KAPITEL VIERZEHN
Hopes Geister gaben in der Dämmerung auf. Sie hörten auf, am Kamin zu rütteln, wenngleich sie es fertigbrachten, ein altes Vogelnest von seinem Platz zu schütteln (sehr zur Freude der Katzen, die es schredderten und im ganzen Haus verteilten). Sie hörten auf, an Rohre zu pochen und um den Dachboden herumzustreifen. Und sie gaben den Versuch auf, durch Bodenabflüsse im Keller in das Haus einzudringen, wobei ihr Atem klang wie Wind, der über offene Flaschen hinwegpfiff. Das Rasseln und Schütteln wurde weniger und weniger, bis es ganz vorbei war. Der Komposthaufen brannte nieder, bis das Feuer erloschen war, und der Geruch von verbranntem Kaffeesatz durchzog das Haus.
Katie nahm an, dass sie einfach erschöpft waren; dass sogar Geister wie diese eine Pause brauchten, ehe sie einen neuen Versuch starten konnten. Trotzdem ließ Anya Katies Festung nur vorsichtig und gut bewaffnet hinter sich. Katie hatte Anya mit der Drachenblutfarbe eine schützende Rune auf die Haut gemalt, die sie Elhaz nannte – sie sah aus wie der Großbuchstabe Y mit einer dritten, jedoch senkrechten Linie im oberen Teil, durch den das Schriftzeichen eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Mistgabel erhielt. Sie malte sie mit der roten Farbe auf Anyas Rücken und erklärte, die Farbe sei wie Henna. Sie würde in ihre Haut einsickern und tagelang dort bleiben. Als Anya sich anzog, erhaschte sie immer wieder aus dem Augenwinkel einen vagen Blick auf die Rune und musste sich beherrschen, nicht instinktiv nach dem Insekt zu schlagen, das dort zu hocken schien. Aber eigentlich war die Rune nicht so hässlich, verglichen mit den rosaroten Narben auf ihrer Brust, die von den Geistern, die sie verschlungen hatte, zurückgeblieben waren. Ihre neuen Kleider fühlten sich kratzig und fremd auf der Haut an.
Katie hatte Stechpalmenzweige in den Molchkoffer gelegt und erklärt, Stechpalmen wären eine heilige Schutzpflanze der Druiden. Der Geruch erinnerte Anya allerdings viel zu sehr an Weihnachten, an furchtbare Brände und Verluste, die das Fest der Liebe mit sich bringen konnte. Sie kämpfte den Drang nieder, die Zweige aus der Masse der pulsierenden Bälle bernsteinfarbenen Lichts unter ihrem Arm herauszuziehen.
Sparky ging zuerst hinaus und schnüffelte in der Morgenluft herum. Seine Zunge schnellte hervor, kostete nach einer geisterhaften Präsenz, als Anya aus dem Haus schlüpfte und die Tür schloss. Anya fühlte keine Geister in der Nähe des Grundstücks, trotzdem war sie erleichtert, als sie in ihrem Dart saß, den Gang einlegte und sich auf den Weg zur Arbeit machte. Sie wusste nicht, wie lange Hopes Lakaien brauchen würden, um neue Kraft zu schöpfen, aber sie hatte die Absicht, die Zeit, in der sie fort waren, so gut wie möglich zu nutzen.
So früh am Morgen herrschte Stille in Anyas Büro in der DFD-Hauptwache. In der Eingangshalle begegnete sie einem schläfrigen Wachmann, doch sonst sah sie niemanden, als sie mit dem Fahrstuhl in den Keller fuhr. Sie war immer noch nervös und erschrak sogar, als das Neonlicht an der Decke einen Moment lang flackerte. Sie hob mehrere gelbe Umschläge der internen Büropost und weiße Umschläge aus der normalen Post, die unter der Tür durchgeschoben worden waren, vom Boden auf.
Der arme Sparky war erschöpft. Als sie ihren Computer hochfuhr und die Kaffeemaschine einstöpselte, rollte er sich rund um den Molchkoffer unter ihrem Schreibtisch zusammen. Anya stellte ihre Füße zu beiden Seiten des Salamanders ab und begann, die Post durchzusehen.
Sie riss einen gelben Umschlag aus dem Kriminaltechnischen Labor auf. Er enthielt mehrere fotokopierte Bilder von Fingerabdrücken und NCIC-Nummern. Offenbar war das Labor wieder in Betrieb genommen worden. Auf dem Deckblatt fand sich ein kurzes Memo von Jenna, das besagte, man hätte interessante Fingerabdrücke im DIA entdeckt – Fingerabdrücke von Jasper Bernard.
Anya lehnte sich auf ihrem quietschenden Stuhl zurück. Der arme Bernie gehörte zu den Geistern, die Hope geschickt hatte, um die Büchse der Pandora zu stehlen. Diese Information stimmte mit Anyas Theorie überein, die besagte, dass Hope die Geister, die sie einfing, beherrschte, doch sie lieferte ihr nichts, was ihr hätte helfen können, einen Gerichtsbeschluss zu erwirken.
