KAPITEL ACHT
»Du sagst, ein Salamander hat in deiner Badewanne Eier gelegt?« Ciro legte seine Gabel beiseite.
Anya saß auf ihrer Couch und rieb sich die Stirn. Katie tätschelte ihr die Schulter und reichte ihr ein Stück Kuchen auf einem Pappteller. Auf dem Sofatisch stand ein Blechkuchen, auf dem der Schriftzug »Herzlichen Glückwunsch, Anya und Sparky« über dem Zuckergussbild eines Storches prangte. Die Küchenhexe hatte einen schrägen Sinn für Humor, aber wenigstens war es Schokoladenkuchen.
»Ja, genau das hab ich gesagt«, entgegnete Anya.
Ciros Augen leuchteten vor Aufregung.
Ein Heulen hallte über die Fliesen im Badezimmer, und eine Tür krachte ins Schloss. Brian schlurfte verschlafen über den Korridor und hatte eine Videokamera in der Hand. »Hast du gewusst, dass dein Salamander Türen zuschlagen kann?«
»Das hat er bisher noch nie getan«, sagte Katie mit einem Mund voller Kuchen.
»Das ist nicht überraschend«, meinte Ciro. »Er ist wahrscheinlich vollgepumpt mit Hormonen und besitzt darum auch verbesserte Fähigkeiten.«
»Hör auf, ihn zu belästigen«, blaffte Anya. Sie fühlte sich schuldig, weil sie den armen Salamander hatte niederkommen lassen. Ganz allein. In einer Badewanne. Sie drehte sich zu Ciro um. »Ich, äh, ich dachte, Sparky wäre ein Junge. Ich meine … ich hab nie wirklich nachgesehen. Wie zum Teufel konnte das überhaupt passieren? Gibt’s denn irgendwo eine Mrs Sparky?« Fragen über Fragen. Sie war froh, dass Katie Ciro hergebracht hatte, und noch erfreuter war sie, dass Katie klug genug gewesen war, Jules nicht mitzubringen. Jules hätte vermutlich versucht, den Nachwuchs zu ermorden.
Ein Bröckchen Zuckerguss klebte an Ciros Bart. »Für Elementargeister ist das Geschlecht bedeutungslos. Du hast ihm irgendwann einmal ein Geschlecht zugewiesen, und er hat sich nicht dagegen gewehrt.«
»Das ist gewissermaßen wie bei den Engeln«, sagte Katie. »Gabriel wird mal als männlich und mal als weiblich dargestellt, aber er/sie/es ist eine geschlechtslose Macht. Das Geschlecht ist nur eine Illusion, die es uns gestattet, leichter eine Beziehung zu ihnen aufzubauen und mit ihnen umzugehen.«
Anyas Blick traf auf Brians, und sie errötete. »Also, wo kommen die Eier her? Ich habe hier keine anderen Salamander herumkriechen sehen.«
»Parthenogenese.« Ciro leckte seine Gabel ab. »Das ist in der Natur recht verbreitet. Manche Arten von Bienen, Haien und Echsen reproduzieren sich eingeschlechtlich, wenn kein passender Partner greifbar ist. Komodowarane auch. Unter den Schienenechsen gibt es mehrere Arten, die sich ausschließlich parthogenetisch reproduzieren. Es muss dafür nur die biologische Notwendigkeit der Reproduktion mit einem Mangel an Partnern des anderen Geschlechts zusammentreffen.«
»Dann ist das die normale Reproduktionsweise eines Salamanders?«
Katie schnitt ein weiteres Stück Kuchen ab. »Den Legenden zufolge reproduzieren sich Salamander einmal alle hundert Jahre, und das tun sie, wenn sie der Ansicht sind, dass sie einen passenden Beschützer gefunden haben. Es gibt Gerüchte, dass das Feuer, in dem Johanna von Orleans verbrannt ist, Hunderte von Salamandern ausgebrütet haben soll.«
Ciro wischte sich die Hände an einer Serviette ab. »Das wusste ich noch nicht.«
»Ich glaube, das ist ein Crowleyismus.«
»Ah. Das erklärt einiges. Crowley hatte einen Haufen Scheiße im Kopf.« Ciro wedelte mit dem Finger vor Katies Gesicht. »Glaube niemals etwas, das er gesagt hat, ohne eine unabhängige Bestätigung.«
»Ich bin nicht die verdammte Jungfrau von Orleans.« Anya kniff sich in den Nasenrücken, nicht bereit, zuzulassen, dass dieses Gespräch zu einer Debatte darüber verkam, welche Angehörigen des Golden-Dawn-Ordens nun die härteren Eier hatten. »Und ich will nicht verbrannt werden.«
»Nun, das liegt auf der Hand. Aber Sparky scheint der Ansicht zu sein, dass du eine Heldin bist und stark genug, um die Babys zu beschützen.«
»Wie lange dauert es, bis sie schlüpfen? Was muss ich dann tun? Wie kümmere ich mich um sie?«, jammerte Anya.
