KAPITEL ELF

»Wir können von Glück reden, dass Sie dort waren.«

Anya gab einen nichtssagenden Laut von sich, während sie im Aufenthaltsbereich des Krankenhauses an ihrem Kaffee nippte. Der spülte zwar den Rauchgeschmack aus ihrer Kehle, konnte das Brennen in den Nebenhöhlen aber auch nicht lindern. Das loszuwerden würde Tage dauern.

Marsh blätterte in den Papieren auf seinem Klemmbrett. »Eine der Zeuginnen, Katherine Parks, hat gesagt, sie hätte sie auf der Straße angehalten. Sie sagt, sie hätte gerade Kuchen ausgeliefert, als sie das brennende Haus gesehen und angehalten hat.«

Anya trank noch einen Schluck. Die DAGR deckten sie. Die Erwähnung von Geisterjägern, die eine Schlafstudie ohne medizinische Aufsicht durchführten, würde geradewegs in die Katastrophe führen … ganz besonders, wenn das Experiment mit dem Tod eines Menschen endete. Brian hatte still und heimlich seine Ausrüstung eingepackt und den Brandort verlassen. Jules und Max waren, so nahm sie an, im Nachbarhaus geblieben. Anya hatte keine Ahnung, welche Folgen es für ihre berufliche Laufbahn hätte, sollte sie mit den DAGR in Verbindung gebracht werden. Katie jedenfalls hatte offensichtlich die Geistesgegenwart besessen, sie zu decken. Aber Katie sah selbst dann, wenn sie eine böse Hexe spielte, aus wie ein Engel, und Anya war überzeugt, das DFD kaufte ihr alles ab, was sie zu Protokoll gab. Und der Großvater nebenan hatte die ganze Geschichte einfach verschlafen.

»Ja«, murmelte Anya. »Zu schade, dass ich nicht helfen konnte.« Sie blickte auf und sah Marsh an. »Gibt’s schon irgendwelche Hinweise darauf, was das Feuer verursacht hat?«

»Ich vermute, es hatte was mit der Elektrik zu tun. Im Wohnzimmer wurde eine geschmolzene Steckdose gefunden. Alte Häuser wie dieses bringen viele Probleme mit sich. Sieht aus, als hätten sie gerade renoviert … Vielleicht haben sie ein Kabel falsch angeschlossen oder bei den Renovierungsarbeiten beschädigt. Eine Affenschande ist das.«

Anya schluckte. Diese ganze Sache war ein Desaster. Das Gefühl der Schuld lastete schwer auf ihr, und die Verschleierung der Tatsachen trug nichts dazu bei, diesen Zustand zu lindern. »Haben die Bewohner es denn überstanden?«

Marsh schüttelte den Kopf. »Da war ein Mann im Haus. Erst hat ihn der Rauch erwischt, dann die Flammen. Als man ihn fand, hatte er einen Eimer in der Hand.«

Anya starrte in ihren pechschwarzen Kaffee. »Und die Frau?«

»Der behandelnde Arzt vermutet eine Rauchvergiftung, aber die Lunge ist unversehrt. Sie ist hirntot.«

Anya blickte auf. »Kann ich sie sehen?«

»Sie ist da drüben.« Marsh winkte ihr zu, ihm durch den Korridor zu folgen. »Zimmer 218.«

Anya leerte ihre Tasse und trottete den Gang hinunter. Obwohl sie wusste, dass Hope Solomon die Wurzel dieses Übels war, obwohl sie wusste, dass, was immer Bernie und den Museumswachmann in Flammen hatte aufgehen lassen und Geister wie mit einem riesigen Staubsauger aufgesaugt hatte, auf Hopes Geheiß agiert hatte, konnte Anya das Gefühl der Schuld nicht abschütteln. Sie und die DAGR hatten Leslie und Chris durch ihre Einmischung unbeabsichtigt in eine gefährliche Lage gebracht, ganz so, als hätten sie eine schlafende Bestie geweckt.

