erstellt von im Internet frei verfügbaren Namensgeneratoren.
»Es ist eine hirnlose Orgie trendbestimmter Anti-Bildung im Gange, die am deutlichsten an der erschreckenden Popularität der jargonbeladenen, hochgepuschten und völlig ahistorischen Schriften McLuhans zu erkennen ist, die darauf ausgerichtet sind, so ungefähr sämtliche Vorurteile einer Fernseh-Generation, in der die funktionale Ungebildetheit bereits weit fortgeschritten ist, zu bestätigen.« Das ist ein Zitat des Yale-Professors Peter Green, Autor des Buches Classical Bearings: Interpreting Ancient History and Culture (London: Thames & Hudson, 1989). Ich habe es auf einer Internetseite gefunden, ohne Angabe des Autors. Als ich fünf Wörter daraus bei Google Book Search eingab, bekam ich die Quelle geliefert und mit ihr einen Großteil des Buches, der mir direkt kostenfrei zur Verfügung stand. Google hatte das Buch gescannt und über ein Zeichenerkennungsprogramm in ein durchsuchbares ASCII-Dokument verwandelt. Sieben Millionen Bücher, die meisten davon vergriffen (einschließlich Peter Greens), waren zum Zeitpunkt meiner Suche von Google gescannt worden.
Es gibt einen hübschen Witz auf dem Umschlag eines Buches von Twitter: »Wenn Morgan Freeman ein Buch liest, wessen Stimme hört er dann?«
Obwohl das Gehirn nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 15 Prozent des Herzminutenvolumens, 20 Prozent des gesamten Sauerstoffbedarfs und 25 Prozent der Zuckerverwertung. Der allein zum Überleben benötigte Energieverbrauch des Gehirns liegt bei 0,1 Kalorien pro Minute, wobei er während der Lösung eines Kreuzworträtsels bis zu 1,5 Kalorien pro Minute (100 W) betragen kann. Patrick R. Hof und Charles V. Mobbs, Hrsg., Functional Neurobiology of Aging (New York: Academic Press, 2000).
All diese Autoren werden heute noch durchgenommen, aber man kann sich schwer vorstellen, an einem Ort und in einer Zeit zu leben, in der sie die Einzigen waren. Ich komme mir manchmal vor wie ein Marsmensch, wenn ich sehe, was die Menschen früher gelesen, gelernt und gedacht haben – wofür sie sich begeisterten, was ihnen wichtig war. Die einzige Faustregel ist die: Universitätsleitungen kommen und gehen, es wird denunziert, Karrieren werden zerstört, Rechnungen beglichen, Menschen sterben, ein Buch wird verfilmt, Moden kommen und gehen, Biographien setzen Schimmel an. Währenddessen behandelt jede neue Generation die Vergangenheit wie eine Schachtel Weihnachtsschmuck, die vom Dachboden geholt wird: Die Entscheidung, was erhalten bleibt und was nicht, beruht auf einer Folge von Ereignissen, die dem willkürlichen Auswahlverfahren von Reality Shows im Fernsehen in nichts nachsteht.
Nordamerikanische Studenten, die in den dreißiger Jahren ein Grundstudium in Cambridge oder Oxford absolvieren wollten, brauchten als Qualifikation ein bereits abgeschlossenes Studium. Erst dann durften sie ihren Bachelor in Englisch im Schnellstudium machen. Gängelei? Oui.
Er (fand) Wörter für sein Schatzhaus … unvermittelt in den Läden, auf Anzeigen, im Mund der schwerfällig trottenden Öffentlichkeit.
Er sagte sie so oft vor sich hin, bis sie allen automatischen Sinn für ihn verloren hatten und zu wundervollen Vokabeln wurden.
