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Der Palast von Harndon · Die Königin

Desiderata lag auf dem Sofa in ihrem Privatgemach, aß frische Kirschen und genoss die Veränderung in der Luft. Endlich war der Frühling gekommen. Es war ihre bevorzugte Jahreszeit. Nach der Fastenzeit kam zuerst Ostern und dann der Pfingstsonntag und danach die Zeit der Picknicks, der frohen Zusammenkünfte am Fluss, der frischen Früchte, der Blumen, des Barfußlaufens …

… und der Turniere.

Sie seufzte bei dem Gedanken an die Turniere. Hinter ihr zog Diota, ihre Zofe, eine Schnute. Sie konnte die Missbilligung der alten Frau im Spiegel sehen.

»Was ist los? Warum runzelst du die Stirn, wenn ich seufze?«, fragte sie.

Diota richtete den Oberkörper auf und legte die Hand auf den Bauch, als sei sie eine schwangere Frau. Mit der anderen Hand betastete sie den kostbaren Rosenkranz um ihren Hals. »Ihr klingt wie eine Hure, die einen Kunden zufrieden stellt, Herrin, wenn Ihr mir diese Grobheit einer alten Frau entschuldigt …«

»… die Euch schon all die Jahre hindurch kennt«, beendete die Königin den Satz. Tatsächlich war Diota schon bei ihr, seit sie abgestillt worden war. »Wirklich? Was weißt du denn schon über jene Geräusche, die die Huren machen, Zofe?«

»Also bitte, Mylady!«, tadelte Diota und wackelte mit dem Finger. Sie umrundete den Wandschirm und blieb plötzlich stehen, als sei sie gegen eine unsichtbare Barriere geprallt. »Oh! Beim süßen Jesu! Zieht Euch was an, Kind! Ihr werdet Euch noch den Tod holen! Ist doch noch nicht mal Frühling, Zuckerstückchen!«

Die Königin lachte. Nackt saß sie im jungen Sonnenlicht; ihre Haut war von den Flecken auf der Scheibe ihres Privatgemachs gesprenkelt, und ihr volles, blassbraunes Haar schimmerte im Schein, der von draußen kam. Sie sog etwas von dem Sonnenlicht in sich auf, das ihre Haut bestrich – etwas, das ihr ein inneres Leuchten schenkte.

Desiderata stand auf und stellte sich vor den Spiegel – den größten Spiegel im Reich, der nur für sie hergestellt worden war, damit sie sich vom Spann ihrer Füße über die langen Beine, die Schenkel und Hüften, die deutliche Einbuchtung ihres Nabels, die Brüste, die geraden Schultern, den langen und kegelförmigen Hals, das Kinn mit dem tiefen Grübchen, den wie zum Küssen geschaffenen Mund und die lange Nase bis zu den großen grauen Augen betrachten konnte, deren Wimpern so lang waren, dass sie sie manchmal mit der Zunge ablecken konnte.

Sie runzelte die Stirn. »Hast du schon die neue Hofdame Emmota gesehen?«, fragte sie.

Ihre Zofe kicherte. »Sie ist noch ein Kind.«

»Aber sie hat eine feine Figur. Ihre Hüfte ist so dünn wie eine Gerte.« Die Königin betrachtete sich eingehend.

Diota gab ein schmatzendes Geräusch von sich. »Zieht Euch an, Gör. Sie ist nichts für Euch. Ein Kind. Ohne Brüste.« Sie lachte. »Jeder Mann sagt, Ihr wäret die Schönste auf der ganzen Welt«, fügte sie hinzu.

Die Königin blickte weiterhin in den Spiegel. »Das bin ich auch. Aber wie lange noch?« Sie hielt die Hände hinter dem Kopf verschränkt und drückte den Rücken so durch, dass sich ihre Brüste hoben.

Ihre Zofe versetzte ihr einen spielerischen Klaps. »Wollt Ihr, dass der König Euch so sieht?«

Desiderata lächelte ihre Zofe an. »Warum nicht?«, meinte sie. Dann fügte sie mit einer Stimme hinzu, die von der Macht gefärbt war: »Ich könnte durchaus sagen, dass ich nackt ebenso Königin bin wie angezogen.«

Ihre Zofe trat einen Schritt von ihr zurück.

»Aber das sage ich nicht. Bring mir was Schönes. Den braunen Wollumhang, der so gut zu meinen Haaren passt. Und meinen goldenen Gürtel.«

»Ja, Mylady.« Diota nickte und runzelte die Stirn. »Soll ich einige der Damen holen lassen, damit sie Euch ankleiden?«

Die Königin lächelte und streckte sich, während ihr Blick noch immer auf den Spiegel gerichtet war. »Schick mir meine Damen«, sagte sie und ließ sich wieder auf dem Sofa ihres Gemaches nieder.

Lissen Carak · Der Rote Ritter

Auf Ser Hugos Beharren hatten die Bogenschützen Zielscheiben auf den Feldern entlang des Flusses errichtet.

Die Männer grummelten, denn es war ihnen befohlen worden, ihre Pferde zu striegeln, bevor sie schlafen gehen konnten, und davor mussten sie noch ihre Schießübungen machen. Sie waren viele Tage lang hart geritten, und es gab niemanden, der nicht dunkle Ringe unter den Augen gehabt hätte.

Bent, der Älteste, der aus dem Osten kam, und Mutwill Mordling, der zusammen mit dem Jagdmeister erfolglos nach Spuren des Nonnenmörders Ausschau gehalten hatte, befahlen den jüngeren Männern, die Zielscheiben, die mit altem Stoff gefüttert oder aus Stroh geflochten waren, aus den Wagen zu laden.

»Ich bin doch gar nicht dran«, jammerte Kanny. »Warum hackst du immer auf uns rum?« Seine Worte hätten tapferer geklungen, wenn er mit ihnen nicht gewartet hätte, bis Bent weit genug weg war.

Geslin war der jüngste Mann in der Truppe, gerade erst vierzehn Jahre alt, und hatte einen dürren Körper, der darauf schließen ließ, dass er als Kind nie genug zu essen bekommen hatte. Er kletterte auf einen der großen Wagen, nahm still eine Zielscheibe und warf sie zu Gadgee herunter, einem seltsam aussehenden Mann mit gebräuntem Gesicht und fremdartigen Zügen.

Gadgee fing die Scheibe unter Grunzen auf und ging auf das ferne Feld zu. »Halt’s Maul und tu was«, sagte er.

Kanny spuckte aus und bewegte sich sehr langsam auf einen Wagen zu, in dem sich keine Zielscheiben befanden. »Ich seh mal nach, ob …«

Cuddy, der Bogenschütze von Tom Schlimm, erschien wie aus dem Nichts und schob ihn auf den Wagen zu, in dem Geslin eine zweite Zielscheibe hervorgeholt hatte. »Halt’s Maul und tu was«, sagte er ebenfalls.

Er war so langsam, dass alle anderen neun Zielscheiben bereits aufgestellt waren, als er mit der seinen endlich fertig war. Vierzig Bogenschützen standen jeweils hundert Schritt entfernt, überprüften ihre Reservesehnen und murmelten etwas von Feuchtigkeit.

Cuddy legte die Sehne mit sparsamen Bewegungen, die von einer langen Übung zeugten, in den Bogen. Dann zog er die Schnur auf, mit der die Pfeile in seinem Köcher zusammengehalten wurden.

»Soll ich den Tanz eröffnen?«, fragte er.

Er legte einen Pfeil ein und schoss ihn ab.

