Herzen lagen: Besitz und Einkommen, die linke Hand und ein Nachname.
Und auch wenn Schmuggler, Viehdiebstahl und andere Spielarten des angewandten Kommunismus in den Highlands schon lange anerkannt waren, die Franzosen waren es nicht. Wie lange Fergus auch in Lallybroch gelebt haben mochte, er blieb so französisch wie Notre Dame und würde ebenso wie ich ewig Ausländer bleiben.
»Wenn ich Gesellschafter in einem gewinnbringenden Druckereiunternehmen wäre, wäre die gute Dame möglicherweise geneigt, mich anzuhören«, erklärte er. »Aber so, wie die Dinge liegen…« Tieftraurig schüttelte er den Kopf.
Gerührt tätschelte ich seinen Arm. »Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte ich. »Wir werden schon eine Lösung finden. Weiß Jamie von dem Mädchen? Bestimmt wäre er bereit, mit der Mutter zu reden.«
Zu meiner Verwunderung malte sich auf seinem Gesicht helles Entsetzen.
»Ach nein, Madame, bitte erzählen Sie ihm nichts davon. Er ist im Augenblick mit wichtigeren Dingen beschäftigt.«
Im großen und ganzen hatte er damit sicher recht, aber seine heftige Reaktion überraschte mich doch. Dennoch versprach ich, Jamie nichts davon zu sagen. Da meine Füße allmählich kalt wurden, schlug ich vor, zurück ins Haus zu gehen.
»Später vielleicht, Madame«, sagte er. »Im Moment bin ich nicht einmal für Schafe sonderlich unterhaltsam.« Tief seufzend drehte er sich um und stapfte mit hängenden Schultern auf das Taubenhaus zu.
Zu meiner Überraschung saß Jenny bei Jamie im Salon. Sie war draußen gewesen. Wangen und Nasenspitze waren rosa gefärbt, und der Duft der Winterkälte hing noch in ihren Kleidern.
»Ich habe dem jungen Ian gesagt, er soll Donas satteln«, meinte sie. Skeptisch sah sie ihren Bruder an. »Kannst du selbst zur Scheune gehen, oder soll er das Pferd hierher bringen?«
Jamie starrte sie an.
»Ich kann überallhin gehen, aber im Augenblick gehe ich nirgendwohin!«
»Habe ich dir nicht gesagt, daß er uns besuchen wird?« sagte Jenny ungeduldig. »Amyas Kettrick war gestern spätabends hier und hat gesagt, er sei gerade aus Kinwallis gekommen. Hobart will heute hereinschauen.« Sie sah auf die hübsche emaillierte Uhr auf dem Kamin. »Wenn er nach dem Frühstück aufgebrochen ist, wird er in einer Stunde hiersein.«
Stirnrunzelnd lehnte Jamie den Kopf zurück.
»Ich habe dir gesagt, Jenny, daß ich mich vor Hobart MacKenzie nicht fürchte«, erklärte er kurz. »Den Teufel werde ich tun und vor ihm davonlaufen!«
Kühl sah Jenny ihren Bruder an.
»Ach ja?« sagte sie. »Vor Laoghaire hattest du auch keine Angst. Das hast du nun davon.« Sie deutete nachdrücklich auf die Schlinge um seinen Arm.
Jamie mußte unwillkürlich lächeln.
»Aye, da hast du recht«, sagte er. »Allerdings weißt du auch, daß Gewehre in den Highlands seltener sind als Hühner mit Zähnen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Hobart mich um meine Pistole bitten wird, um mich damit zu erschießen.«
»Die Mühe macht er sich sicherlich nicht. Er wird einfach hereinspazieren und dich am Bauch kitzeln wie einen Esel, so führst du dich nämlich auf!« fuhr sie ihn an.
Als Jamie lachte, starrte sie ihn wütend an. Ich nutzte die Gelegenheit, mich einzumischen.
»Wer ist Hobart MacKenzie«, fragte ich, »und warum sollte er dich kitzeln wollen wie einen Esel?«
Jamie wandte sich amüsiert zu mir.
»Hobart ist Laoghaires Bruder, Sassenach«, erklärte er. »Was das Kitzeln betrifft…«
»Laoghaire hat ihn gebeten, aus Kinwallis herzukommen, wo er wohnt«, unterbrach ihn Jenny. »Sie hat ihm von… alldem erzählt.« Mit einer ungeduldigen Geste schloß sie mich, Jamie und die peinliche Situation im allgemeinen ein.
»Er will jeden Zweifel an der Ehre seiner Schwester ausräumen, indem er mich kaltmacht«, erklärte Jamie. Im Gegensatz zu mir und Jenny fand er die Vorstellung offenbar ziemlich komisch.
»Fürchtest du dich nicht vor Hobart?« fragte ich.
»Natürlich nicht«, erwiderte er mit einem Anflug von Verärgerung und wandte sich dann seiner Schwester zu: »Meine Güte, Jenny, du kennst doch Hobart MacKenzie. Der Mann kann kein Schwein abstechen, ohne sich den eigenen Fuß abzutrennen.«
Sie musterte ihren Bruder von oben bis unten. Offensichtlich versuchte sie abzuschätzen, welche Chancen er gegen einen unfähigen Schweineabstecher hätte, und mußte sich widerwillig eingestehen, daß sie keinesfalls schlecht waren, auch wenn Jamie nur einen Arm zur Verfügung hatte.
»Mmmpf«, erwiderte sie. »Und wenn er dich angreift und du ihn umbringst, hm? Was dann?«
»Dann ist er vermutlich tot«, sagte Jamie trocken.
»Und man hängt dich auf wegen Mord«, gab sie zurück. »Oder du mußt flüchten, weil der Rest von Laoghaires Verwandten hinter dir her ist. Möchtest du etwa eine Blutfehde anzetteln?«
Jamies Augen verengten sich, und in diesem Augenblick sah er seiner Schwester noch ähnlicher.