James Joyce
Okay, da diese Informationen hauptsächlich aus Wikipedia stammen, ist dies ein guter Moment, von meinem Verhältnis zu Wikipedia zu erzählen. Eines Abends sah ich Marie Antoinette von Sofia Coppola auf DVD und hatte nach zwei Minuten das Gefühl, einen Auffrischungskurs über Ludwig XVI. zu brauchen. Also wikipediatete ich ihn und druckte das Ergebnis aus. Ich setzte mich aufs Sofa, fing an zu lesen, bis auf der dritten Seite stand: »Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass Ludwig XVI. und Marie Antoinette noch ein viertes Kind hatten, einen Jungen, dessen Haut so plastikartig und glänzend war, dass sie ihn nach Nordamerika verschifften, wo er von dem renommierten amerikanischen Filmemacher Paul Thomas Anderson adoptiert wurde.« In dem Stil ging es weiter. Diese Sätze zu lesen, war eine vollkommen irre Erfahrung, als wäre ich aus Versehen in das kulturelle Unterbewusstsein der Welt geschlüpft, als könnte ich sehen, wovon Maschinen träumen.
Man kann sich denken, dass Marshall entsetzt über Wikipedia gewesen wäre, und nicht nur, weil es eine relativ neue Technologie ist und deswegen reflexartig verabscheut werden muss. Vielmehr ist Wikipedia ein weiteres Beispiel dafür, wie das Internet die Sprache verschandelt und zwangsläufig in eine dystopische Zukunft führt. (Frage: War die Zukunft jemals nicht dystopisch? Außerdem treiben sich neben Vandalen Gott sei Dank auch
Bibliothekare im Internet herum und berichtigen Fehler und Unstimmigkeiten.)
Andererseits ist die Sache so: Es spielt keine Rolle, ob ich, als Biograph, in die Bücherhalle fahre und den ganzen Tag dort abhänge – am Ende bekomme ich dieselben Informationen, die ich zu Hause online gefunden hätte. Bekomme ich für die Recherche »vor Ort« einen Herkunftsnachweis? Muss ich Benzinquittungen vorzeigen und meinen Kilometerstand dokumentieren, um gut dazustehen? Das rückt den Begriff »Biographie« in ein neues Licht. Jeder von uns kann von einem Link zum anderen springen – und so machen es heutzutage ja auch die meisten. Warum also eine Biographie schreiben? Vielleicht um ein Bewusstsein dafür zu bekommen, wie es sich angefühlt hat, jemand anderes in einer anderen Zeit zu sein. Vielleicht um neues Licht auf ein altes Thema zu werfen. Vielleicht um neue Denkweisen kennenzulernen. Vielleicht um eine schon vom Verschwinden bedrohte Sichtweise auf die Vergangenheit einzunehmen, der Idee, dass man eine Landschaft am besten betrachtet, wenn sie von nur einer Quelle beleuchtet wird – der Sonne, einer Glühbirne, einer einzelnen Kerze, einem einzelnen Autor –, so dass alle Schatten und Schlaglichter miteinander übereinstimmen.
Frank Raymond Leavis CH (14. Juli 1895–14. April 1978) war ein einflussreicher britischer Literaturkritiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Er unterrichtete und forschte fast sein gesamtes Leben lang am Downing College in Cambridge. (Wikipedia)
Halloween 1988 habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Im Dezember lief ich durch einen Schneesturm zur Arbeit, nieste wie noch nie zuvor in meinem Leben und hatte danach einen Gewebeklumpen in der Hand, der aussah wie eine kernlose grüne Weintraube. Durchzogen von blutigen Äderchen. Ich war natürlich mit den Nerven am Ende und lief sofort zum Arzt, der mir erklärte, ich solle dankbar sein, »Immerhin ist es jetzt draußen«. Wahrscheinlich hatte er Recht. Aber von diesem Morgen an reagierte mein Gehör überempfindlich auf Geräusche, was sich bis heute nicht gebessert hat. Es ist nicht nur Lärm (jeglicher Art), der mich fertig macht (und mit »fertig machen« meine ich, dass ich mitten in der Bewegung erstarre). Am