Leslies Krankenzimmer roch nach Bleichmittel. Anya nutzte ihre besonderen Sinne, um herauszufinden, ob der Geist der Frau in der Nähe war, doch sie fühlte nichts. Leslie lag in einem Krankenhausbett und war an eine Maschine angeschlossen, die surrte und Luft in ihre Lunge pumpte. Ihre Augen waren zugeklebt worden, und man hatte sie intubiert. Leslies Brust hob und senkte sich unter den künstlichen Atemzügen, ein Anblick, der Anya einen Schauer über den Rücken jagte. Neben ihr piepten rhythmisch diverse Maschinen und schufen eine Illusion von Leben.

»Warum wird sie immer noch beatmet?«, wisperte Anya.

Ehe Marsh antworten konnte, sickerte eine vertraute Stimme durch die Abtrennung zum nächsten Krankenbett. Hope Solomon zog den Vorhang zur Seite und musterte Anya mit zusammengekniffenen Augen und einem aufgesetzten Grinsen. »Leslie hat eine Vollmacht zur Organentnahme erteilt. Sie war eine sehr großmütige Seele.«

»Wer sind Sie?«, verlangte Marsh zu erfahren.

»Hope Solomon, Leslies spirituelle Beraterin.« Sie streckte Marsh die Hand entgegen, doch der maß sie nur mit einem kalten Blick.

Anya ballte wütend die Hand zur Faust. »In diesem Staat erfolgen Organspenden nach dem Prinzip der Notwendigkeit.«

Hope wedelte mit einem Bündel Papieren. »Leslie hat einer privaten Spende zugestimmt.«

»Das ist nicht legal«, grollte Marsh.

»Das werden die Gerichte entscheiden müssen.« Hope beugte sich über das Bett und strich Leslie sanft das Haar aus dem Gesicht, eine durch und durch scheinheilige Geste. »Aber ich bin überzeugt, dass niemand eine Transplantation untersagen wird, bei der die Zeit eine wichtige Rolle spielt.«

Hopes Augen huschten zu Anya und verweilten kurz an ihrem Hals. Ihre Stimme war klebrig und zäh wie Sirup, als sie bemerkte: »Sie tragen ja Ihr großartiges Artefakt gar nicht mehr. Haben Sie es verloren?«

Anyas Finger huschten unwillkürlich zu ihrem Hals, ehe sie sich vorbeugte und zischte: »Ich bin Ihnen auf der Spur, Gnädigste. Und ich lasse Sie nicht davonkommen.«

Marsh packte Anya am Arm und zerrte sie aus dem Zimmer, ehe sie Hope den grinsenden, wasserstoffblonden Wackelkopf vom Hals reißen konnte.

»Geht es ALANN gut?«, fragte Anya.

Brians Füße lugten unter einem Schreibtisch aus Glas und Chrom hervor, auf dem unzählige Drähte und Flachbandkabel drapiert waren. Hier, tief im Computerlabor der Universität, noch jenseits des Sirrens der Serverlüfter, war er ganz in seinem Element – und oft genug kaum noch von seiner Umgebung zu unterscheiden.

»Frag ihn doch selbst«, ertönte die gedämpfte Antwort. »Nimm den Laptop auf dem Tisch.« Eine Hand mit einem Schraubendreher zeigte Anya die Richtung zu einem Glastisch auf antistatischen Bodenmatten. Der Tisch war übersät mit allerlei Gerätschaften, von denen einige Brandspuren der letzten Nacht trugen oder teilweise geschmolzen waren. Brian versuchte, seiner Ausrüstung so viel Beweismaterial wie möglich abzuringen, und er kam nur langsam voran. Wenn schon weiter nichts dabei herauskam, mussten die DAGR zumindest in der Lage sein, sich abzusichern, sollten sie juristisch belangt werden. Anya sah einen Klumpen geschmolzenen Plastiks, der einmal ein Camcorder gewesen war, und zuckte buchstäblich zusammen.

Sie klappte den Laptop auf, woraufhin dieser flackernd zum Leben erwachte. Der Cursor auf dem schwarzen Schirm blinkte und schrieb: Hallo, Anya.

»Hi, ALANN. Schön, dass dir nichts passiert ist.«

Danke für die Anteilnahme. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie lediglich in Brians Verlies hinabgestiegen sind, um sich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen.

