5.3 Das Rad der Lehre – Der Buddhismus wird Weltreligion

In einer schönen und symbolisch oft ausgestalteten Aussage des Buddhas habe dieser durch die Aufnahme der Verkündigung „das Rad der Lehre in Bewegung“ gesetzt. Nach seinem Tod wurden laut Überlieferung die Lehren Buddhas auf einem Konzil beraten, mehr oder weniger vereinheitlicht und mündlich weiter gegeben. Aus dieser Zeit sind auch bereits erste Stupas belegt. Eine große Rolle für die Ausbreitung und Ausformung des Buddhismus spielte König Ashoka (268 – 239 v. Chr.), der die aufstrebende religiöse Lehre annahm und, unter Tolerierung anderer Religionen, zur Befriedung seines Reiches einsetzte.

Erst im 1. Jahrhundert vor Christus wurden die mündlichen Überlieferungen zusammen mit weiterem, zugewachsenem Material zum bereits erwähnten Pali-Kanon verschriftet. Von diesem liegen der Wissenschaft bislang nur Abschriften und Übersetzungen vor, die weitere Jahrhunderte später entstanden und teilweise Abweichungen enthalten. Zudem entwickelte sich schnell ein regional unterschiedliches Schrifttum mit Biografien des Buddha und seiner zahlreichen Vorleben, die selbstverständlich nicht historisch-kritisch im modernen Sinne sind, sondern auch Deutungen und Legenden enthalten.

Beispielsweise wird in später entstandenen Texten berichtet, der Buddha sei als weißer Elefant in den Mutterschoß eingegangen und auch die geistige und moralische Reinheit jener verheirateten Mutter, bis hin zur Betonung eines Keuschheitsgelübdes, das ihr Mann geachtet habe, wird betont. Bei seiner Geburt hätten die Götter Indra und Brahma assistiert, der Neugeborene aber habe sogleich gesprochen und sich als der zukünftige Erleuchtete bekannt.

Auch das Bilder- und Anbetungsverbot des frühen Buddhismus wurde, auch unter dem Einfluss griechischer Kunst, schließlich durchbrochen und führte schließlich zu einer Vielzahl immer größerer, symbolisch stilisierter und z.B. auch vergoldeter Statuen. In den unterschiedlichen Zügen der sprachlichen und künstlerischen Buddhatraditionen deuten sich dabei bereits die späteren Schulen, „Fahrzeuge“, an.

So entfaltete sich in Gebieten Süd- und Ostindiens, in Sri Lanka, Birma, Thailand, Laos und Kambodscha die Theravada-Tradition („Lehre der Ordensältesten“), die für sich in Anspruch nahm und nimmt, besonders streng am ursprünglichen Buddhismus orientiert geblieben zu sein. Die Erlösung blieb demnach der Sangha und, nach Erlöschen der Nonnenorden, den Mönchen vorbehalten. Laien konnten sich durch gute Werke (etwa Gaben an die Mönche, die buddhistische Erziehung von Kindern, eigener Meditation unter Anleitung von Mönchen etc.) allenfalls eine bessere Wiedergeburt, möglichst als zukünftige Mönche, erhoffen. Entsprechend wurde diese Traditionslinie als Hinayana, „kleines Fahrzeug“, bezeichnet, wobei einige diese Bezeichnung übernahmen, andere sie aber bis heute ablehnen.

Über China bis in die Mongolei, nach Korea und Japan breitete sich daneben, in zahlreichen Varianten, eine Lesart des Buddhismus aus, die auch Laien Erlösungswege verhieß. Denn hatte nicht auch der Buddha in vielen seiner vorherigen Geburten (Jatakas) als Laie Großes gewirkt? Und hatte nicht auch er noch für Jahrzehnte auf den Eingang ins Parinirwana verzichtet, um andere Wesen auf dem Weg zur Erlösung zu helfen? Diese Ansätze erlaubten nicht nur die Aufnahme zahlreicher, regionaler Götter und Heroen in die buddhistische Mythologie, sondern auch die Verehrung von Bodhisatvas (Erleuchtungswesen), die wie der Buddha den eigenen Eingang ins Parinirwana aufschoben.

So entwickelte sich beispielsweise in China die Lehre vom Buddha Amithaba („Grenzenloses Licht“), der ihn Anrufenden aus reiner Liebe die Wiedergeburt in einem paradiesischen „Westlichen Paradies“ verheiße, wo sie dann auch das Nirwana erlangen könnten. Als katholische Missionare mit diesen Lehren erstmals in Berührung kamen, meldeten sie empört nach Rom zurück, die „protestantische Ketzerei“ – die Lehre von der unverdienten, geschenkten Gnade – sei schon bis nach Japan vorgedrungen! Tatsächlich aber gehörten die Amithaba-Lehren, wie beispielsweise auch der Zen-Buddhismus, unter das Dach des Mahayana, „großen Fahrzeugs“, das neben Mönchen auch Nonnen und Laien Wege zur Erlösung verheißt.