unangenehmsten sind Laubbläser und Hammer. Aber abgesehen davon kann ich die Geräusche nicht mehr richtig orten. Besonders schlimm ist es in Restaurants. Oder wenn in europäischen Zügen die Leute mit dem Handy telefonieren – Menschen die in geschlossenen Räumen so reden, als wären sie draußen. Für diese Fälle habe ich ein Kärtchen in meiner Brieftasche, auf dem steht: ICH KANN GERÄUSCHE NICHT »ORTEN« UND KANN SIE DESWEGEN NICHT RICHTIG VERSTEHEN. BITTE HABEN SIE GEDULD. Meistens verteile ich es an Mitarbeiter von Fluggesellschaften oder Hotelrezeptionen. Erst halten sie das für eine Almosenmasche, bis sie merken, dass ich es ernst meine. Ich gehe nicht mehr zu Großveranstaltungen. Außerdem habe ich in den zirka 7000 Nächten seitdem keine Nacht mehr ohne Ohrenstöpsel durchgeschlafen, und um 1993, in meiner schlechtesten Phase, hielt ich es in keinem Hotel aus und konnte nur dann arbeiten, egal woran, wenn die meisten Menschen schliefen, nämlich mitten in der Nacht. Als ich also erfuhr, dass Marshalls Gehör verrückt spielte, nachdem man ihm einen Klumpen aus dem Kopf entfernt hatte, wusste ich: »Okay, das ist jemand, über den ich eine Biographie schreiben will.«
Klangassoziationen werden offiziell als »von Klängen ausgelöste psychische Assoziationen, häufig zu beobachten in der manischen Phase einer manisch-depressiven Störung« bezeichnet. Anders ausgedrückt: Eine Klangassoziation ist eine Zusammenstellung von Wörtern aufgrund ihres Klanges, im Allgemeinen eines Reimes, ohne dass ein logischer Zusammenhang erforderlich wäre. (www.about.com)
Richtig, Simon ist ein Cousin von Sasha Baron-Cohen, dem Erfinder von Borat und Brüno.
Die meisten Leute geben an, ihre normale Lesegeschwindigkeit ungefähr in der dritten Klasse erreicht zu haben, und wenn man weiter fragt, werden die meisten zugeben, dass es dabei geblieben ist. Bei Marshall vermutlich nicht. Nachdem er in Winnipeg die Alice Leone Mitchell School of Expression besucht hatte – wo es darum ging, laut und auf Wirkung bedacht zu lesen –, befasste er sich irgendwann mit der Evelyn Wood Reading Dynamics, einer Lehre, in der später sein Sohn Eric unterrichtete und die stummes Lesen propagierte, nur auf den Inhalt konzentriert und ohne jeden Ausdruck.
Sie basierte auf der Annahme, dass jeder Mensch ein einzelnes Wort gleich schnell liest, und ein langsamer Leser Wörter mehrmals liest. Evelyn Woods Methode bestand darin, jedes Wort zu lesen, indem man den Finger oder einen Stift in gleichmäßigem Tempo unter der Zeile mitfahren lässt. Das verhindert mehrmaliges Lesen und führt dazu, dass man schneller mehr aufnimmt.
Die meisten Menschen sprechen, wenn sie ein Buch lesen, die Worte sehr leise aber doch wahrnehmbar hinten in der Kehle mit. Sie wahrscheinlich auch gerade, während Sie das hier lesen … na, merken Sie’s? Es ist keine richtige Bewegung, eher ein fast unsichtbares Körperbewusstsein, ein minimales Mitwirken. Schnellleser versuchen, diese Verbindung zwischen dem Inhalt auf dem Papier und der glottalen, sensorischen (und emotionalen) Mitwirkung zu durchtrennen – und nehmen so den »Effekt« weg, was wiederum der Idee widerspricht, einen Text (egal in welchem Medium) aufzunehmen, die für den New Criticism – und für Marshall – ganz wesentlich war. Funktionierte diese Taktik? Marshall sagte, letzten Endes sei sie nur dazu gut gewesen, Unterlagen zu überfliegen und vielleicht Muster zu erkennen, aber nicht, um einen Text mit Freude zu lesen.