»Was ich möchte«, sagte er mit Engelsgeduld, »ist mein Frühstück. Willst du mir jetzt was zu essen bringen, oder möchtest du so lange warten, bis ich vor Hunger umfalle, und mich dann im Priesterloch verstecken, bis Hobart wieder weg ist?«
Jennys Miene verriet, daß sie zwischen Verärgerung und Belustigung schwankte. Letztendlich siegte - wie bei allen Frasers - der Humor.
»Das ist eine Überlegung wert«, meinte sie und grinste zögernd. »Wenn ich deinen sturen Kadaver bis dorthin schleppen könnte, würde ich dich eigenhändig niederknüppeln.« Seufzend schüttelte sie den Kopf.
»Also gut, Jamie! Mach, was du willst. Aber keine Schweinerei auf meinem türkischen Teppich, klar?«
Grinsend blickte er zu ihr auf.
»Ich verspreche es, Jenny«, erklärte er. »Kein Blutbad im Salon.«
»Esel«, schnaubte sie, aber ohne Groll in der Stimme. »Janet kommt gleich und bringt dir den Haferbrei.« Und schon war sie mit wirbelnden Röcken verschwunden.
»Hat sie Donas gesagt?« fragte ich, während ich ihr verwirrt nachblickte. »Das kann aber doch sicherlich nicht das Pferd von damals sein, oder?«
»Aber nein.« Jamie legte den Kopf in den Nacken und lächelte mich an. »Der Nachkomme von Donas, oder besser, einer von ihnen. Ihm zu Ehren geben wir jedem rotbraunen Fohlen seinen Namen.«
Ich beugte mich über die Lehne des Sofas und strich ihm sanft von der Schulter abwärts über den verletzten Arm.
»Schlimm?« fragte ich, als meine Hand sich der Wunde näherte.
»Es geht«, antwortete er. Er nahm die Schlinge ab und streckte behutsam den Arm aus. »Aber auf den Handstand mit Überschlag werde ich eine Weile verzichten müssen.«
»Das denke ich auch«, pflichtete ich ihm lachend bei. Dann sagte ich zögernd: »Jamie… die Sache mit diesem Hobart. Meinst du, daß er dich wirklich nicht…?«
»Nein«, sagte er entschieden. »Und selbst wenn, möchte ich davor immer noch mein Frühstück. Ich habe keine Lust, auf nüchternen Magen umgebracht zu werden.«
Ein wenig beruhigt lachte ich. »Ich bringe es dir.«
Als ich in die Eingangshalle trat, bemerkte ich, daß sich vor dem Fenster etwas bewegte, und blieb stehen. Jenny, mit Umhang und Kapuze gegen die Kälte geschützt, steuerte geradewegs auf den Stall zu. Einem Impuls folgend, schnappte ich mir einen Umhang vom Garderobenständer und folgte ihr. Ich hatte mit Jenny Murray ein Wörtchen zu reden, und vielleicht war das die beste Gelegenheit, dies unter vier Augen zu tun.
 
Kurz vor dem Stall holte ich sie ein. Sie hatte meine Schritte gehört und drehte sich verdutzt um. Als sie erkannte, daß eine Auseinandersetzung unumgänglich war, straffte sie die Schultern, hob den Kopf und blickte mir direkt in die Augen.
»Ich dachte, ich sage dem jungen Ian lieber, er soll das Pferd wieder absatteln«, sagte sie. »Dann gehe ich in den Keller mit dem Wurzelgemüse und hole ein paar Zwiebeln für den Gemüsekuchen. Magst du mitkommen?«
»Ja.« Ich zog den Umhang enger um mich und folgte ihr in den Stall.
Im Vergleich zu draußen war es drinnen nahezu warm. Es duftete angenehm nach Pferden, Heu und Mist. Während ich kurz stehenblieb, um mich an das Dämmerlicht zu gewöhnen, steuerte Jenny sofort leichten Schrittes auf den Mittelgang zu.
Der junge Ian lag ausgestreckt auf einem Ballen Stroh. Als er sie kommen hörte, setzte er sich blinzelnd auf.
Jennys Blick wanderte von ihrem Sohn zu der Box, wo ein rotbraunes Füllen mit sanften Augen seelenruhig Heu fraß. Es trug weder Sattel noch Zaumzeug.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst Donas satteln?« fragte sie den Jungen mit scharfer Stimme.
Mit geradezu dümmlichem Gesichtsausdruck kratzte sich der junge Ian am Kopf und erhob sich.
»Aye, Mama, schon«, sagte er. »Aber ich dachte, es wäre nur Zeitverschwendung, weil ich ihn sowieso wieder absatteln müßte.«
Jenny starrte ihn an.
»Aye?« erwiderte sie. »Warum warst du dir denn so sicher?«
»Mama, du weißt so gut wie ich, daß Onkel Jamie niemals vor etwas wegrennen würde«, meinte Ian lächelnd. »Und schon gar nicht vor Onkel Hobart. Hab’ ich recht?« fügte er hinzu.
Jenny blickte ihren Sohn an und seufzte. Dann erhellte ein leises Lächeln ihr Gesicht. Sie streckte die Hand aus und strich ihm das dichte, schwarze Haar aus der Stirn.
»Aye, kleiner Ian, du hast recht.« Ihre Hand ruhte eine Weile auf seiner geröteten Wange, dann ließ sie sie sinken.
»Geh ins Haus und frühstücke noch mal mit deinem Onkel«, sagte sie. »Deine Tante und ich gehen in den Gemüsekeller. Aber hol mich auf der Stelle, wenn Hobart MacKenzie auftaucht!«
»Wird gemacht, Mama«, versprach er und rannte, angespornt von der Aussicht auf etwas zu essen, zurück zum Haus.
Jenny beobachtete wie er mit der unbeholfenen Grazie eines jungen Schreikranichs davoneilte. Immer noch lächelnd, schüttelte sie den Kopf.
