Kapitel 33

Tegernsee, Mittwoch, 20. 12., 13.40 Uhr

Ohne ein weiteres Wort über den Fall zu verlieren, fuhren sie nach Bad Wiessee, stellten dort Ankes Wagen ab und setzen die Fahrt in Querchers Benz fort. Quercher wollte nach Tegernsee. Das dortige Herzogliche Bräustüberl war bekannt für seinen Schweinebraten und ein vorzügliches Bier. Seit Langem verspürte Quercher wieder einmal Lust auf ein derartiges Essen.

Hannah lachte, als sie in die Gewölbe des Klosteranbaus eintraten und ihr Quercher einen Platz an einem langen Tisch anbot. Schmunzelnd meinte sie, dass sich hier ihre Vorstellung deutscher Gemütlichkeit erfülle. Dann betrachtete sie die Wandmalereien, die auf Fässern reitende Betrunkene zeigten, schaute scheu zu einem Stammtisch der örtlichen Handwerker, die dröhnend in einer ihr scheinbar fremden Sprache redeten. Dicke Frauen servierten goldgelbes Bier in großen Gläsern. Menschen beugten sich über gigantische Portionen glänzenden Fleisches in brauner Sauce.

»Schweinsbraten mit Kartoffelknödel. Köstlich und fettig. Wie alles hier«, grinste Quercher. »Wonach ist dir?«

Sie sah in die Karte, blickte herum, um zu sehen, was all die anderen aßen, und beugte sich über den Tisch. »Fettig, köstlich und garantiert nicht asketisch will ich es«, flüsterte sie Quercher ins Ohr.

Er bestellte den Schweinsbraten.

Es war absurd und sicher machte er gerade einen Fehler. Aber er fühlte ein warmes Gefühl von Leichtigkeit in sich aufsteigen. Hannah hatte sich in seine Traurigkeit gezwängt und sie beiseitegedrückt.

Hannah war begeistert von diesem Ort. »In den USA regiert in meinen Kreisen die Gesundheitsreligion. Du musst als Frau Size Zero tragen, kein Gramm Fett darf an deinem Körper zu sehen sein. Hier macht sich kein Mensch darüber Sorgen. Ich sehe nur zufriedene Gesichter.«

Quercher wog den Kopf. »Ich muss dir nicht sagen, dass ich als Polizist erfahrungsgemäß andere Eindrücke dieser Gesellschaft habe. Aber im Großen und Ganzen stimmt es. Die meisten hier wollen nur ihr kleines Leben leben. Lieben, Kinder bekommen, ein bisschen Sicherheit und einen anständigen Schweinsbraten essen.«

Dieser wurde soeben von der hünenhaften Kellnerin vor Hannahs großen Augen abgestellt.

»Das kann ich nicht allein essen.«

»Ich helfe dir dabei«, meinte Quercher.

Sie grinste. »Bist du hinter diesen dreien auch her, weil sie das Tal verschandeln wollen? Ich meine, es hat ja auch seine Vorteile, wenn sich nichts ändert. Sonst wäre das alles zugebaut. Wie in anderen Regionen. Ist das dein Antrieb, dass die drei deine Heimat nicht zerstören sollen?«, fragte sie plötzlich und versuchte, gegen den Lärm der Gäste anzureden.

Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Weißt du, Hannah, ich glaube, dass der See und das Tal hier so etwas wie ein Paradies sein können. Es ist zu fast jeder Jahreszeit wunderschön. Es gibt durchaus vernünftige Menschen, die von diesem Ort sagen, dass er besondere Schwingungen habe. So ein Tal hat ja auch etwas von Geborgenheit, von Schutz. Aber es gibt eben auch solche Eingeborenen.« Er deutete auf den Stammtisch. »Die dort zum Beispiel. Die wollen keine Veränderung. Die granteln, reden klug daher. Aber nie würden sie Prosperität und neue Ideen zulassen. Das Geld der Gäste nehmen sie, aber tief im Innern verachten sie sie und jammern. Sie benehmen sich wie fette Katzen. Die Dörfer um den See herum kooperieren nicht. Ja, und dann sind da die Zugezogenen, die hierherkommen und alles so lassen wollen, wie es ist. Weil sie es so ja schließlich in Form eines Landhauses gekauft haben.«

»Aber es ist doch alles schön, warum willst du das verändern? Können Dinge nicht auch mal so bleiben, wie sie sind?«, fragte Hannah.

