21. Kapitel

Francesca zog sich warm an, bevor sie die Redaktion verließ. Draußen war es bitterkalt. Sie atmete die eisige Luft ein und ging dann die Straße hinunter. Es war ein herrlicher Wintertag mit klarem Himmel und einer milden Sonne.

Kamal sah sie hinter der nächsten Straßenbiegung verschwinden und stieg aus dem Wagen, der einen Häuserblock von der Zeitung entfernt parkte.

»Ihr bleibt hier«, wies er Abenabó und Kader an, die auf der Rückbank saßen.

Um die Mittagszeit war er auf dem Flughafen von Córdoba gelandet. Francesca nach all den Monaten leibhaftig vor sich zu sehen und nicht nur als verschwommenes Trugbild, das ihm in seinen schlaflosen Nächten erschien, erfüllte seinen ganzen Körper mit brennender Sehnsucht. Er war kurz davor, ihr hinterherzulaufen, beherrschte sich jedoch. Zuerst musste er noch einige Dinge erledigen.

Auf dem Weg zum Redaktionsgebäude dachte Kamal zum wiederholten Mal über den Schritt nach, den er gerade tat. Er hatte alles versucht, um sich Francesca aus dem Kopf zu schlagen, Allah war sein Zeuge, aber es war ihm nicht gelungen. Er hatte nach überzeugenden Argumenten gesucht – ihre Sicherheit, die Situation des Landes, der Skandal, den eine Heirat mit einer Christin verursachen würde, die ablehnende Haltung der Familie – und war doch immer wieder zu einer Erkenntnis gelangt: Sein Leben hatte keinen Sinn ohne sie.

Als er nach den Tagen auf seinem Anwesen in Dschidda zurück nach Riad kam, hatte er versucht, sich in die Arbeit zu flüchten. Er verbrachte viele Stunden damit, gemeinsam mit seinen Onkeln und seinem Bruder Faisal Pläne zu schmieden, um Saud und seine Gefolgsmänner zu stürzen. Er nahm alle Einladungen an, die er erhielt, und versuchte, so wenig Zeit wie möglich in seiner Wohnung zu verbringen. Die Stille im Haus und die Erinnerung an den Abend, als Francesca ihm mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war, raubten ihm den Schlaf und brachten ihn zum Grübeln. Er versuchte zu schlafen, aber sobald er die Augen schloss, sah er sie vor sich. Francescas Bild verfolgte ihn. Dann knipste er das Licht wieder an und nahm ihren Brief aus der Nachttischschublade, den er schon auswendig kannte. »Warum hast du mich verlassen, Kamal?«

Er hatte es verdient, zu leiden. Es war ein Zeichen von Schwäche gewesen, als er zuließ, dass an jenem Abend in der venezolanischen Botschaft sein Verstand aussetzte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie ein verbotenes Objekt war; dennoch hatte er sich von der Leidenschaft mitreißen lassen, die sich jedes Mal seiner bemächtigte, wenn er sie ansah. Durch seinen Egoismus hatte er sie unnötig in Gefahr gebracht. Wenn er sich vorstellte, wie sie sich in der Gewalt von Terroristen befunden hatte, wie sie geschlagen und gequält wurde, drehte sich alles in seinem Kopf, und er war kurz davor, verrückt zu werden. Er hatte es verdient, zu leiden, und ein ganzes Leben würde nicht ausreichen, um für seine Schuld zu sühnen.

Wenigstens blieben ihm die schönen Erinnerungen an die Liebe, denn er würde nie wieder so lieben, wie er Francesca de Gecco geliebt hatte, mit einer Inbrunst und Hingabe, wie man sie nur einmal im Leben erlebte. Er hatte sie aus seinem Leben verdrängt, jetzt musste er mit den Konsequenzen leben. Aber eines Tages dachte er: Mit den Konsequenzen leben? Warum? Wozu? Für Saudi-Arabien? Aus Respekt und Gehorsamkeit gegenüber seiner Familie? Überzeugungen, die bislang der Kern seiner Erziehung gewesen waren, wurden hinfällig angesichts der Liebe, die er für Francesca empfand. Eine neue Erkenntnis trat an deren Stelle und rang ihm ein Lächeln ab: Nichts konnte ein Leben ohne Francesca rechtfertigen. Ihm wurde klar, dass er imstande war, sich für sie mit der ganzen Welt zu überwerfen. Er hatte keine Gewissensbisse mehr, nur noch den unbezähmbaren Wunsch, sie wiederzusehen. Er wusste, dass er erneut am Scheideweg stand, wie in jener Nacht in Genf, die ihrer beider Schicksal geprägt hatte. Es war Leichtsinn, aber ihm war alles egal, sogar ihre Sicherheit. Deshalb war er jetzt hier, in Córdoba, einer Stadt irgendwo in Südamerika, von der er nie gedacht hätte, dass er sie einmal kennenlernen würde. Er hatte den Atlantik überquert, um Francesca erneut aus ihrer Welt herauszuholen und mit sich zu nehmen.

Ein Schild in der Empfangshalle verriet ihm, dass sich Alfredo Viscontis Büro im zweiten Stock befand. Er ging die Treppe hinauf und betrat ein Vorzimmer, wo ihm eine Frau um die dreißig entgegenkam. Nora wusste sofort, wen sie vor sich hatte. Der Besucher trug einen edel geschnittenen Maßanzug, und der Kontrast zwischen seinen grünen Augen und der kupferfarbenen Haut verschlug ihr für einen Moment die Sprache.

»Guten Tag«, grüßte Kamal in tadellosem Englisch.

»Guten Tag«, erwiderte Nora. »Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Ich suche Señor Visconti. Ist er zu sprechen?«

»Bitte nehmen Sie Platz. Ich schaue nach, ob er Sie empfangen kann. Wen darf ich melden?«

»Bitte sagen Sie ihm, dass Kamal al-Saud ihn sprechen möchte.«

»Kamal al-Saud, ja?«

»Genau.«

Nora betrat Fredos Büro und gab ihm ein Zeichen, das Telefon aufzulegen.

»Der Araber ist hier!«

»Wer?«

»Francescas Araber.«

»Al-Saud?«

»Genau der.«

»Er soll reinkommen«, sagte Fredo und ging ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

Kamal begrüßte ihn auf Englisch und reichte ihm die Hand. Fredo antwortete auf Französisch.

»Bitte verzeihen Sie, Monsieur al-Saud, aber ich spreche kein Englisch.«

»Dann lassen Sie uns Französisch sprechen.«

Fredo deutete auf die Sitzecke neben seinem Schreibtisch. Er nahm Kamal gegenüber Platz. Dann bat er Nora, Kaffee zu bringen und keine Anrufe durchzustellen.

»Ich muss gestehen, Monsieur al-Saud«, begann Fredo, »dass Sie die letzte Person sind, mit der ich hier gerechnet hätte. Ich bin äußerst überrascht.«

»Ich verstehe das und bitte um Verzeihung, dass ich mich nicht vorher angemeldet habe. Aber ich bin gerade erst in Córdoba angekommen und musste Sie unbedingt sehen. Sie können sich denken, dass ich wegen Francesca hier bin.«

»Hat sie Sie schon gesehen?«

»Nein. Ich wollte zuerst mit Ihnen reden.«

»Mit mir?«

»Sie sind wie ein Vater für Francesca, und ich fühle mich verpflichtet, bei Ihnen um ihre Hand anzuhalten. Außerdem wollte ich Ihnen persönlich versichern, dass Francescas Sicherheit nach den furchtbaren Ereignissen der Vergangenheit garantiert ist.«

Fredo lehnte sich im Sessel zurück und vermied es, den Araber anzusehen. Ihm war bereits aufgefallen, welche Macht diese grünen Augen auf andere ausübten. Nora kam herein und servierte den Kaffee. Bevor Fredo sie wieder hinausschickte, erkundigte er sich bei ihr, ob Francesca in ihrem Büro war.

»Nein«, sagte die Sekretärin. »Sie ist wegen einer Auskunft zum italienischen Konsulat gegangen. Aber sie wird bald zurück sein«, setzte sie rasch hinzu.

»Wenn sie zurückkommt, sag ihr nicht, dass Monsieur al-Saud bei mir ist. Aber sie soll an ihrem Platz bleiben, ich muss mit ihr reden.«

»Ja, in Ordnung«, antwortete Nora und verließ das Büro.

Fredo sah auf und begegnete dem unergründlichen Blick des Arabers. Es war ihm nur selten zuvor passiert, dass ihn ein Mann so beeindruckt und zugleich eingeschüchtert hatte wie al-Saud in diesem Moment.

»Ich weiß, von welchen furchtbaren Ereignissen Sie reden«, sagte er nach einer Pause. »Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Francescas Mutter nicht weiß, was vorgefallen ist. Und so soll es auch bleiben.« Kamal nickte. »Ich habe auch von dem Baby gehört«, setzte er, jetzt milder, hinzu.