»Lieber Kerl«, murmelte sie. Doch dann fiel ihr ein, daß ich auch noch da war, und sie wandte sich entschlossen zu mir um.
»Also komm mit, ich nehme an, du willst mit mir reden.«
 
Keine von uns sprach etwas, bis wir im Gemüsekeller angelangt waren. Es war ein kleiner Raum, den man unter dem Haus ausgehoben hatte. Die langen, schmalen Zwiebel- und Knoblauchzöpfe, die von den Dachbalken herunterhingen, verströmten einen scharfen Geruch. Er mischte sich mit dem würzigen Duft getrockneter Äpfel und feuchter erdiger Kartoffeln, die nebeneinander in Regalen lagerten.
»Weißt du noch, wie du mir geraten hast, Kartoffeln anzupflanzen?« fragte Jenny und strich behutsam über die Knollen. »Das war unser Glück. Sie haben uns in mehr als einem Winter nach Culloden das Leben gerettet.«
Ja, ich erinnerte mich. An einem kalten Herbstabend hatten wir beieinandergestanden und uns Lebewohl gesagt - sie wollte zu ihrem Neugeborenen zurück, und ich wollte Jamie suchen, den Geächteten, zum Tode Verurteilten. Ich hatte ihn aufgespürt und gerettet - und offensichtlich auch Lallybroch. Und Jenny hatte beides an Laoghaire verschenken wollen.
»Weshalb?« fragte ich schließlich leise. Jenny stand vornübergebeugt und zupfte mechanisch eine Zwiebel von einem Zopf und warf sie in den Korb neben sich.
»Warum hast du es getan?« fragte ich. Ich zupfte ebenfalls eine Zwiebel ab, legte sie aber nicht in den Korb, sondern rollte sie in den Händen hin und her.
»Warum habe ich was getan?« Ihre Stimme klang sehr beherrscht. Nur jemand, der Jenny gut kannte - und ich kannte sie gut, oder besser, hatte sie einmal gut gekannt - vernahm den angespannten Unterton.
»Weshalb ich meinen Bruder und Laoghaire zusammengebracht habe, meinst du?« Sie blickte mit hochgezogenen Brauen auf und beugte sich sofort wieder zu den Zwiebeln hinunter. »Du hast recht. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er es nie getan.«
»Du hast ihn also auf den Gedanken gebracht«, sagte ich.
Der Wind rüttelte an der Tür zum Keller.
»Er war einsam«, erklärte sie leise. »So einsam, daß ich seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Er war so lange unglücklich und hat um dich getrauert.«
»Ich hatte geglaubt, er sei tot«, rechtfertigte ich mich leise auf diese stumme Anklage.
»Er war so gut wie tot«, entgegnete sie scharf. Sie erhob sich seufzend und strich sich eine schwarze Locke aus dem Gesicht.
»Vielleicht hast du wirklich nicht gewußt, daß er noch am Leben war. Nicht viele haben Culloden überlebt. Und er hat ja auch geglaubt, du seist tot. Er war schlimm verwundet, nicht nur am Bein. Und als er aus England zurückkam…« Sie schüttelte den Kopf und zupfte eine weitere Zwiebel ab. »Er sah gesund aus, aber…« Sie sah mir geradewegs ins Gesicht, mit jenen blauen Katzenaugen, die denen ihres Bruders so beunruhigend ähnlich waren. »Er gehört nicht zu den Männern, die allein schlafen sollten.«
»Zugegeben«, erwiderte ich harsch. »Aber wir waren beide noch am Leben. Warum hast du Laoghaire benachrichtigt, als wir mit dem jungen Ian zurückkehrten?«
Jenny schwieg eine Weile, sammelte emsig Zwiebeln und legte sie in den Korb.
»Ich hab’ dich gemocht», sagte sie schließlich so leise, daß ich sie kaum verstehen konnte, »dich vielleicht sogar geliebt, als du damals mit Jamie bei uns gelebt hast.«
»Ich mochte dich auch«, entgegnete ich leise. »Warum also?«
Ihre Hände kamen schließlich zur Ruhe. Die Fäuste in die Seiten gestemmt, sah sie zu mir auf.
»Als Ian mir erzählte, daß du zurückkommst«, begann sie langsam und blickte unverwandt auf die Zwiebeln, »war ich wie vom Donner gerührt. Anfangs war ich begierig, dich wiederzusehen und zu erfahren, wo du gewesen warst…« fügte sie hinzu und hob fragend die Brauen. Als ich nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Aber dann bekam ich Angst«, erklärte sie leise. Sie senkte die Lider, die von den langen Wimpern überschattet waren.
»Ich habe dich bei seiner Hochzeit gesehen«, sagte sie und blickte in weite Ferne. »Als er und Laoghaire vor den Altar traten, hast du zwischen ihnen gestanden. Mir war klar, daß das bedeutete, du würdest ihn wieder mitnehmen.«
Ich spürte, wie sich mir die Haare im Nacken aufstellten. Langsam schüttelte ich den Kopf. Bei dieser Erinnerung war sie blaß geworden. Sie setzte sich auf ein Faß.
»Mir ist das Zweite Gesicht nicht in die Wiege gelegt worden. Nie zuvor hatte ich solche Ahnungen, und ich kann auch in Zukunft darauf verzichten. Dich dort zu sehen, so klar wie jetzt, hat mir so große Angst eingejagt, daß ich während des Eheversprechens hinausgehen mußte.« Sie schluckte und blickte mir in die Augen.
»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte sie leise. »Nichts… weiß ich. Wir kennen deine Familie nicht, wissen nicht, wo du herkommst. Habe ich dich jemals danach gefragt? Jamie hatte sich für dich entschieden, das reichte. Aber dann bist du weggegangen. So viel Zeit war verstrichen… ich dachte, er hätte dich soweit vergessen, daß er wieder heiraten und glücklich werden könnte.«
»Aber er wurde es nicht«, sagte ich und hoffte auf ihre Bestätigung.
Sie nickte.