»Im Norden des Sees, wo wir mit dem Benz auf den See gerutscht sind, da steht Gut Kaltenbrunn. Einst war das der Biergarten hier im Tal. Dann wollte der Besitzer eine Veränderung. Aus dem Gut wollte er ein hochklassiges Hotel mit Restaurant und allem Pipapo machen. Es gab die üblichen Bedenkenträger. Der Besitzer ließ sich auf Einschränkungen ein, gewann jedes Bürgerbegehren, bekam vor jedem Gericht recht. Bis eine völlig hirnrissige Melange aus einer fragwürdigen Bürgerinitiative und eigennützigen Hoteliers, die die Konkurrenz fürchteten, den Neubau mit fragwürdigen juristischen Mitteln verhinderte. Die Gegner des Projekts bekamen in der letzten Instanz recht. Heute steht das Anwesen leer. Die Frau des Besitzers will nicht mehr, lässt es verrotten, was ich gut verstehen kann. Glaubst du, dass der hiesige Einwohner bereit zu Verhandlungen wäre? Ignoranz und Eitelkeit sind an der Tagesordnung. Insofern, um auf deine Frage zu antworten, finde ich die Veränderungen in dieser Gegend nicht per se schlecht. Aber eben kluge und nachhaltige Ideen. Und diese Ideen müssen seriös sein, einem Großen und Ganzen dienen, nicht nur einer kleinen Gruppe wie Stangassinger, Brunner und Schlickenrieder.«

Plötzlich stand ein älterer Herr mit weißem vollem Haar, das streng zurückgekämmt war, vor ihnen. Er fragte, ob er sich dazusetzen dürfte. Hannah schaute überrascht, wusste aber, dass das in Bayern durchaus üblich war, und nickte dem Mann zu. Dann wandte sie sich wieder an Quercher und wechselte das Thema.

»Warst du verheiratet?«, fragte sie, während sie den großen Knödel in kleine Stücke zerteilte und in die braune Soße tunkte.

Quercher schmunzelte. Hannah schien mit großer Selbstverständlichkeit davon auszugehen, dass er im Moment Single war. »Ja, aber es war ein Desaster.«

»Warum?«

Er mochte nicht über die Jahre mit Marille sprechen. So tat er, was alle klugen Männer machten, wenn sie ein Thema als unangenehm empfanden: Er machte Hannah ein Kompliment. Hannah verstand. Ein Vorteil von erwachsenen Frauen, dachte Quercher vergnügt. Ihre Lebenserfahrung lässt sie am richtigen Punkt stoppen.

»Dürfte ich einmal die Karte haben?«, fragte der Herr neben Hannah.

Quercher schob die Karte hinüber, ohne den Mann eines Blickes zu würdigen. Lieber sah er Hannah beim Essen zu. Vermaß mit seinen Blicken ihr Gesicht, das dichte braune Haar. Die schwarzen Augen, die hohen Wangenknochen. Sie hatte sich auf der Toilette des Gasthauses kurz die letzten Spuren des Sex aus dem Gesicht gewischt, neues Make-up aufgetragen und sah hervorragend aus. Sie war nicht mager, wie Quercher nun wusste. Aber sie musste viel Sport getrieben haben, denn er hatte an so ziemlich jeder Stelle ihres Körpers festes Fleisch und ausgeprägte Muskeln gespürt.

»Essen Sie nichts, Herr Polizist?«

Quercher wandte sich dem Mann zu. »Kennen wir uns?«, fragte er eine Spur zu scharf.

Der Mann lächelte mokant. »Nein, verzeihen Sie mir. Ich darf mich vorstellen. Mein Name ist Dr. Rieger. Ich wohne hier. Und ich glaube, dass wir zwei, Herr Quercher, miteinander reden sollten. Sehr gerne würde ich Ihnen Hintergründe zu dem Fund auf der Falzeralm mitteilen. Daran, so hört man, sind Sie ja brennend interessiert.«

Quercher blickte kurz zu Hannah, deren gesunde Gesichtsfarbe einem blassen Ton gewichen war. Unmerklich schüttelte sie den Kopf.

»Liebe Frau Kürten, was ich Ihrem … Begleiter … zu sagen habe, betrifft sicherheitsrelevante Fragen für unser Land. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich würde ihn gerne allein sprechen. Meinen Sie, dass er vielleicht heute Nachmittag für eine Stunde entbehrlich ist?«

Hannah wirkte, als ob dieser Rieger eine massive Bedrohung für sie sei. Etwas Böses. Sie hatte sich ganz in die Stuhllehne gedrückt und starrte auf das Essen vor sich, das sie nicht mehr anrührte.

Rieger erhob sich. »Ich treibe gern Sport. Langlauf, wissen Sie. Abfahrt ist in meinem Alter nicht mehr so gesund. Man ist ja nicht mehr so sicher auf den Beinen. Wie ich weiß, dienten Sie bei den Gebirgsjägern. Da dürfte Ihnen doch das Gleiten auf den Langlaufskiern bekannt sein. Ich warte draußen.«

Rieger griff nach Hannahs Hand, die sie ihm zögernd, fast widerwillig reichte, und deutete einen Handkuss an. Dann drehte er sich um und verließ das Lokal. Quercher und Hannah saßen wieder allein, jetzt aber ratlos und stumm am Tisch.