»Es war sehr schlimm für uns beide«, gab Kamal zu. »Aber für mich ganz besonders, weil ich mir die Schuld daran gab. Ich fühle mich immer noch schuldig.«

»Sie sagten, Francescas Sicherheit sei garantiert. Ich möchte Ihnen ungern widersprechen, Monsieur al-Saud, aber in Anbetracht der Tatsache, dass Ihr Land zur Zeit ein Pulverfass ist und Sie im Zentrum der Ereignisse stehen, fürchte ich, dass Francesca genauso gefährdet ist wie zuvor.«

»Wir werden nicht in Riad leben, sondern in Paris«, erklärte Kamal, und Fredo hob überrascht die Augenbrauen.

»Es heißt, Ihr Bruder, der derzeitige König, werde abdanken, und Sie würden seinen Platz einnehmen.«

»Mein Bruder, König Saud, wird abdanken, wie Sie richtig sagen, aber nicht ich, sondern mein Bruder Faisal wird seine Nachfolge antreten. Ich danke ab, bevor ich überhaupt König war«, sagte er mit einem Lächeln.

»Unterstützt Ihre Familie Ihren Amtsantritt nicht?«

»Im Gegenteil. Meine ganze Familie, Faisal inbegriffen, möchte, dass ich König werde.«

»Was ist es dann?«, fragte Fredo ungeduldig.

»Ich kann nicht den Thron und Francesca gleichzeitig haben. Und ohne sie kann ich nicht leben.«

Ein solches Geständnis von einem Mann wie Kamal machte Fredo sprachlos. Er war sich nun völlig sicher über den guten Charakter und die lauteren Absichten dieses Arabers, der ihm im ersten Moment so viel Argwohn eingeflößt hatte. Aber er wollte noch nicht klein beigeben.

»Ich stelle fest, dass die Liebe, die Sie Francesca entgegenbringen, aufrichtig ist. Aber mir ist auch bewusst, dass eine westlich erzogene Frau für einen Mann in Ihrer Position völlig inakzeptabel wäre.«

»Ich verstehe Ihre Bedenken«, beteuerte Kamal. »Ich bin um einiges älter als Ihre Nichte und entstamme einer anderen Kultur und einer anderen Religion. Es ist verständlich, dass Sie Zweifel an mir haben. Ich verspreche Ihnen, dass Francesca eine freie Frau sein wird. Sie muss nicht meinen Glauben annehmen, auch wenn es die Religion unserer Kinder sein wird. Sie kann sich kleiden wie sie will, essen, was sie will, gehen, wohin sie will, und treffen, wen sie will. Ich vertraue ihr, und das genügt mir.«

»Sie lieben Francesca wirklich, das merke ich«, sagte Fredo. »Ich gebe Ihnen daher meine Zustimmung, sie zu heiraten, weil ich überzeugt bin, dass Sie der Richtige für sie sind. Ich hoffe nur … Nun, ich hoffe, dass Sie sie glücklich machen.« Fredos Stimme bekam einen eindringlichen Ton. »Monsieur al-Saud, Francesca ist das Wichtigste in meinem Leben. Sie ist die Tochter, die ich nie hatte. Ich würde alles für sie tun.«

»Ich auch«, versicherte Kamal und reichte Fredo die Hand.

»Wie wollen Sie heiraten? Ihre Mutter, Antonina ist sehr katholisch …«

Erneut überkamen Fredo Zweifel, und er machte sich Sorgen, zu früh in die Heirat eingewilligt zu haben. Aber al-Sauds gelassene, selbstsichere Art beruhigte ihn.

»Wir könnten hier in Córdoba kirchlich heiraten, bevor wir nach Paris abreisen. Francesca weiß, dass wir auch nach islamischem Recht heiraten müssen. Sie hat mir versichert, dass sie kein Problem damit hat.«

»Ich freue mich, dass Sie ein so offener, verständnisvoller Mensch sind. Ich muss Sie warnen, meine Nichte ist ein lebhaftes junges Mädchen, das schwer zu bändigen ist. Ihre Freiheit und Unabhängigkeit sind Francesca das Allerwichtigste.«

»Das weiß ich«, antwortete Kamal. »Deshalb würde ich sie niemals zwingen, mit mir nach Riad zu ziehen.«

Al-Sauds offene und direkte Antwort beruhigte Fredo, der sich nun zum ersten Mal entspannte. Er nahm einen Schluck von dem fast kalten Kaffee.

»Ich wollte noch etwas mit Ihnen besprechen, Monsieur Visconti«, sagte Kamal.

»Nur zu«, ermunterte ihn Fredo.

»Falls mir etwas zustoßen sollte, wird Francesca mein gesamtes Vermögen erben. Und ich kann Ihnen versichern, dass ein Leben nicht ausreichen wird, um es auszugeben. Aber«, setzte er hinzu und beugte sich mit ernster Miene vor, »da niemand weiß, was die Zukunft bringt, insbesondere in Anbetracht der Umstände, in denen ich mich befinde, habe ich beschlossen, bei der Schweizer Bank in Zürich ein Konto zu eröffnen und dort zehn Millionen Dollar auf Ihren und Francescas Namen zu deponieren.«

»Monsieur al-Saud!«, rief Fredo. »Sie überraschen mich. Was erwarten Sie von Ihrer Zukunft, wenn Sie zu einer solchen Maßnahme greifen? Ich muss gestehen, Sie machen mir Angst.«

»Vielleicht ist es eine unnötige Maßnahme«, gab al-Saud zu, »aber ich mache es zu meiner eigenen Beruhigung. Niemand außer Ihnen weiß von der Existenz dieses Geldes. Nur im äußersten Fall werden Sie Francesca über dieses Konto informieren. Sie und unsere Kinder, falls wir welche haben sollten, werden allein von den Zinsen gut leben können.«

»Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte Fredo nach einer Pause, »soll Francesca also nur ›im äußersten Fall‹ von diesem Gespräch erfahren.« Al-Saud nickte. »Und was wäre dieser äußerste Fall?«

»Dass ich sterbe oder spurlos verschwinde«, sagte Kamal ernst, »und meine Familie Francesca ihre Rechte vorenthält.«

»Ihre Familie ist nicht mit dieser Ehe einverstanden, oder?«

»Nein.«

»Könnte es sein, dass man meiner Nichte nach dem Leben trachtet?«

»Ich sagte Ihnen bereits, für Francescas Sicherheit ist garantiert. Vertrauen Sie mir.«

»Ich vertraue Ihnen, Monsieur al-Saud. Es ist Ihr Umfeld, dem ich nicht vertraue, weil es von Interessen geleitet ist, für die so mancher töten würde.«

»Nach der Hochzeit mit Ihrer Nichte wird sich mein Leben grundlegend ändern. Ich werde mich aus der Politik zurückziehen und die Regierung meines Landes anderen überlassen. Das sollte Francesca und mich aus der Schusslinie bringen. Meine Gegner werden das Interesse an mir und meiner Familie verlieren. Aber ich werde auf sie aufpassen, als könnte man sie mir jeden Augenblick wegnehmen.«

»Ich habe Ihrer Vermählung mit meiner Nichte nicht zugestimmt, weil ich keine Gefahr für sie sehe«, erklärte Fredo, »sondern weil es nicht möglich sein wird, sie von Ihnen fernzuhalten, wenn Sie erfährt, dass Sie hier sind. Jedenfalls glaube ich«, sagte er wohlwollend, »dass Sie sie aufrichtig lieben und alles tun werden, um sie glücklich zu machen.« Kamal nickte erneut, und Fredo setzte hinzu: »Ich muss gestehen, Monsieur al-Saud, dass Ihr Vertrauen mir schmeichelt. Ein Vermögen von zehn Millionen Dollar auf den Namen einer Person zu deponieren, die Sie kaum kennen, ist unglaublich.«

»Ich kenne Sie gut, Monsieur Visconti. Sehr gut«, beteuerte Kamal, und es war nicht nötig, zu betonen, dass er Nachforschungen hatte anstellen lassen. »Aber dass ich auf Ihre Urteilskraft und Ihren Verstand vertraue, liegt vor allem an der Liebe und dem Respekt, die Francesca für Sie empfindet. Ich weiß, dass Sie sie wie eine eigene Tochter lieben, wie Sie selbst eben sagten, und ich weiß auch, dass Sie nie etwas tun würden, was ihr schadet.«

»Ich würde mein Leben für sie geben, wenn es nötig wäre«, erklärte Fredo.

»Darin sind wir ganz einer Meinung«, sagte Kamal.

»Ich muss Sie warnen, ich bin ein Neuling in Finanzdingen. Ich habe keine Ahnung vom Geldmarkt und seinen Gesetzen.«

»Darum brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, beruhigte ihn Kamal. »Das Geld wird auf dem Bankkonto liegen, wo vertrauenswürdige Angestellte es gewinnbringend anlegen, ohne größere Risiken einzugehen. Ich will zum Beispiel nicht in Aktien investieren, die sind zu unsicher. Lieber in Festgelddepots und Staatsanleihen. Sonst nichts. Fürs Erste müssten Sie nur einige Formulare ausfüllen und mir einige Dokumente zur Verfügung stellen, die mein Anwalt demnächst von Ihnen verlangen wird. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie.«

»Absolut nicht«, versicherte Fredo und lächelte zum ersten Mal richtig.