Dem Memo zufolge waren in den Proben, die Gina den Leichen der Wachmänner entnommen hatte, keine Spuren von Brandbeschleunigern oder exotischen Chemikalien jedwelcher Art gefunden worden. Nur die Silikatrückstände, die auch schon an Bernies Überresten entdeckt worden waren.
Auf einem dicken FedEx-Umschlag prangte als Absender Wunder für die Massen. Stirnrunzelnd riss Anya ihn auf. Hope hatte ihr auf ihre Bitte um Finanzunterlagen den Abschlussbericht für das letzte Jahr zukommen lassen. Nichts als Geschwafel und Unternehmensleitlinien, begleitet von ein paar simplen Tabellen, die aufzeigten, dass Hope im vergangenen Jahr beachtliche zwei Millionen Dollar eingenommen hatte.
»Miststück!«, murmelte Anya.
Sie warf einen Blick auf ihren Monitor. Statt der vertrauten Arbeitsfläche mit all ihren Symbolen sah sie einen schwarzen Schirm mit einem weißen Cursor vor sich. Der Cursor schrieb: Hallo, Anya.
Anya rückte näher heran und schaltete die Webcam auf dem Monitor ein. »ALANN? Bist du das?«
Ja. Wie geht es Ihnen heute Morgen?
»Toll, aber … wie kommst du hierher? Das ist ein gesichertes Netz.«
Brian hat sich Sorgen um Sie gemacht. Er hat mich beauftragt, mich zu vergewissern, dass es Ihnen und Sparky gutgeht.
Anya wurde nachdenklich. Sie hatte völlig vergessen, sich bei Brian zu melden. Falls er zu ihr gefahren war, wer weiß, was er dann gedacht haben mochte? Schuldbewusst schaltete sie das iPhone an, das er ihr gegeben hatte. Sie hatte drei Sprachnachrichten erhalten. Anya war Beziehungen nicht gewohnt und hatte sich wenig um die Umgangsformen in einer Partnerschaft geschert … wie immer die aussahen. Bei all der Verwüstung, die ihr an den Fersen zu kleben schien, hielt sie es für das Beste, Brian auf Abstand zu halten. »Uns geht’s gut. Die Molche wurden angegriffen, darum bin ich bei Katie geblieben. Ihr Haus ist eine Festung. Hopes Geister kommen da nicht rein.« Sie erwähnte nicht, wie hartnäckig sie es dennoch versucht hatten; sie wollte Brian nicht noch mehr Grund zur Sorge geben.
Brian lässt ausrichten, er sei erleichtert. Der Cursor blinkte. Wir haben etwas, das wir Ihnen zeigen müssen. Brian arbeitet an diesem Überwachungsprojekt.
Anya nagte an ihrer Lippe. »Toll, aber … ich glaube nicht, dass dieser Computer sicher ist. Alles, was darüber läuft, kann aufgezeichnet werden.« Anya war nie einem der IT-Freaks begegnet, die für das Department arbeiteten, aber sie wusste, dass es sie gab. Und dass sie vermutlich sämtliche E-Mails lasen.
Nur keine Sorge. Wir haben eine sichere Verbindung aufgebaut.
»Okay. Was gibt es?«
Der Bildschirm flackerte, und ein neues Fenster öffnete sich in der rechten unteren Ecke. In dem Fenster war ein Schwarzweißbild von einer innerstädtischen Straße und das Heck eines schwarzen BMWs zu sehen. Anya erkannte die Straßenecke als die vor der Hauptniederlassung von Wunder für die Massen.
Wie so viele Städte nutzte Detroit eine Automatische Nummernschilderkennung, um Verkehrssünder zu schnappen, die bei Rot über eine Kreuzung fuhren. Die automatische Kennzeichenerfassung bediente sich einer Schrifterkennung, der OCR-Technik, um die Nummernschilder zu identifizieren.
»Also … wenn ich recht verstehe, befindet sich eine dieser Kameras gleich vor der Hauptniederlassung von Wunder für die Massen?«
So ist es. Außerdem wurden erst vor kurzer Zeit automatische Kennzeichenerfassungssysteme in den Streifenwagen des DPD installiert, damit die Beamten während ihrer Kontrollfahrten nach gestohlenen Fahrzeugen und flüchtigen Personen Ausschau halten können.
»Wie funktioniert das?«
Die Kamera des automatischen Kennzeichenerfassungssystems überwacht mit Hilfe von OCR den Verkehr und meldet einen Treffer, sobald ein gestohlenes Nummernschild erfasst wird, was es dem Officer gestattet, umgehend zu reagieren und das fragliche Fahrzeug anzuhalten.