»Sieht ganz so aus, als würde Sparky das ganz gut selbst hinkriegen«, murmelte Brian, der über dem blauroten Lichtschein einer Wärmebildkamera kauerte. Es schien sich nicht um eine normale Kamera zu handeln, eher um etwas, das Brian notdürftig aus Kabeln und einer Leiterplatte zusammengebastelt und mit Klebstreifen in ein Gehäuse geklebt hatte. Er richtete sie auf die Wand zwischen Küche und Badezimmer. Anya konnte den roten Leib des Salamanders ausmachen, der sich schützend über einen Haufen orangefarbener Eier gerollt hatte. Sie zählte einundfünfzig dieser kleinen Punkte. Und sie versuchte, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn ihr einundfünfzig Mini-Sparkys um die Füße rannten.
Chaos würde ausbrechen.
»Hält er sie warm?«
Ciro grinste. »Wärme werden sie brauchen. Immerhin sind sie Feuerelementare. Wie lange es dauern wird, bis sie ausgebrütet sind, weiß ich allerdings nicht. Du darfst nicht vergessen, ich bin nur ein Theoretiker. Ich praktiziere keine Magie.«
Katie kicherte. »Ich kann es gar nicht mehr abwarten, eine Babyparty für dich zu schmeißen.«
Anya bedachte sie mit einem finsteren Blick. »Ich muss morgen arbeiten. Aber ich kann doch Sparky nicht mit diesen Eiern allein lassen.«
Katie arbeitete sich durch das nächste Stück Kuchen. »Ich glaube, wir sollten ein paar magische Schutzmaßnahmen zusammenbasteln, Banne und so, um das Nest abzuschirmen. Dann fühlt Sparky sich vielleicht sicherer. Aber wir sollten damit warten, bis er sich wieder ein bisschen beruhigt hat.«
Anya stützte den Kopf auf die Hände. »Scheiße. Ich werde Mutter.«
Katie zeigte mit ihrer Gabel auf sie. »Du brauchst ein paar Vorräte. Wir lassen die Jungs hier, und ich gehe mit dir einkaufen.«
Anya musterte sie argwöhnisch. »Einkaufen?«, wiederholte sie. »Wo?«
Katie grinste sie mit einem verschlagenen Funkeln in den Augen an. »In der Hölle«, sagte sie. »Ich bringe dich in die Hölle.«
Der Mega-Baby-Supermarkt türmte sich über dem Parkplatz auf. Er strotzte nur so vor Pink und Blau, und Anya fror in seinem kalten Schatten. Schwangere Frauen watschelten hinein und heraus, einige in Rudeln, andere zogen ihre wie betäubt wirkenden Männer an der Hand hinter sich her. Neumodisches Babyzubehör stand in den Schaufenstern; Anya glaubte, dass es sich in den meisten Fällen um Kinderwagen handelte, aber sicher war sie nicht. Die meisten sahen aus wie außerirdische Raumfahrzeuge auf Rädern.
»Nein, da gehe ich nicht rein!« Anya stemmte die Absätze in den Boden und umklammerte den Salamanderreif an ihrem Hals. Sollte Sparky da drin sein, so verhielt er sich sehr, sehr ruhig.
Anya hatte sich erst am späteren Nachmittag dazu durchgerungen, das Haus zu verlassen. Sie wusste nicht, ob Sparky ihr folgen oder in seinem Nest bleiben würde. Sie wusste nicht einmal, ob er eine Wahl hatte. Wie dem auch sei, sie musste Vorsorge treffen. Sie ließ Brian mit der Anweisung zurück, sich von Zeit zu Zeit ins Bad zu schleichen und den Haartrockner auf die Brutstätte zu richten. Ciros grober Schätzung zufolge hatte das Nest etwa die Temperatur eines menschlichen Körpers, solange Sparky drauf lag, und diese Temperatur musste aufrechterhalten werden.
Anya und Katie gingen zuerst in eine Zoohandlung, um eine Kiste Wärmekissen für Eidechsen zu kaufen. Sie waren mit Eisenpulver gefüllt und spendeten, wenn sie aktiviert wurden, vierzig Stunden lang Wärme, ohne dafür an das Stromnetz angeschlossen zu sein. Die Vorstellung, eine elektrische Heizdecke vom Discounter zu benutzen, hatte Anya sofort verworfen – wenn die kleinen Lümmel auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Sparky hatten, würden sie das Ding im Handumdrehen kurzschließen und das Haus niederbrennen. Der Verkäufer in der Zoohandlung dachte wahrscheinlich, sie gehörten einem Leguan-Schmuggelring an, der die Echsen in die ganze Welt verschickte.
Und in einem Laden für Outdoor-Equipment hatte sich Anya sogar darauf eingelassen, vierhundert Dollar in einen für Arktisexpeditionen geeigneten, mit Gore-Tex isolierten Schlafsack zu investieren.
Aber vor diesem Babygeschäft zog sie die Notbremse. »Was zum Teufel sollen wir da überhaupt?«, grollte sie.