»Dieses Ölgemälde«, sagte Kamal und deutete auf das Bild hinter dem Schreibtisch, »zeigt die berühmte Villa Visconti, oder?«

»So ist es«, bestätigte Fredo und sah ihn erstaunt an. »Hat Francesca Ihnen davon erzählt?«

»Ja, das hat sie.«

***

Francesca legte einige Unterlagen auf ihren Schreibtisch und zog die Jacke aus. Erst dann bemerkte sie, dass Nora sie merkwürdig ansah.

»Was ist?«, fragte sie lachend. »Hab ich was im Gesicht?«

»Dein Onkel will dich sehen. Ich sag ihm Bescheid, dass du da bist. Señor Fredo?« Nora betätigte die Gegensprechanlage. »Francesca ist jetzt da. Soll ich sie reinschicken?«

Kamal stand auf, ging aber nicht zur Tür, sondern blieb zögernd vor dem Sofa stehen. Francesca betrat das Büro, und ihr Lächeln und ihre Fröhlichkeit schienen den Raum zu fluten. Kamal stockte der Atem, das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er fragte sich, ob er einen Ton herausbekommen würde.

»Hallo, Onkel!«, rief Francesca. »Rate mal, wen ich getroffen …«

Als sie bemerkte, dass Fredo nicht allein war, verstummte sie. Sie betrachtete den Unbekannten eingehend. Er sah Kamal sehr ähnlich. Unglaublich ähnlich.

»Kamal?«

»Francesca …«, sagte er und ging auf sie zu.

»Ich lasse euch allein«, verkündete Fredo und verließ den Raum.

In den vergangenen Monaten hatte Francesca Kamal mit derselben Intensität gehasst, wie sie ihn in Arabien geliebt hatte. Während sie bereit gewesen war, für ihn ihre Kultur und ihre Religion aufzugeben, hatte er sie verraten und einfach weggeschickt. Aber seine unerwartete und unwirkliche Gegenwart an diesem Ort vertrieb jeden dunklen Gedanken, den sie in den letzten drei Monaten gegen ihn gehegt hatte.

Kamal betrachtete Francesca mit ihrer von der Kälte geröteten Nase und dem vom Wind zerzausten Haar. Sie trug dasselbe dunkelblaue Kostüm wie damals, als er sie in Mauricios Büro so erschreckt hatte, dieses eng taillierte, das ihre Hüften, ihre Taille und ihre Brüste auf eine Art und Weise betonte, die ihm den Verstand raubte. Er fand sie wunderschön.

»Ich liebe dich«, sagte er schließlich, und Francesca konnte nicht verhindern, dass sich ein Schluchzen ihrer Kehle entrang. Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.

Kamal ging auf sie zu, nahm sie in die Arme und zog sie fest an sich. Francesca erwiderte seine Umarmung. Unter Tränen flüsterte sie wieder und wieder seinen Namen.

»Allah möge mir verzeihen«, sagte Kamal nach einer Weile, »aber ich kann nicht ohne dich leben. Nicht weinen, mein Liebling. Wir werden nicht länger leiden«, tröstete er sie, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. »Nicht weinen, du weißt doch, dass ich es nicht ertrage, dich weinen zu sehen.«

Francesca wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Kamal reichte ihr ein Taschentuch, und sie schnäuzte sich die Nase.

»Ich muss furchtbar aussehen«, jammerte sie, während sie sich die Haare aus der Stirn strich.

»Du weißt, dass das unmöglich ist.«

»Und du gehst nicht wieder weg?«, fragte Francesca ängstlich.

»Nie wieder!«

»Warum hast du mir solchen Kummer gemacht?«

»Verzeih mir«, bat er sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, dich wegzuschicken. Aber ich habe es für dich getan, weil ich Angst hatte, man könnte dir noch einmal wehtun, und das hätte ich nicht ertragen. Du bist mein Leben, mein Augenstern. Sag, dass du mir vergibst, ich flehe dich an.«

»Wirst du mich mit dir mitnehmen?«

»Ja, natürlich«, versicherte Kamal.

»Wir werden für immer zusammen sein?«

»Wenn du mich willst.«

»Ja, ich will dich. Ich will dich.«

»Lass uns in mein Hotel gehen«, schlug er dann vor. Gemeinsam verließen sie das Büro.

Das Vorzimmer war leer. Kamal nahm Mantel und Handschuhe von der Garderobe, während Francesca ihre Jacke anzog. Eng umschlungen traten sie auf die Straße. Francesca freute sich, als sie die Leibwächter entdeckte. Sie ließen die Situation wirklicher erscheinen.

»Es ist so merkwürdig, dich hier zu sehen«, gestand sie Kamal.

»Was hast du gedacht, als du mich sahst?«, wollte er wissen.

»Für einen kurzen Moment ist mein Herz stehengeblieben. Dann dachte ich, es sei nur eine Verwechslung, aber du bist so besonders und einzigartig, dass es niemand anders sein konnte als du. Und du? Was hast du gedacht?«

Kamal blickte in den Himmel. »Ehrlich gestanden hatte ich noch nie in meinem Leben solche Angst wie im Büro deines Onkels, als du hereinkamst. Ich hatte Sorge, du könntest mich zurückweisen.«

»Du musst dir meiner ziemlich sicher gewesen sein«, entgegnete Francesca. »Sonst wärst du nicht hergekommen.«

Als sie vor dem Crillon an der Calle Rivadavia ankamen, dachte Francesca, dass Kamal das Hotel wie eine billige Absteige vorkommen musste. Aber er wirkte so glücklich, dass ihm der mangelnde Luxus der Suite im obersten Stockwerk völlig egal zu sein schien.

Bevor er die Tür schloss, teilte Kamal Abenabó und Kader mit, dass er sie vor dem Abend nicht mehr brauche. Francesca hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Sie zog die Kostümjacke aus und warf sie aufs Bett. »Wie geht es Mauricio? Und Sara?«, erkundigte sie sich dann bei Kamal. »Und was macht mein geliebter Rex? Los, erzähl schon.«

Kamal war mit zwei Schritten bei ihr und schloss sie in seine Arme.

»Sei still«, forderte er ungestüm. »Schluss mit der Fragerei. Ich erzähle gar nichts, und wir werden auch über niemanden reden. Erst einmal will ich nur dich, das ist alles.«

»O nein«, widersetzte sich Francesca. »Es ist so viel Zeit vergangen, und ich kann es kaum erwarten, Neuigkeiten zu erfahren.«

Sie führte Kamal zu einem Sessel und nötigte ihn, sich zu setzen. Sie selbst blieb stehen. Sie blickten sich tief in die Augen. Schließlich schob Francesca den Rock bis zur Taille hoch und setzte sich rittlings auf ihn. Sofort spürte sie Kamals Erektion zwischen ihren Beinen.

»Los, erzähl«, drängte sie.

»Warum tust du mir das an?«, stöhnte er. »Warum bist du so grausam zu mir?«

»Grausam? Du warst grausam, als du mich aus Riad weggeschickt hast.«

»Hast du mir denn nicht verziehen?«, jammerte er. »Ist das hier deine Rache?«

»Ja, das ist meine Rache.«

Kamal knöpfte ihre Bluse auf und legte ihre Brüste frei. Dann beugte er sich vor und liebkoste sie mit der Zunge. An seine Schultern geklammert, warf Francesca den Kopf zurück und stöhnte auf.

»Ich muss dich spüren«, sagte er schließlich, und ein Schauder lief ihr über den Rücken, als sein heißer Atem über ihr Dekolleté strich. Drei Monate waren lang genug für mich.«

Er bedeutete ihr, aufzustehen, und zog ihr mit hastigen Händen die Unterwäsche aus, während sie seine Hose öffnete. Dann zog er sie wieder auf seinen Schoß und drang mit einer schnellen, heftigen Bewegung in sie ein. Als es vorbei war, flüsterte Francesca, an seinen Hals geschmiegt: »Du bekommst immer, was du willst, Kamal al-Saud.«

»Immer«, bestätigte er. »Du bist der beste Beweis dafür.«

Den Rest des Tages verbrachten sie im Bett. Als sie Hunger bekamen, bestellte Kamal einen opulenten Imbiss. Als typischer Araber hatte er eine Schwäche für Gebäck und Süßes; Francesca fand das sehr sympathisch – es machte ihn menschlicher. Nachdem sie gegessen hatten, lagen sie schweigend da. Kamal hielt sie fest im Arm, während Francesca sich an seine Brust schmiegte.

»Gleich nachdem du aus Riad abgereist warst, habe ich beschlossen, dich zurückzuholen«, sagte er schließlich.

Francesca schwieg. Sie brauchte keine Erklärungen, hörte ihm aber weiter gebannt zu.

»Dein Brief«, fuhr Kamal fort. »Ich habe ihn immer wieder gelesen, bis ich ihn auswendig kannte. Dieses ›Warum hast du mich verlassen, Kamal?‹ verfolgte mich unentwegt.« Er fasste sie unterm Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich werde dir nie wieder Anlass geben, mich das zu fragen.«

Gegen sechs Uhr nachmittags klingelte das Telefon.

»Wer kann das sein?«, fragte Francesca verwundert.