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Willst du dich wirklich mit ihm treffen?«

Quercher atmete schwer aus. »Ich weiß nicht. Er könnte der Schlüssel sein zu allem, was hier passiert ist. Und eigentlich wollte ich sowieso mit ihm reden. Viele Hinweise führen zu ihm. Er ist allerdings sehr gut informiert über uns und wohl auch über unsere Absichten. Das macht mir Sorgen. Das heißt, er agiert nicht allein.«

Hannah nickte. »Wer ist dieser Rieger?«

»Er war wohl mal bei unserem Geheimdienst. Heute ist er aber nur noch ein Pensionär. Und genau das macht mich stutzig. Was will ein pensionierter Spion von mir?«

Sie sah ihn besorgt an. »Warum wusste er, dass wir hier sind? Warum kannte er mich?«

Quercher kramte in seiner Tasche, zog seinen Schlüsselbund hervor, nahm einen seiner beiden Autoschlüssel ab und legte ihn Hannah auf den Tisch.

»Nimm den Schlüssel und fahr nach Wiessee. Unser gemeinsamer Unfall hat den Wagen nur verbeult. Du kannst ihn entspannt fahren. Hol bei Anke Sachen für eine Schneewanderung. Meine Schwester weiß schon, was sie einpacken muss. Der Weg zu ihr ist einfach. Du kannst nichts falsch machen. Es ist gut ausgeschildert. Hinter dem Feuerwehrhaus links abbiegen und dann immer geradeaus. Das Schützenstüberl ist auf der linken …«

Hannah verdrehte die Augen.

Quercher hob beschwichtigend die Hände. »Nicht alle deine Geschlechtsgenossinnen …«

Sie schlug auf seinen Arm und schien wieder entspannter zu sein. »Chauvi, pass bloß auf, dass du nicht auf deine arrogante Nase fällst.«

Sie lachten. Während Hannah noch einmal auf der Toilette verschwand, zahlte Quercher und schob sich aus dem Gedrängel zwischen den Tischen hindurch nach draußen in die Kälte. Er brauchte noch mehr Informationen, wenn er sich mit Rieger messen wollte. Der alte Mann musste warten.

Rieger stand neben einem Geländewagen und winkte. Quercher stapfte durch den Schnee und deutete ihm mit einer Handbewegung an, dass er noch etwas aus dem Auto holen müsste. Rieger nickte und setzte sich in seinen Wagen. Quercher schritt auf sein Auto zu, schlug, kaum war er aus Riegers Blickfeld verschwunden, einen Haken und verschwand knapp zehn Meter entfernt hinter einem Reisebus aus Leipzig. Hektisch tippte er auf sein Smartphone ein und erreichte sofort das Büro.

»Pollinger.«

»Hier ist Max. Ich brauche deine Hilfe. Wer kann mir noch mehr über Rieger und seine Verbindungen hier im Tal verraten? Ich brauche diese Info schnell, sehr schnell, wenn dir an der Aufklärung etwas liegt«, stieß Quercher eilig hervor.

Pollinger reagierte sofort. »Ich kenne jemanden. Das ist der Leiter der Historikerkommission, die im Auftrag der Bundesregierung die Arbeit des BND in der Nachkriegszeit untersucht. Der Typ ist gut, sehr gut. Lass mich kurz mit ihm telefonieren. Er wird dich dann anrufen. Gib mir zwei Minuten.«

Der LKA-Direktor legte auf. Quercher lugte hinter dem Reisebus hervor und sah zu Riegers Auto. Der war wieder aus dem Wagen ausgestiegen und schien seine Skier zu präparieren. Dann sah Quercher Hannah. Sie blieb kurz auf der Treppe des Bräustüberl stehen und schaute sich um. Anschließend stieg sie in Querchers Auto, ohne ihn hinter dem Bus gesehen zu haben. Querchers Telefon brummte.

»Was kann ich für Sie tun?« Die Stimme am anderen Ende klang jung, fast mädchenhaft.

Quercher sagte nicht einmal guten Tag. Ihm rannte die Zeit davon. »Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Rieger. BND-Offizier. Hohes Tier. Ich will etwas über seine Verbindungen am Tegernsee wissen. Vertraulich. Aber wichtig. Da könnte etwas für Sie …«

»Moment.« Der junge Mann schien etwas nachzusehen. Ein Räuspern. »Was ich Ihnen jetzt erzähle, ist als geheimnisrelevant klassifiziert. Ich darf es Ihnen nicht sagen. Aber Sie haben ja einen Eid auf unsere Verfassung geschworen. Und Herr Pollinger bürgt für Sie.«

Quercher lächelte, ließ diese Aussage aber so stehen. Der Junge klang nicht so, als ob er das tatsächlich ernst meinte. Vielmehr musste Pollinger wirklich ein sehr gutes Wort für ihn eingelegt zu haben.