Katie konsultierte ihre Einkaufsliste. »Wir brauchen eine Nachtlampe – wir wollen doch nicht, dass die Babys im Dunkeln schlüpfen. Außerdem brauchen wir ein Thermometer, um die Temperatur im Nest zu überwachen. Und vielleicht finden wir auch noch ein paar andere nützliche Dinge. Ich hatte auch an ein Babyphone gedacht, aber Brian, unser verrückter Wissenschaftler, kann vermutlich etwas technisch weit Ausgefeilteres zusammenbasteln.« Katie wackelte mit den Brauen. »Du weißt schon, damit du hören kannst, was los ist, wenn du gerade anderweitig beschäftigt bist. Mit Schlafzimmeraktivitäten.«
Anya klappte den Mund auf und wieder zu. Besser, sie ließ die Stichelei unkommentiert. Eine Hexe anzulügen hatte so oder so keinen Sinn. »Salamander vermehren sich schon seit Tausenden von Jahren ohne all diesen …«, sie wedelte mit der Hand in Richtung der Furcht erregenden Fassade, »… Mist.«
»Hör auf zu meckern. Lass uns kaufen, was wir brauchen, und wieder verschwinden.« Wie ein Sergeant, der einen widerstrebenden Rekruten mitschleifen musste, zerrte sie Anya in den Laden.
»Du bist so … mütterlich.«
»Zum Teufel mit dir, Anya. Gib mir deine Kreditkarte.«
Dieser Ort machte ihr mehr zu schaffen als jedes Spukhaus. Der Östrogengehalt in diesen Hallen war viel, viel zu hoch. Alles hier war in Pastell und/oder kunterbunt gehalten: Hochstühle, Kindersitze, Dinge mit Federn und Plastikteilen. Stofftiere mit komischen Knopfaugen gafften ihr entgegen. Gleich daneben türmten sich Tuben mit dem schönen Namen »Popopaste« auf sowie Hundert-Dollar-Stoffbeutel für den Transport von Windeln. Kaufhausmusik berieselte die Kundschaft mit einer Dampforgelversion von »Puff, the Magic Dragon«.
Anya sah etwas, das aussah wie ein Kosmetiktuchspender. »Was zur Hölle ist das?« Sie las die Aufschrift auf der Seite: »›Feuchttuchwärmer.‹ Muss man die Dinger wirklich erst erwärmen, ehe sie mit einem Babyarsch in Berührung kommen dürfen?«
Eine sehr schwangere Frau, die einen rosaroten Kinderwagen durch den Gang schob, bedachte sie mit einem giftigen Blick. Anya fiel auf, dass die Bewegungen der Frau Sparkys Gewatschel während der letzten paar Wochen ähnelten. Wieder fühlte sie sich schuldig, doch nicht wegen ihrer verbalen Entgleisung, sondern weil sie auf ganzer Linie versagt und Sparkys Zustand nicht wahrgenommen hatte.
»Schätze, fluchen ist hier drin auch verboten.« Sie trottete hinter Katie her, die bereits zwei Kartons im Einkaufswagen verstaut hatte und nun versuchte, so zu tun, als kenne sie Anya nicht. Vor einer Wand voller Thermometer blieb sie stehen.
Anya stocherte auf etwas herum, das aussah wie ein Hämorrhoidenkissen, das lediglich zum »Kleinkinder-Stützkissen« umgelabelt worden war. Gleich darauf entdeckte sie eine Plastikapparatur mit einer Art Rüssel und Schläuchen, die an einen Tintenfisch aus einem miesen Science-Fiction-Film erinnerte.
»Ernsthaft, wofür ist all das Zeug hier?«
Katie sah sich über die Schulter um. »Das ist eine Milchpumpe.«
»Eine was?« Anya zog hastig die Hand zurück.
»Wurdest du von Wölfen aufgezogen? Man benutzt sie, um Muttermilch abzupumpen und für später aufzubewahren.« Katie hielt eine Packung mit einer gelben Gummiente hoch. »Dieses Thermometer ist für Badewasser gedacht. Bei einer Temperatur von über achtunddreißig oder unter siebenundzwanzig Grad schlägt es Alarm.« Sie musterte die Regale. »Sieht aus, als wären die anderen alle für rektale Messung gedacht.«
»Gib mir das Ding.« Anya riss ihr die Plastikente aus der Hand. »Sind wir endlich hier fertig?«
»Wir brauchen noch Nestchen.«
»Was zum Teufel sind Nestchen und wozu brauchen wir so was? Die Molche haben doch schon ein Nest.«
Katie verdrehte die Augen und führte Anya in den Gang mit der Bettwäsche.