»Ich habe deinem Onkel erzählt, dass ich hier abgestiegen bin«, erklärte Kamal und hob den Hörer ab.

Es war tatsächlich Fredo, der sie zum Abendessen in seine Wohnung einlud. Antonina hatte schon zugesagt. Francesca wollte vorher ein Bad nehmen und sich umziehen. Kamal ließ die Leibwächter den Wagen vorfahren und begleitete sie.

»Ich bin so aufgeregt«, gestand sie. »Meine Mutter hält nichts von unserer Beziehung.«

»Allah ist mit uns«, entgegnete Kamal.

»Besser, du erwähnst Allah heute Abend nicht; zumindest, solange du mit ihr am Tisch sitzt.«

***

Antonina war äußerst überrascht, als sie Kamal sah. Eigentlich war er ein gutaussehender Mann, groß, mit wunderbaren grünen Augen und den Manieren eines englischen Gentlemans. Er hatte so gar nichts von dem Teufel an sich, den sie sich vorgestellt hatte. Am Anfang schüchterte er sie ein – nicht sein aristokratisches Auftreten oder sein durchdringender Blick, sondern die Tatsache, dass er so viel darstellte und sie so wenig. Daher war sie zurückhaltender, als sie eigentlich wollte. Aber im Verlauf des Essens entspannte sie sich und genoss den Abend, denn ihr zukünftiger Schwiegersohn war ein sehr angenehmer Gesellschafter, der gar nicht aufhörte, sie zu ihrer Tochter zu beglückwünschen. Die Sprache stellte zunächst ein Hindernis dar, bis Kamal versicherte, Spanisch zu verstehen, auch wenn er es nicht spreche; da er der Pferde wegen häufig nach Andalusien reise, habe er einige Unterrichtsstunden genommen. Wenn Kamal französisch sprach, übersetzten Fredo und Francesca für Antonina.

Antonina erinnerte die Art, wie er Francesca ansah, daran, wie Vincenzo sie vor vielen Jahren angesehen hatte – und daran, wie Fredo sie in diesem Moment ansah.

Sie kamen auf die Hochzeit zu sprechen, und Antonina versprach, mit ihrem Beichtvater Pater Salvatore zu sprechen, um die Einzelheiten zu regeln. Sie war froh, dass al-Saud bereit war, sich kirchlich trauen zu lassen. Aber ihre Zuversicht verschwand, als er diplomatisch, aber bestimmt erklärte, dass er nicht zum Christentum konvertieren werde.

»In diesem Fall«, sagte sie, »bezweifle ich sehr, dass ein Priester bereit sein wird, Sie zu trauen.«

»Dann rede ich mit dem Bischof, der ein guter Freund von mir ist, und wir erbitten einen Dispens«, schaltete sich Fredo ein, um den Schatten zu vertreiben, der sich über Francescas Lächeln gelegt hatte.

»Aber das ist nicht dasselbe«, entgegnete Antonina verstimmt.

Gegen Mitternacht verabschiedete sich Kamal und fuhr in sein Hotel. Fredo brachte Antonina zum Stadtpalais der Martínez Olazábals, während Francesca anfing, den Abwasch zu machen.

»Ich hätte nie gedacht«, bemerkte Antonina im Auto, »dass meine Tochter, meine einzige Tochter, einmal die Frau eines Ungläubigen werden wird.«

»Antonina«, sagte Fredo tadelnd, »dieser Mann hat wegen Francesca auf ein Königreich verzichtet.«

»Ja, ich weiß. Niemand zweifelt daran, dass er sie liebt. Aber ich fürchte, dass die Leidenschaft, die er für sie empfindet, mit den Jahren nachlassen wird, und dann kommt irgendwann der Tag, an dem er es bereut, auf den saudischen Thron verzichtet zu haben. Jede Leidenschaft erlischt früher oder später.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete Fredo so heftig, dass Antonina ihn überrascht ansah. »Ich liebe seit zwanzig Jahren ein und dieselbe Frau, und ich kann versichern, dass die Leidenschaft, die ich für sie empfinde, noch genauso stark ist wie an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal sah.«

Im dunklen Auto konnte Fredo nicht sehen, wie Antonina reagierte. Er bereute, was er gesagt hatte, und verfiel in Schweigen. Es war Antonina, die schließlich sprach.

»Diese Frau kann sich glücklich schätzen, von einem Mann wie Ihnen geliebt zu werden, Alfredo.«

»Ich habe ihr meine Liebe nie gestanden«, erklärte er beinahe abweisend.

»Warum?«

»Weil sie einen anderen liebt.«

Er hielt vor dem Hintereingang der Martínez Olazábals und blickte starr nach vorn. Niemand sagte etwas. Fredo wollte das Schweigen brechen, ihr alles gestehen, was er über die Jahre für sich behalten hatte, aber entgegen seiner sonstigen Redegewandtheit fehlten ihm die Worte. Erneut war es Antonina, die das Wort ergriff.

»Vielleicht ist es an der Zeit, ihr Ihre Liebe zu gestehen. Vielleicht ist das Herz dieser Frau jetzt frei, und sie kann wieder lieben.«

»Glauben Sie?«

»Natürlich.«

Alfredo sah sie an. Antonina lächelte. Es schnürte ihm die Kehle zu, wenn er in dieses sanfte Gesicht blickte, das zu küssen er sich so oft gewünscht hatte. Sie streckte den Arm aus und strich ihm die Haare aus der Stirn. Er schloss die Augen und atmete tief durch.

»Alfredo«, flüsterte Antonina.

»Ich hätte nie gedacht«, sagte Alfredo, »dass dieser Tag irgendwann einmal kommen würde.«

Und er beugte sich über sie und küsste sie auf den Mund.

***

Francesca vereinbarte mit ihrem Onkel, dass sie auch weiterhin in die Redaktion kommen würde, bis alle anstehenden Aufträge erledigt waren. Danach würde sie die Vorbereitungen für ihre Abreise mit Kamal treffen, der ihr nur zehn Tage Zeit gegeben hatte. Auf Francescas Vorschlag, ihm erst einige Wochen später zu folgen, war Kamal nicht eingegangen.

»In spätestens zehn Tagen muss ich wieder in Paris sein, und ich werde nicht ohne dich fahren. Und damit ist alles über das Thema gesagt. Du hast diese Zeit, um deine Sachen zu regeln. Nimm keine Kleidung, Schuhe oder persönliche Gegenstände mit. Ich kaufe dir dort alles, was du brauchst, und noch mehr. Du wirst gar nicht dazu kommen, alles zu tragen.«

Kamal holte Francesca gegen Mittag in der Zeitung ab und ging mit ihr zum Essen in sein Hotel, das über das beste Restaurant der Stadt verfügte. Dann verschwanden sie unter den missbilligenden Blicken der Angestellten nach oben aufs Zimmer. Allerdings wagte es niemand, die Gepflogenheiten dieses merkwürdigen Mannes in Frage zu stellen, der Französisch sprach, aber einen arabisch klingenden Namen hatte; seine Trinkgelder waren die höchsten, die sie je erhalten hatten.

Eines Tages, als Francesca sich anzog und Kamal noch im Bett lag, kam dieser auf Aldo zu sprechen.

»Hast du ihn wiedergesehen?«

»Wen?«, fragte Francesca ahnungslos.

»Den Sohn des Arbeitgebers deiner Mutter.« Er wollte nicht einmal seinen Namen aussprechen.

»Ja«, antwortete sie knapp und zog sich weiter an.

Kamal stand auf und ging zu ihr. Er fasste sie bei den Handgelenken und sah sie ernst an.

»Was ist passiert?«

»Überhaupt nichts.«

»Er hat versucht, dich zurückzubekommen, stimmt’s?«

»Ja, aber ich bin nicht darauf eingegangen.«


Als er vom Land zurückkam, erfuhr Aldo von Sofía, dass der Araber gekommen sei, um Francesca nach Paris mitzunehmen. Die Hoffnungen, die er sich in diesen Tagen gemacht hatte, zerschlugen sich, und er war am Boden zerstört. Trotzdem ging er am nächsten Tag zur Zeitung, um Francesca zu sehen. Sie war allein; Nora war in Fredos Büro.

»Stimmt es, dass du ihn heiraten wirst?«

»Ja.«

»Und wir?«

»Das zwischen uns ist schon lange vorbei, Aldo.«

»Ich dachte, es gäbe noch Hoffnung.«

»Die gab es nie. Das neulich war … Ich wollte dir nicht wehtun.«

»Es heißt, dass er sehr mächtig ist«, sagte Aldo, »dass er sehr viel Geld hat und erheblich älter ist als du, dass du mit ihm aufs Zimmer gehst und dass er dich behandelt, als wärst du seine … seine …«

Francesca überhörte die Beleidigung. Sie empfand nach wie vor aufrichtige Zuneigung für Aldo und konnte trotz seiner bösen Worte nicht wütend auf ihn sein.

