Freunde

Der Mann befindet sich nun bei uns in der Kate. Er hat ein verletztes Bein. Eda wird es sich ansehen müssen, wenn sie hier ankommt. So können wir nicht weiter. Wo sind die anderen?, nahm Wulf geistigen Kontakt zu Eleia auf.

Sie sind nicht weit entfernt. Morgen früh werden sie bei euch sein.

Wulf nickte knapp während er weiter telepathierte. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass der Mann noch einmal eine wichtige Rolle einnehmen wird. Ich kann dir nicht sagen, wie ich darauf komme. Aber ich lasse ihn nicht zurück.

Ich vertraue auf dein Urteil. Eda wird ihn heilen. Viel Glück!

Bis morgen und Danke.

Wulf hüllte sich in seinen Umhang und schlief ein. Sein Unterbewusstsein prüfte jedoch ständig die Umgebung auf etwaige Gefahren. In der Ferne spürte er die vertrauten Auren seiner Freunde, die er morgen wieder sehen würde. Die Dendraks kamen nicht in die Nähe der Kate. Offensichtlich hatte er die Spuren erfolgreich verwischt.

 

In den frühen Morgenstunden spürte Wulf die nahe Anwesenheit seiner vier Freunde. Freudestrahlend öffnete er die Tür der Kate und umarmte sie.

„Kommt herein. Wie war eure Reise?"

„Wir sind weder Grauen und ebenso keinen Bestien begegnet. Wir sollten aber schnell aufbrechen. Nagu hat einen Wetterumschwung vorhergesehen. Seid Ihr fertig?"

„Wir haben alles gepackt“, sprach Wulf. „Eda sollte sich aber noch das Bein unseres neuen Reisegefährten ansehen. Er hat sich verletzt und so kann er nicht mit uns kommen." Wulf stellte die Neuankömmlinge vor und Eda behandelte Bent sofort. Binnen kürzester Zeit konnte er von der Verletzung nichts mehr spüren und sie waren bereit zum Aufbruch.

 

Zur Mittagszeit wurde das Gelände für den Karren nicht mehr befahrbar. Sie spannten die Ochsen aus, beluden sie mit dem Gepäck und marschierten weiter zu Fuß den immer steiler werdenden Weg hinauf. Es wurde kälter und ein scharfer Wind blies ihnen ins Gesicht. Maria und Ellen, die das Kind in dem Tragetuch mit sich führte, gingen in der Mitte der Gruppe und wurden so ein wenig vor dem Wind geschützt. Immer wieder mussten Pausen eingelegt werden, weil die beiden Frauen vor Erschöpfung kaum mehr einen Fuß vor den anderen setzen konnten. So dauerte es bis zum frühen Abend, dass sie den schmalen Abzweig erreichten, der sie zu einer unscheinbaren Öffnung im Felsen führte.

Wulf blieb plötzlich stehen. Er spürte eine Gefahr.

Es war keine Magie, die auf ihn einstürmte. Er spürte Blutgier, Brutalität und den unbändigen Wunsch zu töten.

Sie waren aufgespürt worden. Das waren Dendraks. Und sie waren schon sehr nahe.

„Dendraks! Lauft!", schrie er gegen den heulenden Wind an. Ohne zu zögern, fassten die vier Weißmagier Maria und Ellen unter den Armen und zogen sie schnell die letzten Meter zum Höhleneingang. Paul und Wulf zogen und schoben die Ochsen den Weg hinauf. Die Tiere mussten aber nicht besonders angetrieben werden. Auch sie hatten die Gefahr gewittert. Höher und höher ging es den steilen Weg hinauf. Die Frauen erreichten den Eingang zuerst und betraten die dunkle Höhle. Die Tiere folgten und zuletzt betrat Wulf den Eingang. Schnell legte er eine magische Barriere vor die Höhle. Die Dendraks würden hier nur noch nackten Fels erkennen. Gleichzeitig nahm Wulf Kontakt mit Eleia auf.

Eleia. Der Eingang muss stärker geschützt werden. Wir wurden von Dendraks verfolgt. Ich denke nicht, dass sie gesehen haben, an welcher Stelle wir den Felsen betreten haben. Sollten sie aber Graue hierher führen, weiß ich nicht, ob meine Absicherung ausreichen wird!

Wir werden das sofort erledigen. Seid ihr alle wohlauf? Wie geht es Maria?

Maria ist sehr erschöpft. Ihr Mann wird sie den restlichen Weg durch den Tunnel tragen. Wir wollen kein Risiko eingehen. Wir sind bald bei euch.

Paul nahm die erschöpfte Maria auf seine Arme und Wulf ging der Gruppe voran. Der Boden war glatt und der Weg führte sie immer tiefer in den Felsen.

Nach einem Fußmarsch von einer Stunde erreichten sie das Ende des Weges. Vor ihnen tat sich eine weite Ebene auf. Selbst im immer schwächer werdenden Licht des endenden Tages erkannten sie satte Weiden, klare Quellen, die dem Berg entsprangen und Bäche füllten, die die Ebene durchzogen. Zwei Siedlungen aus kleinen, hölzernen Häusern lagen zwischen ausladenden Getreidefeldern und großen Gemüsegärten. In mehreren Gattern sahen sie Rinder und Pferde.