»Nach dem Krieg, also dem letzten, hatte Reinhard Gehlen, der erste Chef des Bundesnachrichtendienstes, mehrere ehemalige Nazis quasi ›geparkt‹. Dies tat er auf Weisung der Bundesregierung. Man wollte sie nicht den Besatzungsmächten ausliefern. Ihr Wissen war scheinbar so brisant, dass man es für sich nutzen wollte. Diese Gruppe hatte erhebliche Goldreserven und andere Guthaben aus den Raubzügen der Nazis über den Krieg gerettet. Sie konnten das Geld allerdings nicht im großen Stil ausgeben. So erwarben sie Immobilien oder investierten über Strohmänner in Firmen, die nach dem Krieg erfolgreich am Wiederaufbau mitwirkten. Gehlen wollte diese Experten und das Vermögen quasi als ›eiserne Reserve‹ haben. Riegers Vater, ein Altnazi und versierter Kaufmann, gründete eine Firma, die sich darauf spezialisierte, diese Aktivitäten zu decken. Über die Jahre wurde das einst jüdische Vermögen in deutsche Firmen investiert und konnte kaum zurückverfolgt werden. Wie das genau passierte, weiß ich nicht. Aber Ihr Herr Rieger und einige mehr haben da schwer mitgeholfen. Sie müssen extrem vorsichtig agieren. Das ist alles noch sehr heiß. Das Netzwerk dürfte noch heute in wesentlichen Teilen bestehen. Ende der Siebziger bekam ein deutscher Historiker schon einmal einen Tipp aus Kreisen des DDR-Geheimdienstes. Er recherchierte unter anderem in den USA bei dem Industriellen Kürten. Der starb aber kurz vor dem Interview und das Projekt verlief im Sande. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Sonst wäre hier schnell Schluss mit Forschung. Viel Glück.«

Quercher wurde blass, seine Gedanken rasten. Welche Rolle spielte Hannah, die Enkelin des SS-Soldaten Hans Kürten, in dieser Geschichte? Warum war sie wirklich nach Deutschland gekommen?

Rieger begrüßte Quercher mit einem einnehmenden Lächeln. »Ich habe alles dabei. Ein Anruf bei Ihrer Behörde und schon kannte ich Ihre Schuhgröße. Die Skier sind völlig neu, gut gewachst. Handschuhe und Stöcke sind ebenfalls da. Es kann losgehen, oder?«

Quercher nickte und wollte in den Wagen einsteigen.

Aber Rieger schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Quercher. Ein Tag wie dieser ist ideal für den da.« Rieger zeigte auf den See.

Quercher war nicht überrascht, dass Rieger ihn mit solchen Kleinigkeiten wie seiner Schuhgröße beeindrucken wollte. Das machten die Dienste nun einmal so, und er hätte genau das Gleiche getan. Was ihn sorgte, war, dass er mit jemandem wie Rieger auf dem zugefrorenen See laufen sollte. Wusste der, dass sein Vater irgendwo hier unten lag und dass Quercher seitdem diesen Ort voller Angst mied? Dann hatte er wirklich gründlich recherchiert. Quercher ließ sich nichts anmerken, wechselte die Schuhe, marschierte mit Rieger los. Sie kamen an der alten Klosteranlage und der barocken Kirche vorbei – Symbol der katholischen Eintracht aus Saufen und Sündigen, Beten und Beichten. Nach wenigen Schritten erreichten sie die Uferzone, wo schon jetzt viele Menschen auf das Eis gingen. Quercher war seit Ewigkeiten nicht mehr langgelaufen. Zudem hatte er schon ein Bier getrunken. Er hakte seine Schuhe in die Skier und suchte, etwas steif in der Hüfte, nach Halt und Gleichgewicht.

Wenig später standen sie in zwei Loipen, die bereits andere Langläufer gezogen hatten, und glitten über den See. Das anfängliche Schmerzen in den so lange nicht beanspruchten Muskeln wich einer Wärme, die Quercher gefiel. Trotz der Bewegung hatte er genug Luft zum Reden. Rieger war ebenfalls nicht außer Puste. Doch bislang glitten sie stumm nebeneinanderher und querten den See in Richtung Ringseebucht. Das Eis schien fest zu sein. Auch wenn die meisten Menschen sich nur wenige Meter vom Ufer entfernt auf bereits von Eishockeyspielern geräumten Flächen aufhielten, wirkte die Eisdecke auf Quercher meterdick. Der Schnee darauf war bestimmt zwanzig Zentimeter hoch, fein und nicht nass. Sie kamen gut voran. Rechter Hand vor ihnen befand sich Bad Wiessee. Im Süden lag Egern in der Sonne des Nachmittags. Alles glitzerte und funkelte. Wurden sie anfangs noch von anderen Langläufern begleitet, waren sie bald allein, als sie die Mitte des Sees erreichten.