Die Comicfigur Dagwood Bumstead ist in Deutschland bekannt geworden unter dem Namen »Dankwart Bumskopp« in den Heften »Blondie«, dem Namen von Bumsteads Gattin, (Goldmann 1977) und »Bumskopp & Co« (ebenda 1981). A. d. Ü.
Jeder Mensch geht davon aus, dass seine oder ihre Weltsicht die einzig wahre und vernünftige ist. Marshall war da keine Ausnahme. Seine Vorurteile spiegeln sowohl seine Erziehung als auch sein Bekenntnis zum Katholizismus wider. Es will nicht so recht zusammenpassen, dass der Mann in mancher Hinsicht dem Rest der Welt so weit voraus und in anderer so rückschrittlich war. Und ich glaube nicht, dass es darum geht, der Zeit voraus oder hinter der Zeit zurück zu sein. Marshall glaubte nicht an die Zeit. Er glaubte an die Ewigkeit. Das Leben auf Erden war nur eine Phase innerhalb eines längeren Prozesses. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem, was wir »Zeit« nennen, hat ihn womöglich von der Gesellschaft entfernt, aber dass er den Kalender ignorierte, bewahrte ihn auch vor vorgefassten Meinungen und Annahmen, die ihn (und jeden anderen) in seinem Denken begrenzt hätten. Ich erinnere mich an einen alten Film mit Cary Grant und Ingrid Bergman, Berüchtigt, der im Zweiten Weltkrieg in Miami spielt. Es fängt an mit einer Partyszene, in der sich Ingrid Bergman betrinkt und irgendwann sagt: »Cary, wir sind beide so unglaublich betrunken, lass uns irgendwo hinfahren.« Also setzen sie sich in Carys Cabrio, fahren los und werden von einem Polizisten angehalten, der (in etwa) sagt: »Okay, ihr Spaßvögel, seht zu, dass ihr etwas vorsichtiger fahrt, ihr habt beide ganz schön einen im Kahn« … und dann fahren sie weiter. Was mich an der Szene am meisten gewundert hat, war gar nicht mal, dass sie betrunken Auto gefahren sind, sondern die Tatsache, dass sie beide geraucht haben. Womit ich sagen will, dass jeder von uns sich ständig diverser tatsächlicher und gedanklicher Vergehen schuldig macht, die erst noch von zukünftigen Generationen erfunden und verurteilt werden müssen. Das entschuldigt nicht Marshalls Verhalten, erklärt es aber vielleicht ein wenig.
Vortizismus war eine Kunstrichtung, die – wie der Futurismus in Italien – auf die moderne Welt reagierte, indem sie das neue Erscheinungsbild der industriellen und sozialen Landschaft aufgriff und sich – wie der Kubismus – durch ihre facettierte, flüssige Darstellung physikalischer Erscheinungen und der menschlichen Psyche auszeichnete. Ihre literarischen Erzeugnisse beschäftigten sich insbesondere mit der Fragmentierung und der Kraft von Sprache um ihrer selbst willen. Vieles davon erschien in der, von Lewis herausgegebenen, revolutionären Literaturzeitschrift BLAST, die mit textlichen Freiheiten, Layout, Grafik und typografischen Experimenten versuchte, die Message zu veranschaulichen.
Verwandte von mir, die in den fünfziger Jahren in Toronto lebten, erinnern sich an eine gespenstische Langeweile und Ereignislosigkeit – eine Glasglocke, unter der alles unverändert blieb und sämtliche Entscheidungen für das eigene Leben schon von anderen getroffen worden waren. Als sich in den sechziger Jahren dann tatsächlich etwas tat, hatte der jahrzehntelange Stillstand dieselben Leute bereits so programmiert, dass die gesellschaftlichen Veränderungen ihnen Angst einjagten. Allgemein war man der Meinung, dass es von 1960 bis zur Ermordung Kennedys im November 1963 richtig gut lief – und 1967 war ganz okay.