Anyas Blick fiel auf eine Unmenge Laken, Decken, Bettvolants und Betthimmel aus Biobaumwolle. »Das ist lediglich eine Polsterung für die Bettumrandung. Wir brauchen es, damit sich die Molche nicht an den scharfen Kanten der Kristalle verletzen. Außerdem können wir es als Isolierung brauchen.«
Anya starrte Katie an, die sich durch bunte, in Plastik eingeschweißte Wäscheberge tastete. »Ganz im Ernst: Woher weißt du all diesen Kram?«
Katie musterte sie mit grimmigem Blick. »Ich musste damals diese verdammte Höllenbabyparty für meine Schwester schmeißen, als sie Zwillinge bekommen hat. Für über hundert Leute.«
»Das tut mir leid.«
Anya spürte ein vages Zucken am Hals. Sparky war also doch mit ihr gekommen. Aus dem Augenwinkel sah sie Sparky auf ihrer Schulter stehen, den Kopf nach oben gereckt. Anya folgte seinem Blick. Über ihnen baumelte ein Mobile aus Monden und Sternen. Er reckte sich, um nach den gelben Plüschsternen zu schlagen, und quiekte begeistert, als die ein musikalisches Klimpern ertönen ließen, gefolgt von der Melodie von »Twinkle, Twinkle Little Star«. Anya kniff die Augen zu und malte sich aus, wie diese Musik sie des Nachts wachhalten würde. Sparky liebte es, seinen Leuchtfreund im Dunkeln zu aktivieren, in dem er ihn in der Gegend herumschleuderte. Aber der Leuchtfreund war wenigstens still.
»Kann ich Ihnen helfen, meine Damen?«
Eine Verkäuferin kam mit einem breiten Lächeln auf sie zu. Sie hatte einen Pferdeschwanz und trug einen Kittel mit einem Namensschild, das besagte: »Hi, ich bin Audrey.«
Katie deutete mit dem Daumen über die Schulter auf Anya und bedachte sie zugleich mit einem schelmischen Grinsen. »Ja, sie bekommt ein Baby. Mehrlinge, um genau zu sein.«
»Herzlichen Glückwunsch!« Die Verkäuferin faltete die Hände vor dem Körper und strahlte – wie es schien, war sie mit dieser Kundin auf eine wahre Goldgrube gestoßen. »Wann ist es denn so weit?«
»Äh …« Anya verschränkte die Arme vor ihrem Bauch. »Das dauert noch eine Weile.«
»Wir können Sie jetzt gleich in ein Babyregister aufnehmen.« Audrey zog etwas aus dem Utensiliengurt an ihrer Hüfte, das aussah wie eine Laserpistole. Wie alles andere in dem Geschäft war auch dieses Gerät pinkfarben. »Wir richten Ihnen ein Konto ein, das erfordert nur etwas Papierkram, und dann können Sie mit dem UPC-Scanner loslegen.«
»Dem was?« Anya blinzelte verwirrt.
»Wir führen ein elektronisches Register für Ihre Freunde und Ihre Familienangehörigen. Sie benutzen den UPC-Scanner, um den Barcode der Gegenstände zu scannen, die Sie sich von ihnen wünschen.« Die Verkäuferin sprach betont langsam, als fürchtete sie, die Mehrlinge hätten Anyas Hirnflüssigkeit gesoffen. Sie demonstrierte den Scanvorgang an einem Kinderbett. Ein rotes Licht ergoss sich aus dem Rüssel des Scanners, und der Preis wurde auf einem LED-Display auf der Rückseite angezeigt: 458 Dollar.
»Jesus«, stöhnte Anya leise.
Aber Sparky war verliebt. Er stand auf Anyas Schulter und verdrehte sich den Kopf, um die UPC-Pistole und den leuchtenden, roten Laserstrahl zu beäugen, der von dem Ding ausströmte wie von einer Strahlenwaffe.
»Äh, ich hätte gern eines von denen.« Anya zeigte auf das Mobile.
»Für Ihre Wunschliste? Oder wollen Sie es gleich heute mitnehmen?«
»Ich nehme es gleich mit.« Anya konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand irgendetwas würde kaufen wollen, das im Babyregister für ein Nest voller Salamander verzeichnet war.
Audrey wühlte in den Kartons am Boden. »Hier ist eines«, tschirpte sie und förderte auf magische Weise einen Tablet-Computer aus ihrem Utensiliengurt zutage, der auf den ersten Blick aussah, als wäre er deutlich besser bestückt als der von Batman. Sie reichte Anya das Pad zusammen mit einem Eingabestift. »Füllen Sie einfach das Formular aus und klicken Sie auf ›Senden‹«.
Anya überflog das Formular, in dem ihr Name, ihre Adresse, Abholdatum und so manche andere Daten abgefragt wurden. »Und was dann?«
Audrey tippte ein paar Zahlen in das Tastenfeld auf der Rückseite ihres UPC-Scanners ein. »Dann dürfen Sie mit dem Scanner losziehen.«
Auf Anyas Schulter fing Sparky an zu winseln. Sie sah in seine kugelrunden Augen und fühlte sich wieder einmal zutiefst schuldig, weil sie ihn bei der Geburt allein gelassen hatte.
»Okay«, sagte sie und kritzelte ihren Namen nebst Adresse in die Textfelder. Als Vater der Babys gab sie »Sparky Anderson« an. Das Feld, in dem die Anzahl der Kinder erfragt wurde, füllte sie mit einem Fragezeichen aus. Dann gab sie Audrey den Tablet-Computer zurück, woraufhin die ihr den Scanner reichte.
»Toben Sie sich aus«, sagte sie.
