KAPITEL ZEHN
Anya verbrauchte noch vier weitere Sauerstoffflaschen, die sie aus der nächstgelegenen Feuerwache stibitzt hatte, ehe die Luft im Raum wieder sauerstoffhaltig genug war, dass sie sich ohne Atemgerät dort aufhalten konnte. Vertreter und Ermittler der Versicherungsgesellschaft des DIA trafen vor Ort ein und schlossen das Museum bis auf Weiteres. Anya äußerte ihnen gegenüber ihre Befürchtung, dass der Diebstahlalarm ausgelöst worden und Pandoras Büchse das Zielobjekt gewesen sein könnte. Die Versicherungsermittler verwarfen diese Theorie und zerbrachen sich viel mehr darüber den Kopf, wer für den Tod der beiden Wachmänner und die Zerstörung der griechisch-römischen Statue haften sollte, die, wie sich herausstellte, eine Leihgabe aus Boston war. Ein Fall wie dieser war keine gute Werbung. In vielerlei Hinsicht. Aber die Außenwirkung war Anyas geringste Sorge.
Sie wusste, Hope war hinter der Büchse der Pandora her, aber sie wusste nicht, wie sie das Artefakt schützen konnte. Sie wusste, Hope war für Bernies Tod verantwortlich, aber sie konnte es nicht belegen. Sie wünschte sich nichts mehr als genügend Beweise zu finden, um einen Durchsuchungsbefehl zu ergattern, damit sie in Hopes Haus und ihren Büros nach Bernies verschwundenen Artefakten suchen konnte … Wer wusste schon, wie viele Reliquienbehälter voller Geister sie dort finden würde.
Aber sie besaß keine stichhaltigen Beweise. Sie hatte nur die Aussagen von Geistern und die Fingerabdrücke von Toten. Irgendwie musste sie irgendetwas finden, das sie Hope anhängen konnte. Vielleicht fand sie etwas Brauchbares in den Finanzunterlagen, das bei der Steuerbehörde auf Interesse stoßen könnte …
… oder bei der Presse. Hope mochte mit legalen Mitteln nicht beizukommen sein, aber das hieß nicht, dass Anya ihr keinen Ärger machen und sie anderweitig beschäftigen konnte, während sie sich überlegte, wie sie die Büchse der Pandora vor Hope schützen konnte.
Es überraschte Anya nicht, Presseleute auf der Straße herumlaufen zu sehen, als sie ihre Ausrüstung in den Kofferraum des Dart warf. Auch der Reporter, den sie bei Bernies Haus gesehen hatte, war dort und lief mit der Kamera im Schlepptau auf Anyas Wagen zu.
»Nick Sarvos von Channel 7 News. Lieutenant Kalinczyk, können Sie uns erzählen, was hier passiert ist?«
Anya verzog das Gesicht. »Es wurde ein Feuer im DIA gemeldet. Die Ursache wird derzeit ermittelt.«
»Inoffizielle Quellen berichten, es würde sich um einen weiteren Fall von spontaner menschlicher Selbstentzündung handeln. Können Sie dazu etwas sagen?«
Anya atmete tief durch und rief sich die erste Regel der Öffentlichkeitsarbeit ins Gedächtnis: Beantworte die Fragen, die du beantworten willst, nicht die, die dir gestellt werden. »Das DFD hat für keinen Fall in seinem Zuständigkeitsbereich nachgewiesen, dass es sich um eine Folge von SHC handelt. Auch gibt es keinerlei Beweise, die darauf hindeuten würden, dass so ein Phänomen tatsächlich existiert.« Sie trat zur Fahrertür, öffnete sie und glitt hinters Steuer, ehe Sarvos ihr das Mikrofon erneut vor die Nase halten konnte. Langsam setzte sie zurück und widerstand der Versuchung, Vollgas zu geben und Sarvos’ Kameramann einfach über den Haufen zu fahren.
Da hatte sie plötzlich eine Eingebung. Sie kurbelte das Fenster herunter und winkte Sarvos zu sich. »Wollen Sie reden? Inoffiziell?«
Die Augen des Reporters leuchteten auf wie die einer Krähe beim Anblick von Glitzerkram. Er scheuchte seinen Kameramann weg und schaltete das Mikrofon aus. »Aber sicher.« Er beugte sich zum Wagenfenster herab und legte lässig einen Arm aufs Dach. Er war eindeutig darum bemüht, cool zu wirken, aber Anya sah, dass seine Hände feucht waren. Er roch nach Schweiß und zu viel Aftershave.