Rieger hielt inne. »Sie versuchen, es zu verbergen. Aber Ihre Heimat schlägt Sie noch immer in den Bann.«

Quercher stützte sich auf seine Stöcke und lächelte. »Sie müssen mich nicht überzeugen. Das ist Gottes Land. Nur die ›Insassen‹ haben selten etwas Göttliches.«

Rieger lachte. »Maximilian Quercher, für einen LKA-Mitarbeiter mit Anteilen an einem syrischen Restaurant sind Sie entspannt und fröhlich.«

Woher wusste er das schon wieder? Quercher nahm sich vor, ruhig zu bleiben.

Der Alte lachte immer noch. »Keine Angst. Ich will mein Wissen über Sie nicht zu einem Gegenstand der Erpressung machen.«

Aus Riegers Mund strömten stoßweise Atemwolken. Ihm war bestimmt auch warm, dachte Quercher. Sie glitten weiter. Quercher konnte die kleine Insel, die einer südwestlich gelegenen Bucht des Sees vorgelagert war, erkennen. Rieger schien genau darauf zuzusteuern.

»Sie wollen diesen Fall in Wiessee aufklären. Weil Sie eine Leiche gefunden haben, mit der etwas nicht stimmt.«

Quercher nickte, sagte nichts und dachte: den Gegner kommen lassen, nie mehr reden als der andere.

Tatsächlich erreichten sie die Ringseeinsel kurze Zeit später. Quercher kannte sie. Als Kinder waren sie dorthin geschwommen. Später als Teenager war es der Platz gewesen, um ungestört zu knutschen. Dann drohte die Insel abzusacken. So wurde sie zum Naturschutzareal umgewidmet. Niemand durfte sie seitdem betreten. Aber die Insel hatte noch ein Geheimnis, das nur wenige Einwohner, meist alte Menschen, kannten.

»Hier … Ich habe ein wenig Proviant für einen Zwischenstopp mitgebracht.« Rieger nahm den Rucksack von seinem Rücken, löste mit seinen Stöcken seine Schuhe aus der Bindung der Skier und betrat die von Schilf und hohen Gräsern bewachsene Insel.

Quercher stand noch auf dem See. »Sie wissen schon, dass das ein Naturschutzgebiet ist, Herr Dr. Rieger?«

Der drehte sich um und lächelte. »Der Verein zur Erhaltung der Insel bekommt umfangreiche Spenden. Das ist das Schöne an diesen Talbewohnern. Man spendet eine Eisbahn, einen Kindergarten. Und schon begegnet einem eine Welle der Herzlichkeit. Man wollte mich schon in Öl malen. Kein Witz. Habe ich aber abgelehnt. Mich interessieren Orte der Kontemplation. Wie dieser hier. Ich bin hier in offiziellem Auftrag als Vogelbeobachter. Kommen Sie, Sie schräger Vogel, setzen Sie sich.«

Auch Quercher löste sich von seinen Skiern, nahm sie in seine Hände und trug sie auf die Insel hinüber, wo Rieger schon den Schnee von einem am Ufer eingefrorenen Baumstamm löste.

Quercher sah sich um. »Wussten Sie, wer sich hier gerne rumtrieb?«

Rieger schüttelte den Kopf, während er eine Thermoskanne und zwei in Papier eingewickelte Semmeln, die mit Kalbsfleischwurst und Salami belegt waren, auspackte.

Quercher deutete Richtung Wiessee. »Ihnen als Mitarbeiter des BND mit seiner braunen Vergangenheit dürfte doch nicht die illustre Gesellschaft, die dort urlaubte, verborgen geblieben sein?«

Rieger verstand nicht.

Quercher wollte sticheln, wollte sehen, worauf Rieger ansprang. »Ernst Röhm, Führer der SA, und seine kleinen Freunde stiegen ja sehr gern in einem Hotel in Wiessee ab und …«

»Das ist mir bekannt«, unterbrach Rieger, nunmehr kein Lächeln mehr auf den Lippen.

»Fein«, fuhr Quercher fort. »Hier auf dieser Insel hat er sich mit seinen Lustknaben vergnügt. Wir sitzen sozusagen auf historischem Boden. Aber dann haben die Nazis dieses Treiben früh genug unterbunden und ihn noch rechtzeitig hingerichtet, nicht wahr, Herr Rieger? Aber Röhm war ja nicht der Einzige. Arthur Axmann, der HJ-Führer, Bormann, Hitlers Privatsekretär und Kettenhund und natürlich Heinrich Himmler waren hier. Der Himmler durfte aber auf der anderen Seite des Sees wohnen. Nicht weit von Ihnen entfernt, nicht wahr? Genossen alle die gute Luft und die schöne Aussicht. Hitlers Helfer und oberster Jagdmeister Göring wollte das Tal sogar einst ›entvölkern‹ und als riesiges Jagdgebiet ausbauen. Das ist dann aber doch an der Starrköpfigkeit der Einwohner gescheitert. Und auf dem Friedhof liegt der alte General Kesselring. Ja, der, der in Italien für diverse Massaker an Zivilisten verantwortlich war. Eine Schautafel mit den örtlichen Prominenten zeigt, wo sein Grab genau liegt. Damit man dort auch einen Kranz hinlegen kann und nicht bei einem der armen Frontschweine, die irgendwo im russischen Osten verreckt sind. Hier ist die Welt noch in Ordnung.«