Meinen Beobachtungen zufolge stellen sich Nordamerikaner Geschichte als eine Linie auf einem Schaubild vor, die stets nach oben führt, irgendwohin. Bei Europäern verläuft die Linie tendenziell horizontal, einfach von
links nach rechts. Marshall stellte sich Geschichte als eine Linie mit stark absteigendem Gefälle vor. Nur um meine Position klarzustellen, ich stelle mir Geschichte nicht als Linie vor – ich stelle sie mir als eine sich ständig verformende Masse vor, die eher eine Gestalt als eine Richtung hat.
In Marshalls Augen hatte Kanada keine eigene, übergeordnete Identität – und wahrscheinlich war es gerade das, was Toronto zum Aufbruch in die Internationalität verhalf. Am deutlichsten wurde die Frage nach der Identität vielleicht auf der Weltausstellung ’67 in Montreal, deren Motto eine Welt ohne Nationen war, beziehungsweise »Der Mensch und seine Welt« (obgleich die Pavillons nach Ländern unterteilt waren).
Die Online-Buchverkäufe auf diesen Seiten stammen aus www.abe Books.com, es wurden genug Informationen gelöscht, um die Identität von Verkäufer und Käufer zu schützen.
Dieser durch die Gesellschaft anderer Menschen hervorgerufene Zustand der Enthemmung erklärt vielleicht auch, warum er, vor allem in spä-
teren Jahren, nicht in der Lage war, ein Buch zu schreiben, ohne nicht mit mindestens einem Menschen zusammenzuarbeiten.
Von 185 Autoren, die in Die Gutenberg-Galaxis zitiert werden, sind drei Frauen, was allerdings in erster Linie etwas über die Zeit aussagt.
Eine der eindrucksvollsten und glücklichsten Erinnerungen vieler Menschen, die vor 1950 geboren sind, ist die Ankunft des ersten eigenen Fernsehers.
Explorations erinnert mich in seiner Energie an das Wired-Magazin der frühen neunziger Jahre, wo McLuhan im Impressum als »Schutzheiliger« aufgelistet wurde. Ich kann mich erinnern, dass damals jeder daran herumnörgelte, wie unleserlich das Magazin aufgemacht sei: Sie vermischen die Schriften. Der Text ändert innerhalb des Artikels ständig die Größe. Die Farben tun mir in den Augen weh. Gegen 1995, als ich eine Weile für Wired arbeitete, hatte sich die Typografie-Debatte gelegt, und wenn ich heute das Layout betrachtete, sieht es genauso zahm aus wie eine aktuelle Ausgabe der Mademoiselle.
Ich habe festgestellt, dass McLuhan zu lesen so ist, als lerne man eine neue Sprache, und es ungefähr so viele McLuhan-Experten gibt, die alle ihr eigenes McLuhanisch sprechen wie, sagen wir, Urmennonitisch oder Prä-68er COBOL. Es sind diese Experten, die, vielleicht aus so etwas wie liebevollem, reinem Fantum, Marshalls Sprachtechnik um ihrer coolen Intelligenz willen verbreiten. Aber es war immer das Rätselhafte an Marshalls Ideen, in Verbindung mit seinem mosaikartigen Stil, das so viele Menschen abgeschreckt hat, die wahrscheinlich ihre Freude daran hätten, wenn sie sie besser verstünden. Trotz des ganzen Tamtams in den Sechzigern bis weit in die technischen Neunziger und darüber hinaus gibt es also kaum jemanden, der sich die Gedankenwelt dieses Mannes wirklich erschlossen hat. Die meisten Wissenschaftler haben keine Ahnung (und sind auch durch kein Gesetz dazu verpflichtet), werden aber zugeben, zu glauben, irgendetwas an Marshall sei neu und einzigartig. Sich auf ihn einzulassen ist für viele allerdings wie eine Reise in die Antarktis. Man muss Zeit haben, Geduld, Ausdauer, Hartnäckigkeit und die nötigen Mittel, und ist man erst mal dort, weiß man nicht, was man finden wird.