Anya stützte das Kinn auf die Hand. »Klingt ein bisschen unheimlich.«
Das ist einer der Kritikpunkte. Wie dem auch sei, Brian und ich konnten das DPD-System und das Verkehrsüberwachungssystem anzapfen und dort nach Fahrzeugen suchen, die auf Hope Solomon und ihre Decknamen zugelassen sind.
Eine Flut von Bildern zog über den Monitor: der schwarze BMW in einer Autoschlange vor einem Einkaufszentrum; derselbe Wagen auf der Schnellstraße; der Wagen an einer Parkuhr. Jedes Bild war mit Zeit- und Datumsangaben versehen. Anya konzentrierte sich auf ein Bild der letzten Nacht, das den BMW vor Hopes Büro zeigte. Drinnen brannte Licht. Das Miststück war dabei, den bevorstehenden Angriff vorzubereiten.
»Einen Moment. Geh noch mal zurück.« Anya beugte sich vor. ALANN ging die Bilder rückwärts durch, bis er das erreicht hatte, was Anyas Aufmerksamkeit erregt hatte: Hopes Wagen stand gleich vor ihrer Hauptniederlassung. Eine Frau stieg gerade aus, und sie trug etwas bei sich. »Kannst du das vergrößern?«
ALANN tat, wie geheißen. Das Bild wurde körniger, während er es vergrößerte, aber Anya konnte den Gegenstand nun deutlicher sehen: ein silberner Flakon, geschmückt mit einem Muster aus Reben und Laub, das durch die Auflösung ein wenig verwischt aussah.
»Lass das Bild stehen.«
Anya blätterte in ihren Akten mit den Fotos aus Bernies Haus und sah sich ein Bild nach dem anderen an. Dieser Flakon kam ihr bekannt vor … da. Das fragliche Fläschchen hatte auf Bernies Kaminsims neben den Schwertern und den Flaschen undefinierbaren Inhalts gestanden. Mit dem Finger wanderte sie über die Liste der fehlenden Objekte: »Ein versilberter Flakon, Herkunft unbekannt.«
Sie starrte auf den Monitor. »Hab ich dich!«
»Das könnte Probleme geben.«
Marsh lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Sein Büro befand sich eine Stufe über dem von Anya … na ja, eher ein Dutzend Stufen. Im Erdgeschoss genoss er den Vorzug von Tageslicht, das durch das Fenster und die schadhaften Lamellen der Jalousie hereindrang. Auch wenn das Fenster auf eine kleine Gasse hinausblickte, lag es immer noch im hellen Sonnenschein, und Anya blinzelte in dem grellen Licht. Sparky zuckelte hinter ihr durch den Raum, den Kopf schiefgelegt, und lauschte dem Geschnatter aus Marshs Feuerwehr- und Polizeifunkempfängern, die oben auf seinem Aktenschrank standen.
Anya zeigte auf das Foto. »Das DPD hat mir eine Kopie des Fotos geschickt.« Und so war es auch: Als Anya den Beamten genaue Angaben zu Zeit, Datum und Straßenkreuzung geliefert hatte, hatten sie ihr eine Kopie des Bildes aus der Ampelblitzanlage vor Hopes Büro gefaxt. »Das sind öffentlich zugängliche Informationen.«
Marsh verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Und will ich wissen, woher Sie wussten, wonach Sie fragen müssen? Oder wie Sie wissen konnten, dass Hope zu dieser speziellen Zeit an diesem speziellen Tag einen gestohlenen Gegenstand bei sich haben würde?«
»Nein, Sir, das wollen Sie wahrscheinlich nicht.«
»Die Öffentlichkeit ist nervös genug wegen Big Brother. Es hat jede Menge Unruhe wegen der Ampelblitzanlagen gegeben. Die Leute denken, es ginge in erster Linie darum, Bußgelder einzunehmen. Kämen sie auf die Idee, dass diese Kameras auch zur Überwachung eingesetzt werden können …« Er schüttelte den Kopf. »Das würde zu einem Aufruhr führen. Die Stadt würde auf der Stelle verklagt werden, und zwar von Leuten, deren Geldbeutel um einiges dicker sind als die von Hope.«
»Captain, ich bin überzeugt, ich kann eine Verbindung zwischen ihr und Bernies Tod aufdecken. Und dem Tod einiger anderer Menschen. Ich kann es nur bisher nicht beweisen.«
Marsh starrte angewidert das Bild an. »Sie und ich, wir wissen beide, dass Hope eine dubiose Gestalt ist. Sie nimmt leichtgläubige Leute aus und hat vielen Menschen das Leben kaputtgemacht, aber ich weiß nicht, ob wir basierend auf dem hier einen Richter überzeugen können, einen Gerichtsbeschluss auszustellen.« Er blätterte in der Liste der Gegenstände, für die Anya einen Durchsuchungsbefehl erwirken wollte. Alle waren bei dem Einbruch in Bernies Haus verschwunden. »Das ist eine ziemlich umfangreiche Liste. Sieht sehr nach Beweisausforschung aus.«
»Werden Sie es wenigstens versuchen?« Anya hielt die Luft an.