Anya stutzte. Hätte sie es mit einem Menschen zu tun gehabt, so hätte sie schwören können, so etwas wie Verbitterung hinter diesen Worten wahrzunehmen. »Ich war besorgt um dich. Und ich brauche Brians Hilfe, um eine Überwachungsausrüstung zusammenzustellen.«

Interessant. Darf ich fragen, wer das Objekt Ihres Interesses ist?

»Eine Betrügerin. Ich hab nicht genug Beweise, um einen Gerichtsbeschluss gegen sie zu erwirken, aber ich glaube, ich weiß, was sie als Nächstes stehlen wird. Ein Museumsstück. Und ich will ihr auf Schritt und Tritt auf der Spur bleiben.«

Wozu will sie das Museumsstück?

»Das ist kompliziert.« Anya fragte sich, wie viel sie der Maschine erzählen konnte, ohne dass der die Sicherungen durchbrannten. »Ich glaube, sie will ein Artefakt stehlen, bei dem es sich angeblich um die Büchse der Pandora handelt. Sie braucht es als … als Reliquienbehälter für Geister. Als Gefängnis. Sie hat schon viele andere gefangengenommen und zwingt sie, ihr zu dienen.«

Der Cursor blinkte ein paar Augenblicke lang, und der Ventilator lief an.

Ich habe gestern Nacht den Geist gesehen, hinter dem Sie her waren. Ist das einer der Geister, welche diese Person gefangengenommen hat?

»Du hast ihn gesehen?« Anya beugte sich gespannt vor.

Ja. Ich habe sämtliche Teile von Brians Ausrüstung überwacht.

Anya runzelte die Stirn und fragte sich, ob Brian das wusste. »Ja, das ist einer der Geister, von denen ich annehme, dass Hope sie eingesperrt hat.«

Und sie verwahrt sie … in einer Art Datenbank?«

»Ich nehme an, so könnte man es beschreiben. Sie bewahrt sie in Flaschen auf. Und ich glaube, die nächste Flasche, die sie haben will, ist die Büchse der Pandora.«

Interessant. Ist die Innenseite kristallin?

»Ja. All ihre Reliquienbehälter sehen von innen aus wie Drusen.«

Vielleicht waren sie das ja einst, Drusen, die aus dem Fels gelöst wurden. In Kristallen lassen sich große Mengen Daten speichern. Anstelle magnetischer oder optischer Datenspeicher bietet sich zur Speicherung holografischer Daten ein Quarzspeicher an. Durch ihn können die Informationen auf der ganzen Oberfläche des Mediums verteilt werden. Wird Licht durch das Medium geschickt, können unterschiedliche Bilder produziert werden.

»Dann könnte es also eine naturwissenschaftliche Grundlage für die Reliquienbehälter geben?«

Theoretisch schon. Bis zu 500 GB pro Quadratzoll, vielleicht auch mehr.

Anya stützte das Kinn auf die Hand. Die Überschneidung von Magie und Naturwissenschaft war höchst interessant, bereitete ihr aber Kopfschmerzen. »Du sagst also, dass die Reliquienbehälter nichts anderes sind als eine CD-ROM oder ein USB-Stick?«

Nun, was das Speichervolumen betrifft, haben sie mehr Ähnlichkeit mit der Serverfarm, die meine inneren Prozesse ermöglicht. Der Reliquienbehälter ist ebenso eine Falle, wie dieser Computer es für mich ist. Der Geist in der Maschine.

Wieder stutzte Anya. »Mir war nicht bewusst, dass du so empfindest.«

Empfindungen sind relativ.

Der Cursor blinkte, doch ALANN äußerte sich nicht weiter zu diesem Punkt. Stattdessen wechselte er das Thema: Was, hoffen Sie, durch die Überwachung zu erreichen?

»Ich suche eine nachweisbare Verbindung zwischen Hope und etwas aus dem gestohlenen Besitz eines Ihrer Opfer. Ich möchte wissen, wo sie ihn aufbewahrt. Und ich möchte herausfinden, ob wir sie mit einigen der Brände in Verbindung bringen können, die in letzter Zeit entfacht wurden.«

Was für Brände waren das?

