Kapitel 26
München, Mittwoch, 20. 12., 09.09 Uhr
Dr. Stefan Picker hatte das ganz große Programm bestellt. Ein Team des SEK stand bereit. Spürhunde saßen aufgeregt in den Boxen eines Lieferwagens, der in einer Querstraße parkte. Und für den Fall von Fluchtversuchen gab es um das Objekt herum verteilt einen Kordon von Streifenbeamten. Das Netz war gespannt. Querchers Ende kam und Pickers Weg nach Berlin würde frei werden.
Das Lokal hieß Palmyra. Picker konnte mit dem Namen nichts anfangen, aber ein junger Kollege erklärte ihm, dass es sich um den Namen einer antiken syrischen Wüstenstadt handelte. Und wenn schon, dachte er. Bald würde es hier wieder Zum warmen Friseur heißen, wie es sich für das schwule Glockenbachviertel gehörte. Picker kannte die Gegend noch, als sie völlig heruntergekommen und voll von Kleinkriminellen war. Binnen weniger Jahre hatte der ewige Kreislauf der Gentrifizierung diesen Stadtteil vom geheimen Künstlerhotspot und Schwulenmekka zum Junge-reiche-Eltern-Viertel werden lassen. Und so passte auch das Lokal Palmyra mit einer Bar und Lounge dazu.
Wie er diesen ganzen Schickimickimist hasste! Picker aß lieber daheim.
Um 9.30 Uhr, so die Information, kam der Geschäftsführer, ein gewisser Faruk Al-Ali, wenige Minuten später sollten dann die Köche und Bedienungen eintrudeln. Darunter waren, wenn die Recherchen der Kollegen stimmten, zwei Iraker ohne Aufenthaltserlaubnis und ein Libanese, der mit Haftbefehl gesucht wurde. Das allein würde schon erhebliches Aufsehen erregen. Aber sie würden dank Pickers gutem Draht zu den Kollegen aus dem Rauschgiftdezernat zusätzlich auch erhebliche Mengen Kokain finden.
Der Fahrer neben ihm deutete auf ein Fahrzeug, das vor dem Lokal hielt, zurücksetzte und in eine Parkbucht rutschte. Picker erkannte die erste Zielperson, den Geschäftsführer. Der parkte zwar seinen Wagen, einen roten Alfa Romeo, blieb aber im Auto sitzen und zündete sich eine Zigarette an. Nicht schlimm. Picker konnte warten.
»Alles bleibt auf Position. Objekt noch nicht akut.«
Picker kannte Quercher. Wenn der auch nur ansatzweise im Vorfeld von dieser Aktion erfahren hätte, wäre alles verhindert worden. Zu gut war Querchers Kontakt zu Pollinger. Der Alte und Picker mochten sich nicht. Pollinger konnte mit Pickers Art der Arbeit nicht viel anfangen. Seine neuen, korrekten und auf moderne Ermittlungsmethoden zurückgreifenden Ideen waren nicht die Welt von Quercher und Pollinger. Sechs Monate hatte Picker in Quantico, USA, bei den Kollegen vom FBI lernen dürfen, wie man heutzutage analysiert und überführt. Zurück in München hatte Pollinger zwar zu sämtlichen Neuerungen sein Okay gegeben, aber hinten herum, wie Picker herausfand, alles torpediert – mit Querchers Unterstützung.
Und das war nur das Berufliche. Quercher hatte ihm auch seine Ehealtlast überlassen. Picker hatte sich um Marille gekümmert, als Quercher in Düsseldorf den großen Max gespielt hatte. Er erinnerte sich daran, wie oft Marille, die in der kriminaltechnischen Abteilung gearbeitet hatte, mittags allein in der Kantine gesessen hatte. Irgendwann hatte er sich dazugesetzt.
Es war keine große Liebe. Es war eher ein Vertrag. Er wollte ein Haus. Sie ein Heim.
Sie reichte die Scheidung ein. Es gab Gerede. Seine Parteifreunde im Ministerium baten um klare Verhältnisse, wenn er denn an einer Karriere interessiert sei. Und so heiratete er Marille. Aber sie schien immer noch an Quercher zu hängen. Doch jetzt war Schluss mit dem halbgaren Verhältnis.
Zwei seiner Leute, die auf der anderen Seite der Kreuzung in ihren Autos saßen, funkten ihn an. Vier arabisch aussehende Männer kamen die Straße herunter, zwei trugen unter ihren dicken Anoraks Küchenhosen. Der Geschäftsführer stieg aus dem Wagen, schnippte seine Zigarette in den Schnee und wartete auf dem Bürgersteig auf die vier.
Auch Picker konnte sie jetzt sehen.
Die Männer begrüßten sich und betraten das Haus durch einen schmalen Seiteneingang.
Kurze Zeit später sah Picker, wie jemand im Lokal das Licht einschaltete, die Stühle von den Tischen nahm und wieder verschwand.
»Zugriff«, befahl er.