Ein Zweig des Mahayana-Buddhismus verschmolz in Nordindien und später Tibet bis in die Mongolei besonders intensiv mit den vorgefundenen Religionen. So verweist auch der Name Vadjrayana („Diamant-Fahrzeug“) auf den Vadjra-Donnerkeil des hinduistischen Gottes Indra. Den Lamas (tibetisch: „Höherstehenden“) kommt in diesen Traditionen besondere, vermittelnde Bedeutung für die Lehre und auch im Umgang mit den zahlreichen Geistern und Gottheiten zu. Sie weisen auch ausgewählte Schüler in das Tantra ein: Teilweise vorbuddhistische, magische und bisweilen auch sexualmagische Lehren, die zur Verschmelzung und Aufhebung von Gegensätzen sowie zu höheren Wahrheiten führen sollen. Durch die chinesische Besetzung Tibets und die Flucht des tibetischen Dalai Lama und anderer bedeutender Autoritäten breitet sich der Vadjrayana-Buddhismus einerseits weltweit aus, ist aber auch starken und bisweilen konfliktreichen Reform- und Veränderungsprozessen unterworfen.

In Indien selbst ging der Buddhismus wieder weitgehend unter, als er von einem erneuerten Hinduismus wieder aufgesogen wurde. So verkündeten (nord-)indische Brahmanen und Wanderasketen den Buddha bald als eine weitere Inkarnation des Hindugottes Vishnu, was gegenüber den oft schroffen Abwertungen der ersten Zeit zwar eine deutliche Anerkennung ausdrückte, zugleich aber auch die buddhistische Botschaft vereinnahmte und entschärfte. Abgrenzungen verloren ihre Kraft, der Buddha galt vielen nur noch als eine Gottheit unter vielen und buddhistische Stätten wurden hinduistisch überformt oder aufgegeben. Dem Vorrücken des Islam fielen weitere, überwiegend bereits schrumpfende buddhistische Zentren zum Opfer.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts schien der indische Buddhismus fast spurlos verschwunden zu sein. Doch ein einflussreicher Reformpolitiker aus den Reihen der Kastenlosen, Bhimrao Ramji Ambedkar (1891 – 1956), wandte sich aus Protest gegen das Kastenwesen dem Buddhismus zu – und Hunderttausende zuvor „Unberührbarer“ folgten ihm. Auf Ambedkar geht auch die Aufnahme des buddhistischen Dharma-Rades in die indische Nationalflagge zurück.

Großen Anklang fand der Buddhismus – in westlich-rekonstruierten Formen – auch im entstehenden Bildungsbürgertum der westlichen Welt. Eine große Rolle im deutschsprachigen Raum spielte zum Beispiel der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), der sich schließlich als „Buddhaist“ bekannte und neben vielen weiteren auch Richard Wagner  (1813 – 1883) und Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) beeinflusste. Europäische und gerade auch deutsche Denker begannen den „arischen“ Buddhismus gegen den „semitischen“ Monotheismus zu kontrastieren, der bildungsbürgerliche Buddhismus bekam antisemitische und antikirchliche Züge.

Westlich Gebildeten erschien - und erscheint - der Buddhismus als individualistische, erfahrungsorientierte und dogmen- wie gottlose Religion, die zudem ein elitäres Wissens- und also Bildungsverständnis auszeichne. Die Tradition wird einerseits als besonders tolerant und friedfertig wahrgenommen, zugleich aber auch im Hinblick auf ihre Zen- und Kriegertraditionen (Samurai, Bogenschießen etc.) geschätzt. Auch erklärte Nationalisten vermochten sich mit dem „arischen Überwinder aus einem Kriegergeschlecht“ zu identifizieren. Umgekehrt sahen manche Buddhisten Asiens in Hitler als Verbündeten Japans und Gegner von Großbritannien, Russland und Kommunismus einen pro-buddhistischen Streiter, zumal das Hakenkreuz (Swastika, Sanskrit: Das Heilbringende) in Hinduismus, Buddhismus und chinesischen Religionen als verheißungsvolles, religiöses Symbol gilt. So entging der Buddhismus in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen religiösen Minderheiten auch nationalsozialistischer Verfolgung.

Aber  auch Intellektuelle mit jüdischem Hintergrund wie die Berlinerin Ilse Kussel (1923 1997), die vor den Nationalsozialisten nach Shanghai fliehen musste, gewann nach dem Krieg als buddhistische Nonne Ayya Khema eine große Zuhörer- und Anhängerschaft gerade auch in Deutschland. In den meisten europäischen und amerikanischen Staaten haben sich inzwischen verschiedene buddhistische Schulen und Zentren organisiert, wobei die Gemeinden westlicher Konvertiten und buddhistischer Migranten meist noch getrennte Wege gehen.

Auch weit über den Kreis praktizierender Buddhisten hinaus populär wurde der tibetische Bauernsohn Tenzin Gyatso, der 1940 im Alter von fünf Jahren als Wiedergeburt des 13. Dalai Lama und damit amtierenden Gottkönigs entdeckt wurde. Nach seiner Flucht vor den chinesischen Besatzungstruppen im Jahr 1959 und seinem Festhalten am gewaltlosen Widerstand gegen die neue, sozialistische Weltmacht wurde er zur neben dem christlich-katholischen Papst weltweit bekanntesten und beliebtesten religiösen Autorität. Derzeit findet zwischen der kommunistischen Partei Chinas und der tibetischen Exilregierung in Indien eine bezeichnende Auseinandersetzung um die Fragen der Benennung und Anerkennung des 15. Dalai Lama statt, sollte der jetzt amtierende 77jährige (2012) sterben und also eine neue Wiedergeburt benötigen.