»Es hat zwei Tote gegeben, die ich bisher nichts anderem als einer spontanen menschlichen Selbstentzündung zuordnen kann. Und es gab mehrere kleinere Brände im Umfeld ihrer Geisteraktivitäten.«

»Das macht mir Sorgen, weil es keinen Sinn ergibt«, meldete sich Brian auf der anderen Seite des Raums zu Wort. »Du weißt doch, dass wir Thermometer benutzen, um die Anwesenheit von Geistern festzustellen.«

»Ja. Je kälter es wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geist da ist, weil sie der Umgebungsluft die Wärmeenergie entziehen, um sich zu manifestieren.«

»Richtig. Wenn Geister in der Nähe sind, rechne ich mit sinkenden Temperaturen. Aber bei Hopes Geistern steigt die Temperatur, und zwar so sehr, dass es zu zufällig erscheinenden Verpuffungen kommt. Das widerspricht allen Erfahrungen.«

»Nicht unbedingt.« Anya strich mit den Fingern über den bloßen Hals. »Sparky ist ein nichtphysisches Wesen. Er mag kein Geist im eigentlichen Sinne sein, aber er ist warm.«

ALANN piepte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und Brian krabbelte unter dem Schreibtisch hervor und schaute ihr über die Schulter.

Bedenken Sie das erste Gesetz der Thermodynamik hinsichtlich der Speicherung von Energie: Energie kann weder geschaffen noch vernichtet werden. Wenn Ihre Geister Energie anzapfen, um sich in der physischen Welt zu manifestieren, ist es logisch, anzunehmen, dass ein Teil dieser Entladung Hitze hervorbringt. Je mehr Energie transferiert wird, desto größer die daraus entstehende Hitze.

»Dann erzeugen unsere Geister Hitze, wenn sie sich manifestieren, und benutzen diese Hitze, um Brände auszulösen … absichtlich oder unabsichtlich?« Brian rollte einen Schraubendreher über seine Knöchel. »Interessant.«

Das war natürlich aus der Hüfte geschossen. Es könnte auch völliger Blödsinn sein, da das Gehirn, dem ich nachempfunden wurde, nicht an Geister geglaubt hat. Aber wenn ich den Unglauben für einen Moment außer Kraft setze … es wäre möglich. Eine kristalline Struktur wie die im Inneren der Reliquienbehälter lässt auch eine Energiespeicherung von größerem Ausmaß zu.

»Wie eine Batterie?«, fragte Anya. Die Unterhaltung ging über ihren Horizont, obwohl ihr bewusst war, dass ALANN sich um eine verständliche Terminologie bemühte.

Durchaus möglich.

Brian schüttelte den Kopf und schlenderte zurück zu seinen Spielzeugen. »Hope hat eine interessante Technik. Ich würde zu gern herausfinden, wie das funktioniert.«

Anya verschränkte die Arme vor der Brust. »Aus purer Neugier? Oder zur praktischen Anwendung?«

Brian antwortete mit einem unergründlichen Schulterzucken, das typisch für ihn war. »Was ich mit ALANN gemacht habe, erfordert massenhaft Computerkapazitäten auf mehreren Servern. Wenn das Speicherproblem mit Hilfe eines holografischen Datenspeichers gelöst werden könnte … Scheiße, dann könnte ich mit einer ganzen Armee von ALANNs arbeiten.«

»Schafft das nicht ein ethisches Problem? Ich meine … die Idee, ein künstliches Gehirn mit dem Ich-Bewusstsein Verstorbener nachzuempfinden, bereitet mir Bauchschmerzen.« Anyas Blick huschte zurück zu dem Monitor. Es fühlte sich seltsam an, über ALANN zu reden, als wäre er nicht da. »Tut mir leid, ALANN.«

»Mir nicht. Tot ist tot«, sagte Brian. »So wie ich das sehe, verlierst du weitgehend deine Rechte, wenn du aufhörst zu atmen.« Werkzeuge klapperten unter dem Schreibtisch.