Einige Schritte zu seiner Rechten spannte Mutwill Mordling, der sich für einen der besten Schützen hielt, seinen Bogen und schoss bereits eine Sekunde später. Beim Spannen des großen Kriegsbogens hatte sich sein Körper stark verzerrt.

Bent setzte sein Horn an die Lippen und blies hinein. »Aufhören!«, brüllte er und wandte sich an Cuddy. »Kanny ist noch bei den Zielscheiben!«, schrie er den Meisterschützen an.

Cuddy grinste. »Ich weiß, wo er ist. Genauso wie Mutwill.«

Die beiden Männer kicherten, als Kanny hinter der Scheibe in der Mitte hervorkam und so schnell lief, wie es seine langen, dürren Beine erlaubten.

Die Schützen brüllten vor Lachen.

Kanny tobte vor Wut und Angst. »Du Bastard!«, schrie er Cuddy an.

»Ich hatte dir doch gesagt, du solltest schneller arbeiten«, meinte Cuddy milde.

»Das werde ich dem Hauptmann berichten!«, drohte Kanny.

Bent nickte. »Das solltest du tun.« Er winkte ihn fort. »Geh.«

Kanny wurde blass.

Hinter ihm stellten sich die übrigen Bogenschützen auf und begannen mit ihren Schießübungen.

Der Hauptmann kam zu spät zu den Übungen. Er wirkte müde und bewegte sich langsam. Dann lehnte er sich gegen die hohe Steinmauer, die den Schafspferch umgab, den Ser Hugh zu einem Übungshof umgewandelt hatte, und beobachtete die Kämpfe der bewaffneten Männer.

Trotz der Müdigkeit und des Gewichts seiner Rüstung bewegte sich Ser George Brewes leichtfüßig von einer Kampfposition zur nächsten. Ihm gegenüber befand sich sein »Kamerad«, wie es in der Sprache des Übungshofes hieß. Dabei handelte es sich um den liebenswürdigen Robert Lyliard, dessen vorsichtiger Kampfstil in einem starken Gegensatz zu seiner prunkvollen und prahlerischen Bewaffnung und Kleidung stand.

Brewes pirschte sich wie ein tänzelnder Panther an Lyliard heran; sein Arm mit der Stange bewegte sich durch alle Positionen – niedrig, mit vorgestrecktem rechtem Bein, dann die Stellung des Eberzahns, in einer heftigen Aufwärtsbewegung, bis die Stange wie die Axt eines Holzfällers auf seiner rechten Schulter ruhte.

Daneben stand der dickbäuchige und vorsichtige Francis Atcourt Tomas Durrem gegenüber. Beide waren alte Soldaten, die schon seit Jahrzehnten den Harnisch trugen, aber nie zum Ritter geschlagen worden waren. Sie umkreisten sich unablässig, griffen jedoch nicht an. Der Hauptmann befürchtete schon einzuschlafen, während er ihnen zusah.

Tom Schlimm kam herbei und lehnte sich gegen dieselbe Mauer. Sein Kopf überragte den des Hauptmanns deutlich und auch noch die Feder an dessen Hut.

»Wie wäre es mit einem Kämpfchen?«, fragte Tom mit einem Grinsen.

Niemand wollte sich mit Tom einlassen. Er verletzte seine Kameraden. Trotz der Rüstungen, den Auspolsterungen und Kettenhemden sowie einer sorgfältigen Waffenkontrolle waren Übungskämpfe immer gefährlich, und andauernd fielen einige Männer aus, weil sie sich dabei die Finger gebrochen oder andere Verletzungen davongetragen hatten. Dazu kamen dann noch die plötzlichen Wutausbrüche, wenn die Männer Schmerzen verspürten oder der Kampf persönlich wurde. In einem solchen Augenblick wurde der Übungshof zum Duellplatz.

Leider war der Übungshof unverzichtbar, wenn man sich für die richtigen Kämpfe bereithalten wollte. Das hatte er im Osten schmerzhaft lernen müssen.

Er sah Tom an. Der Mann hatte einen schlechten Ruf. Und gestern hatte er Tom vor den anderen bloßgestellt.

»Welche Waffen, Ser Thomas?«, fragte er.

»Langschwert«, antwortete Tom Schlimm, drückte sich mit der Hand von der Mauer ab, wirbelte herum und zog dabei sein Schwert. Es war seine Kriegswaffe – vier Fuß und sechs Zoll schweres Metall. Im Osten geschmiedet, mit einem Muster auf der Klinge. Die Männer behaupteten, sie sei verzaubert.

Der Hauptmann ging unter nicht geringem Zittern an der Mauer entlang. Durch das Tor betrat er den Schafspferch, und Michael brachte ihm einen Helm. Mit einem festen Eisengeflecht vor dem Gesicht sowie einem schweren Schutz für Hals und Schultern.

Michael reichte ihm sein eigenes Kriegsschwert. Es war fünf Zoll kürzer als das von Tom Schlimm, hatte einen schmucklosen Eisengriff und eine schwere Eisenscheibe als Handschutz.

Während Michael das Visier vorschnallte, setzte John of Reigate, Tom Schlimms Knappe, diesem den Helm auf den Kopf.

Tom grinste, als sein Brustpanzer festgezurrt wurde. »Die meisten Schwachköpfe mögen es nicht, ein bisschen mit mir zu spielen«, sagte er. Wenn Tom aufgeregt war, verdrängte sein Hochländerakzent sein reines Gotisch.

Der Hauptmann rollte den Kopf hin und her, überprüfte dadurch seinen Helm und schwang den rechten Arm, damit er wusste, wie beweglich er war.

Überall im Schafspferch hielten die Männer inne.

»Dann sind es wirklich Schwachköpfe«, sagte der Hauptmann.

Er hatte Tom beim Kampf beobachtet. Tom mochte es, heftig zuzuschlagen; er setzte seine gottgleiche Kraft ein, um die Rüstungen der Gegner durchzuhauen.

Hywel Writhe, der Waffenmeister seines Vaters, pflegte zu sagen: Für einen guten Schwertkämpfer reicht es nicht zu gewinnen. Er muss es auf die ihm eigene Art tun. Lerne die Art eines Mannes herauszufinden, und seine Handlungen werden vorhersehbar sein.

Tom erhob sich von dem Melkschemel, auf dem er gesessen hatte, während ihm die Rüstung angelegt worden war, und schwang sein Schwert vor und zurück. Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Menschen war er so flink wie eine Katze.

Der Hauptmann machte keine Probeschwünge. Er hielt das Schwert gesenkt in der einen Hand, sodass die Spitze das Gras berührte.

Tom wirbelte seine Klinge hoch und war bereit, den Hauptmann in zwei Hälften zu zerteilen.

»Garde!«, brüllte er. Der Ruf hallte von den Mauern des Schafspferchs und auch von den hohen Mauern der Festung über ihnen wider.

Der Hauptmann bewegte das eine Bein, hielt plötzlich das Schwert in beiden Händen und stellte den Fuß nach hinten.

Tom bewegte sich um die linke Seite des Hauptmanns herum.

Der Hauptmann hob das Schwert und schlug nach Toms Kopf.

Tom brachte sein Schwert herunter. Er hieb mit beiden Händen zu und wollte die Waffe des Gegners zu Boden hämmern.

Der Hauptmann zog den hinteren Fuß vor und ließ zu, dass die Gewalt von Toms Schlag sein Schwert zum Rotieren brachte. Er wirbelte es zur Seite und befand sich ganz plötzlich unter Toms Klinge.