»Nein«, gab sie zur Antwort. »Aber Jamie ist ein treuer Mann. Wie es auch zwischen den beiden gewesen sein mag, er hatte ihr Treue geschworen und würde sie nicht völlig verlassen. Es spielte keine Rolle, daß er die meiste Zeit in Edinburgh zubrachte. Ich wußte, er würde immer wieder zurückkehren - durch Laoghaire war er an die Highlands gebunden. Aber dann bist du zurückgekommen.«
Ihre Hände ruhten in ihrem Schoß - ein seltener Anblick. Sie waren immer noch grazil, die Finger lang und geschickt. Nur die Knöchel waren rot und rissig von der jahrelangen Arbeit, und unter der weißen Haut traten die Adern bläulich hervor.
»Weißt du, sagte sie mit gesenktem Blick, »daß ich mich in meinem ganzen Leben nie mehr als zehn Meilen von Lallybroch entfernt habe?«
»Nein«, antwortete ich verdutzt. Bedächtig schüttelte sie den Kopf und blickte zu mir hoch.
»Aber bei dir ist das anders«, meinte sie. »Ich nehme an, du bist viel herumgereist.« Forschend lag ihr Blick auf meinem Gesicht.
»Ja, das bin ich.«
Sie nickte erneut.
»Du wirst wieder weggehen«, sagte sie fast flüsternd. »Ich weiß es. Du bist hier nicht verwurzelt, so wie Laoghaire oder ich. Er wird mitgehen. Und ich werde ihn nie wiedersehen.« Sie schloß die Augen, öffnete sie aber gleich wieder und blickte mich an.
»Jetzt weißt du es«, sagte sie. »Ich dachte, wenn du die Sache mit Laoghaire erfahren würdest, würdest du sofort wieder weggehen - was du ja auch getan hast -, und Jamie würde hierbleiben. Aber du bist zurückgekommen.« Hilflos zuckte sie die Achseln. »Ich weiß, es ist nicht gut. Er gehört zu dir, im Guten wie im Bösen. Du bist seine Frau. Und wenn du wieder weggehst, wird er mit dir gehen.«
Ratlos suchte ich nach tröstenden Worten. »Ich gehe nicht wieder weg. Ich möchte mit ihm hierbleiben - für immer.«
Als ich die Hand auf ihren Arm legte, zuckte sie zusammen. Doch dann legte sie die ihre darüber. Sie war eiskalt.
»Man ist verschiedener Meinung über das Zweite Gesicht, oder?« sagte sie nach einer Weile. »Manche meinen, das, was man sieht, sei das unabänderliche Schicksal. Andere hingegen sagen, es sei nur eine Warnung, man könne die Dinge ändern, wenn man achtgibt. Wie denkst du darüber?« Neugierig sah sie mich von der Seite an.
Ich holte tief Luft, bis mir der Duft der Zwiebeln in der Nase brannte. Da hatte sie mich ja eiskalt erwischt!
»Ich weiß nicht«, antwortete ich mit zitternder Stimme. »Natürlich habe ich immer gedacht, man kann die Dinge ändern, wenn man etwas darüber weiß. Aber jetzt… bin ich mir nicht sicher.« Meine Stimme verebbte: Ich dachte an Culloden.
Jennys blaue Augen, die in dem Dämmerlicht fast schwarz wirkten, blickten mich an. Wieviel Jamie ihr wohl erzählt hatte - und wieviel wußte sie, ohne daß man ihr etwas berichtet hatte?
»Aber man muß es dennoch versuchen«, sagte sie entschieden. »Man kann es doch nicht einfach hinnehmen, oder?«
Obwohl ich mir nicht sicher war, ob sie das persönlich meinte, schüttelte ich den Kopf.
»Nein«, sagte ich. »Man darf es nicht einfach hinnehmen.«
Wir lächelten uns schüchtern an.
»Wirst du auch gut auf ihn aufpassen?« fragte Jenny unvermittelt. »Auch wenn ihr weggehen solltet? Tust du es?«
Ich drückte ihre Hand und fühlte dabei ihre zarten, zerbrechlichen Knochen.
»Ich verspreche es.«
»Dann ist es gut«, sagte sie leise und erwiderte den Druck.
Wir hielten einander eine Weile die Hände. Plötzlich flog die Tür auf und trieb Regen und Wind bis in den Keller.
»Mama?« Ian steckte den Kopf durch die Türe. Seine Augen leuchteten vor Aufregung. »Hobart MacKenzie ist da. Papa sagt, du sollst schnell kommen.«
Jenny erhob sich blitzartig und vergaß dabei fast den Korb mit Zwiebeln.
»Ist er bewaffnet?« fragte sie besorgt. »Hat er eine Pistole oder ein Schwert dabei?«
Ian schüttelte heftig den Kopf.
»Aber nein, Mama«, sagte er. »Viel schlimmer: Er hat einen Advokaten mitgebracht.«
 
Eine weniger rachsüchtig wirkende Figur als Hobart MacKenzie konnte man sich kaum vorstellen. Er war klein und schmal, um die Dreißig und hatte wasserblaue Augen mit hellen Wimpern. Seine unbestimmten Gesichtszüge begannen mit einer fliehenden Stirn und endeten in einem ebensolchen Kinn, das sich in dem steifen Kragen zu verbergen suchte.
Als wir das Haus durch die Vordertür betraten, strich er sich soeben vor dem Spiegel in der Eingangshalle das Haar glatt. Eine sorgsam gelockte Perücke lag auf dem Tisch neben ihm. Als er uns erblickte, zwinkerte er erschrocken, griff rasch nach der Perücke und drückte sie sich auf den Kopf. Gleichzeitig verneigte er sich.
»Mrs. Jenny«, sagte er zur Begrüßung. Flink blickten seine Augen in meine Richtung, schweiften ab und kehrten wieder zu mir zurück, als hoffte er, ich sei nur eine Fata Morgana.