Anya runzelte die Stirn. »Da bin ich nicht so sicher. Die Geister, die wir sehen … viele von ihnen haben ein Bewusstsein. Sie haben Gefühle.«

»Ja. Aber sie sind nicht lebendig.«

Anya schüttelte den Kopf. »Trotzdem haben sie eine gewisse Rücksicht verdient.«

»Du willst doch nicht behaupten, sie hätten die gleichen Rechte wie lebende Menschen, oder? Ich meine, wenn du das tätest … du könntest nicht Richter sein, nicht Jury und nicht Henker, nicht wahr?« Sein Ton klang milde, doch Anya fiel eine gewisse Anspannung in seiner Stimme auf.

»Ich weiß nicht, was ich denken soll.« Sie rieb sich die Arme, fröstelte angesichts der zusätzlichen Klimageräte, die die Serverumgebung kühlen sollten, und der Leerstelle in Brians ethischem Wertekatalog. Sie wandte sich ab, blickte hinab auf den Monitor. Der weiße Cursor blinkte und schrieb:

Lassen Sie mich bitte da raus.

Erschrocken wich Anya einen Schritt zurück und sah sich zu Brian um, doch der konzentrierte sich gerade voll und ganz auf einen Kabelkraken, der über den Rand seines Schreibtischs trudelte.

ALANN löschte mit der Rückschrittfunktion sorgfältig jedes seiner letzten Worte.

Anya streckte die Hand aus, wollte den Monitor berühren. Ihre Gedanken überschlugen sich. Mist. War ALANN da drin gefangen? Wie die Geister in den Reliquienbehältern? Gefangen durch Wissenschaft, nicht durch Magie?

»Würdest du sagen, Sparky hat ein Bewusstsein?«, fragte Brian.

»Na ja, sicher.«

»Aber du hältst ihn mehr oder weniger an der Leine, und er tut, was du willst.«

»So ist das nicht«, protestierte Anya. »Es ist …« Sie hatte sagen wollen, es sei intimer, vertrauter, aber plötzlich hörte sich das alles falsch an.

»Jedenfalls ist das keine Beziehung auf Augenhöhe.«

»Das liegt daran, dass er nicht reden kann.« Anyas Lippen wurden schmal. Brian hatte Sparky nie gesehen und wusste nichts über seine Persönlichkeit.

»Du vermenschlichst ihn, ist dir das klar?«

»Er ist mein Beschützer.« Anyas Stimme bebte vor Ärger. »Er hat mich mein Leben lang behütet. Wenn überhaupt, dann bin ich ihm etwas schuldig, nicht umgekehrt.«

Brians Kopf lugte unter dem Schreibtisch hervor. »Hör mal, ich wollte dich nicht kränken, aber das Thema lohnt eine ernsthafte Diskussion …«

Anya schüttelte den Kopf. »Ich brauche Schlaf. Wir unterhalten uns später.«

Sie schnappte sich ihre Tasche und verließ das Labor ohne einen Abschiedskuss für Brian. Ihre Schritte hallten durch die labyrinthartigen Gänge der technischen Ebene unter der Universität. Fluoreszierendes Licht lockte Insekten in die Betongänge, die in dem trüben Lichtschein winzige Schatten an die Wände warfen. Eine Gottesanbeterin hatte sich einen Weg herein gebahnt, thronte nun auf dem Ausgangsschild und wartete auf ihre nächste Mahlzeit.

Was Brian über Sparky und die Geister gesagt hatte, tat weh. Anya griff in ihre Tasche, um die Molchkamera zu aktivieren.

»Sparky anrufen«, grummelte sie.

Das Display flackerte auf, und Anya wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Sparky stand hoch aufgerichtet über seinen Eiern, und aus dem Lautsprecher erscholl ein tiefes Knurren. Sein rotorangefarbener Wärmebildschwanz peitschte hin und her, und die gelben Augen blitzten etwas über ihm an, etwas, das sich außerhalb des Aufnahmewinkels befand.

Anya stopfte das iPhone zurück in die Tasche und fing an zu rennen.

»Halte durch, Sparky.«

Ich hätte ihn nie allein lassen dürfen.