Das Buch, das Sie in der Hand halten, ist eine allgemeine Biographie mit begrenztem Platz – aber ein kurzer Blick ins Internet füllt sicherlich die eine oder andere Lücke. Der Wikipedia-Eintrag zu Understanding Media ist ausgezeichnet gemacht und kann viel ausführlicher darauf eingehen als hier Raum dafür wäre.
Womit wir wieder bei Fußnote 14 wären.
Tatsächlich wird ausgerechnet auf einer Webseite der kanadischen Regierung darüber hergezogen, wie apolitisch Marshalls Werk sei: »McLuhans Bild vom globalen Dorf hat leider die Machtverhältnisse in einer globalisierten Medienwelt außer Acht gelassen. Selbst wenn man anerkennt, dass Medien in der Lage sind, indigene Kulturen zu dominieren, muss man seine Wertschätzung der oralen Kultur häufig als orientalistisch und romantisch bezeichnen. Weiterhin versäumt er es, entscheidende politische und wirtschaftliche Punkte zu erläutern, wie zum Beispiel die globale Aufteilung von Arbeit oder die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, sowie Probleme des Kapitalflusses, der Umwelt, der Migration und einer von länderübergreifenden Unternehmen aufgedrückten nationalen Souveränität.«
(www.collectionscanada.gc.ca/innis-mcluhan/030003–2060-e.html)
Ein Freund von mir arbeitet bei Microsoft und sammelt McLuhanalien. Er hat mir für dieses Buch einen Großteil seiner Sammlung zur Verfügung gestellt, unter anderem eine Erstausgabe von Counterblast mit einem maschinegeschriebenen kurzen Brief von Beverly Gross, Literaturredakteurin der Zeitschrift The Nation in New York, vom 26. September 1969, mit der Bitte an einen Dozenten der U of T, das Buch zu rezensieren.
Sehr geehrter Mr. X, Hätten Sie Lust, den neuen McLuhan, Counterblast, der nächsten Monat erscheint, für uns zu besprechen? Wir dachten an ca. 1000–1200 Wörter. Wenn Sie das Buch für wichtiger erachten oder im Rahmen dessen gern einen größeren Artikel über McLuhan machen möchten, könnte man unter Umständen auf Essay-Länge gehen (mit bis zu 1800–2000 Wörtern).
Bitten geben Sie uns Bescheid, ob Sie Interesse haben, dann schicken wir Ihnen ein Exemplar.
Mit freundlichen Grüßen, Beverly Gross, Literaturredakteurin
Autor X entschied sich, das Buch zu lesen, und der Ausgabe meines Freundes liegen mehrere handgeschriebene Anmerkungen (mit Füller, nicht mit Kugelschreiber) auf den Rückseiten zweier Fotokopien einer Lyrik-Konferenz in Calgary bei. X’s Notizen sind amüsant zu lesen, weil er ganz offensichtlich schon vorhatte, McLuhan zu verreißen, bevor er das Buch gelesen hatte. Seine erste Notiz lautet: »Jetzt also Harcourt-Brace. Scheint so, als wolle jeder einen McLuhan.« Hmmm … der Ton gefällt mir nicht.
Der Punkt ist, dass, wenn Ende der sechziger Jahre jemand eines seiner Bücher besprach – was immer seltener wurde (Take Today von 1971 ging spurlos unter) –, man mit einer Häme über ihn herfiel, dass es schon ein bisschen beängstigend war.
Twitter, 20. Juli 2009
März 2009. Zwanzig Jahre, nachdem ich ein Fax von Marshalls Grabsteinabdruck um die Welt geschickt habe, finde ich in meinem E-Mail-Postfach ein hochaufgelöstes Farbfoto von Marshalls kürzlich aufpoliertem Grabstein, das mir ein Angehöriger von ihm aus Toronto geschickt hat. Corinne McLuhan war 2008 gestorben, und Marshalls Stein wurde geputzt, damit er besser zu ihrem passte. Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde, das Foto herunterzuladen, und wenn man es vergrößern und auf einen Bus drucken würde, wäre es immer noch gestochen scharf.