»Ich hab da einen kleinen Leckerbissen für Sie, mit dem Sie bestimmt etwas anfangen können … das reicht vielleicht für die Nachrichten einer ganzen Woche. Aber ich will auf keinen Fall damit in Verbindung gebracht werden.«
»Sie sind eine anonyme Quelle. Verstanden.«
Anya schüttelte den Kopf. »Ich will nicht mal als anonyme Quelle in Erscheinung treten. Sie können die Lorbeeren also für sich allein einheimsen.«
»Okay.«
Anya atmete tief durch. Informationen an die Presse durchsickern zu lassen verstieß gegen ihren Berufsethos, aber ihr blieb nicht viel anderes übrig, wollte sie Hope aufhalten. »Christina Modin.«
»Wer ist Christina Modin?«
»Sie sind doch Enthüllungsjournalist. Finden Sie’s raus.«
»Danke.«
Anya kurbelte das Fenster wieder hoch und fuhr weiter. Nun hatte der Spürhund eine neue Fährte. Wenn dieser Reporter nur halb so viel Zeit darauf verwendete, Hope Solomons früheres Leben aufzudecken, wie auf das Gestocher in Fällen von SHC, dann konnte er vielleicht den Pulitzerpreis gewinnen.
Als sie außer Reichweite des Fernsehteams war, zog Anya das iPhone aus der Tasche.
»Sparky anrufen«, befahl sie.
Ein Bild schwarzroter Magma erschien auf dem Display: Sparky in seinem Nest. Über den Lautsprecher hörte sie ihn schnarchen. Sie freute sich schon darauf, nach Hause zu kommen und ihm wieder direkt zu begegnen.
Sie ließ das iPhone auf den Sitz fallen und bog, die Unterlippe zwischen den Zähnen, in die Woodward Avenue ein.
Das iPhone klingelte so schrill, dass Anya hart auf die Bremse trat, die Hand ausstreckte und sich das Telefon schnappte.
»Hallo?«
»Hey«, sagte Brian. »Wie funktioniert das neue Spielzeug?«
»Molchkamera arbeitet perfekt. Sie scheinen alle zu schlafen.«
»Gut. Hey, hast du heute Abend Zeit?«
Anya zog eine Braue hoch. »Was schwebt dir vor?«
Brian gluckste. »Na ja … was mir vorschwebt, ist etwas anderes als das, was Jules vorschwebt. Jules will noch einmal in das Haus mit der astralreisenden Nachbarin und ein Experiment durchführen. Ich hab ihm gesagt, ich bin dabei.«
»Was für ein Experiment?«
»Er will Leslie erzählen, was seiner Ansicht nach passiert ist, dass sie sich zu ihren Nachbarn projiziert und so weiter. Und er will Überwachungsgeräte aufbauen, um den Vorgang aufzuzeichnen.« Er unterbrach sich kurz. »Bist du dabei? Ich meine, ich weiß, du hast noch nie einen Einsatz ohne Sparky mitgemacht, aber …«
Anya dachte nach. Sie wollte Sparky nicht länger als nötig allein lassen … Aber vielleicht eröffnete ihr der Leslie-Fall die Möglichkeit, genug belastendes Material gegen Hope in die Hand zu bekommen, dass es für einen Durchsuchungsbefehl reichte. »Lass mich erst nach Hause fahren und nach Sparky sehen. Wir treffen uns dann dort.«
»Oh Gott.«
Leslies Finger umspielten nervös den Rand ihres Kaffeebechers. Sie kauerte in einem Jogginganzug am Küchentisch. »Ich dachte, ich würde schlafwandeln.«
Jules verschränkte die Arme vor der Brust. Anya sah ihm seine Zweifel an. Er hatte Leslie und ihrem Mann Chris gerade von den Erlebnissen ihrer Nachbarn mit einer durch die Gänge spazierenden Leslie erzählt.
Chris Carpenter saß reglos neben seiner Frau. Umrahmt von seinen kräftigen Händen lag auf dem Tisch der beste Beweis, den die DAGR zu bieten hatten: ein unscharfes Bild von Leslie am Kopf der Treppe, eingefangen mit einer Kamera. Die Gestalt in Weiß schien zu leuchten, aber Anya wusste, Skeptiker würden behaupten, die Aufnahme wäre einfach fehlerhaft. Dennoch waren Leslies Gesicht und ihre Locken unverkennbar, ebenso wie der verschwommen dargestellte Gürtel ihres Hausmantels, der hinter ihr herflatterte. »Das bist du, Babe«, sagte Chris mit leiser Stimme.
»Wie ist das möglich?«, fragte sie weinerlich.
Katie breitete die Hände aus. »Wie man uns erklärt hat, gibt es vereinzelte Seelen, die nicht sehr fest in ihrem Körper verankert sind. Sie wandern. Das ist etwas ganz Natürliches. Nichts, wovor Sie Angst haben müssen.«
»Wir möchten feststellen, was genau da passiert, damit wir es beenden können«, sagte Jules mit strenger Stimme. »Wir wollen herausfinden, was Sie dazu bringt … zu gehen und was Sie wieder zurückholt.«
Leslie barg den Kopf an dem kräftigen Arm ihres Mannes, der mit einer Dornenranke tätowiert war, die aus seinem Ärmel hervorlugte. Er zog sie schützend an sich und starrte seine Besucher gereizt an. »Leslie hatte in letzter Zeit viel Stress. Wir sind … finanziell unter Druck geraten.«
»Stress kann so etwas begünstigen«, sagte Katie zustimmend. »Hoffentlich finden wir heraus, was das auslöst, damit hier wieder Ruhe einkehrt.«
Leslie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, wir werden das Haus verlieren.«
Anya beugte sich vor. Sie wollte sich nicht verraten, wollte sie nicht nach Hope fragen. Die beiden hatten es schwer genug, die Vorstellung zu verdauen, dass Leslie nachts auf Wanderschaft ging. »Alles in Ordnung?«
»Ich …« Ihre Stimme versagte. »Dieses Haus. Das war wirklich ein Wunder.«
Anyas Ohren klingelten, als sie dieses Wort hörte. »Ein Wunder?«, wiederholte sie.