Die Waffe in der Hand, platzte Anya ins Haus. Ein Hitzeflimmern lag in der Luft, als sie durch den düsteren Hausflur auf das Salamanderknurren und ein dumpfes Brausen im Bad zurannte.

Sie wollte die Badezimmertür aufstoßen, doch die rührte sich nicht. Sie trat kurz unter dem Schloss dagegen, genau da, wo der hohle Innenteil der Tür auf den Rahmen stieß, und brach das Blatt auf, sodass es nur noch an der oberen Angel schaukelte.

»Sparky!«, brüllte sie und rannte durch die Splitter.

Das Badezimmer war ein einziges Durcheinander aus Licht und Geräuschen. Ein Strudel hatte sich in der Decke gebildet und wirbelte Fetzen geisterhafter Erscheinungen herum wie Seifenschaum, der um einen Abfluss kreiselte. Überirdischer Wind zerrte am Duschvorhang und schleuderte Anyas

Gummientensammlung durch die Luft. Dahinter kauerte Sparky über seinen kostbaren Eiern, heulte und schnappte nach den geisterhaften Fingern, die ihm zu nahe kamen. Der Salamanderreif kreiste um den Wasserzulauf der Badewanne und machte Geräusche wie eine auf Asphalt klappernde Radkappe.

»Nimm deine schmutzigen Hände von ihm«, brüllte Anya. Zorn brodelte in ihrer Lunge und dem schwarzen Loch in ihrer Brust, und das Herz der Laterne, das Geister verschlingende Herz, erwachte.

Sie ließ es geschehen. In der knisternden Statik, die die Geister verbreiteten, atmete sie tief ein, die Arme ausgebreitet, um die schreckliche Kälte einzufangen. Geisterfetzen glitten über ihre Kehle, kalt wie Eis, und erstarrten in der Finsternis. Anya fühlte, wie sie gegen sie kämpften, wie sie sich bemühten, in den Strudel zurückzukehren, aber sie ließ es nicht zu. Das Atmen fiel ihr so schwer, als würde sie den Kopf aus dem Fenster eines rasenden Autos halten: Die Luft war einfach zu schnell. Sie schluckte sie runter, zerrte mit all ihrer Kraft an diesen kalten Geistern, und ihr Atem bildete Dampfwolken in der Luft.

Der Strudel waberte in seiner Kreisbahn. Wie ein Wasserwirbel in einem Spülbecken wurde er allmählich schwächer und verschwand … und die Geister versanken in ihm. Gleich darauf war die Decke wieder so unberührt und glatt, wie es eine Decke sein sollte.

Anya fiel neben der Badewanne auf die Knie und tastete nach ihrem Vertrauten. »Sparky!«

Sparky brach auf seinen Eiern zusammen, seine Zunge hing ihm aus dem Maul. Benebelt blinzelte er sie an. Anya nahm ihn in ihre Arme und wiegte ihn hin und her. Sie wusste nicht, wie lange er sich dieses Angriffs schon hatte erwehren müssen, aber er zitterte vor Erschöpfung, und sein Atem ging flach. Anya ergriff den Salamanderreif, der auf dem Wasserzulauf der Badewanne eierte, und legte ihn um den Hals. Das Metall fühlte sich sengend heiß an.

Sie schaute in das Nest und zählte die Eier. Es waren noch alle da. Und soweit sie es beurteilen konnte, sahen sie auch normal aus: glasige Kugeln, in deren Mitte die dunklen Schemen der Salamander schwammen. Luftblasen drangen durch die Oberfläche, und die Eier fühlten sich bei Berührung heiß an. Das Gummiententhermometer plärrte: Die Temperatur im Gelege war auf über vierzig Grad gestiegen. Die Hitze schien sich wenig auf die Molche auszuwirken. Einige der winzigen Schwänze peitschten noch hin und her, während andere fest um den Leib ihrer kleinen Eigentümer gewickelt waren.