Jennys Blick wanderte zwischen ihm und mir hin und her. Dann seufzte er tief und packte den Stier bei den Hörnern.
»Mr. MacKenzie«, entgegnete sie förmlich, »darf ich Ihnen meine Schwägerin Claire vorstellen? Claire, Mr. Hobart MacKenzie aus Kinwallis.«
Mit offenem Mund glotzte er mich an.
Ich wollte ihm die Hand entgegenstrecken, entschied mich dann aber anders.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich und lächelte so freundlich wie möglich.
»Äh…«, gab er zur Antwort. Verhalten neigte er den Kopf. »Äh… ganz… meinerseits, Madam.«
Zum Glück öffnete sich in diesem Augenblick die Tür zum Salon. Als ich die kleine, gepflegte Gestalt im Türrahmen erblickte, entfuhr mir ein Schrei des Entzückens.
»Ned Gowan!«
Es war tatsächlich Ned Gowan, der betagte Advokat aus Edinburgh, der mich einst davor bewahrt hatte, als Hexe verbrannt zu werden. Er war merklich gealtert, ein wenig geschrumpft und runzelig wie die getrockneten Äpfel im Gemüsekeller.
Aber die schwarzen Augen leuchteten wie ehedem und blickten mich erfreut an.
»Meine Liebe«, rief er und schritt behende auf mich zu. Freudestrahlend ergriff er meine Hand und drückte sie leidenschaftlich an seine welken Lippen.
»Man hat mir erzählt, daß Sie…«
»Wie sind Sie…?«
»…wie schön, Sie zu sehen!«
»…so glücklich, Sie wieder zu sehen, aber…?«
Unser Wortwechsel wurde von Hobart MacKenzies Hüsteln unterbrochen. Mr. Gowan blickte verwirrt auf, dann nickte er.
»Aye, natürlich. Erst das Geschäftliche, meine Liebe«, sagte er und machte eine galante Verbeugung. »Danach möchte ich aber alles über Ihre Abenteuer erfahren!«
»Ja… ich werde mich bemühen«, entgegnete ich, wenngleich ich mich fragte, ob er wohl darauf bestehen würde, wirklich alles zu hören.
»Ausgezeichnet.« Er sah sich in der Eingangshalle um, wobei sein Blick auch Hobart und Jenny streifte. »Mr. Fraser und Mr. Murray sind bereits im Salon. Mr. MacKenzie, wenn Sie und die Damen nun so freundlich wären, sich zu uns zu gesellen, ließe sich die Angelegenheit möglicherweise rasch erledigen, und wir können zu angenehmeren Dingen übergehen. Darf ich bitten, meine Liebe?« Einladend reichte er mir seinen hageren Arm.
Jamie saß noch immer auf dem Sofa, und ich setzte mich hinter das Sofa auf ein Kniekissen. Zwar hielt ich es für unwahrscheinlich, daß Hobart MacKenzie Böses im Schilde führte, aber sollte Gefahr drohen, wollte ich in Jamies Reichweite sein.
Die anderen Mitwirkenden verteilten sich im Salon: Jenny setzte sich neben Ian auf das kleine Sofa, Hobart und Mr. Gowan holten sich jeder einen samtbezogenen Sessel.
»Sind wir vollzählig?« fragte Mr. Gowan und blickte in die Runde. »Alle Beteiligten anwesend? Ausgezeichnet. Also, zunächst möchte ich meine Funktion erläutern. Ich bin als Mr. Hobart MacKenzies Anwalt hier und vertrete die Interessen von Mrs. James Fraser…« - als er sah, daß ich etwas einwenden wollte, fügte er präziser hinzu - »Das heißt, der zweiten Mrs. James Fraser, geborene Laoghaire MacKenzie. Gibt es dazu Fragen?«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Gut.« Mr. Gowan griff nach dem Glas auf dem Tisch neben sich und nippte daran. »Meine Mandanten, die MacKenzies, haben meinem Vorschlag zugestimmt, die Verwicklungen, die sich, wie man mir mitteilte, aus der unerwarteten - wenngleich natürlich überaus erfreulichen - Rückkehr der ersten Mrs. Fraser ergeben hatten, juristisch zu klären.«
Tadelnd blickte er Jamie an und schüttelte den Kopf.
»Ihnen, junger Mann, ist es leider gelungen, sich in erhebliche rechtliche Schwierigkeiten zu bringen.«
Jamie zog eine Augenbraue hoch und blickte zu seiner Schwester.
»Aye, ich hatte Unterstützung«, sagte er trocken. »Von welchen Schwierigkeiten sprechen wir im Augenblick?«
»Also«, begann Ned Gowan gut gelaunt und strahlte mich an, »zunächst einmal könnte die erste Mrs. Fraser eine Zivilklage gegen Sie wegen Ehebruchs und außerehelichem Geschlechtsverkehrs anstreben, für die das Strafmaß…«
Jamie warf mir einen raschen Blick zu.
»Darüber mache ich mir keine Sorgen«, erklärte er dem Advokaten. »Was sonst?«
Ned Gowan nickte.
»Was nun die zweite Mrs. Fraser, geborene Laoghaire MacKenzie betrifft, so könnte die Anklage auf Bigamie, versuchte Irreführung, Betrug - ob vorsätzlich oder nicht, bleibt im Moment dahingestellt - arglistige Täuschung und…«
Geduldig hatte Jamie dieser Aufzählung gelauscht. Doch nun neigte er sich vor.
»Mr. Gowan«, unterbrach er ihn freundlich. »Was zum Teufel möchte dieses verdammte Weib?«
Der schmächtige Advokat zwinkerte hinter den Brillengläsern und richtete den Blick nach oben zu den Deckenbalken.
»Tja«, sagte er vorsichtig, »die Dame würde Sie am liebsten kastriert und mit aufgeschlitztem Bauch auf dem Marktplatz von Broch Mordha sehen und den Kopf an den Türpfosten ihres Hauses nageln lassen.«
Jamies Schultern zuckten ein wenig.