Quercher merkte, dass Rieger darauf eingehen und etwas Scharfes erwidern wollte. Aber dann hatte er sich wieder im Griff. »Ich höre gern von Einheimischen ihre Sicht auf die Dinge. Aber lassen Sie bitte den Dienst außen vor. Der Dienst war einst ein scharfer Wachhund. Das lag vor allem an seinen Mitarbeitern, die mit Leidenschaft und Diskretion umgehen konnten. Ja, wir hatten einst in den Nachkriegsjahren Veteranen in unseren Reihen. Wer hätte es denn sonst machen sollen? Ich muss Ihnen doch nicht erklären, dass wir mit unseren neuen Freunden, den Amerikanern, einen gemeinsamen Feind hatten. Das waren die Kommunisten. Aber heute sieht der Dienst doch ganz anders aus. Heute ist er nur noch ein müder Köter.«

Stille.

Am Horizont wurde es bereits langsam dunkler. Aber noch stach das Blau des Winterhimmels zu ihnen herab. Rieger biss in seine Semmel und schwieg. Quercher spürte langsam die Kälte. Er musste heute um halb vier noch Elli Schlickenrieder treffen. Morgen wollte er nach München zurückfahren. Also ging er aufs Ganze.

»Dr. Rieger, wenige Meter von einer Jagdhütte wurde kürzlich die Leiche eines SS-Soldaten gefunden. In seiner Uniform. Das Grundstück gehörte zum tatsächlichen Todeszeitpunkt Ihnen. Wer war der Mann? Was haben Sie damit zu tun? Warum sind Ihre drei Deppen von der Tankstelle plötzlich so nervös?«

Rieger schnalzte mit der Zunge, zog sich so Fleischstücke aus den Zähnen und spuckte sie aus.

»Dann erzähle ich Ihnen die Geschichte der Leiche«, begann er und griff in seine Jacke. Er heftete ein Gerät, kaum größer als ein Würfel, an Querchers Jacke. »Ein Geschenk meiner chinesischen Geschäftspartner. Es schluckt, wenn Sie so wollen, alle unliebsamen Mithörer und Aufnahmen. Wir sind jetzt ganz allein.«

Quercher fühlte sich sofort sichtlich unwohl mit dieser Information.

»1948 kamen drei ehemalige verdiente Frontsoldaten hier ins Tal. Hans Kürten war einer von ihnen. Nur hieß er anders. Er übernahm diesen Namen von einem verstorbenen Mithäftling in einem Kriegsgefangenenlager. Gemeinsam mit den anderen wollte er Grundstücke kaufen. Dieser Personenkreis, der – wie Sie ja eben so feinsinnig anmerkten – eine größere Rolle während des Dritten Reichs spielte, war zwar finanziell in der Lage, sich diese Grundstücke zu kaufen. Aber die Besatzungsmacht ließ das nicht zu. Kürten aber war sauber, wenn Sie so wollen, unbelastet. Er kaufte die Grundstücke – mit dem Geld dieser Personen. Er machte einen guten Schnitt dabei. Und seinen Verdienst investierte er wiederum in mehrere deutsche Konzerne. Eines Tages war dann Schluss mit den Geschäften. Kürten tauchte nicht mehr auf. Bis man ihn in der Nähe der Jagdhütte fand.« Rieger goss sich aus der Thermoskanne etwas Tee in eine Tasse und trank.

»Warum starb er? Und warum haben Sie das der Polizei nicht mitgeteilt? Ich meine, das hätte ja ganz andere Erkenntnisse ergeben können. Denn noch geht die Kriminalpolizei Miesbach davon aus, dass Herr Kürten im April 1945 starb. Sie aber wissen, dass er noch das Wirtschaftswunder dieses Landes erleben durfte. In trauter Einigkeit mit seinen ehemaligen Kameraden. Bis er dann irgendwann von der Bildfläche verschwand. Warum? Wieso sollte ich Ihnen das alles glauben?«

»Wonach suchen Sie denn, Herr Quercher? Der Mann ist tot. Eine Obduktion würde zeigen, dass er eines natürlichen Todes starb. Theoretisch reicht ein Anruf in München bei der Staatskanzlei und Sie fahren wie ein geprügelter Hund nach Hause. Aber Ihr Chef, der Ferdi und ich, wir kennen uns lange. Und wir beide schätzen Querköpfe, die sich nicht verbiegen lassen.«