Eine Gruppe in lange, braune Umhänge gehüllte Menschen kam auf sie zu.

„Ich bin Eleia. Wir freuen uns, dass ihr nun bei uns seid. Tara, hol bitte einen Wagen für die beiden Frauen, sie sollen sich nicht weiter anstrengen müssen."

Eine junge Frau lief den Weg zurück zu einer der Siedlungen und kam Augenblicke später mit einem kleinen Wagen zurück, der von einem weißen Pferd gezogen wurde. Paul legte Maria auf die Ladefläche und Bent half Ellen hinauf. Dankbar lächelte ihm Ellen zu. Bent zog seinen Mantel aus und legte ihn vorsichtig um Ellen und das Baby.

Die ersten Sterne waren schon am Himmel über dem Tal zu sehen, als sie die Siedlung erreichten. Für die Menschen war es ein seltsames Gefühl, um diese Uhrzeit nicht in einer verbarrikadierten Unterkunft zu sitzen, sondern sich noch unter freiem Himmel aufzuhalten. Aber hier gab es keine Dendraks. Hier gab es keine Grauen.

Eleia führte die Gruppe in eines der Häuser.

„Wir haben euch für heute Nacht dieses Haus hergerichtet. Morgen werden wir dann sehen, wie wir euch am Besten unterbringen. Morgen werden wir alle eure Fragen beantworten. Erholt euch nun, hier seid Ihr in Sicherheit."

Zögernd betraten die Neuankömmlinge das Haus. Alles sah freundlich und hell aus. Viele Kerzen beleuchteten einen gemütlichen Raum, in dessen Mitte auf einem langen Tisch mehrere Schüsseln mit Suppe und Körbe mit Brot standen. Neben dem Tisch hatte man eine, mit weißem Tuch ausgelegte, Wiege aufgestellt. Ellen legte das Baby hinein und setzte sich neben die Wiege an den Tisch. Bent setzte sich zu ihr und sprach: „Warte. Ich fülle dir die Suppe auf. Magst du auch eine Scheibe Brot?"

Ellen dankte ihm mit einem kurzen Nicken und einem Lächeln.

Wulf beobachtete die beiden sichtlich erfreut. Sollte sich hier ein Paar gefunden haben? War das der Grund, warum er Bent mitnehmen musste?

Alle waren sehr hungrig und langten tüchtig zu. Eleia sorgte dafür, dass die Schüsseln immer wieder nachgefüllt wurden und man den Tisch, nachdem alle mit der Mahlzeit fertig waren, zügig abräumte.

Einige Männer betraten den Raum, trugen den Tisch hinaus und stattdessen breite, bequeme Pritschen hinein.

„Wie gesagt, das hier ist nur ein Provisorium", erklärte Wulf. „Morgen werdet ihr eure Quartiere zugewiesen bekommen. Ihr seid hier in absoluter Sicherheit. Wir wachen über euch." Er folgte Eleia hinaus in die Nacht. Draußen wand sie sich an ihn: „Ich habe noch nie eine so starke magische Präsenz wie bei diesem ungeborenen Kind gespürt. Du hattest Recht. Sie ist es. Die Zeit der Befreiung ist nahe. Der Rat hat den Eingang zu unserer Zuflucht versiegelt. Niemand wird ihn bemerken, auch die Grauen nicht. Jetzt geh auch du schlafen. Du hast deine Aufgabe wunderbar erfüllt. Gute Nacht."

Wulf durchquerte das Dorf und betrat ein Haus am Rande der Siedlung, direkt neben einer kleinen Apfelplantage. In diesem Tal war von dem Sturm, der außerhalb der Felsmassive tobte, nichts zu spüren. Die hohen Felsen, die es umgaben, hielten die Wolken zurück und er sah tausende Sterne am Firmament. Aber er wusste auch, dass da draußen noch etwas anderes war. Er spürte die Macht, die die ganze Welt in ihren Klauen hielt. Die sie hielt und erst freigeben würde, wenn das Kind, das das Licht der Welt noch nicht erblickt hatte, seine volle Kraft entwickelt hatte. Alle im Tal fieberten diesem Augenblick entgegen. Sie würden das Kind beschützen und ihr Leben dafür geben, damit es heranreifen und diesem Spuk ein Ende bereitet. Wulf ging in seinen Schlafraum und legte sich so, wie er war in das breite Bett. Er schlief sofort ein.

Ein unerwartetes Geräusch weckte ihn. Zunächst konnte er es nicht einordnen. Es passte nicht in seinen Traum. Er träumte wie immer von Doreen. Da war das Geräusch wieder. Ein leiser, feiner Schrei. Wulf sprang aus dem Bett. Er wusste jetzt, was es war. Er spürte die mächtige Präsenz.