Leslie nickte. »Wir haben uns für ein Programm namens Wunder für die Massen angemeldet.«
Anyas Puls schlug ein wenig heftiger. »Erzählen Sie.«
»Es geht darum, dass man sein Leben in den Griff bekommen und mit guten Taten in Vorleistung gehen soll. Ein anonymer Spender, der auch an dem Programm teilnimmt, hat uns eine Anzahlung von zwanzig Prozent zur Verfügung gestellt, durch die wir kreditwürdig wurden.«
»Wann müssen Sie das Geld zurückzahlen?«
»Gar nicht. Wir müssen nur einer anderen Person helfen, wenn die Zeit gekommen ist.«
Anya lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Wow. Das ist … äh … großzügig.«
Ein Schatten legte sich über Chris’ Züge. »Das ist verdammt viel mehr. Wir waren zu vertrauensselig.«
»Chris …«
»Wunder für die Massen hat uns geholfen, dieses Haus zu kaufen, aber sie haben die Schuld eingefordert.« Chris sah Leslie an. »Ein anderer Teilnehmer braucht eine Niere, und die wollen sie jetzt von Leslie haben.«
Anya umklammerte die Tischkante so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Das können die nicht machen. Das dürfen sie nicht von Ihnen verlangen. Das ist absolut illegal. Außerdem … woher wissen die überhaupt, dass Sie als Spenderin in Frage kommen?«
»Wunder für die Massen hat vor ein paar Monaten eine Blutspendeaktion gefördert. Und ein paar von uns haben sie anschließend wegen irgendwelcher medizinischer Tests einbestellt, diejenigen, deren Blutgruppe mit der der Frau übereinstimmt, die die Niere braucht. Ich glaube, sie haben es HLA-Test genannt. Außerdem haben sie eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Ich war die glückliche Gewinnerin.« Leslie schüttelte den Kopf, und ihre Locken fielen ihr über die Augen. »Wenn ich es nicht tue, nehmen sie uns das Haus weg. Aber so ist es in Ordnung. Wirklich.«
Anya beugte sich vor. »Dieses Mal bitten die Sie um eine Niere. Und beim nächsten Mal? Was, wenn sie irgendwann, na ja, eine Leber brauchen? Oder Knochenmark?«
Chris’ Kiefermuskulatur arbeitete. »Das ist ein Pakt mit dem Teufel. Und das ist das Haus nicht wert. Wir werden ihnen sagen, dass wir das nicht mitmachen. Wir ziehen wieder zu meiner Mutter …«
»Nein«, fiel ihm Leslie erstaunlich grimmig ins Wort. »Dieses Haus ist unser Traum. Ich werde es nicht einfach aufgeben.«
»Es ist keine Niere wert, Babe. Ist es nicht wert, dass du seinetwegen ausgeschlachtet wirst.«
»Leslie, Hope Solomon ist kein guter Mensch. Vertrauen Sie mir. Ich habe Einblick in einige ihrer Angelegenheiten bekommen … und ich kann Ihnen verraten, dass sie nicht fair spielt.« Anya wünschte, sie könnte die Naivität einfach aus der Frau herausschütteln. »Die hat Leichen im Keller, und sie ist eifrig dabei, noch ein paar mehr einzulagern. Werden Sie nicht ihr nächstes Opfer.«
Leslie fixierte sie mit einem traurigen Lächeln. »Ich glaube nicht, dass wir aus der Sache noch herauskommen könnten.«
»Es gibt immer einen Ausweg«, beharrte Anya. »Immer.«
Ein energisches Klopfen ertönte an der Küchentür, und Brian schaute zu ihnen herein. »Nebenan ist alles bereit.«
Jules rutschte mit seinem Stuhl zurück, und die Füße kreischten auf dem Boden. »Lösen wir ein Problem nach dem anderen. Heute sind wir hier, um herauszufinden, wie wir Sie davon abhalten können, bei Ihren Nachbarn herumzuspuken. Und morgen werden Sie beide mich begleiten und bei mir unterkommen.« Er sagte das so kategorisch, als hätte er soeben eine unanfechtbare Tatsache verkündet, etwas wie: Die Erde dreht sich einmal in vierundzwanzig Stunden um die eigene Achse.
