7.5 Sikhismus, Sozialstaat und Wirtschaftsethik
Bereits den britischen Kolonialherren galten die (Khalsa-)Sikhs als besonders fähige, fleißige und zuverlässige Partner, die es in Armeen, Verwaltungen und Unternehmungen bald zu tragenden Funktionen brachten. Auch außerhalb Indiens brachten es Sikh-Zuwanderer immer wieder zu Wohlstand und einflussreichen Positionen in Wirtschaft und Politik.
Hintergrund für diese besondere Wirtschaftsethik ist die Überzeugung der Sikhs, dass alle Gurus für ihren Lebensunterhalt gearbeitet und Zuwendungen ihrer Anhänger so weit wie möglich gemieden hätten. Entsprechend sind für fromme Sikh-Männer Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit von Zuwendungen anderer, und sei es des Staates, ebenso beschämend wie dauerhafte Kinderlosigkeit für Sikh-Ehepaare.
So hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren die erstaunliche Situation entwickelt, dass ein Großteil der beliebten Pizzalieferdienste von Sikh-Familien betrieben wird. Denn bei der Zubereitung und Auslieferung der meist italienischen und indischen Speisen können die Sikh-Kleidungs- und Verhaltensgebote problemlos eingehalten werden. Und dass der Stundenlohn oft deutlich unter den Margen liegt, die mit Sozialhilfen zu erzielen wäre, hat viele Nicht-Sikhs zur Aufgabe bewogen und damit auch neu zugewanderten Sikhs Nischen für aktive Selbständigkeit eröffnet. Zugleich werden die Kinder angehalten, sich in der Schule zu bemühen. Wie bereits in Großbritannien, den USA und Kanada so ist also auch für Deutschland das Entstehen eines zahlenmäßig zwar kleineren, aber aktiv aufstrebenden Sikh-Bürgertums zu erwarten.
Wenn Sie also in Deutschland eine Pizza bestellen, so stehen die Chancen inzwischen gut, dass diese von gottesfürchtigen Schülerinnen und Schülern des Guru Nanak mit dem Familiennamen Singh zubereitet und ausgeliefert wird. Sie sind zugleich ein lebendiger Beleg dafür, dass sich religiöse Lehren sehr direkt und längerfristig auch auf das wirtschaftliche Verhalten von Menschen auswirken können.