»Du kennst mich, Aldo«, sagte sie sanft, »du weißt genau, was ich für ein Mensch bin. Und du weißt, dass mein einziger Beweggrund die Liebe ist, die ich für ihn empfinde. Ob er Geld oder Einfluss hat, interessiert mich nicht, so wie es mich nicht interessiert hat, als ich mit dir zusammen war. Und ja, ich bin seine Frau, und ich schäme mich nicht dafür. Ganz im Gegenteil.«

»Entschuldige«, murmelte Aldo, ohne ihr in die Augen zu sehen.

»Guten Tag«, war plötzlich Kamals dröhnende Stimme zu vernehmen. Er warf Aldo einen vernichtenden Blick zu. Francesca bewahrte die Fassung und ging ihm entgegen.

»Kamal, darf ich dir einen alten Freund vorstellen? Aldo Martínez Olazábal, Sofías Bruder.«

Kamal ging auf Aldo zu und reichte ihm die Hand, die dieser überrascht und eingeschüchtert zugleich ergriff. Das Bild, das er sich in seiner Eifersucht von Kamal gemacht hatte, besaß keinerlei Ähnlichkeit mit der Realität. Genau wie Antonina war er beeindruckt von dessen Größe und Eleganz, von der Art, sich zu bewegen und zu sprechen, und von der Selbstsicherheit, die er ausstrahlte. Es war nicht erstaunlich, dass Francesca seinem Zauber verfallen war. Neben diesem älteren, erfahrenen Mann kam er sich wie ein Schuljunge vor. Seiner Niederlage bewusst, gratulierte er ihnen zur Verlobung und ging. Francesca sah Kamal ängstlich an, doch der nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Stirn.

Am Abend war sie immer noch bedrückt und klopfte an Fredos Schlafzimmertür. Er saß gemütlich in seinem Lieblingssessel, rauchte eine Pfeife und las.

»Was schaust du so traurig?«

»Warum bin ich glücklich und Aldo so unglücklich?«, fragte sie. »Ich wünschte, alle wären so glücklich wie ich. Ich fühle mich schuldig, Onkel. Meinetwegen ist Aldos Ehe gescheitert, meinetwegen findet er keine Ruhe.«

»Sag das nicht. Du bist ungerecht mit dir selbst. Hast du ihn etwa verlassen, um einen anderen zu heiraten? Musste er aus Córdoba weggehen, um zu vergessen? Du musst dich nicht schuldig fühlen. Du kannst nichts dafür, dass Aldo sich in dich verliebt hat und dass er dann nicht für diese Liebe eingestanden ist.«

Es stimmte: Nicht sie war schuld an der Trennung gewesen. Nicht sie hatte erst von Liebe gesprochen und dann ein paar Wochen später einen anderen geheiratet. Fredo hatte recht, sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Aber sie litt trotzdem mit Aldo.

»Eigentlich fühle ich mich schuldig, weil ich erst durch die gescheiterte Beziehung zu Aldo die wahre Liebe kennengelernt habe. Als wäre es nötig gewesen, Aldo zu opfern, damit ich mit Kamal glücklich werden kann.«

»Ich habe dir schon öfter gesagt, dass nichts auf dieser Welt durch Zufall geschieht. Der Große Architekt verbindet die Schicksalslinien, ohne dass wir seine Absichten immer sofort erkennen. Aber früher oder später werden wir sie durchschauen. Vielleicht wirst du eines Tages herausfinden, warum Aldo heute leiden muss.« Nach einer kurzen Pause bat Fredo sie: »Sei glücklich, Francesca, genieße den Augenblick und verdirb dir dieses Glück nicht durch Gedanken an jemanden, der alt genug ist, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, so wie du es getan hast.«

Francesca küsste ihren Onkel auf die Stirn und wünschte ihm eine gute Nacht.

***

Kein Priester würde einwilligen, eine Katholikin mit einem Muslim zu trauen, da gab es gar keine Diskussion. Also wurde alles für den Dispens in die Wege geleitet, der Antonina so zu schaffen machte. Ihre Tochter würde in Sünde leben, nichts konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Auf inständiges Bitten von Francesca willigte Kamal ein, standesamtlich in Córdoba zu heiraten, obwohl ihm Paris lieber gewesen wäre. Am Abend vor der Trauung überreichte Kamal Francesca beim Abendessen in Fredos Wohnung den Platinring mit dem Solitär, den er Monate zuvor bei Tiffany’s für sie gekauft hatte. Auf der Innenseite stand in Französisch: »Für Francesca, meine Liebe. K.« Er steckte ihr den Ring an, und Francesca schlug die Hände vors Gesicht, um die Tränen der Rührung zu verbergen.

Nach der standesamtlichen Trauung in einem dunklen, nicht sehr ansprechenden Büro, bei der Sofía und Nando als Trauzeugen fungierten, gab es einen kleinen Empfang im Salon des Crillon. Francesca trug ein tailliertes Chanelkostüm aus elfenbeinfarbener Seide, das Kamal ihr aus Paris mitgebracht hatte. Am Revers waren zwei Kamelien aus Seide befestigt. Das offene Haar fiel ihr in schwarzen Wellen schwer und glänzend über die Schultern. Kamal bewunderte von ferne ihr schönes Gesicht und die Rundungen ihres Körpers, die durch das Chanelkostüm noch betont wurden: ihre vollen Brüste, die schmale Taille, die runden Hüften, jede einzelne Körperpartie, die er besser kannte als jeder andere. ›Meine Frau‹, sagte er sich immer wieder, und ein warmes, wohliges Gefühl dämpfte sein Bedürfnis, jeden zu verprügeln, der es wagte, sie anzufassen.

Unter den Gästen waren neben Sofía und Nando auch einige Schulfreundinnen von Francesca, mehrere Angestellte der Zeitung, darunter Fredos Sekretärin Nora, das Personal der Martínez Olazábals sowie einige Freunde von Fredo, größtenteils Journalisten und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, die das Gespräch mit dem Prinzen höchst anregend fanden. Sie merkten bald, dass er ein Mann war, der beiden Welten angehörte, dem Westen und dem Orient. Da Antonina die Dienstboten aus dem Haus der Martínez Olazábals eingeladen hatte, mit denen sie befreundet war, ging sie davon aus, dass ihre Arbeitgeber sich keinesfalls dazu herablassen würden, an der kleinen Feier im Crillon teilzunehmen. Aber dann erschienen Celia, Esteban und Enriqueta im Salon und straften ihre Annahme Lügen. Jedes Familienmitglied der Martínez Olazábals hatte andere Beweggründe, an der Feier teilzunehmen: Esteban aus Zuneigung zu Francesca; Celia aus Neugier auf einen Mann, der in Córdoba nicht eben alltäglich war, und Enriqueta wegen der Möglichkeit, ihre heimliche Liebe Alfedo Visconti zu sehen und vielleicht sogar mit ihm zu sprechen.

»Sofía! Deine Mutter ist gerade gekommen. Sie wird dich mit Nando sehen.«

»Das ist mir total egal«, erwiderte das Mädchen, und der Nachdruck, mit dem sie das sagte, überraschte Francesca. »Ich habe ihnen schon gesagt, dass ich vorhabe, ihn zu heiraten.«

»Und wie haben sie reagiert?«

»Natürlich sind sie nicht einverstanden. Meine Mutter hat wie immer damit gedroht, mir den Geldhahn zuzudrehen. Aber das ist mir egal – Nando wird Arbeit finden, und wir werden unser Auskommen haben. Wenn es nötig ist, gehe ich auch arbeiten. Es ist an der Zeit, dass ich aufhöre, an meine Familie zu denken, und eine eigene Familie gründe.«

›Was für ein faszinierender Mann!‹, dachte Celia, als al-Saud sich verbeugte und ihr einen formvollendeten Kuss auf die Hand hauchte. Er schenkte ihr ein verführerisches Lächeln und zeigte dabei perfekte weiße Zähne, die einen schönen Kontrast zur dunklen Haut bildeten. Sie war hypnotisiert von seinen grünen Augen, und für einen kurzen Moment sah sie ihn ganz unverhohlen an, was sie sich sonst nie erlaubte. Er sprach ein ausgezeichnetes, akzent- und fehlerfreies Französisch und besaß eine galante Art, die seine europäische Erziehung verriet. Nach diesem ersten Eindruck überkam Celia der Neid. Ungewohnt ehrlich gestand sie sich ein, dass sie für eine Nacht mit diesem Mann, Muslim hin oder her, sämtliche Prinzipien über Bord werfen würde, die ihr so wichtig waren. Als Francesca ihr widerstrebend ihren Verlobungsring zeigte, verschlug es ihr die Sprache. Er musste ein kleines Vermögen gekostet haben. Stumm bewunderte sie das Couturekostüm, das sie trug, und die beiden ineinander verschlungenen C des Hauses Chanel auf den Jackenknöpfen.

Enriqueta ging unterdessen zu Fredo und grüßte ihn schüchtern. Er behandelte sie wie gewohnt nicht anders als ihre Schwester Sofía und alle anderen Freundinnen von Francesca. Für ihn war sie ein Kind. Enriqueta ließ ihn nicht aus den Augen, beobachtete, wie er plauderte, lachte, Leute begrüßte, studierte seine Mimik und Gestik. Und so bemerkte sie einen Blickwechsel zwischen ihm und Antonina, der sie sprachlos machte. Sie war am Boden zerstört. Eigentlich hatte sie beschlossen, an diesem Abend nicht zu trinken, doch als jetzt ein Kellner mit einem Tablett vorbeikam, nahm sie ein Glas Champagner und flüchtete auf die Toilette.