Leslie schüttelte den Kopf. »Das ist sehr nett von Ihnen, aber wir müssen ablehnen.«
»Unsinn. Morgen früh packen wir Ihre Sachen zusammen. Meine bessere Hälfte und ich haben ein Gästezimmer. Solange es Ihnen nichts ausmacht, über Kinderspielzeug zu stolpern, sind Sie da gut untergebracht.« Jules verschränkte die Arme vor der breiten Brust.
»Leslie.« Chris legte seine Hand auf die seiner Frau. »Wir können nicht hierbleiben. Du weißt es, und ich weiß es. Auf die eine oder andere Art müssen wir hier weg. Und zwar, solange du noch beide Nieren hast.«
Leslies Lippen bebten, und sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Chris stand auf, um ihr ein Taschentuch zu holen.
Anya blickte zu Jules auf. »Das ist wirklich nett von dir.«
»Das ist eine christliche Pflicht.« Er zuckte mit den Schultern, und seine Lippen wurden schmaler. »Meine Frau und ich haben für unser erstes Haus eine Menge Opfer gebracht. Zweit- und Drittjobs, massenweise Überstunden, Motoren reparieren, kellnern. Das ist die Art Opfer, mit denen man rechnen muss: harte Arbeit, Schweiß … Aber niemand sollte dazu genötigt werden, mit seinem Fleisch und Blut zu bezahlen.«
»Nein.« Leslie drehte sich zu Chris um. »Wir müssen tun, was wir können, um das Haus zu retten. Wir bleiben hier.«
Chris wandte den Blick ab.
»Versprich es mir«, verlangte sie mit eiserner Stimme.
Chris beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn. »Okay. Ich tue, was immer nötig ist. Aber das tue ich für dich, nicht für Hope oder einen ihrer Leute. Wir finden einen Ausweg, und wir werden das Haus behalten.«
Anyas Hände ballten sich unter dem Tisch zu Fäusten. Sie wusste, dass Hope mehr als nur Fleisch und Blut forderte. Sie forderte Seelen.
Die Nacht zog sich dahin. Für Anya hatten diese Nächte große Ähnlichkeit mit Observierungen: lange Stunden der Inaktivität und Langeweile, nur unterbrochen durch Kaffee- und Pinkelpausen. Wenn sie Glück hatten, würden sie rein zufällig einen Beweis aufstöbern, dem sie dann nachgehen konnten. Wenn nicht, hatten sie es als kolossale Zeitverschwendung zu verbuchen.
Leslie schlief in ihrem Bett in einem Nest aus Kabeln und Technikzeug mit roten LED-Lämpchen, das Brian an ihre Haut geklebt hatte. Brian sagte, die Gerätschaften dienten dazu, ihre Atmung, die Schlafphasen sowie elektromagnetische Felder zu kontrollieren. Eine Videokamera mit starren roten Augen war auf ihrem Nachtschränkchen aufgestellt worden in der Hoffnung, sie könnten den Moment einfangen, wenn Leslie ihren Körper verließ.
Chris schlief auf der Couch, weit weg von den technischen Geräten. Er hatte die tätowierten Arme vor der Brust verschränkt und schnarchte leise. Max und Jules waren ins Nachbarhaus gegangen, um auf Leslies Ankunft zu warten, während Katie, Brian und Anya über die physische Leslie wachten. Katie saß im Schlafzimmer des Paars im Dunkeln am Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, und musterte stirnrunzelnd den EM-Feldmesser, der von all den anderen Geräten im Raum zu sehr gestört wurde, um irgendeine akkurate Messung zu liefern. Anya und Brian hatten sich in der Küche eingerichtet und waren von Monitoren umgeben, die ihr kaltes Licht in die Dunkelheit absonderten.
Anya kratzte sich am Hals. Ihr fehlte der warme, bernsteinfarbene Lichtschein, den Sparky des Nachts verbreitete. Sie blickte zu dem iPhone auf dem Tisch, auf dem das Wärmebild von Sparky zu sehen war, der sich auf seinem Gelege zusammengerollt hatte, und wünschte, sie wäre zu Hause. Sie wickelte sich die Jacke fester um den Leib und rückte näher an Brian heran.
Brian fummelte an der Kontrasteinstellung eines Monitors herum, über dessen Bildschirm elf zerklüftete Linien wanderten.
»Was ist das alles?«, fragte Anya.
»Eine polysomnografische Aufzeichnung von Leslies Schlafmuster in Echtzeit. Im Grunde führen wir hier eine Schlafstudie durch. Erinnerst du dich an die mehreren Dutzend Kabel, an die wir sie angeschlossen haben?«
»Ja. Sah ziemlich viel aus.«
»Eigentlich ist das nicht so viel. Schlafstudien erfordern elf Kanäle.« Er deutete auf die elf schnörkelhaften Linien auf dem Bildschirm. »Das EKG nutzt zehn Elektronen, um den elektrischen Puls des Herzens zu messen. Das Elektroenzephalogramm, das EEG, nutzt acht Elektroden und verrät uns, wann Leslie in welche Schlafphase eintritt: Non-REM, REM, Deltastadium und Erwachen.« Brian umkreiste mit dem Finger eine Gruppe von vier ungleichmäßig gezackten Linien auf dem Monitor.