Er hob sein Schwert, bis die Spitze geradewegs gegen Toms Visier zeigte. Seine feste Haltung und der Umstand, dass er die Waffe mit beiden Händen hielt, legten Toms Leben nun ganz und gar in sein Ermessen.

»Eins zu null«, sagte er.

Tom lachte und rief: »Verdammter Mist!«

Er wich einen Schritt zurück und salutierte. Der Hauptmann erwiderte den Salut und trat einen Schritt zur Seite, denn Tom griff ihn sofort wieder an.

Tom preschte vor, hob das Schwert über den Kopf und hieb zu.

Der Hauptmann parierte den Schlag, lenkte die Klinge seitlich ab, doch so schnell er seine eigene Waffe auch erneut auf den Gegner ausrichten konnte, Tom befand sich doch schon wieder innerhalb seiner Reichweite …

Und er lag mit dem Gesicht nach unten im Schafskot. Seine Hüfte schmerzte, und ebenso sein Hals.

Doch es entsprach dem Geist dieser Übung nicht, sich zu beschweren.

»Guter Schlag«, sagte er und bemühte sich, wieder auf die Beine zu springen.

Abermals stieß Tom sein wildes Lachen aus. »Dieser Punkt geht an mich, glaube ich«, sagte er.

Der Hauptmann musste ebenfalls lachen.

»Eigentlich hatte ich vor, dir in die Zehen zu beißen«, meinte er und erregte damit das Gelächter der Zuschauer.

Er salutierte, Tom salutierte ebenfalls, und sie standen wieder einander gegenüber.

Beide hatten ihren Eifer bewiesen, und nun umkreisten sie sich. Tom suchte nach einer Möglichkeit, näher an seinen Gegner heranzukommen, und der Hauptmann war bemüht, ihn sich mit kurzen Ausfällen vom Leib zu halten. Einmal traf er dabei Toms rechte Hand, als er das Schwert vorstieß, und der andere Mann salutierte knapp, als wollte er sagen: »Das war doch gar nichts.«

Und dann trat Ser Hugo zwischen sie.

»Ich erlaube solche hinterhältigen Stöße nicht, Mylord«, sagte Hugo. »In einem echten Nahkampf wäre das sehr dumm.«

Der Hauptmann musste zugeben, dass das stimmte. Man hatte ihm beigebracht, einen solchen Stoß nur dann zu führen, wenn man vollkommen verzweifelt war. Und selbst dann …

Keuchend stieß der Hauptmann die Luft aus, während sich Tom fließend und ohne Luftnot in dem behelfsmäßigen Ring herumbewegte. Aufgrund seiner Größe und der damit verbundenen größeren Reichweite konnte er natürlich den Kampf bestimmen, während der Hauptmann andauernd ausweichen und Distanz halten musste.

Die letzten fünf Tage voller Sorgen und Anspannung lasteten genauso schwer auf seinen Schultern wie das Gewicht seines Turnierhelms. Und Tom kämpfte sehr gut. Es war keine Schande, gegen ihn zu verlieren. Also entschied der Hauptmann, dass er lieber wie ein rasender Löwe als wie ein sehr müdes Lamm unterlag. Außerdem machte es mehr Spaß.

Zwischen einem Rückzug und dem nächsten Schlag schwang er die Hüften, wirbelte herum, balancierte sich aus und ließ die linke Hand um den Schwertgriff los. Die Schwertkämpfer aus dem Osten nannten diese Stellung »Die Garde der einen Hand«.

Tom führte einen weiteren seiner endlosen, schweren, weit ausholenden Schläge. Jeder gewöhnliche Mann hätte sich auf diese Weise schnell verausgabt. Nicht aber Tom. Jetzt führte er einen Schlag aus der rechten Schulter.

Diesmal versuchte der Hauptmann eine Erwiderung. Sein einhändig gehaltenes Schwert beschrieb einen Bogen nach oben, kam hinter Toms Waffe und stach so schnell zu, wie ein Falke seine Beute schlägt. Er traf Toms Schwert, lenkte es rasch ab, trat einen Schritt zur Seite, machte gleichzeitig einen Ausfall nach vorn und überraschte damit seinen Kameraden. Mit der freien Hand schlug er gegen Toms rechtes Handgelenk, dann steckte sie plötzlich zwischen den Fäusten des großen Mannes, und Toms heftiger Angriff auf den flinken Gegner trieb ihn unaufhaltsam voran. Der Hauptmann packte seinen Arm, drehte ihn um und hatte nun die vollkommene Gewalt über Schwert und Schulter seines Gegners.

Und nichts geschah. Tom wurde nicht herumgewirbelt. Sein Schwung führte bloß dazu, dass der Hauptmann zur Seite geschoben wurde. Der Riese drehte sich nach links, drehte sich noch einmal, und der Hauptmann konnte ihn nicht mehr loslassen, ohne selbst zu Boden zu gehen.

Eine solche Situation hatte sein Waffenmeister nie behandelt.

Tom wirbelte ihn herum und versuchte ihn abzuschütteln. Sie befanden sich in einem unangenehmen Gleichstand. Der Hauptmann hatte Toms Schwert sowie dessen Ellbogen und Schulter in festem Griff. Aber Tom hatte den Hauptmann vom Boden gehoben.

Die Waffe des Hauptmanns war frei – fast. Er steckte den Griff zwischen Toms Arme und hoffte, ihn als Hebel einsetzen und den anderen endlich besiegen zu können. Die Vorstellung des Hauptmannes davon, wie ein Kampf und das Universum funktionierten, hatte einen ernsthaften Kratzer bekommen.

Aber sogar mit beiden Händen …

Tom wirbelte ihn noch einmal herum wie ein Terrier, der einer Ratte das Genick zu brechen versuchte.

Der Hauptmann spannte all seine nicht unbeträchtlichen Muskeln an, rammte den Schwertgriff zwischen Toms Arme, schob die Klinge bis über Toms Kopf, packte die andere Seite und legte sein ganzes Gewicht auf die Waffe.

Er fiel mit der Klinge voran auf Toms Hals.

Beide gingen zu Boden.

Der Hauptmann lag wieder im Schafdung und sah Sterne. Sein Atem ging wie der Blasebalg eines Schmieds.

Etwas bewegte sich unter ihm.

Er rollte hinüber und stellte fest, dass er mit dem riesigen Hochländer verknäuelt war. Der Mann lachte.

»Ihr seid so verrückt wie ein Gengrit«, rief Tom, erhob sich aus dem Mist und erdrückte den Hauptmann in einer heftigen Umarmung beinahe.

Einige Waffenbrüder klatschten Beifall.

Andere lachten.

Michael sah aus, als müsse er gleich weinen. Aber der Grund dafür lag in dem Umstand, dass er die Rüstung des Hauptmannes zu reinigen hatte, und sie war über und über mit Schafskot bedeckt.

Als er den Helm abgesetzt hatte, spürte er ein Ziehen in der linken Seite sowie einen stechenden Schmerz in der Schulter. Tom stand neben ihm.

»Ihr seid ein Verrückter«, sagte Tom und grinste. »Ein Verrückter.«

Obwohl er den Helm abgenommen hatte, rang er noch immer nach Luft.

Chrys Foliack, noch ein Ritter, der bisher Abstand zum Hauptmann gehalten hatte, kam herbei und streckte ihm die Hand entgegen. Dabei grinste er Tom an. »Das ist wie ein Kampf gegen einen Berg, nicht wahr?«, meinte er.

Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Ich hab noch nie …«

Foliack war ein großer und hübscher Mann mit roten Haaren und von offensichtlich adliger Abstammung. »Mir hat der Armgriff gefallen«, sagte er. »Bringt Ihr uns den bei?«

Der Hauptmann drehte sich um. »Nicht in dieser Minute«, erwiderte er.

Weiteres Gelächter.

Der Palast von Harndon · Der König

Der König steckte in seiner Rüstung und hatte gerade einige seiner Edelmänner auf dem Übungshof verdroschen, als sein Burgvogt Lord Alexander Glendower mit einem riesigen Kerl im Gefolge herbeikam. Lord Glendower war ein älterer Mann mit einer Narbe, die von der rechten Augenbraue über das ganze Gesicht lief und seine Nase von rechts nach links so tief spaltete, dass die meisten Menschen unter seinem Anblick zusammenzuckten. Die Narbe reichte bis zum Mund, wo sie teilweise schlecht verheilt war und im Bart Kräuselungen erzeugte, sodass es stets den Anschein hatte, als ob er höhnisch grinste.

Glendowers Narbe passte zu niemandem schlechter als zu ihm selbst, denn er war in den Augen des Königs der beste aller Gefährten, der nichts für Spott übrighatte und geradeheraus redete, ohne zu schmeicheln oder sich zu erregen. Seine Geduld mit den Soldaten war legendär.

»Mylord, ich glaube, Ihr kennt Ranald Lachlan, der Euch zwei Jahre als Soldat gedient hat.« Er verneigte sich und streckte den Arm zu dem bärtigen Mann aus, der offensichtlich ein Hochländer war. Er hatte rote Haare, trug Narben im Gesicht, hatte blaue Augen, die so durchdringend wie Stahldolche wirkten, und ragte zwei Ellen über seine gehärtete Stahlrüstung und die rote Livree der Königsgarde hinaus.

Ranald verneigte sich tief.

Der König ergriff seine Hand. »Ich verliere dich«, sagte er warmherzig. »Der Anblick deiner großen Axt hat mir stets ein Gefühl von Sicherheit geschenkt«, lachte er.

Ranald verneigte sich noch einmal. »Als ich meinen Vertrag unterschrieb, habe ich Lord Glendower und Sir Ricard zwei Dienstjahre versprochen«, sagte der Hochländer. »Ich werde jetzt für den Frühlingsviehtrieb gebraucht.«

Der erwähnte Ser Ricard Fitzroy war der Hauptmann der Garde.

»Ich weiß, dein Bruder ist Viehbauer«, sagte der König. »Es ist ein unruhiger Frühling, Ranald. Albia wird in größerer Sicherheit sein, wenn deine Axt Mastrinder in den Bergen beschützt, statt in der Garde des Königs Dienst zu tun, dem in Harndon nichts zustoßen kann, nicht wahr?«

Ranald zuckte die Achseln und wirkte verlegen. »Ich hab keinen Zweifel dran, dass es Kämpfe geben wird«, gestand er ein. Dann grinste er. »Keinen Zweifel, Mylord.«

Der König nickte. »Und wenn der Auftrieb vorbei ist?«, fragte er.

»Oh, ich habe guten Grund zurückzukommen«, erwiderte Ranald mit einem Grinsen. »Mit Eurer Erlaubnis, Mylord. Aber mein Bruder braucht mich, und da gibt es etwas …«

Jedermann wusste, dass sich dieses »Etwas«auf die Schreiberin der Königin, Lady Almspend, bezog. Sie war zwar keine aussichtsreiche Erbin, aber eine hübsche Maid mit einem kleinen Vermögen. Das war ein hohes Ziel für einen niedrig geborenen Gardisten des Königs.

Der König beugte sich vor. »Komm zurück, Ranald. Sie wird auf dich warten.«

»Darum bete ich«, flüsterte er.

Der König wandte sich an seinen Burgvogt. »Sorg dafür, dass der Wappenrock und die Ausrüstung dieses Mannes gut verwahrt werden. Ich gewähre ihm Urlaub, aber ich gewähre ihm nicht den völligen Austritt aus meinen Diensten.«

»Mylord!«, erwiderte der Mann.

Der König grinste. »Und jetzt geh. Komm mit ein paar Geschichten zurück.«

Ranald verneigte sich abermals, wie es das Zeremoniell verlangte, und begab sich vom König sogleich zum Raum der Garde, wo er ein Dutzend enge Freunde zum Abschied umarmte, einen Becher Wein mit ihnen trank und dem Haushofmeister seine Ausrüstung übergab – das Kettenhemd, die Rüstung mit dem scharlachroten königlichen Wappen darauf, die beiden scharlachroten Wappenröcke samt den passenden Kapuzen, die er am Hof getragen hatte, die Hose aus scharlachfarbenem Stoff, des Weiteren die großen Stiefel aus scharlachrot gefärbtem Leder und den Schwertgürtel, der ebenfalls scharlachrot war und Bronzeverzierungen besaß.

Nun trug er ein Wams, eine erdbraune Hose, und über seinem Arm hing ein dreiviertellanger Wollumhang.

Radolf, der Haushofmeister, schrieb seine Ausrüstung in das Inventarbuch und nickte. »Alles in gutem Zustand, Messire. Und Euer Abzeichen …« Das Abzeichen des Königs bestand aus einem weißen Herzen mit goldenem Kragen und war kunstvoll aus Silber, Bronze und Emaille gefertigt. »Der König hat ausdrücklich bestimmt, dass Ihr Eures behalten sollt, da Ihr nur auf Urlaub seid und somit die Garde nicht verlassen habt.« Er gab ihm das Abzeichen zurück.

Ranald war gerührt. Er nahm die Brosche entgegen und steckte sie an seinem Umhang fest. Nun wirkte der Stoff schäbig und alt.

Dann schritt er aus der Festung und hinunter nach Harndon, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Die letzten beiden Jahre hatten ihm Krieg und Gefahr, geheime und diplomatische Missionen sowie die Liebe seines Lebens gebracht.

Doch ein Hochländer hatte noch andere Verpflichtungen.

Er betrat die Stadt, die sich am Fluss entlangschlängelte. Von der hoch gelegenen Festung aus war ihr hervorstechendstes Merkmal die große Brücke über den Albin; es war die letzte Brücke, bevor der breite und gewundene Fluss dreißig Meilen weiter südlich das Meer erreichte. Auf der anderen Seite der Brücke lag im Norden Bridgetown, das zur großen Stadt Harndon gehörte – und auch wieder nicht gehörte. Doch auf dieser Seite erstreckte sich die Stadt von der Festung des Königs ausgehend um die Biegung des Flusses, an dem Werften und Kais lagen sowie die Häuser der Kaufleute und Handwerker, die schmal und in die Höhe gebaut waren, um Land zu sparen.

Er ging die Rampe hinunter, führte seine beiden Pferde an den Leinen und begrüßte die Wächter, die er kannte.

Dann lief er die Flutstraße entlang, an dem großen Konvent von St. Thomas vorbei und durch die Straßen der Stoffhändler und Goldschmiede und schließlich die schmalen, steilen Gassen der Gießer und anderen Schmiede hinunter bis zu der Stelle, wo sich die Klingengasse und die Rüststraße kreuzten. Schließlich stand er vor einem Schild mit einem durchbrochenen Kreis.