Kamal warf einen Blick in die Runde. Der Empfang verlief ganz nach seinen Erwartungen. Auch für ihn war der Abend mit Fredos Freunden angenehm gewesen. Francesca wirkte glücklich und zufrieden und ließ sich nicht einmal durch die Anwesenheit der Martínez Olazábals die Laune verderben. Sie war im angeregten Gespräch mit Sofía und Nando.

»Francesca«, unterbrach er ihre Unterhaltung, »ich denke, wir sollten schlafen gehen. Wir reisen morgen sehr früh nach Paris ab.«

»O ja, natürlich!«, pflichtete Sofía bei. »Ihr solltet gehen. Und wir auch.«

»Nein, nein«, widersprach Kamal. »Feiert ihr nur weiter.«

Francesca verabschiedete sich von den wenigen Gästen, die noch da waren. Ihre Mutter und Fredo brachten sie bis zur Treppe.

»Mamma, non piangere, ti prego«, bat sie, als Antonina zu schluchzen begann. »Pensi che sono felice. Ci vediamo domani.« Dann verabschiedete sie sich, als würde sie nicht am nächsten Morgen nach Europa abreisen.

Am nächsten Tag, auf dem Flug nach Paris, fragte Francesca Kamal:

»Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«

»Du weißt doch, dass ich dir nichts abschlagen kann.«

»Eigentlich geht es nicht um mich.«

»Es hätte mich auch gewundert, wenn du etwas für dich erbeten hättest. Wenn ich es recht überlege, hast du noch nie etwas für dich verlangt.«

»Es geht um Nando und Sofía«, erklärte Francesca. »Nando hat keine Arbeit und ist sehr arm. Ich dachte, du könntest ihm vielleicht helfen. Ich weiß, dass du viele Kontakte und Beziehungen nach Argentinien hast.«

»Wie kommst du darauf?«

»Wie hättest du sonst erreicht, dass mich das Auswärtige Amt von Genf nach Riad versetzt? Ich weiß, dass sie eigentlich jemand anderen schicken wollten. Und zwar nicht mal eine Frau.«

Kamal lachte.

»Ja, das stimmt schon«, gab er zu. »Ich habe wichtige Verbindungen in Argentinien. Außerdem ist Geld ein guter Verbündeter, wenn man ein Ziel erreichen will. Und du warst mein wichtigstes Ziel. Wenn das mit deiner Versetzung nicht geklappt hätte, hätte ich dich entführt.«

»Ich zweifle nicht daran, dass du dazu fähig gewesen wärst. Also, wirst du Nando helfen?«

»Ich werde mein Möglichstes tun.«

***

Al-Sauds Villa in Paris lag in der Avenue Foch, ganz in der Nähe des Arc de Triomphe. Sie wurden von einer eleganten Frau im dunkelgrauen Kostüm mit streng nach hinten gestecktem Haar empfangen, die einen Schlüsselbund um den Hals trug. Kamal stellte sie als Madame Rivière vor, die Haushälterin.

»Madame Rivière«, fuhr er fort, »das ist meine Frau, Madame al-Saud.«

Die Frau vergaß ihre vornehme Zurückhaltung und machte große Augen. Sie beteuerte, nur selten eine so schöne, bezaubernde Frau gesehen zu haben, und wünschte ihnen Glück und viele Kinder. Sie hatte viele Geliebte kommen und gehen gesehen, darunter auch einige sehr gewöhnliche. Keine dieser Frauen, die reichlich Champagner tranken, während Monsieur al-Saud nur Fruchtsäfte und Wasser trank, und in einem fort lachten, hatte einen so guten Eindruck auf sie gemacht wie dieses junge Mädchen. Nachdem er ihr einige Aufträge gegeben hatte, schickte Kamal sie hinaus.

Francesca trat ans Fenster, schob den Vorhang beiseite und sah auf die Avenue Foch hinaus. Die Straße war genauso still wie das Haus. Kamal warf das Jackett aufs Sofa. Ohne sie zu berühren, flüsterte er ihr ins Ohr: »Gefällt dir, was du bisher gesehen hast?« Francesca nickte. »Komm, ich zeige dir den Rest.«

Die Wohnung ging über zwei Stockwerke und hatte so viele Zimmer, dass Francesca ihre Befürchtung zum Ausdruck brachte, sie könnte nicht mehr zum Schlafzimmer zurückfinden. Sie war beeindruckt von den liebevollen Details und der geschmackvollen Einrichtung. Kamal sah sie erwartungsvoll an und hoffte auf ihre Zustimmung.

»Es ist deine Wohnung, Liebling«, sagte er. »Du bist jetzt die Hausherrin hier. Du kannst nach Herzenslust verfahren und alles verändern, wenn du willst.«

»Es ist perfekt so, wie es ist. Ich würde nichts daran ändern.«

An diesem Abend aßen sie im »Tour d’Argent«. Der Maître nannte Kamal »Hoheit« und geleitete ihn mit unterwürfigen Verbeugungen zum besten Tisch am Fenster, von wo aus sie einen Blick auf das abendliche Paris hatten. Francesca fragte sich, wie viele Frauen er in das berühmte Restaurant ausgeführt haben mochte. Als das Essen schon fast vorbei war und sie so still und ernst dasaß, fragte Kamal, was mit ihr los sei.

»Ich dachte an die vielen Frauen, mit denen du hier gewesen sein musst.«

Kamal steckte sich eine Zigarette an und lächelte amüsiert, was sie nur noch wütender machte.

»Es gefällt mir, dass du eifersüchtig bist. Es beweist wieder einmal das Feuer, das du in dir hast und das sich nicht aufs Bett beschränkt, wie ich sehe. Ja, es stimmt, ich war mit vielen Frauen hier, schönen, lebenslustigen und amüsanten Frauen. Ich hatte angenehme Stunden mit ihnen, und ich weiß, dass sie auch mit mir ihren Spaß hatten.«

Francesca sah ihn unverwandt an, und Kamal lächelte erneut belustigt.

»Ja, es waren viele Frauen«, sagte er noch einmal, mehr zu sich selbst. »Sehr viele, aber ich schwöre dir beim Andenken meines Vaters, dass ich keiner von ihnen je gesagt habe, dass sie die einzige, wahre Liebe meines Lebens sei. Das kann ich nur zu dir sagen. Zu dir, meiner Frau, Francesca al-Saud, die sich allem zum Trotz an mich gebunden hat – trotz meines Charakters, meiner Herkunft und meines verrückten Lebens und trotz der Unterschiede, die uns trennen.«

Francesca würde diese Tage in Paris als die glücklichsten ihres Lebens in Erinnerung behalten.

Manchmal wachte Kamal mitten in der Nacht auf und betrachtete sie, den Kopf in die Hand gestützt. Wenn sie so dalag und schlief, mit entspanntem Gesicht und diesem Hauch von Unschuld, der sie umgab, wirkte sie wie eine Fünfzehnjährige. Er stellte sich vor, wie es in vielen Jahren sein würde, wenn er ein alter Mann war und sie auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit und Reife, aber er hatte keinen Zweifel daran, dass sie ihn immer noch lieben würde, ganz gleich, wie alt er war. An Francesca zu zweifeln erschien ihm wie Verrat.

»Warum schläfst du nicht?«, überraschte sie ihn einmal und riss ihn aus seinen Gedanken.

»Ich habe dich angeschaut und gedacht, dass ich ewig mit dir hierbleiben könnte. Wenn ich mit dir zusammen bin, ist es mir ganz egal, wo ich bin.«

»Ist es nicht«, widersprach sie und streichelte ihm über die Wange. »Dir ist es nicht gleich, wo du bist, solange es Saudi-Arabien gibt. Wir sollten nach Riad zurückkehren. Ich spüre, dass ich dich am Ende verlieren würde, wenn du meinetwegen nicht in deine Heimat zurückkehrst.«

»Du wirst mich niemals verlieren«, sagte er ernst, »nicht einmal wegen Saudi-Arabien. Vielleicht gehen wir irgendwann zurück, aber nicht jetzt«, setzte er mit einer Miene hinzu, die deutlich machte, dass er nicht mehr über seinen Entschluss sprechen würde.

»Jacques erzählte mir, dass ein Beduinenglaube besagt, wer einmal die Wüste gesehen habe, kehre zurück und bliebe für immer. Stimmt das?«, fragte Francesca.

»Ja, das stimmt. Aber fürs Erste bleiben wir hier. Vor allem jetzt, wo deine Freundin Sofía und ihr zukünftiger Ehemann hier in Paris leben werden.« Francesca setzte sich auf und blickte Kamal fragend an. »Ich habe Nando eine Stelle hier in meinem Büro in Paris angeboten. Er hat zugesagt, und soweit ich weiß, war Sofía mehr als einverstanden.«

Francesca sah ihn durch einen Tränenschleier hindurch an.