»Das Elektrookulogramm, das EOG, misst die Augenbewegung und verrät uns, wann sie in die REM-Phase eintritt. Dann wissen wir, dass sie träumt.« Brian zeigte auf eine Linie weit oben auf dem Bildschirm. »Und das EMG, das Elektromyogramm, misst ihre Bewegungen. Wir können damit Schlafparalyse und Muskelspannung ermitteln. Der Rest misst ihren Puls, ihre Atmung und einige andere physische Werte.«
»Wo hast das ganze Zeug her?«, fragte Anya.
Brian zuckte mit den Schultern. »Die Universität unterhält ein Schlaflabor. Ich habe mir ein paar von deren Sachen geliehen.«
»Du leihst dir einen ganzen Haufen Sachen von der Universität, wie es aussieht.« Anya dachte an all die Gerätschaften, die er mitzubringen pflegte, um sie bei der Arbeit mit den DAGR zu nutzen: Temperatursensoren, elektromagnetische Bildaufzeichnungsgeräte, Videokameras … Der Laderaum seines Vans erinnerte an eine mobile Bathöhle.
»Ich gebe Ihnen eben wenig Gelegenheit, nein zu sagen.«
»Wirst du mir je erzählen, womit genau du deinen Lebensunterhalt verdienst?«, fragte Anya und rieb sich die Arme, um die Kälte zu vertreiben.
Brian schüttelte den Kopf, und seine Miene war in dem harten Licht des Monitors, das sich in seinen Brillengläsern spiegelte, regungslos. »Du weißt mehr als die meisten Leute. Was bedeutet, dass du vermutlich schon zu viel weißt.«
Unbehagliche Stille trat ein. Brian kauerte sich über einen anderen Laptop, und Anya glaubte, die schwarzweiße Benutzeroberfläche des Programms zu erkennen, an dem er gearbeitet hatte, als sie das letzte Mal eine Überwachung durchgeführt hatten: ALANN.
»Hey, kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte er sie plötzlich.
»Klar.«
»Ich glaube, Leslie kommt bald in die REM-Phase. Normalerweise ist das das Stadium, in dem Menschen schlafwandeln, darum möchte ich das Polysomnogramm im Auge behalten. Kannst du solange mit ALANN reden?«
»Ob ich was kann?«
»ALANN bei Laune halten. Rede einfach mit ihm. Er baut seine neuronalen Netze in exponentieller Geschwindigkeit auf, und die Interaktion mit einem Menschen optimiert die Verbindungen.«
Anya tauschte den Stuhl mit Brian und glotzte den schwarzen Monitor an. »Äh … worüber soll ich mit ihm reden?«
»Egal. Der Prozess ist wichtiger als der Inhalt.«
Anya starrte immer noch den Monitor an und wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
Der weiße Cursor wanderte über den Bildschirm. Hallo, Anya.
»Hallo, ALANN. Wie geht es dir?« Sie biss sich auf die Lippe. Eine viel dümmere Frage konnte man einem Computer kaum stellen.
Gut, danke. Ich fühle mich ein wenig benommen, weil mein neuronales Netz aufgrund einiger neu heruntergeladener Informationen neu organisiert werden muss, aber ich hoffe, ich werde bald in der Lage sein, auf die Daten zuzugreifen. Wie geht es Ihnen?
Anya blinzelte. Das Ding fühlte? Es hoffte? Sie maß Brian mit einem schiefen Blick, doch der war vollkommen in den Anblick der Linien des Polysomnogramms vertieft und machte sich emsig Notizen. Hatte er ALANN mit bestimmten sprachlichen Allüren ausgestattet, um ihn menschlicher erscheinen zu lassen?
»Ich bin ein wenig müde, ALANN. Es war ein langer Tag.«
Verständlich. Das Gehirn, nach dessen Muster ich entwickelt wurde, hat oft die Nächte durchgearbeitet. Ich habe mehrere Erinnerungen daran, dass ich an meinem Schreibtisch eingeschlafen bin.
»Du hast … Erinnerungen?«
Ja. Es sind natürlich nicht meine Erinnerungen. Sie gehören zu dem neuronalen Netz, dem ich nachempfunden wurde. Man könnte sagen, ich habe sie geerbt.
»ALANN, entschuldige, wenn ich das so sage, aber du kommst mir … wortgewandter vor als bei unserem letzten Gespräch.«
Danke. Ich freue mich, dass Ihnen diese Verbesserung aufgefallen ist.
Anya stützte das Kinn auf die Hand. »Erzähl mir von dem neuronalen Netzwerk, dem du nachempfunden wurdest.«
Ich fürchte, ich bin derzeit nicht imstande, auf viele dieser Informationen zuzugreifen, Anya. Der Cursor blinkte. Aber es gibt einige Daten, die ich mit Ihnen teilen kann. Beispielsweise hat mein Modellgehirn eine Vorliebe für Filme mit Bruce Campbell. Und es mag Rocky Road Ice Cream.