Quercher wusste, dass er einen Köder legen musste. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Er sah dem Dampf des heißen Tees in Riegers Tasse nach, ehe er die Bomben platzen ließ. »Ich habe oben an der Hütte Teile eines Tagebuchs gefunden. Sie und Ihre Experten aus der Nazizeit hängen mit drin. Sie wissen das. Ich weiß das. Und jetzt erzählen Sie mir keine Märchen.«

Rieger wirkte für einen kleinen Augenblick wie unter Strom, ehe er sich wieder hinter einer Fassade aus arroganter Überlegenheit und Jovialität zurückzog. »Das ist doch alles Vergangenheit. Etwas für die Historiker. Für die, die Ihnen das alles erzählt haben. Aber doch nicht mehr für die heutige Zeit.«

Quercher nickte. »Na ja, es wäre unangenehm. Und Ihr Name, also der richtige, würde beschmutzt. Aber Sie haben recht. Heute kräht kein Hahn mehr danach. Doch selbst, wenn es niemanden mehr kümmert, mit welchem Geld die Grundstückskäufe des Herrn Kürten finanziert worden sind, bleiben Fragen: Der Herr kauft die Grundstücke, überlässt sie Ihren Freunden und verschwindet dann? Einfach so? Und es dürfte sehr wohl noch von Interesse sein, dass heute die Söhne und Enkel dieser Herren auf diesen Grundstücken Rehakliniken und Wellnesshotels bauen. Quasi ein ›Kraft durch Freude 2.0‹.«

Rieger blieb immer noch ruhig. »Wissen Sie, Herr Quercher, das ist alles längst bereinigt. Glauben Sie mir. Sie reiten ein totes Pferd. Ich mache Ihnen ein Angebot. Es ist Weihnachten. Ich will Sie loswerden. Sie wollen mich loswerden. Wie Sie gemerkt haben dürften, bin ich ein Freund der genauen Recherche.« Er kramte einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und studierte ihn. »Sie wollen aus dem Dienst ausscheiden. Das kann ich verstehen. Sie benötigen dafür die Unterschrift des Ministerpräsidenten. Und auch wenn Ferdinand Pollinger Ihnen das versprochen hat, so haben Sie die Unterschrift noch nicht. Schlicht, weil unser umtriebiger Landeschef das Gesuch noch gar nicht gesehen hat.«

Wieder suchte Rieger in seinem Rucksack nach etwas. Es war eine Mappe, die in Folie eingeschweißt war. Er zog sie heraus. Quercher erkannte sein Gesuch auf vorzeitigen Ruhestand.

»Das ist Ihr Ticket zum Ausstieg in die Sonne«, fuhr Rieger fort. »Ich habe veranlasst, dass es der Herr Ministerpräsident noch heute unterzeichnet. In Tegernsee wartet ein Kurier, der es sofort in die Staatskanzlei bringt. Heute Abend werden Sie es in Ihrem Briefkasten haben.«

Quercher wurde sauer. Sollte Pollinger ihn so hintergangen haben?

»Sie haben ein Häuschen auf dieser kleinen Insel vor Sizilien. Auf einem Konto der Banca Agricola Popolare di Ragusa liegt ein Startkapital in Höhe von fünfhunderttausend Euro. Das ist die Nummer des Kontos.« Rieger tippte mit dem Finger auf einen Zettel, der ebenfalls in der Folie lag. »Bitte sehr. Nur Sie und ich wissen davon. Ihr vermeintlicher Freund Pollinger hat Sie benutzt. Er hat mit mir eine alte Rechnung offen. Und jetzt, kurz bevor er am Krebs stirbt, will er sich rächen. Sie sind sozusagen sein Krieger. Aber Sie werden fallen. Und ihm ist es auf dem Sterbebett egal.«

Quercher brauchte Zeit, um nachzudenken. War so viel Verrat möglich? Rieger pokerte hoch. Es war ihm offenbar viel wert, dass er aus dem Tal verschwand. Zeit, die Taktik zu ändern.

»Nehmen wir an, ich würde Ihr Angebot annehmen. Wer garantiert mir, dass ich nicht erpresst werden würde? Was für Sicherheiten habe ich?«

Rieger schloss die Augen. »Wie ich hörte, ist in Bad Wiessee vor Kurzem ein junger Schreiner zu nah an seine Säge gekommen. Schrecklicher Unfall, nicht wahr?«

Quercher stocherte mit seinem Skistock im Schnee, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Riegers Worte elektrisierten.

»Ich empfehle Ihnen, dem Elektriker Schlickenrieder daheim einen Besuch abzustatten.«

Quercher wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Warum lieferte Rieger seinen eigenen Mann, zu dem er nachweislich Kontakt hatte, ans Messer? Es wurde immer bunter.