Marsh blickte auf, erwog die Möglichkeiten. Schließlich sagte er: »In Ordnung, ich werde mich erkundigen. Aber ob der Richter zustimmt oder nicht, die Scheiße, die Sie damit eventuell aufwirbeln, bleibt allein an Ihnen kleben, Kindchen.«
»Du kannst wohl nicht genug kriegen.«
Charon stand vorm Gerichtsmedizinischen Institut und rauchte eine nach Weihrauch riechende Zigarette. Seine kalten, blauen Augen ruhten auf Anya, als sie über den Parkplatz ging. Sparky lief direkt hinter ihr. Anya drückte den Molchkoffer an ihren Körper. Es schien, als würden die Eier inzwischen mehr Hitze freisetzen. Sie nahm dies als gutes Zeichen, auch wenn der Molchkoffer ihr einen massiven Sonnenbrand auf den Rippen eintrug.
»Ich hab getan, was du gesagt hast. Wir haben einen magischen Kreis um die Büchse der Pandora gezogen.«
Charon nickte, warf seine Zigarette auf das Pflaster und trat sie mit dem Stiefelabsatz aus. Die Nachmittagssonne drang durch seine Gestalt, die im hellen Tageslicht so durchlässig wie Rauch erschien. »Das wird sie erst mal aufhalten. Aber sie muss unschädlich gemacht werden, ehe sie eine Möglichkeit findet, den Kreis zu durchbrechen.«
»Ich hoffe, ich bekomme einen Gerichtsbeschluss, damit ich sie mit gestohlenen Gegenständen von einem Brandort in Verbindung bringen kann. Wenn ich sie lange genug von ihren Reliquienbehältern fernhalten kann, können wir vielleicht ein paar Anklagen gegen sie vorbereiten.«
Charon musterte sie stirnrunzelnd. »Ich glaube nicht, dass du sie so aufhalten kannst. Du müsstest sie von all ihren Flaschen fernhalten, und dagegen wird sie bis aufs Blut kämpfen.«
»Du denkst also, ich muss sie auf der astralen Ebene bekämpfen.«
»Ja.«
Anya beäugte ihn zweifelnd. »Wie komme ich dahin?«
Charon öffnete seine Tasche und warf ihr ein Geldstück zu. Reflexartig fing Anya es auf und stellte überrascht fest, dass es echt war. Ihre Finger schlossen sich um eine solide Bronzemünze mit einem ungleichmäßigen Rand und dem primitiven Abbild eines Imperators.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Der Tribut für den Fährmann.« Charon zuckte mit den Schultern. »Frag mich nicht, warum, aber das funktioniert. Leg dir einfach die Münze unter die Zunge und sprich meinen Namen.«
Sie betastete die Münze. »Wie schütze ich die Eier und Sparky, während ich fort bin?«
»Du kannst sie hierlassen, aber ich schlage vor, du nimmst sie mit.«
Anya nickte und steckte die Münze in die Tasche. »Danke.« Sie streckte die Hand nach dem Türknauf aus, um das Gebäude zu betreten.
Charon legte den Kopf schief. »Hast du da drin noch mehr Leichen?«
»Ich weiß es nicht genau«, gestand Anya. »Ich bin auf der Suche nach einer Leiche, die möglicherweise … verlegt wurde.«
Charon blinzelte in die Nachmittagssonne, und seine Augen wurden beinahe durchsichtig. »So was kann passieren. Wer ist es?«
Anya zögerte, gefangen zwischen dem warmen Sonnenschein und der abgestandenen, klimatisierten Luft im Eingangsbereich. »Ein Computerwissenschaftler. Ich kenne seinen Namen nicht. Sein Gehirn wurde für Forschungszwecke verwendet, und ich … ich möchte wissen, wer er war.«
»Dann ist das also eine persönliche Angelegenheit?«
Anya biss sich auf die Lippe. Sie gestand sich nur höchst ungern ein, dass sie Brians Worten nicht ganz traute, aber etwas an der Geschichte mit ALANN machte ihr Sorgen. Für jemanden, der seinen Körper der Wissenschaft vermacht hatte, war sein virtueller Avatar auffallend daran interessiert, einen Ausweg zu finden. »Ja.«
Charon nickte und folgte ihr in das Gebäude. »Ich helfe dir bei der Suche.«
Anya, Sparky und Charon wanderten durch die Korridore der Gerichtsmedizin, wenn auch nur Anyas Schritte Geräusche auf dem Fliesenboden verursachten. Sie lugte in den Autopsiesaal und sah Gina auf ihrem Tritthocker stehen. Die winzige Gerichtsmedizinerin war bis zu den Ellbogen mit Blut beschmiert.