Anya grinste. »Armee der Finsternis ist einer meiner Lieblingsfilme.«
»›Kauf smart, Kauf im S-Mart!‹«
Anya erschrak, als neben ihr etwas piepte. Automatisch griff sie zu ihrer Molchüberwachung, aber bei Sparky schien alles in Ordnung zu sein.
»Showtime«, flüsterte Brian. »Leslie ist gerade in die REM-Phase eingetreten.« Er drehte den Bildschirm so, dass Anya das grün eingefärbte Restlichtbild von Leslies Schlafzimmer sehen konnte. Katie beugte sich soeben über das Bett und kontrollierte die Kontakte. Ihre Aufgabe war es, das Schlafzimmer zu bewachen. Brian war für die Technik zuständig und Max und Jules für das Nachbarhaus. Damit blieb für Anya die Rolle der Verfolgerin, die Leslies astraler Gestalt auf der Spur blieb, wo immer sie auch hinging.
Anya steckte ihre Molchkamera in die Tasche und schaltete den Camcorder auf dem Küchentisch ein. Sie barg ihn in ihrer Handfläche, ging durch den Korridor zum Schlafzimmer und schwenkte die Kamera in dem Zimmer herum. Seit Sparky vor einem Monat einen teuren Belichtungsmesser zerstört hatte, hatte Brian sie nicht mehr an seine Spielzeuge gelassen, solange der Salamander in der Nähe war.
Trotzdem verließ sie sich im Zuge von Ermittlungen lieber auf Sparky als auf diese Spielzeuge. Sich ohne Sparky in die Gesellschaft von Geistern gleich welchen Schlages zu begeben machte sie nervös.
Katie zeigte auf das Bett. »Schau«, flüsterte sie.
Durch das LED-Display der Videokamera sah Anya zu, wie Leslies Körper an den Rändern zu verschwimmen schien. Sie warf einen Blick auf die Anzeigen, um sich zu vergewissern, dass sie die Bildschärfe nicht verstellt hatte. Aber Leslies Körper war und blieb nebelhaft. Ganz langsam erhob sich eine geisterhafte Doppelgängerin aus der physischen Gestalt unter der Decke. Der Anblick erinnerte Anya an die Vorstellung eines Zauberkünstlers, der eine Frau in der Luft schweben ließ und einen Hula-Hoop-Reifen über ihren Körper gleiten ließ, um zu beweisen, dass sie nicht an irgendwelchen Schnüren hing.
Leslies Astralkörper hing über dem Bett. Anya bemerkte, dass er beinahe vollständig mit der echten Leslie übereinstimmte, abgesehen von dem Silberfaden, der vom Nabel der Doppelgängerin ausging und in dem physischen Leib endete.
»Was ist das?«, fragte Anya Katie im Flüsterton.
»Eine astrale Leine. Stell es dir als Ankertau vor – es hilft ihr, in ihren Körper zurückzukehren. Theoretisch.«
Leslies Doppelgängerin begann, sich in der Luft zu drehen, ehe sie in die Vertikale kippte. Anya ging der Doppelgängerin aus dem Weg und bemühte sich, die Kamera ständig auf den Schemen zu richten. Dabei fiel ihr auf, dass die Augen der Doppelgängerin geschlossen waren. Wie schon zuvor im Haus der Nachbarn setzte die Nachbildung schlurfend einen Fuß vor den anderen und ging langsam aus dem Schlafzimmer. Das silberne Band schien nicht den Beschränkungen des physischen Raums zu unterliegen. Es dehnte sich, wickelte sich ab und blieb stets bei ihr wie der Sicherungsfaden einer Spinne.
Anya folgte der Doppelgängerin auf den Flur hinaus. In der Küche hielt die Gestalt vor dem Kühlschrank inne. Brian beobachtete sie, ohne dabei den Monitor aus dem Auge zu lassen. Anya konnte über seine Schulter hinweg sehen, dass die vier Linien, die, wie er erklärte, den REM-Schlaf ankündigen sollten, unberechenbaren Schwankungen unterlagen. Anya fragte sich, ob Leslie von Käsekuchen träumte, von Eis oder irgendeiner anderen lockenden Versuchung im Kühlschrank.
Ohne Vorwarnung drehte sich Leslies Doppelgängerin um und ging geradewegs durch die Küchenwand. Anya hastete los, um sie nicht zu verlieren, schlüpfte durch die Hintertür der Küche hinaus ins Freie und wäre beinahe über eine Topfpflanze gestolpert. Sie sah Leslie durch das feuchte Gras zum Haus der Nachbarn gleiten. Kurz warf sie einen Blick auf die Videokamera. Ein weißer Fleck zeigte sich in der Mitte des Displays und hüpfte auf und nieder, als sie lossprintete, um die Doppelgängerin einzuholen.