Die Vorderfront des Hauses war nur so breit wie zwei stämmige, nebeneinander stehende Männer, doch Ranald betrachtete die Auslagen eingehend, denn der Durchbrochene Kreis stellte die feinsten Waffen und Rüstungen der Gegend her, und es gab hier immer etwas Interessantes zu sehen. Das waren wunderbare Dinge – selbst für einen Hochländer. Heute schien es ihm noch besser als sonst. Ein Dutzend einfache Helme standen auf der Verkaufstheke, alle frisch und glänzend, mit hohen Spitzen und Augenschutz, auf Hochglanz poliert, und das blauweiße Metall wirkte fast so fein wie Silber.

Und dabei waren es nur einfache Helme für Bogenschützen.

Hinter der Theke stand ein Lehrling, ein hübscher junger Mann mit Armen, wie sie die Statuen aus der Vorzeit hatten, und dazu passenden Beinen. Er grinste, hielt den Kopf schräg und ging dann schweigend durch den Vorhang, der sich hinter ihm befand, um seinen Meister zu holen.

Tad Pyle war der Meisterwaffenschmied des Landes und überhaupt der erste Albier, der gehärteten Stahl hergestellt hatte. Er war ein großer Mann mit einem angenehmen, runden Gesicht und hatte zwanzig Lehrlinge, die ihm treu ergeben waren und bewiesen, dass sich seine milde Art nicht nur auf sein Gesicht beschränkte. Er kam hervor und rieb sich die Hände an seinem Kittel ab.

»Meister Ranald«, sagte er. »Ich hege keinen Zweifel daran, dass Ihr wegen Eurer Axt hier seid.«

»Da waren doch auch noch die Mantelspange und das Kettenhemd«, gab Ranald zurück.

»Oh.« Pyle nickte seinem Lehrling geistesabwesend zu. »Ach, das … kontinentales Zeug. Nicht aus meiner Herstellung. Aber ja, wir haben auch das für Euch fertig gemacht.«

Edward, der Lehrling, brachte einen Weidenkorb aus dem hinteren Teil des Hauses herbei, und Ranald öffnete den Deckel und warf einen Blick auf das Gewoge aus gleißenden Kettengliedern. Jeder Ring war mit einem winzigen Keil vernietet, sodass es wirkte, als seien die meisten Ringe aus einem Guss geschmiedet. Insgesamt war es so fein gearbeitet wie das Kettenhemd, das er als Gardist des Königs getragen hatte.

»Und das für dreißig Leoparden?«, fragte Ranald.

»Zeug vom Festland«, erwiderte der Meister und rümpfte zwar nicht die Nase, aber seine Verachtung war deutlich zu spüren. Dann lächelte der ältere Mann und holte einen schweren Stab hervor, dessen Enden mit Sackleinen umwickelt waren. »Und dies hier ist so scharf, dass Ihr damit einen Apfel schneiden könnt.«

Ranald nahm den Stab in die Hände und wurde von einem so süßen Gefühl erfüllt, wie es jemand empfand, der entdeckte, dass er sich verliebt hatte und der Gegenstand seiner Zuneigung seine Gefühle erwiderte.

Edward durchtrennte die Schnüre, die das Sackleinen zusammenhielten, und enthüllte einen scharfen Stahlstachel an dem einen Ende, das in einer schweren Bronzehülse steckte, die als Gegengewicht zur Axtklinge am anderen Ende diente – einem schmalen Halbmond aus hellem Stahl, so lang wie der Unterarm eines Mannes und mit einem gefährlichen Widerhaken ausgestattet. Die Waffe war ausbalanciert wie ein gutes Schwert, hatte einen Schaft aus Eichenholz und stählerne Schutzplatten gegen Schwerthiebe.

Es war die typische Axt eines Hochländers – aber unvergleichlich feiner gearbeitet, hergestellt nicht von einem reisenden Schmied auf einem Jahrmarkt, sondern von einem wahren Meister.

Ranald konnte es sich nicht verkneifen, die Waffe in der Hand herumwirbeln zu lassen. Die Klinge schnitt durch die Luft, wobei die Spitze ganz knapp unter dem Verputz der niedrigen Decke entlangfuhr.

Edward drückte sich gegen die Wand, während der Meister zufrieden nickte.

»Die Waffe, die Ihr mir gebracht habt, war ganz in Ordnung«, erklärte der Meister. »Eine Arbeit vom Lande, aber recht ordentlich gemacht. Allerdings die Oberflächenbehandlung …« Er zuckte zusammen und hob die Achseln. »Außerdem war die Balance noch verbesserungsfähig.«

Der Stachel am unteren Ende des Schaftes war so lang wie ein Ritterdolch, dabei äußerst scharf und hatte eine dreiseitige Klinge.

Ranald lächelte anerkennend.

Der Meister hatte zwei Futterale hinzugefügt – eine mit feinem Leder bezogene Holzscheide für die Axt und eine weitere für den Stachel.

Ranald zählte hundert Silberleoparden ab – ein großer Teil seines Gehalts für die vergangenen zwei Jahre. Dann betrachtete er mit Bewunderung die Helme auf der Theke.

»Sind schon vergeben«, sagte der Meister, als er Ranalds Blick bemerkte. »Außerdem glaube ich, dass keiner auf Euren großen Kopf passen würde. Kommt im Winter zurück, wenn ich nicht so viel zu tun habe, dann werde ich Euch einen Helm fertigen, den Ihr sogar bei einem Drachenkampf tragen könnt.«

Plötzlich schien die Luft kälter geworden zu sein.

»Unberufen!«, sagte Edward und bekreuzigte sich.

»Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt habe«, meinte der Meister und schüttelte den Kopf. »Aber einen Helm würde ich Euch gern machen.«

Ranald trug sein neues Kettenhemd zum Packpferd, das nicht ganz so glücklich über diese Neuerwerbung war wie sein Herr, denn ihm gefiel das Gewicht und das deswegen notwendige Umpacken der Satteltaschen überhaupt nicht. Ranald kehrte zurück, holte die Axt und befestigte sie liebevoll an den Riemen seines Reitpferdes, sodass er sie immer rasch zur Hand hatte. Niemand, der ihm zusah, konnte bezweifeln, dass er diese Waffe noch mindestens ein Dutzend Mal in die Hand nehmen würde, bevor er die Stadt hinter sich gelassen hatte. Oder dass er sie beim ersten Busch, den er neben der Straße fand, ausprobieren würde.

»Ihr reitet also heute«, sagte der Waffenmeister.

Ranald nickte. »Ich werde im Norden gebraucht«, erklärte er. »Mein Bruder hat nach mir gerufen.«

Der Waffenschmied nickte. »Übermittelt ihm bitte meine besten Wünsche, und möge die Seele des Tages auf Euch scheinen.«

Der Hochländer umarmte den Schmied, trat durch die Tür und führte seine beiden Pferde zum Flussufer zurück.

An der Kapelle des heiligen Thomas hielt er an, kniete zum Gebet nieder und senkte den Blick. Über ihm wurde der Heilige von Soldaten gemartert – es waren Ritter in königlicher Uniform. Ein Bild, das ihm Unbehagen bereitete.

Er kaufte von einem zerlumpten kleinen Mädchen am Brückentor eine Pastete, und dann verließ er die Stadt.

Harndon · Edward

»Da zieht ein furchterregender Mann dahin«, sagte der Meister zu seinem Lehrling. »Ich kenne nur wenige wie ihn. Und doch ist er sanft wie eine Dame. Er ist ein besserer Ritter als viele, die die Sporen tragen.«

Edward war zu sehr in seine Heldenverehrung versunken, um etwas darauf zu erwidern.