»Mein galanter arabischer Prinz«, sagte sie. »Ich weiß, dass du es für mich getan hast, damit ich meine beste Freundin bei mir habe und mich nicht so allein fühle in dieser Stadt.«

»Natürlich habe ich es für dich getan. Mein erster Gedanke gilt immer dir. Aber ich dachte auch, ein bisschen Abstand zwischen Sofía und ihrer Familie könnte nicht schlecht sein.«

»Wann kommen sie?«

»Nando hat mich um zwei Monate Zeit gebeten. Sie werden in Córdoba heiraten und dann nach Paris kommen.«

***

Die Hochzeit nach islamischem Ritus fand in Kairo statt. Fadilas ältere Schwester Zila, die mit einem ägyptischen Industriellen verheiratet war, stellte ihre Villa in einem Vorort zur Verfügung, was Kamal gerne annahm. Sie trafen abends mit Kamals Privatjet ein. Francesca war furchtbar nervös, Kamal hingegen ganz entspannt und glücklich, seine Familie wiederzusehen.

Kamals Schwestern, Nichten und Schwägerinnen nahmen Francesca unter ihre Fittiche und gingen mit ihr zum Einkaufen auf den Bazar von Kairo, wo sie sie mit Stoffen, Schmuck und Parfüms überhäuften. Fadila hielt in diesen Tagen Distanz, auch weil sie mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt war, und überließ die persönliche Betreuung ihrer zukünftigen Schwiegertochter Faisals Frau Zora. Obwohl Fadila bemüht war, höflich und zuvorkommend zu sein, lag eine Spannung in der Luft. Manchmal, wenn sie Francesca betrachtete, musste sie bei allem Stolz zugeben, dass sie ein hübsches und sympathisches Mädchen war; sie hatte ihre Fruchtbarkeit unter Beweis gestellt, und sie liebte Kamal. Dennoch fiel es ihr schwer zu akzeptieren, dass ihr Erstgeborener ein einfaches Mädchen aus dem Volk heiraten würde, eine Christin zudem. Aber sie sagte nichts und machte ihre Unzufriedenheit mit sich selbst aus, weil sie wusste, für wen sich Kamal entscheiden würde, falls es zur offenen Auseinandersetzung kam.

Francesca mochte Zora vom ersten Augenblick an. Sie war ihr in den Tagen vor der Hochzeit, in denen sie dem Brauch zufolge ihren Bräutigam nicht sehen durfte, eine große Hilfe. Es waren lange, erschöpfende Tage ohne Kamal, an denen die Zeremonien und Feiern nur für die Frauen stattfanden. Nachdem Fadila Francesca am Morgen des vierten Tages das Diadem aus Brillanten und Saphiren überreicht hatte, das eine Gabe ihres Sohnes an seine Braut war, begannen Zila, Fatima und Zora, sie für die Hochzeit zurechtzumachen, die gegen Mittag stattfinden sollte. Sie behandelten ihre Beine mit einer Paste aus Honig und wohlriechenden Ölen, die ihre Haut seidenweich machte, rasierten ihre Scham, ein uralter Brauch, der, so erklärte Zora, von den Arabern als sehr erregend empfunden wurde. Dann badeten und parfümierten sie sie, kleideten sie an und frisierten ihr Haar. Zuletzt widmeten sie sich dem Schminken, einer wahren Kunst, die Zila meisterhaft beherrschte. Sie verbanden die Augenbrauen mit einer durchgehenden Linie, die Francesca an ein Porträt von Frida Kahlo erinnerte, und betonten die Augen mit khol und rosa Lidschatten, der farblich zu ihrem Kleid passte. Dann brachten sie mehrere Töpfchen mit einer roten Paste, die Ähnlichkeit mit Siegellack hatte, und verzierten ihre Hände, Stirn und Brust mit filigranen Mustern und kleinen Blumen. »Es lässt sich wieder abwaschen«, flüsterte Zora ihr zu, um sie zu beruhigen. Francesca betrachtete sich im Spiegel, und ihr gefiel nicht, was sie da sah. »Wenn meine Mutter mich so sehen würde!«, schluchzte sie.

»Du bist die schönste Braut, die ich je gesehen habe«, beschwichtigte Zora, während sie ihr das Diadem mit den Brillanten und Saphiren auf den Schleier setzte. »Kamal wird sterben vor Liebe.«

Tatsächlich war dieser fasziniert, als er sie in einem Meer aus Blumen auf einer Sänfte erscheinen sah. Die Diener stellten das Traggestell auf dem Boden ab, und Kamals Großvater, Scheich al-Kassib, der seinen Stamm verlassen hatte, um an der Hochzeit teilzunehmen, trat heran, um ihr die Hand zu reichen und sie zu seinem Enkel zu führen. Der Derwisch sprach seine Worte, und Francesca wiederholte in schlechtem Arabisch, was Zora ihr zuvor beigebracht hatte.

Die Festlichkeiten begannen gegen zwei Uhr mittags und endeten in den Morgenstunden des nächsten Tages. Es waren sehr viele Gäste da, und Francesca, die nur wenige davon kannte, fühlte sich allein und verlassen. An Kamals Hand ließ sie sich durch die Salons und den Park führen, während er ihr seine Verwandten vorstellte. Über das Fehlen seines Bruders Saud sowie dessen Frau und Kindern wurde nicht gesprochen, weil alle um das tiefe Zerwürfnis zwischen den beiden Brüdern wussten. Aber viele erkundigten sich nach Mauricio Dubois, war man doch gewohnt, den Botschafter bei wichtigen Familienfeiern anzutreffen. Mittlerweile war es jedoch in Argentinien zu dem befürchteten Staatsstreich gekommen, und es herrschten Chaos und Verwirrung im Land. In der Folge hatte das Auswärtige Amt Mauricio einbestellt, der sich sogleich auf den Weg nach Buenos Aires gemacht hatte.

Als es dunkel wurde, führte Kamal Francesca in ein ruhiges, abgelegenes Zimmer, wo seit einigen Minuten Marina auf sie wartete. Francesca war zu Tränen gerührt, als sie die Freundin sah, und fiel ihr begeistert um den Hals, weil Marina ihrer eigenen Welt angehörte, dieser Welt, die sie so gut kannte.

»Dein Mann hat mich letzte Woche angerufen und mich eingeladen zu kommen. Den Flug und das Hotel hat er auch bezahlt. Er hat mich gebeten, dir nichts zu sagen, damit es eine Überraschung ist. Dieser Mann liebt dich wirklich, Francesca! Du kannst dich glücklich schätzen, seine Frau zu sein. Du hast mir nie erzählt, dass er ein so gutaussehender, eleganter Mann ist. Diese Augen, mein Gott! Vielleicht kann ich ja einen der Araber hier becircen – einen von denen, die noch übrig sind. Das Mindeste, was ich erwarte, ist, dass er mich entführt und in einer Oase entjungfert.«

Währenddessen unterhielt sich Yussef Zelim, Tante Zilas Mann, mit Kamal und erklärte mit einem Augenzwinkern: »Ich muss schon sagen, du hast dir das schönste Exemplar aus dem Westen geschnappt, das ich je gesehen habe. Und ein bisschen frisches Blut hat noch nie geschadet.«

Es wurde gegessen, getanzt und gesungen. Während einige bei Tisch neue Kräfte sammelten, aßen, tanzten und sangen die anderen weiter – das Lärmen und Treiben hörte nie auf. Fatima kam zu Francesca und führte sie an den Tisch der Matriarchinnen der Familie, an dem auch Juliette saß – eine Außenseiterin wie sie selbst. Doch Juliette erklärte zu ihrer Überraschung, dass sie sich in diesem Kreis sehr wohl fühle. Francesca hingegen fand die alten Frauen äußerst einschüchternd, die alle gleichzeitig auf sie einredeten, ihr Haar und ihr Kleid betasteten, ihre weiße Haut bestaunten und ihr das Diadem abnahmen und wieder aufsetzten. Nach dieser eingehenden Prüfung erklärte Fatima, dass die Frauen sie als neues Familienmitglied akzeptiert hätten.

Schließlich entführte Kamal sie von dem Fest und brachte sie ins Stadtzentrum von Kairo, wo er ein Zimmer im besten Hotel reserviert hatte.

»Deine Tante Zila hat bei sich zu Hause ein Schlafzimmer für unsere Hochzeitsnacht vorbereitet. Sie wird böse auf mich sein, weil sie denkt, dass ich dich überredet habe wegzugehen«, wiedersetzte sich Francesca.

»Tante Zila weiß ganz genau, dass es meine Entscheidung gewesen ist, die Nacht im Hotel zu verbringen. Du kennst die Sitten meines Volkes nicht. Alle hätten neugierig vor der Tür gestanden und darauf gewartet, dass ich meine Manneskraft unter Beweis stelle.«

»In der Heimat meiner Mutter in Sizilien erwartet man, dass der Ehemann am Tag nach der Hochzeit das blutbefleckte Laken aus dem Fenster hängt – aus demselben Grund.«

»Siehst du, wir sind gar nicht so verschieden.«

Sie hatten sich drei Tage nicht gesehen, und nachdem sich die Tür des Hotelzimmers hinter ihnen geschlossen hatte, befiel sie ein Verlangen, das sie, nachdem es gestillt war, erschöpft in die Laken sinken ließ.