»Hey, Gina«, sagte Anya. »Haben Sie was dagegen, wenn ich einen Blick auf Ihre Totenscheine werfe?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Gina. »Suchen Sie was Bestimmtes?«
»Ja, einen Mann, der innerhalb der letzten paar Monate gestorben ist. Ich weiß nur, dass er Computerwissenschaftler war und vermutlich einer natürlichen Todesursache erlegen ist. Möglicherweise hat er seinen Leichnam der Universität zu Forschungszwecken überlassen.«
»In den letzten Monaten hatten wir keine Spender. Aber Sie können sich die Totenscheine gern ansehen. Wir haben sie noch nicht alle eingescannt. Die verdammten Praktikanten sind ständig verschwunden. Waschen Sie sich einfach vorher und nachher die Hände – man weiß nie, welche Bazillen sich da festgesetzt haben.«
»Alles klar.« Anya verzog das Gesicht, wusch sich aber gehorsam mit pinkfarbenem Spülmittel die Hände im Spülbecken der Gerichtsmedizinerin, ehe sie Ginas Büro betrat, das nur eine Ecke weiter lag. Das Büro sah aus wie Bernies Wohnzimmer: kniehohe Papierstapel, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden.
»Wie zum Teufel findet die hier irgendwas wieder?«, murmelte Anya.
»Gina weiß genau, wo was ist«, entgegnete Charon. »Aber nur sie allein. Ihr gefällt es so. Versuch es hier.« Charon deutete auf einen grünen Aktenschrank, auf dem ein Stück Malerkrepp klebte, das Gina mit ihrer unordentlichen und zugleich zierlichen Handschrift mit den Worten ENTWERTETE FAHRKARTEN INS JENSEITS beschriftet hatte.
Anya öffnete den Aktenschrank und begann, die Totenscheine zu sichten. Sie waren nach Datum abgelegt, die neuesten zuerst, und reichten sechs Monate zurück. Jeder Schein war in der rechten oberen Ecke mit einer Nummer, dem Erfassungsdatum und dem Todestag versehen. Anya konzentrierte sich auf eine Zeile auf halber Höhe des Blattes, das Feld, in das der Beruf des Verstorbenen eingetragen wurde. Sie fand mehrere Dutzend Einträge für »keiner«, ein paar, die »unbekannt« lauteten und haufenweise »im Ruhestand«. Mehrere Fabrikarbeiter, ein paar Hausfrauen und ein junger Student, der bedauerlicherweise einer Alkoholvergiftung erlegen war.
Als sie die Hälfte der Totenscheine durchgesehen hatte, hielt sie inne. Sie hatte einen »technischen Informatiker« entdeckt: Calvin Dresser. Als höchster Bildungsabschluss war »Ph.D« angegeben, ein wissenschaftlicher Doktorgrad. Sie legte einen Stift in die Akte, um die Stelle zu markieren, und nahm den Totenschein heraus.
Als Dressers ausschlaggebende Todesursache war akutes kardiorespiratorisches Versagen eingetragen. Das hörte sich recht banal an. Er war dreiundsechzig geworden und hatte in Detroit gelebt. Sie überflog den unteren Teil des Blattes auf der Suche nach Informationen darüber, an wen der Leichnam übergeben worden war. Ihr rutschte das Herz in die Hose, als sie eine unleserliche Kritzelei entdeckte, in der sie Brians Handschrift erkannte. Außerdem stand dort die Adresse seines Labors in der Universität. Die Felder für Ort und Datum der Beerdigung oder Einäscherung waren leer geblieben.
»Bist du fündig geworden?«, fragte Charon. Reglos wie ein Briefbeschwerer saß er zwischen den Papierstapeln auf Ginas Schreibtisch. Sparky hockte neben ihm und beobachtete fasziniert den tickenden Sekundenzeiger der Wanduhr.
»Ich glaube schon. Erinnerst du dich an einen Calvin Dresser?« Sie wedelte mit dem Todesschein vor Charon.
Charon nickte. »Ja. Alter Mann. Für mich gab’s da nichts zu tun. Sein Geist war fort, als ich ankam.«
»Nur gut, dass Gina nicht hören kann, wie du einen Dreiundsechzigjährigen als ›alt‹ bezeichnest.«
Anya wühlte auf Ginas Schreibtisch herum, bis sie ein Telefon nebst Telefonbuch gefunden hatte. Sie suchte die Hauptrufnummer der Universität heraus und wählte.
»Können Sie mich mit dem Institut für Anatomie in der medizinischen Fakultät verbinden?«
»Bleiben Sie dran.« Warteschleifenmusik.
Anya blätterte weiter in Ginas Akten.
»Wonach suchst du?«, fragte Charon.