»Und wo bleibt unser wagemutiger Stoffhändler?«, fragte der Meister.

»Er verspätet sich, Euer Gnaden«, antwortete der Lehrling.

Tad Pyle schüttelte den Kopf. »Sogar zu seiner eigenen Beerdigung würde er zu spät kommen«, sagte er, doch seine Stimme verriet, dass er für den Stoffhändler nichts als Verehrung empfand. »Pack die Helme in Stroh ein und bring sie zu Meister Randoms Haus hinüber, ja, Ned?«

Wie freundlich ein Meister auch sein mag, es gibt doch keinen Lehrling, der nicht einen kleinen Ausflug aus der Werkstatt zu schätzen wüsste. »Darf ich ein paar Pfennige haben, damit ich Körbe kaufen kann?«

Meister Thaddeus legte einige Münzen auf seine Handfläche. »Ich wünschte, ich hätte ihm einen Helm fertigen können«, sagte er. »Woher mag wohl der Gedanke an den Drachen gekommen sein?«

Der Palast von Harndon · Die Königin

Desiderata saß geziert auf einem Elfenbeinstuhl in der großen Halle, deren Stuckwände mit den Trophäen geschmückt waren, die Tausende tapfere Ritter mitgebracht hatten – die Köpfe von großen und kleinen Kreaturen, sogar das Haupt eines sehr jungen Drachen, das so groß wie ein Pferd war und die ganze Nordwand neben dem Bleiglasfenster einnahm, wo es wie ein Boot wirkte, das aus dem Meer herausragte. Dieser Drache sah in den Augen der Königin niemals gleich aus – aber immer wirkte er gewaltig.

Sie saß da und schälte mit ihrem Silbermesser einen Winterapfel. Ihr Haar lag wie eine Gloriole aus Braun und Rot und Gold um sie herum – ein sorgsam geplanter Effekt, denn sie befand sich da mitten in dem Lichtpfuhl, den das vom König so geliebte Rosettenfenster warf. Ihre Hofdamen saßen um sie herum und hatten die Röcke auf dem sauberen, schachbrettartig gemusterten Marmorboden ausgebreitet, sodass sie wie gepresste Blumen wirkten. Ein halbes Dutzend der jüngeren Ritter – diejenigen, die eigentlich im Hof miteinander üben oder mit den Meistern die Klingen kreuzen sollten – lehnte an den Wänden. Einer von ihnen, der etwa sechs Jahre älter als die anderen und ihnen an Kampferfahrung überlegen war, wurde »Harthand« genannt, weil er einmal eine Kreatur der Wildnis mit den bloßen Händen getötet hatte. Das war eine Geschichte, die er oft zum Besten gab.

Die Königin mochte keine Angeber. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in Erfahrung zu bringen, wer ihrer Aufmerksamkeit würdig war und wer nicht – dies sah sie sogar als ihre heilige Pflicht an. Es machte ihr Spaß, die Schüchternen herauszufinden, diejenigen tapferen Männer, die niemandem von ihren Taten erzählten. Von den Prahlern hingegen hielt sie wenig – vor allem dann, wenn sie in ihrer Halle saßen und mit ihren Hofdamen schäkerten. Soeben hatte sie beschlossen, den Mann zu bestrafen, als der König eintrat.

Er steckte in einfacher Kampfkleidung, roch nach Pferden, Rüstung und Schweiß, und doch schlang sie die Arme um ihn und seinen Gestank, als wenn sie frisch verheiratet wären. Er lächelte auf ihr Gesicht herunter und küsste sie auf die Nase.

»Ich liebe es, wenn du das tust«, sagte er.

»Dann solltest du öfter Übungskämpfe bestreiten«, erwiderte sie und ergriff seinen Arm. Hinter dem König stand Ser Driant und rieb sich den Hals, und hinter diesem befanden sich Ser Alan sowie der Burgvogt Lord Glendower. Sie lachte. »Hast du all diese armen Ritter besiegt?«

»Besiegt?«, gab Driant zurück und lachte wehmütig. »Ich wurde zerschmettert wie ein Käfer bei einem Erdrutsch, Mylady. Seine Gnaden hat ein neues Pferd, das größer ist als ein Drache.«

Ser Alan zuckte die Achseln. »Ja, und ich wurde vom Pferd geholt, Mylady.« Er warf Ser Driant einen raschen Blick zu und runzelte die Stirn. »Ich glaube, es wäre grob zu sagen, dass das Pferd des Königs Euch in den Sand gestoßen habe«, sagte er.

Driant lachte abermals. Er war nicht der Mann, der sich lange niedergeschlagen zeigte. »Wenn ich mit meinem ganzen Gewicht stürze, zittert der Boden«, meinte er, »und der ist noch gefroren.« Er rieb sich wieder den Hals und spähte an der Königin vorbei zu den Hofdamen, die in der Nähe der Ritter saßen. »Und Ihr jungen Herren, wo wart Ihr, als die Schläge ausgeteilt und eingesteckt wurden?«

Harthand nickte anerkennend. »Hier in der warmen Halle. Wir haben uns in der Schönheit der Königin und all dieser hübschen Blumen gesonnt«, sagte er. »Welcher Mann kämpft schließlich freiwillig auf gefrorenem Boden?«

Der König runzelte die Stirn. »Vielleicht ein Mann, der sich auf den Krieg vorbereitet?«, fragte er ruhig.

Harthand sah sich nach Unterstützung um. Er hatte den launigen Plauderton als Erlaubnis gedeutet, auch seinerseits mit dem König scherzen zu dürfen.

Die Königin lächelte und freute sich, ihn so schnell gedemütigt zu sehen.

»Hinter den Mauern befinden sich Kreaturen, die Eure Rüstung zu knacken imstande sind und das fressen, was darunter liegt – oder die Eure Seele trinken«, sagte der König. Seine Stimme hallte laut in dem großen Raum wider, während er an den Kopfreihen entlangging. »Und von all diesen hübschen Blumen wisst Ihr allein, Ser Ritter, um die Wahrheit meiner Worte. Ihr kennt die Wildnis.« Der König war weder der Größte noch der Hübscheste im Raum. Aber wenn er so redete, konnte sich kein anderer Mann mit ihm vergleichen.

Harthand sah zu Boden und biss sich enttäuscht auf die Lippe. »Ich wollte nur etwas Unterhaltendes sagen, Sire. Ich bitte um Vergebung.«

»Sucht Eure Vergebung in der Wildnis«, gab der König zurück. »Bringt mir drei Köpfe, und ich werde erdulden, dass Ihr mit den Hofdamen der Königin liebäugelt. Bringt mir fünf Köpfe, und Ihr dürft mit der Königin liebäugeln.«

Falls du es wagst, dachte sie.

Der König grinste, blieb bei dem jüngeren Mann stehen und klopfte ihm auf die Schulter. Harthand versteifte sich.

Er wollte den Hof nicht verlassen. Das war deutlich zu erkennen.

Der König legte die Lippen an Harthands Ohr, aber die Königin verstand seine Worte trotzdem. Das war immer so.

»Drei Köpfe«, flüsterte der König durch das Lächeln auf seinen Lippen hindurch. »Oder Ihr werdet auf immer in Eurer Burg bleiben und als feige und treulos gebrandmarkt sein.«

Die Königin beobachtete die Reaktion ihrer Damen und schwieg. Harthand war ein recht beliebter Mann. Lady Mary, die als »Hartherz« bekannt war, hatte einmal gesagt, seine Hände seien gar nicht so hart. Sie saß neben der Königin und kniff die Lippen zusammen, wohl um ihren Schmerz nicht vor der Königin zu zeigen. Hinter diesem Anblick winkte der König seinen Knappen zu und begab sich über die Haupttreppe zu seiner Rüstkammer.