»Ah ja«, sagte er.
Als Ned Gowan lächelte, schoben sich die Falten um seinen Mund zusammen.
»Ich mußte Mrs. - ich meine, die Dame«, verbesserte er sich mit einem Blick auf mich hüstelnd, »leider darüber aufklären, daß das gesetzliche Strafmaß wohl nicht ganz ihren Wünschen entspreche…«
»Richtig«, sagte Jamie trocken. »Aber wenn ich recht verstehe, legt sie keinen besonderen Wert darauf, mich als Ehemann zurückzubekommen.«
»Genau«, warf Hobart unvermittelt ein. »Vielleicht als Futter für die Krähen, aber nicht als Ehemann.«
Der Advokat warf seinem Mandanten einen kühlen Blick zu.
»Sie wollen doch nicht etwa Zugeständnisse vor der Einigung machen, aye?« sagte er tadelnd. »Oder wofür zahlen Sie mich?« In seiner Advokatenwürde ungebrochen, wandte er sich wieder Jamie zu.
»Da Miss MacKenzie nicht daran interessiert ist, erneut in eine eheliche Beziehung zu Ihnen zu treten - was ohnehin unmöglich ist«, fügte er hinzu, »es sei denn, sie möchten sich von der derzeitigen Mrs. Fraser scheiden lassen und sich wieder verheiraten…«
»Nein, das will ich nicht«, versicherte Jamie rasch und sah mich an.
»In diesem Fall« fuhr Mr. Gowan fort, »möchte ich meine Mandanten darauf hinweisen, daß es immer wünschenswert ist, die Kosten - wie auch das öffentliche Aufsehen -« fügte er mahnend in Richtung Hobart hinzu, der hastig nickte, »zu vermeiden, die bei einem Zivilprozeß mit einer öffentlichen Verhandlung und der folgenden Aufdeckung der Fakten entstehen. Da dies der Fall ist…«
»Wieviel?« unterbrach Jamie ihn.
»Mr. Fraser!« Ned Gowan sah ihn entsetzt an. »Ich habe bisher noch keinerlei Andeutungen gemacht, die eine pekuniäre Einigung betreffen…«
»Doch nur, weil Sie viel zu beschäftigt damit sind, sich zu vergnügen, Sie hinterhältiger Schurke«, sagte Jamie verärgert und amüsiert zugleich. »Nun kommen Sie endlich zur Sache.«
Ned Gowan neigte feierlich den Kopf.
»Nun, Sie müssen wissen«, hob er an, »falls Sie sich wegen der eben erwähnten Anklagepunkte vor Gericht verantworten müssen und den Streit verlieren, könnte dies zur Folge haben, daß Miss MacKenzie und ihr Bruder Ihnen beträchtliche Summen abknöpfen - sehr beträchtliche sogar«, setzte er mit einem Anflug advokatenmäßiger Schadenfreude hinzu.
»Miss MacKenzie war schließlich nicht nur den Demütigungen der Öffentlichkeit und der Lächerlichkeit preisgegeben, was sie in tiefe Verzweiflung gestürzt hat, sondern muß den Verlust finanzieller Zuwendungen befürchten.«
»Das hat sie in keiner Weise zu befürchten«, rief Jamie aufgebracht dazwischen. »Ich habe ihr gesagt, ich würde für sie und die beiden Mädchen weiterhin sorgen. Für wen hält sie mich eigentlich?«
Ned Gowan wechselte einen Blick mit Hobart, der den Kopf schüttelte.
»Es ist besser, wenn du das nicht erfährst«, versicherte Hobart Jamie. »Ich hätte nie geglaubt, daß sie solche Ausdrücke überhaupt kennt. Also, bist du bereit zu zahlen?«
Jamie nickte ungeduldig und strich sich mit der unversehrten Hand durchs Haar.
»Aye.«
»Aber nur so lange, bis sie wieder heiratet!« Jeder wandte sich überrascht zu Jenny um, die Ned Gowan entschieden zunickte.
»Da Jamie mit Claire verheiratet ist, war die Ehe zwischen ihm und Laoghaire ungültig, hab’ ich recht?«
Der Advokat verneigte sich.
»So ist es, Mrs. Murray.«
»Demnach«, sagte Jenny bekräftigend, »kann sie jederzeit wieder heiraten, oder? Und in dem Fall muß mein Bruder nicht mehr für ihren Lebensunterhalt aufkommen.«
»Ein hervorragender Einwurf, Mrs. Murray.« Ned Gowan nahm die Feder zur Hand und kritzelte emsig etwas nieder. »Es geht voran«, erklärte er, legte das Schreibgerät zur Seite und strahlte in die Runde. »Kommen wir zum nächsten Punkt…«
Eine Stunde später war die Karaffe mit Whisky leer, das Schreibpapier auf dem Tisch von oben bis unten mit des Advokaten krakeligen Buchstaben beschrieben, und jeder kraftlos und erschöpft - außer Ned Gowan selbst, dessen Augen vor Munterkeit sprühten.
»Ausgezeichnet«, wiederholte er, während er die Blätter ordentlich stapelte. »Die wesentlichen Punkte der Vereinbarung lauten wie folgt: Mr. Fraser erklärt sich bereit, Miss MacKenzie fünfhundert Pfund als Entschädigung für Kummer, Unannehmlichkeiten und den Verlust des Vollzugs der ehelichen Pflichten…« - Jamie schnaubte, aber Mr. Gowan fuhr unbeirrt mit seiner Zusammenfassung fort - »zu zahlen. Des weiteren erklärt er sich bereit, sie mit einem Betrag von jährlich hundert Pfund für ihren Lebensunterhalt zu unterstützen, bis besagte Miss MacKenzie erneut heiratet. Die Zahlungen werden dann eingestellt. Ferner wird Mr. Fraser einen Mitgiftanteil in Höhe von dreihundert Pfund für jede der MacKenzie-Töchter leisten. Und schließlich wird er gegen Miss MacKenzie keine Anklage wegen versuchten Mordes erheben. Im Gegenzug entläßt Miss MacKenzie Mr. Fraser aus sämtlichen Pflichten und Ansprüchen. Entspricht dies Ihrer Zustimmung, Mr. Fraser?« Er warf einen Blick auf Jamie.
