2.5 Christus, die unbesiegte Sonne
Vielleicht haben Sie sich bereits einmal gefragt, warum ausgerechnet Europa, diese halbinselförmige Erweiterung am asiatischen Großkontinent, eine so große Bedeutung in der Menschheitsgeschichte gewann. Dem US-amerikanischen Evolutionsbiologen Jared Diamond gelang der Nachweis, dass dies nichts mit rassischer Überlegenheit, aber sehr viel mit Geografie zu tun hatte.
Wenn Sie sich eine Weltkarte anschauen, so werden Sie feststellen, dass alle (anderen) Landmassen – Afrika, Nord- und Südamerika, Südostasien bis Australien – in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet sind. Und dies bedeutet auch: Kulturelle Errungenschaften wie etwa Jagdtechniken, der Getreideanbau, die Tierzucht, die Entwicklung von Rädern, Wegen und Reichen usw. konnten sich nur jeweils wenige Hundert Kilometer ausbreiten, bevor ihnen wiederum andere Klimazonen „im Weg standen“. Ganz anders dagegen Eurasien: Nur hier konnten Errungenschaften entlang der späteren Seitenstraße vom heutigen China bis nach Spanien hin- und hergetauscht werden, im Westen noch einmal verstärkt durch das buchstäbliche „Mittelmeer“, ein idealer Verkehrs- und Handelsknoten.
Einen enormen Schub brachte die Bronzezeit im dritten bis zum ersten Jahrtausend vor Christus, mit der nach der Steinzeit (Lithikum) die Metallzeit (Metallikum) einen ersten Durchbruch erreichte. Denn Bronze war nicht irgendein Metall, sondern konnte sehr viel eindrucksvoller und auch vielseitiger genutzt werden als das zuvor verwendete Kupfer. Mehr noch: Bronze konnte nur aus der Verbindung von Kupfer (90%) und Zinn (10%) gewonnen werden, was den Handel zwischen Kupfer- und Zinnlagerstätten für Herrschende bald überlebensnotwendig machte. Die gold- und bronzestrahlende Sonne bot sich als gemeinsame Gottheit der Bronzehändler an. Sie verkörperte bald auch (in regionalen Ausprägungen) die überregionale Ordnung und Sonnenkalender wurden nicht mehr nur für den Ackerbau, sondern auch für den Handel wichtig. Kein Wunder, dass bald in bronzezeitlichen Mythologien von Asien über Ägypten bis nach Skandinavien Barken, Wägen und Schlitten nicht nur Güter beförderten, sondern auch die Leben schenkende Sonnenscheibe selbst. Mit Pharao Echnaton ist der historisch erste Versuch belegt, eine Art Monotheismus rund um die Sonnenscheibe Aton zu etablieren und auch Jerusalem entfaltete sich als bronzezeitliche Stadt mit Sonnenheiligtum (auf dem dann der Tempel errichtet wurde). Im biblischen Psalm 19 wird bis heute die Sonnenreise, nun zur Herrlichkeit Gottes, besungen.
Mit dem Aufkommen des Eisenzeitalters geriet die bronzezeitliche Welt wieder aus den Fugen, doch blieben Sonnenkulte überall präsent. Und in der so genannten „Achsenzeit“ im ersten Jahrtausend vor Christus entstanden auf der Suche nach neuen Antworten die Wurzeln aller heutigen Weltreligionen und Philosophien entlang der eurasischen West-Ost-Achse: Von Sokrates über Abraham und Israel bis hin zu Buddha und Laotse.
Als sich also das Christentum aus dem Judentum heraus entwickelte, traf es überall auf Sonnenkulte und deren Feste, die es in sich aufnehmen konnte. Und hatte nicht Jesus selbst laut Johannes 8,12 verkündet, „Ich bin das Licht der Welt.“?
Entschieden handelte schließlich der bereits erwähnte Kaiser Konstantin, der Jesus mit dem auch unter Soldaten populären Sonnengott „Sol invictus – unbesiegbare Sonne“ identifizierte. Bald verschmolz auch dessen Hochfest zur Wintersonnenwende mit dem Weihnachtsfest, wie es auch den weiteren Übergang vom jüdischen Sabbat zum christlichen Sonn-Tag (nach christlicher Überlieferung auch der Auferstehungstag Jesu) beförderte. Der Sonnenkalender hatte sich in Abgrenzung zum jüdischen Mondkalender ebenfalls durchgesetzt und zur Sommersonnenwende wurden Feste zu Ehren von Johannes dem Täufer angesetzt, hatte dieser doch laut Johannes 3,30 gesagt: „Er (Christus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Heutige christliche Lichtsymboliken reichen von Advents- und Weihnachtskerzen bis zum Osterlicht, Kirchengebäude werden häufig zum Sonnenaufgang hin ausgerichtet und auch Ostergottesdienste wieder zunehmend bewusst mit den ersten Sonnenstrahlen als Sieg des Lichtes über den Tod gefeiert.
Während die frühe, religionsgeschichtliche Forschung zu diesen und unzähligen weiteren Vorgängen der Religionsvermischung (Synkretismus) das christliche Selbstverständnis durchaus erschütterte, sind heute viele Christen – und auch viele christliche Gelehrten – zunehmend stolz darauf zu erkennen, wie es der Botschaft vom Mensch gewordenen Gott gelungen ist, sich mit unzähligen alten Traditionen, Kulten und Kulturen zu verbinden und diese dadurch zur Anbetung des Einen Gottes zu versammeln. So sprach auch die katholische Kirche im 2. Vatikanischen Konzil sowohl im Hinblick auf den Dialog mit anderen Religionen wie auf die Inkulturation des christlichen Glaubens in neue Gesellschaften davon, dass alle Völker nach Gott suchten und sich entsprechend „Strahlen der Wahrheit“ auch in anderen Religionen fänden. Und als Quelle all dieser Strahlen gilt – Gott.