Als der König gegangen war, lehnte sich Desiderata auf ihrem Stuhl zurück und nahm ihre Näharbeit wieder auf – es handelte sich um ein Unterhemd für die Rüstung des Königs. Ihre Hofdamen versammelten sich um sie herum. Sie spürten die Wünsche der Königin und wandten sich von den jungen Rittern ab, deren Anführer Harthand war – oder gewesen war. Nun zeigten sie sich untröstlich, weil sie ihren Anführer verloren hatten. Sie gingen davon und gaben dabei die üblichen Bemerkungen gesellschaftlich benachteiligter junger Männer von sich. Die Königin lachte darüber.

Harthand blieb unter dem Bogen der Haupttür stehen und sah zurück. Er begegnete ihrem Blick, und sein Zorn flog über die Sonnenstrahlen hinweg, die sie trennten.

»Ich komme wieder!«, rief er.

Die anderen jungen Männer schien sein Gefühlsausbruch zu verängstigen, und sie schoben ihn durch die Tür.

»Vielleicht«, schnurrte die Königin. Sie lächelte wie eine Katze, der die Schwanzspitze einer Maus noch aus dem Maul hing.

Die Hofdamen kannten dieses Lächeln nur zu gut. Sie schwiegen, und die Klügsten unter ihnen ließen die Köpfe vor echter oder gut gespielter Zerknirschung hängen, doch die Königin durchschaute sie alle.

»Mary«, sagte sie sanft. »Habt Ihr Harthand in Euer Bett gelassen?«

Mary – Hartherz – sah sie an. »Ja, Mylady.«

Die Königin nickte. »War er es wert?«, fragte sie. »Sag mir die Wahrheit.«

Mary biss sich auf die Lippe. »Nicht heute, Mylady.«

»Vielleicht nie? Hört mir zu, ihr alle«, sagte sie und beugte sich zu den Hofdamen vor. »Emmota, Ihr seid erst seit Kurzem bei uns. An welchen Zeichen erkennt Ihr, ob ein Ritter es wert ist, Euer Liebhaber zu sein?«

Emmota war noch nicht ganz erwachsen; sie zählte erst vierzehn Jahre. Ihr Gesicht war schmal, aber nicht spitz, und eine klare Klugheit leuchtete aus ihren Augen. Gegenüber der Königin war sie ein Nichts, und doch musste die Königin vor sich selbst zugeben, dass dieses Mädchen etwas Besonderes an sich hatte.

Aber in diesem Augenblick ließ ihre Weisheit sie im Stich. Sie errötete und sagte kein Wort.

Die Königin lächelte sie an, denn sie war stets zärtlich zu den Verlorenen und Verwirrten. »Hört mir zu, meine Liebe«, sagte sie sanft. »Liebt nur denjenigen, der Eurer Liebe würdig ist. Liebt diejenigen, die sich selbst und alle um sich herum lieben. Liebt die Besten – die Besten im Kampf, die Ersten in der Halle, die besten Harfenisten, die besten Schachspieler. Liebt keinen Mann aufgrund dessen, was er besitzt, sondern achtet nur auf das, was er tut.«

Sie lächelte die versammelten Hofdamen an. Und stieß dann zu. »Seid Ihr schwanger, Mary?«

Mary schüttelte den Kopf. »Diese Freiheit habe ich ihm nicht erlaubt, Mylady.«

Die Königin ergriff Marys Hand. »Gut gemacht. Denkt immer daran, meine Damen, dass wir unsere Liebe nur denen schenken, die uns verdient haben. Und unser Körper ist ein noch größerer Preis, als es unsere Liebe ist – besonders für die Jungen.« Sie sah jede einzelne Hofdame nacheinander an. »Wer sehnt sich nicht nach einer kräftigen und doch zärtlichen Umarmung? Wer seufzt nicht nach einer Haut, die weich wie Leder ist, unter der sich aber Muskeln befinden, die hart wie Holz sein mögen? Doch empfangt ein Kind von ihnen …« – sie richtete ihren Blick fest auf Mary –, »… und man wird Euch eine Hure nennen. Und Ihr könntet bei der Geburt des Bastards sterben. Schlimmer noch, Ihr könntet gezwungen sein, in Armut zu leben und den Bastard Eures Liebhabers aufzuziehen, während er selbst ausreitet und sich Ruhm erwirbt.« Sie sah aus dem Fenster. »Falls Ihr nicht in einem Konvent eingesperrt werdet.«

Emmota hob den Kopf. »Aber was ist mit Liebe?«, fragte sie.

»Macht nicht irgendein rohes Gefühl, sondern Eure Liebe zur Belohnung«, sagte die Königin. »Gefühle haben auch brünstige Tiere, mein Kind. Hier interessiert uns aber nur das, was das Beste ist. Und Brunst ist nicht das Beste. Habt Ihr das verstanden?«

Das Mädchen schluckte vorsichtig. »Ja, ich glaube schon«, sagte es. »Aber warum sollten wir dann jemals bei einem Mann liegen?«

Die Königin lachte laut auf. »Artemis ist wieder auf die Erde gekommen! Weil sie sich um unserer Liebe willen dem Schrecken stellen, Mädchen! Glaubt Ihr denn, es sei leicht, in die Wildnis hinauszureiten? In der Wildnis zu schlafen, zu essen, zu leben? Ihr entgegenzutreten, gegen sie zu kämpfen und ihre Bewohner zu töten?« Die Königin beugte sich vor, bis ihre Nase die scharf gezeichnete Spitze von Emmotas Nase beinahe berührte. »Glaubt Ihr etwa, sie tun es zum Besten der Menschheit, meine Liebe? Vielleicht ist es bei den Älteren und Umsichtigeren so. Sie kämpfen stellvertretend für uns alle gegen die Gefahr, weil sie gesehen haben, was andernfalls geschähe.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber die Jungen treten dem Feind nur aus einem einzigen Grunde entgegen – sie wollen sich Euch würdig erweisen, meine Liebe. Und Ihr beherrscht sie. Wenn Ihr einen Ritter in Euren Schoß eindringen lasst, dann belohnt Ihr ihn damit für seinen Mut. Für seine Verwegenheit. Für seinen Wert. Es liegt in Eurem Ermessen zu entscheiden, ob er es verdient hat. Ist Euch das klar?«

Emmota blickte ehrerbietig in die Augen ihrer Königin. »Es ist mir klar«, sagte sie.

»Die Alten – die Archaiker des Altertums – fragten: ›Wer soll die Wächter bewachen?‹« Die Königin sah sich um. »Das sind wir, meine Damen. Wir wählen die Besten aus. Wir könnten uns auch entscheiden, die Schlechtesten zu bestrafen. Harthand war nicht verdienstvoll, und der König ist ihm auf die Schliche gekommen. Wir aber hätten es als Erste bemerken müssen, nicht wahr? Hat denn keine von Euch den Verdacht gehegt, dass er ein Prahler sein könnte? Hat sich keine von Euch gefragt, worin denn seine Kühnheit liegen mag, wo er sie doch nie unter Beweis gestellt hat?«

Mary brach in Tränen aus. »Ich protestiere, Madame.«

Die Königin umarmte sie kurz. »Ich berichtige mich: Er ist ein guter Kämpfer. Aber er soll es dem König gegenüber beweisen. Und er soll sich als Eurer würdig erweisen.«

Mary machte einen Knicks.