»Ich will wissen, wie dieser Dresser ausgesehen hat.«
Anya blätterte Aktendeckel durch, bis sie einen gefunden hatte, auf dem die gleiche Nummer stand wie auf dem Totenschein. Sie schlug die Mappe auf und klemmte sich den Hörer zwischen Wange und Schulter. In der Akte stieß sie auf das Bild eines Mannes Anfang sechzig, der, noch nicht entkleidet oder gewaschen, auf dem Untersuchungstisch der Gerichtsmedizinerin lag. Er hatte lichtes Haar, trug ein Sakko, das bestimmt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr modern war, ein Hemd und eine zerknitterte Hose. Die Züge des Toten zeigten einen Ausdruck der Verwirrung. Auf dem Nasenrücken waren zwei rote Dellen zu sehen, die, wie Anya vermutete, von einer Brille stammten. Die Akte war dünn; dies war der recht unkomplizierte Fall eines Mannes, der ohne Zeugen zu Hause verstorben war. Es war schon ein kleines Wunder, dass die Gerichtsmedizin sich überhaupt mit ihm befasst hatte, aber wie es schien, hatte es ein paar Unklarheiten hinsichtlich verschreibungspflichtiger Medikamente gegeben, die in seinem Haus gefunden worden waren. Weitere Fragen hatten sich in Bezug auf die korrekte Dosierung der Medikamente ergeben.
Die Musik verstummte, und eine Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung.
»Institut für Anatomie, Carla am Apparat.«
»Hi, Carla. Mein Name ist Anya Kalinczyk. Ich bin Brandermittlerin beim Detroit Fire Department. Ich brauche eine Kopie von Calvin Dressers Körperspendenerklärung.«
»Bitte bleiben Sie dran, während ich es heraussuche, Ma’am.«
Mehr furchtbare Warteschleifenmusik. Anya zerrte den Hörer am Kabel zur anderen Seite des Raums und klatschte den Totenschein auf das Kopiererglas. Der alte Kopierer erwachte krächzend zum Leben und tauchte das amtliche Papier in grünes Licht, spuckte dann gemächlich eine Kopie aus und hustete gequält.
»Ms Kalinczyk?«
»Ja?« Anya klemmte sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter.
»Ma’am, wir haben weder eine Körperspendenerklärung noch eine Einäscherungsgenehmigung für eine Person dieses Namens.«
Anya schluckte. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.« Sie warf den Hörer auf die Gabel und starrte ihn wie betäubt an.
Brian hatte sie belogen.
Calvin Dresser hatte sich nie damit einverstanden erklärt, seine sterblichen Überreste für irgendetwas zur Verfügung zu stellen. Brian hatte sich die Leiche einfach beschafft – wer weiß, wo die geblieben war? – und sie für seine eigenen Forschungszwecke benutzt. Anya fühlte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Nach allem, was sie als Angehörige der DAGR erlebt hatten, sollte er da einem Verstorbenen nicht mehr Respekt entgegenbringen?
Charon schlenkerte mit den Beinen. »Hast du deine vermisste Leiche gefunden?«
»Ich glaube schon. Aber mir gefällt nicht, wo ich sie gefunden habe.«
Anyas Mobiltelefon summte.
»Kalinczyk.«
»Marsh hier. Hab endlich einen Richter gefunden, der die Eier hat, den Beschluss zu unterschreiben. Wir haben aber nur einen Durchsuchungsbefehl für ihr Bürogebäude und ihren Wagen, weil das die Orte sind, an die das Beweisstück laut dem Foto gebracht worden ist.«
Anya lächelte beschwingt. »Danke, Captain.«
»Danken Sie mir nicht, Kalinczyk. Ich fürchte, Sie werden alle Hände voll zu tun haben, wenn Sie an die Tür dieser Frau klopfen.«
Anya durchquerte Hope Solomons luxuriös ausgestattete Pastell-Lobby mit einer Phalanx uniformierter Polizisten im Rücken. Die perfekt manikürte Empfangsdame sprang sogleich auf, alarmiert ob der Invasion.
»Ist Hope da?«
»Ja, aber sie ist nicht zu sprechen …«
Anya legte ihr eine Kopie des Durchsuchungsbefehls auf den Tisch. »Bitte bleiben Sie hier, und rühren Sie nichts an.« Ein Uniformierter bezog neben der Frau Position, als sie begann zu protestieren und nach dem Hörer greifen wollte.
Anya ging den pastellfarbenen Korridor hinunter, direkt gefolgt von den Beamten. Sparky schlängelte sich mit gebleckten Zähnen neben ihr über den Flur. Er wollte das Miststück genauso sehr zur Strecke bringen wie sein Frauchen.
Anya stieß die Tür zu Hopes Büro auf. Hope stand hinter ihrem schweren gläsernen Schreibtisch, und als sie näher kam, um sich vor Anya aufzubauen, versanken ihre Absätze in dem dicken Teppich. Die Uniformierten verteilten sich im Raum, schwärmten über das plüschig-weiße Allerheiligste wie Ameisen über Zucker.
»Sie haben kein Recht, hier einzudringen.« Hope zitterte vor Zorn. »Raus!«
Sparky stolzierte auf sie zu, hockte sich vor sie und knurrte. Sein Schwanz peitschte hin und her, und Hope trat einen Schritt zurück.