Hinter ihr hatte Katie inzwischen das Fach mit den Nestchen auseinandergenommen und hockte inmitten von in Folie eingeschweißter Baumwolle am Boden. »Können Sie mir sagen, wie flammhemmend das Material dieser Nestchen ist?«
Audrey hockte sich neben Katie und begann, über die Sicherheitsstandards von Kinderbetten zu schwadronieren.
Anya zog den Auslöser der UPC-Pistole. Ein roter Lichtstrahl glitt über die Regale, und das Gerät piepte, sobald es den Code für eine Kinderbettmatratze streifte. Sparky gluckste vor Freude.
Anya ließ den Lichtstrahl über den Boden wandern. Sparky hüpfte von ihr herunter und rannte hinter dem Lichtpunkt her. Seine Beine rasten über den Fliesenboden, sein Schwanz war vor lauter Begeisterung hoch aufgerichtet. Als er sich auf das Licht stürzen wollte, richtete sie den Laserstrahl auf ein tief hängendes Preisschild, was ein befriedigendes Piepen hervorlockte.
Sparky drehte sich schwanzwedelnd zu ihr um: mehr.
Anya hob die Preispistole an, bis das Licht auf die ausgestellten Mobiles traf. Piep. Piep. Piep. Sparky kletterte die Regale empor und schlug nach den Mobiles. Es folgte eine Kakophonie des Klimperns, als er die elektronischen Teile auseinandersprengte. Ein paar motorbetriebene Mobiles wirbelten träge unter der Decke. Sparky lugte mit heraushängender Zunge von dem obersten Regalfach zu ihr herab, nur um gleich darauf außer Sichtweite zu verschwinden.
Anya grinste. Er hatte Blut geleckt.
Sie rannte den Gang hinunter zur nächsten Ecke, die Pistole fest mit beiden Händen umfasst. Das Ende eines Salamanderschwanzes schlängelte sich aus einem Regal. Verstohlen schlich sie näher.
Trottel, dachte sie amüsiert. Er denkt wohl, er hätte sich gut versteckt, dabei hat er sich etwa so gut versteckt wie ein Strauß.
Sie streckte die Hand aus und packte ihn. Ein Stofftier purzelte zu Boden: ein Plüschdrache.
Hinter ihr quiekte Sparky. Sie wirbelte herum und blickte auf. Der Salamander sprang vom höchsten Punkt eines Regals über ihren Kopf hinweg zum nächsten und landete in einer Babyschaukel. Der Mechanismus des Spielzeugs erwachte leise sirrend und wiegte ihn hin und her.
Anya richtete den Laser auf die nächste Schaukel. Sparky krabbelte aus dem Sitz und stürzte sich auf die Nachbarschaukel. Diese lief ruckartig an und beförderte Sparky zu einem Hochstuhl am Ende des Regals.
Sparky lugte zu ihr herab und wackelte mit dem Hinterteil wie eine Katze auf Mäusejagd.
Anya steckte ihm die Zunge heraus.
Sparky tat es ihr gleich, aber seine Amphibienzunge war weitaus beeindruckender.
Anya richtete die Pistole auf ein nahes Regal mit Überwachungsgeräten. Die Maschine piepte, als sie über eine ganze Reihen von Etiketten am Regal selbst streifte. Sparky sprang auf und stürzte sich auf die Geräte. Als er sie erreichte, kam es zu einer Rückkopplung, und alle Vorführgeräte, die sich auf Augenhöhe befanden, fiepten und kreischten schauerlich. Eine Frau, die mit einem Hosenmatz im Schlepptau und einem Einkaufswagen den Mittelgang herunterkam, hielt dem kleinen Jungen die Ohren zu. Als sie sah, dass aus einem der Lautsprecher Rauch aufstieg, hob sie vorsichtig den Karton, der ein ebensolches Gerät enthielt, aus ihrem Einkaufswagen und ließ ihn auf dem Boden zurück.
Als Anya sich wieder umwandte, war Sparky verschwunden. Einkaufswagen und Kleinkindern ausweichend, durchsuchte sie die Gänge nach ihm. Eine Schar bunt gekleideter Damen stürmte zu den schadhaften Mobiles und Babyphones und versuchte, sie abzuschalten. Anya schob sich an ihnen vorbei und ließ den Laserstrahl über den Mittelgang gleiten in der Hoffnung, Sparky so aus seine Versteck hervorlocken zu können.
Aus dem Gang mit dem Badezubehör hörte sie ein hysterisches Quäken, das sich anhörte, als würde ein Hund gerade eine Ente zerfetzen. Sie bog in den Gang ein und sah, dass der Boden mit Plastiktintenfischen und Gummienten übersät war. Kurz blieb sie stehen und ergriff eine der Enten. Sie war lavendelfarben, mit Glitter überzogen und hatte einen süßen, schläfrigen Gesichtsausdruck. Sie drückte sie zusammen, und der elektronische Lautsprecher im Inneren quakte. Anya klemmte sich das Spielzeug unter den Arm. Es wäre eine gute Ergänzung für ihre Gummientensammlung. Und mit ein bisschen Glück hätte Sparky den Lautsprecher schon bald auf dem Gewissen.