»Sie sollten noch etwas wissen, Maximilian. Ihre Freundin aus den USA ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Da Sie ja so neugierig sind, was damals geschah, erzähle ich Ihnen, warum Herr Kürten wirklich hier war. Er war mit besagtem Geld zu einem wohlhabenden Bürger im Nachkriegsdeutschland geworden. Und da wollte er irgendwann einmal seine Vergangenheit abstreifen wie einen alten stinkenden Bademantel. Denn sein Sohn war mittlerweile sehr erfolgreich. Dumm nur, dass das Geld, mit dem diese Familie sich an die Spitze der Reichtumspyramide geschossen hatte, aus eher illegalen Quellen stammte. Und als der alte Kürten mal wieder mit den alten Freunden zusammensaß, man trank und sich an alte Fronterlebnisse erinnerte, da …«

Rieger kippte einfach nach hinten und stieß dabei die Thermoskanne um. Quercher wandte sich zu ihm. Riegers Mund stand noch offen, als würde er nur eine kurze Pause beim Reden einlegen. Aber das war nicht der Fall. Etwas hatte seine linke Gesichtshälfte weggerissen. Teile seines Kiefers lagen neben seiner Wurstsemmel.

Als Quercher das realisierte, warf er sich sofort auf den Boden. Etwas spritzte neben ihm ins Eis. Jetzt erst verstand er. Sie wurden beschossen. Genauer, er wurde beschossen. Denn Rieger schien schon bei seinen alten Kameraden zu sein. Er musste ins gefrorene Schilf robben, in die Deckung. Mit einem Ruck erhob sich Quercher, warf sich nach vorn und rutschte auf seinen glatten Langlaufschuhen aus. Sein Glück. Eine Kugel zischte nur wenige Zentimeter über ihm hinweg und traf die Thermoskanne, die mit einem Knall zerbarst. Er sprang erneut, landete unsanft auf dem gefrorenen Boden und zog seine Waffe aus dem Holster an seiner Hose. Wo war der Schütze? Die Wunde an Riegers Kopf ließ auf Süden schließen. Der Schütze musste sich weit entfernt positioniert haben. Bis zum Ufer waren es bestimmt dreihundert Meter. Nur so ließ sich erklären, dass er noch nicht getroffen worden war. Aber mit seiner Pistole konnte er da gar nichts ausrichten.

Quercher bewegte sich nicht. Er musste weiter in das Schilf hinein. Dann konnte er auf die vom Schützen abgewandte Seite der Insel und von dort über das Eis nach Wiessee gelangen. Hier betrug der Abstand zwischen der Insel und dem Ufer nur noch hundert Meter. Langsam tastete er mit einer Hand nach seinem Telefon und zog es so weit aus der Jackentasche, dass er das Display aus den Augenwinkeln sehen konnte. Er drückte auf eine der letzten Nummern auf der Anrufliste. Das war Arzu. Er zog das Smartphone langsam an sein Ohr. Es klingelte verdammt lange. Dann sprang die Mailbox an. Quercher fluchte leise. Die blöde Kuh war beim Frauenarzt. Er drückte die nächste Nummer. Hannah. Sie nahm das Gespräch sofort an.

Ohne große Erklärung flüsterte er: »Komm bitte zum Haus Seeblick, auf Höhe der Ringseeinsel. Direkt an den Steg. Anke erklärt dir, wo das ist.«

»Was ist mit dir? Was ist los? Wo bist du?«

»Hannah, mach einfach.«

Wenige Zentimeter vor ihm schlug ein Geschoss ein, gefrorene Erde spritzte in sein Gesicht. Er wälzte sich nach rechts, um dann wieder geradeaus zu hechten. Ein Blässhuhn, schwarz und mit einem weißen Fleck auf dem Kopf, hatte vor ihm gesessen und flog jetzt schnatternd auf. Sofort sprang Quercher weiter und rollte sich in das Dickicht. Hier müsste er sicher sein, solange der Schütze seine Position nicht änderte. Das war eine Frage der Zeit.

Wie schnell würde er über das Eis kommen? Von hier aus konnte Quercher das Ufer von Bad Wiessee sehen. Er erkannte die Pension Seeblick. Das war sein Ziel. Er sah den blauen Benz. Hannah musste die Angst in seiner Stimme erkannt haben und gerast sein. Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchströmte ihn. Er erhob sich und rannte los. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Unter ihm lag irgendwo sein Vater. Sie hatten ihn nie gefunden. Er rannte, rutschte, fiel hin. Jeden Moment rechnete er mit einem Treffer. Quercher schlug Haken, fiel wieder, schlug sich das Knie am harten Eis auf. Noch dreißig Meter. Er war trainiert. Aber er konnte nicht mehr richtig auftreten. Das Knie knickte weg. Er humpelte und sprang. Quercher sah, wie Hannah aus dem Wagen stieg. Er winkte. Schrie, sie solle im Wagen bleiben. Dann erreichte er die Uferzone, fiel erneut, zog sich an vereisten Grasbüscheln hoch und humpelte weiter zu seinem Auto.

»Fahr los.«