»Wir haben einen Durchsuchungsbefehl. Es geht um bestimmte Artefakte, die von einem Tatort entfernt wurden.« Anya hielt eine Kopie des Gerichtsbeschlusses hoch wie einen Schild und schob den Molchkoffer auf ihren Rücken. »Es ist Ihnen nicht gestattet, unsere Suche zu behindern.«
»Das können Sie nicht machen. Mein Anwalt …«
»Setzen Sie sich und seien Sie still, Gnädigste«, beschied ihr Anya. »Wir werden zumindest so höflich sein, Ihnen zu sagen, was wir mitnehmen.« Anders als Hope, die sich im Umgang mit Bernies Artefakten weniger taktvoll gezeigt hatte. Wie auch im Umgang mit seinem Leben. Oder dem von Leslie und Chris.
Anya ging um Hope herum zu den Bücherregalen hinter ihrem Schreibtisch. Mit Latexhandschuhen an den Händen nahm sie Bücher heraus und verglich den Schnickschnack in den Fächern mit den Gegenständen auf ihrer Liste. Sie wühlte sich durch Hopes Schubladen und die Anrichte und warf immer wieder einen Blick auf Hopes schriftliche Unterlagen. Sie konnte nichts von dem, was sie hier fand, als Beweis benutzen, wenn es nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem Verbrechen stand. Hopes Papiere jedoch waren genau wie die Buchhaltungsunterlagen, die sie geschickt hatte, sorgfältig frisiert worden. In ihrem Büro gab es nicht ein Schriftstück, das mehr als drei Wochen alt war.
»Hier ist nichts, Lieutenant«, sagte einer der Cops.
Hope verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
»Wir haben noch den Rest des Gebäudes«, entgegnete Anya gelassen, obwohl das Herz in ihrer Brust donnerte. Sie trat hinaus auf den Korridor und öffnete von Osten nach Westen eine Tür nach der anderen: ein Besprechungszimmer, eine kleine Küche, ein Waschraum, eine Besenkammer. Sie roch vage Rückstände von Magie, aber die kamen nicht von dieser Etage.
Am Ende des Korridors war eine Feuertür, aber die war verschlossen. Der Knauf war so kalt, dass ihre verschwitzten Finger beinahe an dem Metall festfroren. Sie dachte darüber nach, was Charon über die spirituelle Energieversorgung gesagt hatte, darüber, dass Energie einer Quelle entzogen werden musste, um eine Manifestation zu ermöglichen.
»Das ist ein Verstoß gegen die Brandschutzvorschriften«, blaffte Anya.
Hope und ihre Assistentin waren ebenfalls auf den Korridor hinausgetreten. »Ich weiß nicht, wo der Schlüssel geblieben ist.«
»Öffnen Sie diese Tür, oder ich werde sie gewaltsam aufbrechen.«
Hope zuckte mit den Schultern. »Mein Anwalt wird einen Heidenspaß haben, wenn er Sie wegen Sachbeschädigung belangt.«
»Sie dürfen uns den Zutritt zu Gebäudeteilen, die in dem Gerichtsbeschluss aufgeführt sind, nicht verwehren.«
»Sollen wir sie aufbrechen?«, fragte einer der Officer des DPD.
»Geben Sie mir noch eine Minute.«
Anya sah sich nach einem Feuerlöscher um und fand einen in einer Vitrine. Das rote Gehäuse stach aus Hopes Ambiente in Pfirsich und Creme heraus wie ein böser Pickel im Gesicht einer Braut.
Anya musterte die Prüfplakette. »Verdammt, Hope, das Ding ist seit mindestens sechs Monaten nicht mehr kontrolliert worden. Und das hier ist ein Geschäftsgebäude. Noch ein Verstoß gegen die Brandschutzvorschriften.«
»Fick dich!«
Anya grinste spöttisch. Der Feuerlöscher arbeitete mit CO2. Perfekt. Anya richtete den Schlauch auf die Tür und zog den Hebel durch. Eisiger Schaum spritzte aus der Düse und prasselte auf das Schloss. Anya hob den Feuerlöscher höher. Sie schwang den Behälter wie einen Hammer und ließ ihn auf das Schloss krachen. Es brach mit einem Geräusch, als würde eine Autotür zugeschlagen. Metallbruchstücke flogen umher. Sparky schnüffelte an einem eiskalten Stück Metall und rümpfte die Nase angesichts der Kälte und des chemischen Geruchs.
Anya stieß die Tür auf und schaltete ihre Taschenlampe ein. Der Gestank von Magie kroch die Stufen herauf und sammelte sich wie Öl um ihre Füße. Ihr Atem schlug sich als Dunst in der kalten Luft nieder. Als sie in den Keller hinabstieg, war es, als würde sie unter Wasser gehen. Die Luft war stickig und schwer, angefüllt mit einem scharfen, metallischen Ozongeruch. Sparky hastete vor ihr die rostigen Stufen hinunter, die unter ihrem Gewicht knarrten. Die Renovierung, die Hope dem Gebäude hatte angedeihen lassen, war nicht bis hierher vorgedrungen: Institutionelle grüne Farbe blätterte von den Wänden ab. Eisblumen glitzerten auf der alten Farbe. Durch ein Oberlicht fiel flackerndes Licht auf den Inhalt des Kellerraums. Staubige Holzpaletten stapelten sich planlos bis unter die Decke und teilten sich den Raum mit kaputten Büromöbeln und Papierabfällen.