Sparkys Schwanz zuckte um eine Ecke, und Anya folgte ihm einen unvorstellbar langen Gang voller Windeln hinunter. Der Scanner traf auf die Preisschilder von Windeln aus Biobaumwolle, Wegwerfwindeln für Säuglinge, Lauflernwindeln, Windeln für Kleinkinder … und es dauerte nicht lange, bis Amphibienpfoten aus einem Regal hervorschossen, um den Lichtpunkt zu fangen.
Ein erschöpft wirkender Mann mit Ringen unter den Augen sah ihr fasziniert zu. »Wie viele Kinder haben Sie eigentlich?«
Anya räusperte sich. »Äh … einige.«
Der Mann, der ein Jumbo-Paket mit Windeln umklammert hielt, schüttelte konsterniert den Kopf. »Nun denn, wir haben nur eines. Viel Glück.«
Anya rang sich ein schwaches Lächeln ab und entwischte in den nächsten Gang, um die Suche nach Sparky fortzusetzen.
Sie entdeckte ihn in der Abteilung für Lehrvideos. Aufgenommenes Kinderlachen lieferte die Begleitmusik. Die beiden Fernsehgeräte neben ihm hatten einen Kurzschluss und verbreiteten den Gestank von verbranntem Gummi. Eine Verkäuferin mühte sich nach Kräften, einen Feuerlöscher von der Wand abzunehmen. Anya erbarmte sich, hob das Ding von der Wand und überzog die beiden kurzgeschlossenen Geräte mit einer hübschen Lage Schaum. Das machte fast so viel Spaß wie das Glasieren eines Kuchens.
Sparky regte sich nicht. Anya stellte den Feuerlöscher ab und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen hinter ihm auf. Ein sich wiederholender Wirbel aus Grundfarben spiegelte sich in seine Augen, und seine Kiemenwedel zuckten.
»Das begreife ich nicht.«
Sparky trillerte, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden. Seine Pupillen waren vollständig erweitert, sodass seine Augen so schwarz waren wie Obsidian. Anya wischte den Löschschaum von dem DVD-Ständer. Baby-Scharfsinn warb damit, lehrreich zu sein, aber Anya konnte rein gar nichts Lehrreiches an kreisenden Farben vor dem nervenaufreibenden akustischen Hintergrund unentwegten Babygelächters erkennen. Aber immerhin war die Sache entschieden leiser als das Mobile oder die Gummiente.
Sie las den Text auf der Rückseite der Verpackung. »› … fördert und stimuliert die zunehmenden intellektuellen Fähigkeiten Ihres Kindes.‹« Sie sah Sparky an und hob eine Braue. »Wenn ich dir das kaufe, versprichst du dann, dass deine Kinder Raketentechniker werden und mich im Alter unterstützen?«
Sparky zwitscherte und legte den Kopf schief, als wäre er lobotomisiert worden. Anya verbuchte es als Zustimmung. Trotzdem war es unheimlich, wie er am Bildschirm klebte. Und Anya war nicht überzeugt, ob das gut war.
Eine halbe Stunde später schoben Katie und sie zwei volle Einkaufswagen auf den Parkplatz. Ihre Ausbeute umfasste Nestchen, eine mit grünen Geckos bedruckte Kinderbettmatratze, allerlei Hilfsmittel zur Temperaturkontrolle, eine Hand voll Gummienten, zwei DVDs, ein Mobile und einen großen Stoffdrachen – damit die Molche nicht allein waren, wenn Sparky mal nicht zugegen war. Hinter ihnen entströmte ein eigenartiger Brandgeruch dem Geschäft, und in der Ferne heulte eine Sirene. Ganz oben auf Anyas Einkaufswagen ritt Sparky auf den Paketen wie ein Pirat am Ruder seines Schiffs.
»Das hat Spaß gemacht«, sagte Anya durchaus aufrichtig, obwohl sie ein schlechtes Gewissen hatte wegen der Verwüstung, die sie und Sparky über das kunterbunte Königreich gebracht hatten. Sie versuchte, sich mit dem Gedanken an das Geld zu trösten, das die Versicherung bezahlen würde. Und damit, dass sie Waren im Wert von Hunderten von Dollar auf ihre persönliche Wunschliste gesetzt hatte. Das, so sagte sie sich im Stillen, sollte Ausgleich genug sein. Vielleicht.