»Aye«, antwortete Jamie. Er sah erschöpft und blaß aus. An seinem Haaransatz sah man Schweißperlen. Trotzdem saß er aufrecht.
»Sehr gut«, sagte Ned. Bestens gelaunt erhob er sich und verneigte sich vor der Gesellschaft. »Wie unser Freund Dr. John Arbuthnot zu sagen pflegt: ›Das Gesetz ist ein Faß ohne Boden.‹ Aber nichts im Vergleich zu meinem Magen. Weist dieser köstliche Duft auf ein Lammkotelett in unserer unmittelbaren Nähe, Mrs. Jenny?«
Bei Tisch nahmen Hobart MacKenzie, der eine rosige Gesichtsfarbe hatte und entspannt wirkte, und ich Jamie in die Mitte. Mary MacNab trug den Braten auf und stellte ihn, wie es seit altersher Sitte war, vor Jamie. Ihr Blick ruhte einen Augenblick zu lange auf ihm. Er nahm das gefährlich aussehende Tranchiermesser und reichte es höflich an Hobart weiter.
»Darf ich dich bitten, Hobart?« forderte er ihn auf.
»Aber nein«, wendete dieser ein. »Überlaß das Tranchieren lieber deiner Frau. Ich kann mit einem Messer nicht umgehen - ich würde mir wahrscheinlich eher den Finger abschneiden. Du kennst mich, Jamie«, sagte er.
Über das Salzfäßchen hinweg blickte Jamie seinen einstigen Schwager lange an.
»Das habe ich immer geglaubt, Hobart«, sagte er. »Reich mir den Whisky.«
 
»Wir müssen sie einfach auf der Stelle verheiraten«, erklärte Jenny. Nachdem Hobart und Ned Gowan nach Kinwallis aufgebrochen waren, setzten wir vier uns ins Arbeitszimmer und zogen bei Weinbrand und Cremetörtchen Bilanz.
Jamie wandte sich seiner Schwester zu. »Die Kuppelei ist eher deine Sache, oder?« fragte er mit scharfem Unterton in der Stimme. »Vermutlich fallen dir ein oder zwei passende Männer ein, wenn du darüber nachdenkst.«
»Anzunehmen«, entgegnete sie ebenso spitz. Sie stickte; die Nadel stach durch das Leinen und blitzte im Schein der Lampe auf. Während es draußen heftig zu graupeln begonnen hatte, war es im Zimmer gemütlich warm. Im Kamin brannte ein kleines Feuer, und der Schein der Lampe lag weich über dem abgenutzten Schreibtisch.
»Es gibt nur ein Problem«, meinte sie, ohne den Kopf von der Arbeit zu heben. »Wie willst du die zwölfhundert Pfund aufbringen, Jamie?«
Das hatte ich mich auch bereits gefragt. Die Versicherungssumme für die Druckerei reichte bei weitem nicht aus, und ich bezweifelte, daß die Schmuggelgeschäfte auch nur annähernd soviel eingebracht hatten. In Lallybroch konnte niemand den Betrag aufbringen. In den Highlands zu überleben war seit jeher schwierig, und selbst mehrere ertragreiche Jahre hintereinander brachten nur einen dürftigen Gewinn.
»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, oder?« Ians Blick wanderte zwischen seiner Frau und seinem Schwager hin und her. Nach kurzem Schweigen nickte Jamie.
»Wahrscheinlich«, sagte er widerwillig. Er blickte zum Fenster, an das der Regen trommelte. »Eine entsetzliche Jahreszeit für so etwas.«
Ian zuckte die Achseln und beugte sich in seinem Sessel vor. »In einer Woche kommt die Frühlingsflut…«
Besorgt runzelte Jamie die Stirn.
»Aye, richtig, aber…«
»Niemand hat ein größeres Recht darauf als du, Jamie«, erklärte Ian. Lächelnd streckte er die Hand aus und drückte Jamies Arm. »Es war doch für Prinz Charles’ Gefolgsmänner gedacht, oder nicht? Und du warst einer von ihnen, ob du wolltest oder nicht.«
Jamie lächelte ihn gequält an.
»Aye, das stimmt vermutlich.« Er seufzte. »Auf alle Fälle ist es die einzige Lösung.« Offensichtlich kämpfte er mit sich, ob er noch etwas hinzufügen sollte. Jenny schaute von ihrer Stickerei auf.
»Was ist, Jamie?« fragte sie.
Er holte tief Luft.
»Ich möchte den jungen Ian mitnehmen«, sagte er.
»Nein«, entgegnete sie hastig. Die Nadel steckte zur Hälfte in einer leuchtendroten Blüte, die sich wie Blut von der weißen Handarbeit abhob.
»Er ist alt genug, Jenny«, sagte Jamie leise.
»Nein«, entgegnete sie. »Er ist kaum fünfzehn. Michael und Jamie waren mindestens sechzehn, und sie waren kräftiger.«
»Aye, aber Ian schwimmt besser als die beiden Brüder«, wandte Ian überlegt ein. Er hatte die Stirn nachdenklich gekraust. »Und einer unserer Jungen muß es schließlich tun«, gab er Jenny zu verstehen. Er wies auf Jamies Arm in der Schlinge. »Jamie kann im Moment wohl kaum selbst schwimmen. Und Claire sicher auch nicht«, fügte er hinzu und lächelte mich an.
»Schwimmen?« fragte ich völlig verwirrt, »wo denn?«
Ian blickte Jamie an.