Geschwächt leckte Sparky ihr das Gesicht. Anya wischte ein Stück des magischen Kreises mit einem Handtuch fort und gestattete ihm, auf ihren Schoß zu klettern. Zwar hatte sie den magischen Kreis aufgebracht, um Sparky darin festzuhalten, doch nahm sie an, dass er auch Hopes Geister in Schach gehalten und zumindest einen kleinen Schutz vor dem Angriff geboten hatte. Am Rande der Markerfarbe entdeckte Anya verschmierte Fingerabdrücke. Fingerabdrücke von Geistern, die versucht hatten, hineinzugelangen, wie sie vermutete. Sie fröstelte bei dem Gedanken, dass diese Geister zu ihrer Manifestation so viel Energie aus ihrer Umgebung abgezapft hatten, dass sie imstande gewesen waren, Spuren in der physischen Welt zu hinterlassen.

»Keine Angst, Sparky«, sagte sie und drückte ihn fest an sich. Heiße Tränen flossen über seinen Hals. »Ich lasse dich nie wieder allein. Niemals.«

Sie drückte die freie Hand an die Brust und spürte, wie ihre Haut brannte. Wann immer sie einen Geist verschlang, hinterließ das Spuren. Sie konnte rote Male sehen, die sich unter ihrem Hals ausbreiteten. Aber das würde heilen. Sie küsste Sparkys gefleckte Stirn.

Dann blickte sie schnüffelnd auf.

Etwas brannte.

Anya befreite sich von ihrem Begleiter und verließ das Badezimmer. Sie blickte den Korridor entlang und erkannte Rauch, der aus dem Wohnzimmer wogte. Der Fernseher sprühte zischend Funken. Flammen leckten die Wand empor.

»Scheiße«, fluchte sie, als der Rauchmelder zu heulen begann.

Sie hastete in die Küche und riss auf der Suche nach dem Feuerlöscher die Schränke auf. Dann richtete sie das Ventil auf den Ursprung der Flammen, die den Kunststoff einschmolzen und einen beißenden Rauch erzeugten. Der Schaum aus dem Feuerlöscher war erschöpft, ehe das Feuer erloschen war, und die Flammen leckten weiter an der Wand und hinauf zur Deckenverkleidung.

Die Molche. Anya wich zurück in den Flur und hielt schützend eine Hand vor das Gesicht. Sie musste die Eier hier rausschaffen. Sie riss den Flurschrank auf, in dem Waschmaschine und Trockner untergebracht waren, und zerrte einen Wäschekorb aus Weidengeflecht hervor.

Anya stolperte zurück ins Badezimmer und hob Sparky aus der Wanne. Dann riss sie den Plastikduschvorhang herunter und stopfte ihn auf den Boden des Korbes. Schließlich schaufelte sie die Eier und ihren Schlafsack in den Wäschekorb. Dabei zählte sie erneut jedes Ei. Einundfünfzig. Sparky legte sich knurrend über seine Eier, und sie zog die schützende Plastikfolie über ihn.

Anya rannte mit dem Korb unter dem Arm durch den Korridor und wurde von der Hitze aus dem Wohnzimmer zurückgetrieben. Rücklings stolperte sie in ihr Schlafzimmer, knallte die Tür zu, riss das Fenster auf und trat das Fliegengitter aus dem Rahmen.

Ischtar beobachtete sie mit missbilligendem Blick. Anya riss das Gemälde von der Wand und warf es hinaus auf den Rasen. Mit dem Wäschekorb unter dem Arm sprang sie hinunter in das braune Gras.

Sie landete auf Ellbogen und Knien. Der Korb schaukelte hin und her. Sparky reckte fauchend den Kopf unter dem Duschvorhang hervor.

Anya drehte sich um und sah die Flammen zum Dach ihres Hauses emporzüngeln. Ihre Hände zitterten, als sie den Wäschekorb an die Brust presste. Von ihrem Thron in einem Wacholdergestrüpp aus schaute Ischtar zu, wie die Flammen unter der Traufe emporleckten.

Erstarrt vor Furcht und Zorn musste Anya mit ansehen, wie ihr Haus niederbrannte.

Wenn dieses Miststück von Hope Krieg wollte, so schwor sie sich in diesem Moment, dann würde sie ihr einen verdammten Krieg liefern.