Katie schob ihren Wagen und verdrehte die Augen. »Ja, ich hab den Betrag gesehen, den die Kasse für deinen Wunschzettel angezeigt hat.«
Anya wedelte mit der Hand über einem Stapel Waschlappen, die mit gelben Enten bestickt und mit einem hübschen Band zusammengebunden waren. »Ich hab für meine Anmeldung ein Geschenk bekommen. Und einen Schuhkarton voller Registrierkarten, mit denen ich anderen Leuten sagen soll: Kauft den Scheiß für mich. Aber ich glaube, Sparky war enttäuscht, weil sie uns den Scanner nicht überlassen wollten.«
»Ja. Nachdem du Babyausstattung im Wert von fünftausend Dollar auf dich registriert hast. Gut gemacht.« Katie grinste spöttisch. »Jetzt wirst du bis in alle Ewigkeit in deren Adresskartei stehen.«
»Scheiße«, sagte Anya. »Andererseits … vielleicht können wir ja noch mal herkommen, wenn sie uns ein paar Gutscheine schicken.«
»Ich hab immer noch ein schlechtes Gewissen, dass ich sie unbeaufsichtigt gelassen habe.«
Anya ging im Korridor auf und ab und lugte immer wieder ins Badezimmer. Sparky saß schnurrend in seinem Nest. Und um dieses Nest war noch mehr Aufhebens gemacht worden, als sie erwartet hatte. Auf dem kristallinen Belag in der Badewanne lagen die mit grünen Geckos verzierte Matratze und die Nestchen, über den Eiern war der Gore-Tex-Schlafsack ausgebreitet worden. Der grüne Plüschdrache thronte als Elternersatz mit dem Hintern auf der Seifenschale. Sparky hatte es Anya gestattet, die Eier in der Wanne zu bewegen: Einundfünfzig Salamanderbabys warteten darauf, zur Welt zu kommen. Bei dem Gedanken kniff Anya die Augen zu und rieb sich die Schläfen.
Da sie nicht wusste, wann der große Moment stattfand, hatte sie den Stöpsel in den Abfluss gerammt und den Zulauf mit Klebeband verschlossen. Zuvor hatte sich in ihrem Kopf ein neurotischer Albtraum abgespielt, in dem die frisch geschlüpften Salamanderbabys durch den Abfluss flutschten oder am Duschkopf hingen. Sparkys Mobile klimperte leise. Es schaltete sich in unregelmäßigen Abständen ein und aus, aber da es mit Batterien betrieben wurde, nahm Anya an, dass die Brandgefahr ziemlich gering war.
Sie kniete sich vor die Wanne, um die Anzeige des Gummienten-Thermometers abzulesen. Das Gerät war darauf ausgelegt, Alarm zu schlagen, falls es im Nest wärmer oder kälter war als in Badewasser. Als sie es nun unter Sparky hervorzog, zeigte es 31,4 Grad an. Sie hoffte, diese Temperatur mit Hilfe der Reptilien-Wärmekissen aufrechterhalten zu können, wenn sie Sparky mit zur Arbeit nahm.
Anya musterte Sparky, der zusammengerollt im Nest lag, und schluckte. Sie wusste, das Wesen würde ihr folgen, wo immer sie hinging – er war an den Reif gebunden, aber sie mochte ihn nur ungern eine gewisse Zeit von seinem Nest fernhalten. Sparkys natürliche Neigung war es von jeher gewesen, ihr zu folgen, aber …
… vielleicht konnte sie ihn ja doch eine Weile hier zurücklassen. Bilder ihres bis auf die Grundmauern abgebrannten Hauses zogen vor ihrem inneren Auge vorüber. Sie hatte Sparky noch nie allein gelassen. Welche furchtbaren Dinge würden in ihrer Abwesenheit wohl geschehen?
»Hübscher Arsch.«
Anya drehte sich zu dem Videoüberwachungsgerät um, das auf dem Tisch stand. Brians Stimme drang aus dem Lautsprecher, begleitet von einem blechernen Echo. Ihre Kehrseite war der Webcam zugewandt, und sie stellte fest, dass sie Brian einen wenig schmeichelhaften Anblick dargeboten hatte. »Es funktioniert also?«
»Komm raus und sieh selbst.«
Anya tätschelte Sparkys Kopf und verließ das Badezimmer. Er hatte niemandem außer Anya gestattet, den Raum zu betreten, und Anya hatte keine Ahnung, wie ihre provisorische Salamanderkrippe auf andere wirken mochte. Als Brian die Eier mit dem Haartrockner auf Temperatur gehalten hatte, hatte er, wie er ihr erzählt hatte, nichts außer dem Kristallbelag im Inneren der Badewanne gesehen. Ehe Katie Ciro nach Hause gebracht hatte, hatten sie es geschafft, einen Blick zur Tür hineinzuwerfen, während Sparky zu seinem Nest zurückgekehrt war. Beide hatten ebenfalls nichts gesehen. Anya war erleichtert, dass die kleinen Salamander die Unsichtbarkeit ihres Vaters geerbt hatten.
Im Wohnzimmer hatte Brian die Rückseite der anderen Hälfte der Überwachungsanlage geöffnet. Drähte baumelten aus dem Gehäuse heraus und verbanden es mit einem Laptop, einem Router und einem weiteren tragbaren Gerät. Brian krümmte den Finger, um Anya zu sich auf die Couch zu locken. Dann schaltete er den Monitor ein, auf dem sogleich ein Bild der Badewanne erschien.
Anya erkannte mit Schrecken, dass die Videoanlage nichts aufzeichnete. Auf dem Bildschirm war nur so etwas wie ein Schlafsack und etwas Babyausstattung zu sehen, die wie an einem Waschtag in die Badewanne befördert worden waren.