»Ach, du hast es ihr nicht erzählt?«
Jamie schüttelte den Kopf. »Nicht alles.« Er wandte sich zu mir um. »Der Schatz, Sassenach - das Gold der Seehunde.«
Er hatte den Schatz nicht an sich nehmen wollen, gleichzeitig aber das Gefühl gehabt, daß er jemandem davon erzählen müsse, und so hatte er Jenny und Ian einen sorgfältig verschlüsselten Brief nach Lallybroch geschrieben, in dem er erklärt hatte, wo das Versteck lag und welchem Zweck das Gold allem Anschein nach dienen sollte.
Die Zeiten waren damals hart gewesen für die Jakobiten - für die, die nach Frankreich geflüchtet waren und Ländereien und Vermögen zurücklassen mußten, oftmals noch härter, als für die, die in den Highlands blieben und dort der Verfolgung durch die Engländer ausgesetzt waren. Um diese Zeit fiel die Ernte in Lallybroch zweimal hintereinander schlecht aus, und aus Frankreich erhielten sie Briefe mit der Bitte, den Freunden, die dem Verhungern nahe waren, zu helfen.
»Wir hatten nichts, was wir schicken konnten. Wir kämpften ja selbst ums Überleben«, erklärte Ian. »Ich hatte Jamie eine Nachricht zukommen lassen, und er meinte, es wäre sicherlich ganz in Ordnung, wenn man einen kleinen Teil des Schatzes darauf verwendete, für Prince Tcharlachs Gefolgsleute Nahrungsmittel zu beschaffen.«
»Wahrscheinlich hatten Stuart-Anhänger den Schatz dorthin geschafft«, warf Jamie ein. Er blickte mich schelmisch an und verzog einen Mundwinkel. »Aber ich dachte gar nicht daran, ihn an Prinz Charles weiterzuschicken.«
»Das war gut«, entgegnete ich trocken. Alles Geld, das man Prinz Charles hätte zukommen lassen, wäre binnen weniger Wochen verschwendet und vergeudet worden.
Ian und sein ältester Sohn Jamie hatten sich damals quer durch Schottland zur Seehundinsel in der Nähe von Coigach begeben. Aus Angst, daß sich die Sache mit dem Schatz herumsprechen könnte, hatten sie sich kein Fischerboot genommen. Der junge Jamie war wie damals sein Onkel zu dem Seehundfelsen hinausgeschwommen. Er fand den Schatz unberührt, nahm drei Goldmünzen und drei der kleineren Edelsteine an sich und legte den restlichen Schatz wieder zurück. Dann schwamm er zurück an Land.
Anschließend setzten sie nach Frankreich über, wo ihnen ihr Cousin Jared Fraser, der dort als erfolgreicher Weinhändler im Exil lebte, dabei half, die Goldmünzen und die Edelsteine unter der Hand zu Bargeld zu machen, und die Aufgabe übernahm, das Geld an die darbenden Jakobiner zu verteilen.
Dreimal hatte Ian mit einem seiner Söhne die beschwerliche Reise an die Küste gemacht und aus dem verborgenen Schatz etwas entnommen, um jemandem, der in Not war, zu helfen. Zweimal ging das Geld an Freunde in Frankreich, einmal wurden neue Pflanzen und Nahrungsmittel für Lallybroch gekauft, damit die Pächter nach einer mageren Kartoffelernte den Winter überlebten.
Nur Jenny, Ian und die beiden Ältesten Jamie und Michael wußten von dem Schatz. Da Ian wegen seines Holzbeins nicht schwimmen konnte, mußte ihn jedesmal einer der Söhne begleiten. Nun wäre die Reihe am jungen Ian.
»Nein«, sagte Jenny noch einmal, wenn auch halbherzig, wie ich vermutete. Ian nickte bereits nachdenklich.
»Würdest du ihn auch nach Frankreich mitnehmen, Jamie?«
Jamie nickte.
»Aye, darum geht es. Ich muß Lallybroch eine Weile verlassen - um Laoghaires willen. Ich kann nicht vor ihrer Nase mit dir hier leben«, sagte er entschuldigend zu mir. »Wenigstens so lange nicht, bis sie wieder geheiratet hat.« Dann wandte er sich erneut Ian zu.
»Ich habe dir nicht alles erzählt, was sich in Edinburgh zugetragen hat, Ian, aber es wäre sicher am besten, ich hielte mich eine Zeitlang auch von dort fern.«
Regungslos saß ich da und versuchte, die Neuigkeiten zu verdauen. Mir war nicht klar gewesen, daß Jamie beabsichtigte, Lallybroch und sogar Schottland zu verlassen.
»Was wirst du also tun, Jamie?« Jenny hatte die Stickerei, die ihr nur als Vorwand gedient hatte, beiseite gelegt und die Hände im Schoß gefaltet.
Er rieb sich die Nase. »Tja«, begann er. »Jared hat mir mehr als einmal angeboten, mich in seiner Firma aufzunehmen. Vielleicht sollte ich in Frankreich bleiben, zumindest ein Jahr lang. Ich habe mir überlegt, ob wir nicht den jugen Ian mitnehmen sollten, dann kann er in Paris zur Schule gehen.«
Jenny und ich wechselten einen langen Blick. Schließlich neigte Jenny den Kopf ein wenig zur Seite. Lächelnd nahm Ian ihre Hand.
»Es wird schon alles gutgehen, mo nighean dubh«, sagte er leise und zärtlich zu ihr. Dann wandte er sich an Jamie.
»Aye, nimm ihn mit. Es ist eine fabelhafte Gelegenheit für den Knaben.«
»Bist du sicher?« sagte Jamie zögernd, wobei die Frage eher an Jenny als an Ian gerichtet war. Ihre blauen Augen schimmerten im Lichtschein, und ihre Nasenspitze war hellrot.
»Es ist wohl das beste, wenn wir ihm die Freiheit geben, solange er noch denkt, sie sei ein Geschenk von uns«, sagte sie. Sie blickte erst Jamie an, dann mich. »Aber ihr paßt gut auf ihn auf, aye?«
Ferne Ufer
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