8.5 Führt nur eine Religion ins Paradies?

Obgleich die Bahai eine eigene Botschaft verkünden und durchaus hoffen, weitere Anhänger zu gewinnen, behaupten sie keinen „Heilsexklusivismus“. Das heißt, sie vertreten nicht, dass Gott alle Nicht-Bahai von sich weisen werde. Glauben und Taten der Menschen seien Ihm aber auch nicht egal – sie vertreten keinen „Heilsrelativismus“. Stattdessen schaue Gott in gerechter Weise auf Herz und Handlungen aller Menschen, das Mitwirken auch von Nicht-Bahai auf dem Wege zur dreifachen Einheit sei also auch für die Betreffenden segensreich. Diese Haltung, die auch Anders- und ggf. gar Nichtglaubenden den Himmel öffnet, insofern sie sich in Überzeugungen, Werten und Werken auf die Wahrheit zubewegen, wird „Heilsinklusivismus“ genannt.

Und die große Überraschung ist: Bei näherer Betrachtung ist der Heilsexklusivismus die gewachsene Lehrauffassung nicht nur der Bahai, sondern aller Weltreligionen!

Beginnen wir mit dem Judentum: Juden nehmen zwar eine besondere Erwählung im Sinne einer Beauftragung durch Gott an, behaupten aber ausdrücklich nicht, dass alle Nichtjuden von Gott verstoßen würden. Vielmehr beten bereits zu Tempelzeiten auch gottglaubende Nichtjuden in einem Vorbereich und die frühen Rabbiner entfalten die Lehre des „Noachidischen Bundes“, nach dem sich Gott im Zeichen des Regenbogens allen Menschen und Lebewesen zuwende. Daher halten Juden die Mission für unnötig und weisen auch Konversionswillige darauf hin, dass niemand Jude werden müsse, um vor Gott zu bestehen: Wer etwa die Noachidischen Gebote einhalte, könne „Anteil an der kommenden Welt“ erhalten.

Wie aber ist es mit dem Christentum? Haben nicht christliche Kirchen über Jahrhunderte hinweg allen Nichtchristen und auch Abtrünnigen, schließlich sogar einander mit Hölle und Tod gedroht? Ja, haben sie (und tun es teilweise noch) – doch auch hier hat sich die Theologie mit guten Gründen in Bibel und Jesustradition längst weiter entwickelt. So erkannte die größte, christliche Kirche – die katholische Kirche unter dem Papst von Rom – im Zweiten Vatikanischen Konzil und damit dem höchsten Lehramt offiziell an, dass auch andere Christen, Juden, Muslime und Andersglaubende vor Gottes Gericht Bestand haben können. Und auch über Nichtglaubende heißt es im von Papst und Bischöfen gemeinsam beschlossenen dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“:

„Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein rechtes Leben zu führen sich bemühen. Was sich nämlich an Gutem und Wahrem bei ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe.“

Auch im Koran, der Heiligen Schrift des Koran, wird in Sure 2, Vers 62 ausdrücklich eine Heilsmöglichkeit auch für Nichtmuslime benannt:

"Die Gläubigen, die Juden, Christen, Sabäer und diejenigen, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben und gute Werke verrichten und einen guten Lebenswandel führen, haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Sie brauchen keine Angst zu haben, und sollen nicht traurig sein"

 

Ebenso haben Sikhs keinen Heilsexklusivismus entwickelt, sondern in den verschiedensten Anrufungen Gottes in den Religionen Wahrheiten gesehen. Hindus, Buddhisten und Taoisten sind ebenfalls heilsexklusive Ansprüche fremd, wenn sie auch durchaus darauf hinweisen, dass ihr je eigener Weg mit besonderen Vorzügen im Hinblick auf die höchsten Ziele versehen sei.

In der Summe lässt sich daher religionswissenschaftlich festhalten, dass ein populäres Vorurteil schlichtweg falsch ist: Es vertreten keineswegs alle Religionen die Auffassung, dass grundsätzlich alle Anders- und Nichtglaubenden verdammt wären. Zwar gibt es solche extrem-intoleranten Gruppen innerhalb aller Weltreligionen, doch kennen diese meist mehrheitlich ein ausgewogeneres Bild: Demnach gebe es eine Wahrheit und einen Erlösungsweg – einen Berggipfel -, der jedoch Menschen auf anderen Glaubenswegen nicht verschlossen sein müsse, insofern diese aufrechtes Bemühen und Annäherung an die Wahrheit aufzeigen.

Wenn es einen Sich offenbarenden Gott gibt, so scheint dieser nach dominierender Auffassung aller Weltreligionen sehr viel gütiger gegenüber der Vielfalt des Lebens zu sein, als weitverbreitete Klischees behaupten.