»Danke, dass du es versucht hast, Brian«, sagte sie. »Aber ich hab nicht erwartet, dass … Oh.«
Plötzlich schaltete der Monitor zu einem rot-gelb-blauen Bild um. Anya erkannte die Umrisse der Badewanne und einen roten Salamander, der über Dutzenden orangefarbenen Punkten kauerte, die glühten wie Kohlen.
»Ich hab die Videoanlage modifiziert, sodass sie nun die Daten einer Wärmebildkamera verarbeiten kann.« Brian grinste. »Jetzt kannst du genau sehen, wo die Racker sind.«
»Das ist toll«, sagte Anya. »Gibt es eine Möglichkeit, die Übertragung online zu stellen, damit ich sie mir auch von der Arbeit aus ansehen kann? Wie bei einer Überwachungskamera?« Sie war überzeugt, dass es tonnenweise paranoide Eltern gab, die Geld in so eine Technik investiert hatten. Vielleicht konnte sie die Salamander auch aus der Ferne im Auge behalten.
»Ich hab was Besseres für dich.« Brian brachte ein schwarz glänzendes iPhone zum Vorschein, betätigte ein paar Tasten und gab es ihr. »Ich hab die Sprachsteuerung aktiviert. Nenn einfach den Namen deines Vertrauten.«
Anya beugte sich vor und sagte: »Äh … Sparky anrufen.«
Das glänzend-schwarze Display erwachte zum Leben. Auf dem winzigen Bildschirm flackerte das Wärmebild des Salamanders in seinem Nest auf. Außerdem konnte Anya das Echo von Sparkys Geschnarche über den Lautsprecher hören.
»Oh, wow«, hauchte sie. »Kann ich das mitnehmen?«
»Du kannst es überall dort benutzen, wo es ein 3G-Signal gibt, also dürftest du sie von jedem Platz in Detroit und Umgebung sehen können. Das Signal könnte gestört werden, wenn du an einem Ort bist, der von Stahlbetonwänden umgeben oder unterirdisch ist. Und der Akku hält nur ungefähr fünf Stunden, du musst also häufig nachladen. Und vergiss nicht, den Akku regelmäßig auszutauschen.«
Anya schlang die Arme um Brians Hals. »Du bist der beste böse Geist auf dem ganzen Planeten.«
»Darum bekomme ich auch einen Haufen Kohle. Und erst die heißen Bräute«, murmelte er an ihrem Hals.
Anya konnte nicht schlafen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Auf dem Nachttischchen neben dem Bett konnte sie das Wärmebild beobachten, das Sparky zusammengerollt auf seinen Eiern zeigte. Das Porträt von Ischtar schien sich über die Schulter zu dem Monitor umzuschauen. Rotes Licht spiegelte sich in dem mineralischen Glimmer der Farbe.
Sie fürchtete sich vor dem nächsten Tag und der Entscheidung, den Salamander allein im Haus zu lassen. Tief im Inneren wusste sie, dass Sparky bei seinem Gelege bleiben musste. Aber bei dem Gedanken, den Reif abzunehmen und ihn zurückzulassen, überkamen sie dunkle Vorahnungen.
Gestern Nacht hat es dir auch nichts ausgemacht, den Reif abzulegen, schien Ischtar ihr vorzuhalten.
Anya drückte das Kissen, das nach Brian roch, an ihre Brust. Sie fühlte sich zugleich schuldig und euphorisch. Aber es schien, als könnte sie nur dann einen Teil ihrer Seele entblößen, wenn sie einen anderen missachtete. Und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie zugeben, dass ihr schon das unschuldige Gefühl der Freude Gewissensbisse bereitete. Sie verdiente so etwas nicht. Und in all dem Wirrwarr leuchtete plötzlich ein Funke der Angst auf: der Angst vor Verlust, der Angst, alles zu verlieren, so wie sie als Kind alles verloren hatte.
Anya stand auf und riss Kissen und Decke vom Bett. Die Decke wie ein Cape über die Schulter geschlungen, ging sie durch den Korridor zum Badezimmer. Sparky lag, kugelförmig zusammengerollt, sodass sein Schwanz seine Kiemenwedel kitzelte, im Lichtschein eines Nachtlichts in Form einer gelben Ente.
Als Anya Kissen und Decke auf dem Boden zurechtlegte, schlug er ein Auge auf. Momentan kam er ihr hinreißend friedlich vor, aber sie fragte sich dennoch, was wohl geschehen würde, falls … wenn … sie ihn allein ließ. Würde er sich irgendwann langweilen und die Schutzschalter annagen?
Sorge und Furcht verfolgten sie, bis sie endlich wegdöste. Die Decke erglühte unter dem bernsteinfarbenen Lichtschein, der von Sparkys Körper und dem ungleichmäßig pulsierenden Licht der Eier selbst ausging. Anya fragte sich, ob dieses pulsierende Licht von dem Herzschlag der kleinen Molche stammte, die in ihren kugelrunden Gefängnissen zappelten. Es war ein bisschen wie damals, als sie neben dem Christbaum auf dem Boden eingeschlafen war – als wartete sie mit Sparky an ihrer Seite nur darauf, dass das Haus niederbrannte.