Die Königin nickte und erhob sich. »Ich werde nun dem König Gesellschaft leisten. Denkt immer daran. Darin liegt unsere Pflicht. Die Liebe – unsere Liebe – ist kein leicht zu erringendes Gut. Sie ist die Krone des Ruhmes und wird nur den Besten zuteil. Sie will hart erworben sein. Denkt darüber nach.«

Als sie die Treppe – eine breite Marmortreppe, bereits vor sehr langer Zeit angelegt – hochstieg, lauschte sie. Kein Kichern drang an ihr Ohr, was sie freute.

Der König befand sich in der Rüstkammer, und zwei seiner Knappen waren bei ihm – Simon und Oggbert, die einander glichen wie ein Ei dem anderen. Beide hatten übereinstimmende Sommersprossen und Pickel. Der König trug nur Hemd, Strümpfe und Hose. Seine Beinschienen lagen noch auf dem Boden, und jeder Knappe hielt einen Armschutz, den er mit einem Leder polierte.

Sie lächelte die beiden strahlend an. »Hinfort mit euch«, sagte sie.

Die Jungen flohen auf der Stelle, wie es Heranwachsende eben zu tun pflegten, wenn sie wunderschönen Frauen begegneten.

Der König lehnte sich auf seiner Bank zurück. »Ah! Wie ich sehe, habe ich deine Wertschätzung errungen!« Er grinste, und für einen Augenblick wirkte er um zwanzig Jahre jünger.

Sie kniete sich hin und zog das eine Strumpfband aus. »Du bist der König. Du und nur du allein brauchst meine Wertschätzung niemals zu erringen.«

Er sah zu, wie sie auch das zweite Strumpfband löste. Dann knotete sie die beiden zusammen und legte sie mit der Beinschiene auf einen Tisch hinter sich, danach setzte sie sich ohne die geringste Eile auf seinen Schoß, legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn, bis sie spürte, dass sich etwas bei ihm regte.

Nun erhob sie sich und knöpfte ihr Gewand auf. Dabei ging sie sehr sorgfältig vor und wandte den Blick nicht von ihm ab.

Er beobachtete sie, wie der Wolf ein Lamm beobachtet.

Das Gewand fiel von ihr ab, und nun trug sie nur noch ihr Unterkleid – eine Umhüllung aus eng anliegender Seide, die von den Fußknöcheln bis zum Hals reichte.

Der König stand auf. »Es könnte jemand hereinkommen«, sagte er in ihr Haar hinein.

Sie lachte. »Das ist mir egal.«

»Es möge in deiner Verantwortung liegen, meine Herrin«, sagte er und holte ein Messer hervor. Er drückte es mit der flachen Seite der Klinge gegen die Haut ihres Halses und küsste sie, dann schlitzte er die Seide ihres Unterkleides vom Hals bis zur Hüfte auf. Das Messer war so scharf, dass die Seide einfach darunter abzufallen schien, und er schnitt so vorsichtig, dass die Klinge niemals die Haut berührte.

Sie lachte in seinen Kuss hinein. »Ich liebe es, wenn du das tust«, sagte sie. »Jetzt schuldest du mir ein Unterkleid. Ein seidenes.« Ihre langen Finger entwanden ihm das Messer. Sie trat einen Schritt zurück und durchschnitt die Träger ihres Unterhemdes an den Schultern, sodass es zu Boden fiel, und dann rammte sie das Messer so heftig in die Tischplatte, dass es darin stecken blieb.

Er entledigte sich seines Hemdes und seiner Hose mit viel größerer Anstrengung und weniger Anmut, und sie lachte ihn deswegen aus. Und dann waren sie beisammen.

Als sie fertig waren, lag sie auf seiner Brust. Einige seiner Haare waren grau. Mit denen spielte sie.

»Ich bin alt«, sagte er.

Sie wand sich auf ihm. »Nicht sehr alt«, sagte sie.

»Ich schulde dir mehr als ein seidenes Unterkleid«, meinte er.

»Wirklich?«, fragte sie und erhob sich über ihm. »Mach dir keine Gedanken über das Hemdchen, Liebster. Mary wird die Träger in einer Stunde wieder angenäht haben.«

»So wörtlich habe ich das nicht gemeint. Ich schulde dir mein Leben. Ich schulde dir – mein fortgesetztes Interesse an dieser endlosen Hölle des Königtums.« Er ächzte.

Sie blickte auf ihn herunter. »Endlose Hölle? Dir scheint es aber zu gefallen. Du liebst es.«

Der König zog sie zu sich heran und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. »Nicht so sehr, wie ich dich liebe.«

»Was ist los?«, fragte sie und spielte mit seinem Bart. »Du wirst doch von etwas geplagt …?«

Er seufzte. »Einer meiner besten Männer hat mich heute verlassen – Ranald Lachlan. Er muss sich ein Vermögen erwerben, weil er deine Lady Almspend heiraten möchte.«

Sie lächelte. »Er ist ein würdiger Mann für sie, und er wird es entweder beweisen oder bei dem Versuch sterben.«

Der König seufzte. »Ja«, sagte er. »Aber bei Gott, Frau, ich war versucht, ihm einfach einen Sack Gold und die Ritterschaft zu geben, nur damit er bei mir bleibt.«

»Dadurch hättest du ihm allerdings die Möglichkeit genommen, sich den Ruhm zu erwerben, den er verdient hat«, wandte sie ein.

Er zuckte mit den Schultern und meinte: »Es ist gut, dass wenigstens einer von uns beiden ein Idealist ist.«

»Da du gerade in Spenderlaune bist«, sagte sie, »könnten wir vielleicht ein Turnier ausrichten?«

Der König war ein starker Mann und hatte Kämpfermuskeln. Er erhob sich trotz ihres Gewichtes auf seiner Brust. »Ein Turnier. Bei Gott, meine Herrin, war das etwa der Zweck deines Tuns?«

Sie grinste ihn an. »War es bisher denn so schlecht?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich sollte Angst davor haben, dass in deinem hübschen Kopf Entscheidungen fallen könnten, die ich gar nicht gutheiße. Ja, natürlich können wir ein Turnier veranstalten. Aber es gewinnen immer die falschen Männer, und die Stadt befindet sich eine ganze Woche lang in Aufruhr. Außerdem herrscht dann fürchterliche Unordnung in der Burg, und du und ich, meine Liebe, wir müssen andauernd Männer einsperren, deren einziges Verbrechen es ist, zu viel getrunken zu haben. Und all das nur zur Befriedigung deiner Laune?« Er lachte.

Desiderata lachte ebenfalls, warf den Kopf zurück und erkannte das Verlangen in seinem Blick. »Ja!«, rief sie. »Alles nur wegen meiner Launen.«

Er lachte gemeinsam mit ihr, doch dann runzelte er die Stirn. »Es gibt Gerüchte aus dem Norden«, sagte er.

»Gerüchte?«, fragte sie, obwohl sie genau wusste, worum es ging: um Krieg und noch Schlimmeres, das in den Nordländern geschah, und um Übergriffe aus der Wildnis. Es war ihre Aufgabe, all das zu wissen.

Der König zuckte die Achseln. »Egal, meine Liebe. Wir werden ein Turnier haben, aber es muss vielleicht warten bis nach dem Frühlingsfeldzug.«

Sie klatschte in die Hände. Endlich kam der Frühling.