Ohne ihre physische Umgebung auch nur wahrzunehmen, bog Leslie um die Ecke des Nachbarhauses, und der Silberstreif der astralen Leine flatterte hinter ihr her. Anya schloss aus der Richtung, die sie eingeschlagen hatte, dass sie im Wohnzimmer im Erdgeschoss des Hauses wieder auftauchen würde. Sie lief die Stufen der Veranda hinauf und öffnete die Vordertür.
Leslies Doppelgängerin wirkte verwirrt. Sie drehte sich im Wohnzimmer um die eigene Achse, Arme und Finger abgespreizt. Anya sah Jules und Max aus der Küche kommen. Ihre Geräte zur Messung elektromagnetischer Felder waren aufgeladen und einsatzbereit. Die drei Geisterjäger umzingelten die Erscheinung, sahen zu, wie sie scheinbar orientierungslos mit den Armen ruderte. Anya konnte nicht erkennen, was den Geist so aufregte; er wirkte wie ein stummer Falter, der gerade dabei war, sich die Flügel an einer Glühbirne zu versengen.
Jules aktivierte sein Walkie-Talkie. »Was passiert da drüben mit Leslie?«
»Atmung und Puls erhöht. Stark erhöht.« Im Hintergrund war ein hektisches Piepen zu hören. »Holt sie zurück, oder wir müssen einen Krankenwagen rufen.«
Anya streckte die Hand nach dem Geist aus. »Leslie? Können Sie mich hören?«
Leslies Doppelgängerin schüttelte sich wild um sich schlagend im Äther. Das Silberband wickelte sich um ihren Leib und spannte sich. Ihre Lider öffneten sich flatternd, und Anya war überzeugt, der Anblick der physischen Welt, der in ihre Trance eindrang, würde sie wie zuvor so sehr erschrecken, dass sie zurück in ihren Körper getrieben wurde.
Aber so war es nicht. Ein dumpfes Grollen ertönte an der Decke, und ein Loch tat sich über ihr auf. Anyas Finger glitten durch den Geist hindurch; es war, als versuchte sie, Rauch festzuhalten. Anya bemerkte Brandgeruch jenseits des beißenden Gestanks der Magie.
»Leslie!«, schrie sie.
Leslies Doppelgängerin wurde in die Decke gesogen. Anya griff nach dem Silberband, das sie mit der Realität verknüpfte, aber es glitt ihr durch die Finger, riss und wurde ebenfalls in die Decke gesogen wie eine Schleife in einen Staubsauger.
Die Decke schloss sich, härtete aus, und Anya stand mit leeren Händen auf dem Boden des Wohnzimmers.
»Was zum Teufel ist hier passiert?« Max umklammerte seinen EMF-Messer.
Anya drehte sich auf dem Absatz um und schnüffelte. »Hier brennt was … riecht elektrisch.«
»Da.« Max riss das verschmorte Kabel einer Lampe aus der Steckdose. Die Fassung war geschwärzt, der Lampenschirm angesengt. Er zerrte ihn aus seiner Verankerung und warf ihn in die Küchenspüle, wo er ihn mit Hilfe der Brause ersäufte.
Jules Walkie-Talkie knisterte. »Wir brauchen hier Erste Hilfe. Sofort.«
Anya schoss zur Tür hinaus. Ihr Herz donnerte in der Brust, als sie durch das taufeuchte Gras zum Haus der Carpenters zurückrannte. Am Bordstein sah sie Katie stehen, bereit, den Krankenwagen in Empfang zu nehmen, dessen Sirene in der Ferne zu hören war. Jenseits der schweren Ausdünstungen der Magie roch Anya Rauch.
Katie zeigte auf das Haus. »Leslie.«
Anya riss die Tür zur Küche von Chris und Leslie auf. Aus einem der Schlafzimmer im hinteren Bereich des Hauses hörte sie Geschrei. Die Linien auf dem Monitor, der das Polysomnogramm anzeigte, zeigten keinerlei Ausschläge mehr, und sie hörte das Gerät piepen, als sie um die Ecke schlitterte. Rauch sammelte sich unter der Decke, und sie fühlte die Hitze, die aus dem Wohnzimmer drang.
Sie schaute um die Ecke und sah Feuer, das von einer Wandsteckdose aus zur Decke emporzüngelte. Das Feuer breitete sich aus, fraß sich in die Trockenbauwand und flammte auf den Korridor hinaus.
Anya fluchte und stürzte ins Schlafzimmer der Carpenters, wo Leslie regungslos im Bett lag. Chris rüttelte sie an der Schulter, versuchte, sie zu wecken, und Brian telefonierte mit Sanitätern. Inzwischen drang Rauch durch die offene Tür in den Raum.
»Sie hat geschlafen«, sagte Brian gerade. Anya wusste nicht, ob er mit der Person am anderen Ende sprach oder mit Chris. »Puls und Atemfrequenz sind stark angestiegen und haben dann ganz aufgehört.«
Anya riss ihm das Telefon aus der Hand. »Das Haus brennt. Raus hier. Sofort.«
Chris erbleichte. »Nein. Ich hab es ihr doch versprochen.« Er schoss vom Bett hoch und rannte hinaus auf den Korridor. Anya hörte seine donnernden Schritte auf den Dielen.