Es war kalt hier. Zu kalt. Anya konnte ihren Atem sehen, als sie auf den Betonboden trat. Hier unten war es locker dreißig Grad kälter als oben. Es war, als hätte sie den Kühlraum eines Restaurants betreten. Rohre unter der Decke verbreiteten ein leises Pochen. Man hatte sie mit Isoliermaterial umwickelt, um sie vor dem Einfrieren zu schützen, dennoch war hier und da ein Eiszapfen zu sehen.
Und sie fühlte die Magie hier unten.
Anya richtete den Lichtstrahl ihrer Lampe auf die hinterste Ecke des Kellers, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Industrieregale säumten die Wand, vollgestopft mit Flaschen und Gläsern aller Art. Ihr Blick verfing sich an einigen Gegenständen, die sie in Bernies Haus gesehen hatte: ein hölzerner Schädel, die filigrane, silberne Flasche, Kristallscherben, ein Schwert. Daneben fanden sich noch Hunderte anderer Gefäße von alten Cola-Flaschen über Weckgläser bis hin zu Parfümflakons.
Hopes geheimer Vorrat an Reliquienbehältern.
Ehe sie irgendetwas anrührte, schoss Anya Fotos mit ihrer Kamera. Dann griff sie zur erstbesten Flasche, einer Weinflasche mit einem Korken. Die Oberfläche war so kalt, sie brannte auf ihrer Haut. Mit dem Daumen schob sie den Korken heraus und hielt den Atem an.
Eine Rauchfahne löste sich aus der Flasche und glitt durch die Decke in das darüber liegende Stockwerk. Hopes gepeinigter Aufschrei drang gedämpft an Anyas Ohren.
Sie nahm eine Flasche nach der anderen aus dem Regal. Ihr Herz wurde leichter, während sie zusah, wie die nebelhaften Geister entfleuchten, als sie die leisen Seufzer vernahm, mit denen sie sich aus Flaschen und Gläsern befreiten. Sie roch muffige Luft und frische Aromen, einen Hauch Wodka und die säuerlichen Ausdünstungen von eingelegtem Gemüse. Sie entdeckte und öffnete Pfefferstreuer, aber auch Flakons, die einmal einen Badezusatz für Kinder enthalten hatten. Sparky kletterte in die Fächer, wühlte zwischen den Gefäßen herum und schlug nach den entfliehenden Geistern. Die Geister kehrten heim, das konnte Anya spüren. Die Magie schwand von diesem Ort, strömte davon, als hätte jemand den Stöpsel aus dem Abfluss gezogen.
Zaghafte Schritte erklangen auf den Stufen über ihr. »Hey, haben Sie da unten was gefunden?«
Anya lächelte triumphierend. »Ja. Ja, das habe ich. Tun Sie mir einen Gefallen und nehmen Sie Ms Solomon fest.«
»Beschuldigung?«
»Für den Augenblick können Sie sie wegen Besitz von Diebesgut festnehmen.« Anya kletterte die Stufen hinauf und lehnte sich an den Türrahmen, als die Uniformierten der Frau Handschellen anlegten. Hope fixierte sie mit einem mörderischen Blick.
»Das werden Sie bereuen«, knurrte sie, und der Zorn verzerrte ihre mütterlichen Züge.
»Wir werden sehen«, sagte Anya milde und folgte den Beamten, die Hope hinaus auf die Straße führten. Als sie sah, dass der Übertragungswagen von Channel 7 vor der Tür parkte und Nick Sarvos in die Kamera sprach, lächelte sie.
»Was hat die Presse hier zu suchen?«, zischte Hope.
»Jemand muss denen wohl einen Tipp gegeben haben.« Anya zuckte die Achseln, aber innerlich strahlte sie.
Die Uniformierten führten Hope zu einem wartenden Streifenwagen. Ein Polizist öffnete die Hintertür und legte Hope die Hand auf den Kopf, um zu verhindern, dass sie sich beim Einsteigen am Türrahmen verletzte.
In diesem Moment erhaschte Anya einen Blick auf etwas, das aus Hopes Hemdkragen blitzte: das Schmuckstück, das sie im Fernsehen getragen hatte, die Goldkette mit der winzigen gläsernen Phiole.
Und sie erinnerte sich an Charons Worte: Du müsstest sie von all ihren Flaschen fernhalten, und dagegen wird sie bis aufs Blut kämpfen.
Erinnerte sich zu spät.
Kaum krachte die Tür ins Schloss, da ging der Streifenwagen in Flammen auf.