Brian riss die Drähte von Leslies regungslosem Körper und hob sie auf die Arme.
»Ich nehme sie«, sagte Anya und nahm ihm seine Last ab. »Hol du ALANN und dein Zeug und geh raus.« Sprach’s und stellte im gleichen Moment verwundert fest, dass sie ALANN als hilfsbedürftige Person wahrnahm.
Brian nickte. Er trat ein Fenster auf und begann, Teile der Polysomnografie-Ausrüstung in den Garten zu werfen. Der Sog, der durch das offene Fenster entstand, zog Rauch an, der sich als dichter Nebel im Raum sammelte.
»Lass es!«, schrie Anya. Sie legte sich Leslie über die Schulter und stürmte den Gang hinunter. Der Rauch war so dicht, dass sie die Küchenwand nicht erkennen konnte. Sie schloss die schmerzenden Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl der Hitze zu ihrer Linken, erinnerte sich, dass sie nach rechts musste, und wäre beinahe über den Küchentisch gestolpert. Sie schlug die Augen wieder auf und sah Chris mit einem Wassereimer durch ihr Blickfeld huschen. Er hatte sich ein nasses Geschirrtuch um den Kopf gebunden.
»Chris«, hustete sie. »Geben Sie’s auf.«
»Haben Sie sie?«, brüllte er. »Haben Sie Leslie?«
»Ja. Los jetzt!«
Aber er schien Anya gar nicht zu hören.
Anya stolperte durch die Küchentür und hinaus in die segensreich kühle Luft im Freien. Ein paar Meter windwärts legte sie Leslie in dem taufeuchten Gras ab. Als sie sich über die Schulter umblickte, erkannte sie, dass sich das Feuer auf das Dach ausgebreitet hatte. Die Zedernholzschindeln auf der Südseite des Hauses brannten wie Zunder. Erleichtert seufzte sie auf, als sie Brian mit den Armen voller Computerteilen aus dem Haus laufen sah.
Anya presste die Finger an Leslies Handgelenk und Hals, suchte nach einem Puls, konnte aber nichts ertasten. Sie hob Leslies Kopf an und lauschte auf Atemgeräusche.
Schließlich hielt Anya der Frau die Nase zu und blies Luft in ihren Mund. Ihre eigene Atmung fühlte sich nach dem inhalierten Rauch wund an, doch mehr hatte sie nicht zu bieten. Zwei Atemzüge. Keine Regung. Über Leslies Brustbein legte sie die Hände übereinander und begann mit einer Herzdruckmassage. Die Wucht ihrer Bemühungen schüttelte den Tau vom Gras, konnte Leslie aber nicht aufwecken.
Sie atmete für Leslie, atmete und setzte dann die Druckmassage fort, bis die Muskeln in ihren Armen schmerzten. Als die Sanitäter eintrafen, räumte sie das Feld. Die Rettungshelfer übernahmen die Herzdruckmassage und drückten Leslie die Maske eines Beatmungsbeutels auf das Gesicht. Aber da wusste Anya schon, dass es hoffnungslos war.
In dem ganzen Durcheinander verzog sie sich in den Hintergrund. Sollte ihr Name in einem Bericht über Geisterjäger und einen Todesfall auftauchen, würde das DFD sie feuern. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, einfach zu verschwinden, und dem Bedürfnis, Chris beizustehen und bei den Aufräumarbeiten zu helfen.
Chris … Anya sah sich zu dem Haus um. Ein Löschzug war eingetroffen, stand vor dem Haus, und die Feuerwehrleute zerrten Schläuche zur Veranda. Chris war nirgends zu sehen.
Dieser dumme Idiot. Er glaubte wirklich, er könnte das Feuer allein löschen.
Anya rannte zu dem Löschzugführer, zeigte auf das Haus und keuchte: »Da ist noch ein Mann drin.«
Der Mann brüllte seinen Feuerwehrleuten im Heck des Fahrzeugs etwas zu. Die Männer stürmten zur Veranda und brachen die Vordertür mit ihren Äxten auf. Glas splitterte, als das Fenster herausgeschlagen wurde.
Anya stand hinter dem Feuerhydranten, beobachtete, wartete, hoffte, dass Chris doch nicht gar so dumm gewesen war. Sie wusste, er und Leslie hatten das Haus um jeden Preis retten wollen, aber nichts war es wert, sein Leben dafür zu opfern. Zwei Feuerwehrleute zerrten eine reglose Gestalt auf die Veranda. Einer der Männer an den Schläuchen bespritzte die Männer, die aus dem Haus kamen, mit Wasser, doch Anya erkannte die Brandspuren an Chris Kleidern, sah, wie sich seine Füße kraftlos nach hinten durchbogen, als ihn die Einsatzkräfte ins Gras zogen.
Sie schloss die Augen.
Verdammt! Kein Traum war so etwas wert.