»Ich habe meine Mutter heute sehr vermisst«, sagte Francesca später. »Nie hätte ich mir vorstellen können, dass sie bei meiner Hochzeit nicht dabei ist. Und ich hätte mir gewünscht, dass Onkel Fredo mich dir übergeben hätte.«

Die ersten vierzehn Tage der Flitterwochen verbrachten sie in Nizza im Hotel Negresco. Auch dort kannte man Kamal gut, nannte ihn »Hoheit« und folgte ihm in Erwartung seiner bereits bekannten Trinkgelder auf Schritt und Tritt. Sie frühstückten auf der großen Balkonterrasse, vor der sich das endlos blaue Meer ausbreitete. Francesca sog tief die frische Morgenluft ein und ergriff die Hand ihres Mannes. Wenn sie vom Strand zurückkamen, legten sie sich gemeinsam in die riesige runde Badewanne, bis Francesca vor Kälte bibberte.

Wenn Kamal Bekannte traf, stellte er Francesca nur knapp vor, blind vor Eifersucht wegen der Art, wie sie sie ansahen – insbesondere, wenn sie einen Badeanzug trug. Francesca wiederum fielen die vielsagenden Blicke auf, die so manche Frau ihrem Mann zuwarf. Doch Kamal hatte nur Augen für sie, und das bewies er ihr jedes Mal, wenn er ihre Nähe suchte. Ganz abgesehen von der Leidenschaft, die der eine im anderen entfachte, empfanden sie einen tiefen Frieden, wenn sie sich ansahen und anlächelten. Sie waren wie eine Insel, zu der die Außenwelt keinen Zugang hatte. Allerdings folgten ihnen Abenabó und Kader in gebührendem Abstand, die Waffen unter ihren Anzugjacken verborgen.

Von Nizza flogen sie dann nach Sizilien, wo sie ein Auto mieteten, um die Küste entlangzufahren. Sie begannen die Rundreise in Santo Stefano di Camastro, dem Geburtsort von Francescas Vater Vincenzo. Der Ort lag am Meer und schien im Mittelalter stehengeblieben zu sein. Die dunklen, von alten Häusern gesäumten Gässchen, in denen es von Menschen, Ziegenherden und Vespas gleichermaßen wimmelte, wirkten auf Francesca bedrückend und einengend. Sie verstand sofort, warum ihr Vater beschlossen hatte, in Amerika nach neuen Horizonten zu suchen. Es herrschte eine merkwürdige, beklemmende Stimmung. Die Einheimischen warfen den Fremden misstrauische Blicke zu und tuschelten miteinander. Als sie ein Lokal betraten, um etwas zu trinken, wurde es schlagartig still; mehrere Augenpaare folgten ihnen zum Tresen, beobachteten sie, während sie eine Limonade tranken, und sahen ihnen schließlich hinterher, bis sie zur Tür hinaus waren.

An der Amalfiküste, in Sorrent, auf Capri und in Pompeji ließen sie sich von dem einzigartigen Licht bezaubern, das dem Meer seine unbeschreibliche, türkisblaue Farbe verlieh. Die Landschaft wurde bestimmt von bewaldeten Bergen, schroffer Küste und dem Tyrrhenischen Meer. In Neapel aßen sie in der Pizzeria Brandi, wo dem Besitzer zufolge in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Pizza erfunden worden war.

In Rom blieben sie vier Tage. Kamal kannte die Stadt sehr gut und stellte sich als hervorragender Fremdenführer heraus. Im Vatikan überraschte er sie mit Anekdoten über Päpste, Priester, Maler, Bildhauer und Kreuzzüge, von denen Francesca noch nie gehört hatte. Sie warfen Münzen in den Trevibrunnen, besichtigten das Kollosseum und sahen sich die Villa Borghese und den Quirinalspalast an. Als sie auf dem Forum Romanum standen, sagte Kamal: »Du befindest dich mitten im Herzen einer untergegangenen Welt.«

Zwischen Rom und Pisa folgte ein Dörfchen auf das andere, jedes mit seinem eigenen Reiz und einem typischen Gericht, das probiert werden wollte, aber der Schiefe Turm, die Kathedrale und das Baptisterium, die in einer Reihe auf einer weiten Rasenfläche standen, raubten Francesca wirklich den Atem.

Von dort reisten sie nach Portofino weiter, wo sie über eine enge Serpentinenstraße zum Castello di San Giorgio hinauffuhren, einer alten Adelsresidenz. Sie war in einem schlechten Zustand und lohnte sich nur wegen der herrlichen Aussicht auf den Golfo de Tigullio und die bunten Häuser am Hafen. Am Abend vor der Abreise aus Portofino bat Francesca Kamal, mit ihr ins Aostatal zu fahren, wo sie endlich die Villa Visconti kennenlernen würde, das alte Schloss, das einmal der Familie ihres Onkels gehört hatte.

Das Aostatal hatte mehr von der Schweiz und von Frankreich als von Italien, und auch der örtliche Dialekt mit den starken französischen Anklängen verriet seine wahren Ursprünge. In Châtillon, einem kleinen Dorf kurz vor der Grenze, fragte Francesca einen Bauern, der eine Kuh über die Straße trieb, ob er die Villa Visconti kenne. »Certo, selbstverständlich!«, bestätigte der Mann, um dann zu erklären, dass sie heute nur noch »die Villa« genannt werde. Er beschrieb ihnen den Weg, und einige Minuten später hielten sie vor dem Tor, hinter dem das Anwesen lag. Francesca und Kamal ließen das Auto stehen und gingen zu Fuß weiter. Auf einer Anhöhe, flankiert von Zypressen und Tannen, erhob sich die Residenz, die sie so oft auf dem Ölgemälde in Alfredos Büro bewundert hatte. Wenn ihr Onkel doch hier sein könnte!, dachte Francesca sehnsüchtig. Sie stiegen die Treppe zum Eingangsportal hinauf, einer beeindruckenden Eichentür mit glänzenden Beschlägen, und klopften an.

»Vielleicht lässt man uns ja rein, um es zu besichtigen«, meinte Kamal.

Es öffnete ein alter Mann im eleganten Frack, der sie reserviert musterte. Kamal stellte sich auf Französisch vor, und der Butler ließ sie ein. Er bat sie, zu warten. Francesca sah sich staunend um, ohne zu begreifen, dass ihr Onkel an einem solchen Ort gelebt hatte, wo derartige Pracht und Eleganz regierten. Durch die schweren roten Samtvorhänge im Vestibül war die Haupttreppe aus weißem Marmor zu erkennen. Auf dem Treppenabsatz gab ein großes Fenster den Blick auf die sommerliche Alpenlandschaft frei, auf grüne Wiesen und gelb blühenden Ginster. Jedes Detail des Vestibüls entlockte Francesca Ausrufe des Entzückens: Die in Pastellfarben gehaltenen Deckenfresken mit ihren romantischen Allegorien, die Buntglasscheiben, die das Licht filterten und den Raum in Rot- und Grüntöne tauchten, die grauen, beinahe lavendelfarbenen Stuckwände, die mit blauer Seide bezogenen Sesselchen, die Porzellanvasen und Ölgemälde.

Im Nachbarraum waren Alfredo und Antonina aufgestanden, als sie Francescas Stimme hörten. Der Butler führte die beiden ins Vestibül. In der Annahme, es mit der Hausherrin zu tun zu haben, drehte Francesca sich völlig ahnungslos um.

»Figliola«, sagte Antonina, und Francesca sah sie ungläubig an. »Figliola, sono io, tua mamma

Die Frauen fielen sich in die Arme, während Fredo versuchte, Haltung zu bewahren. Kamal hielt sich abseits, bis Francesca sich nach ihm umsah.

»Vor einigen Tagen«, erklärte Fredo, »rief dein Mann mich an und schlug vor, dass wir uns hier in Châtillon treffen, genauer gesagt in der Villa, die einmal meinem Vater gehörte. Er schickte uns Flugtickets, und gestern sind wir in Mailand gelandet. Heute morgen hat uns ein Chauffeur abgeholt und hierhergebracht. So ist das gewesen«, schloss Alfredo. »Diese Überraschung war einzig und allein die Idee deines Mannes – du musst dich also bei ihm bedanken.«

»Ach, Liebster«, flüsterte Francesca immer wieder und streichelte seine Wange, unfähig, ein anderes Wort herauszubringen. Kamal drückte sie an sich und lächelte:

»Ich bin fast sicher, dass man uns einen Rundgang durch die Villa gestatten wird«, meinte Fredo. »Der Butler war sehr freundlich zu uns. Wir sagten ihm, dass wir draußen auf euch warten könnten, aber er bestand darauf, dass wir im Salon blieben. Er servierte uns sogar Kaffee und ein Gläschen Sherry.«

»Wir sollten jetzt mit der Besitzerin sprechen«, schlug Kamal vor. »Vielleicht lädt sie uns sogar zum Tee ein.«

»Die Besitzerin?«, fragte Fredo verwundert. »Kennen Sie sie?«

»Ja«, antwortete Kamal zwanglos. »Francesca, Liebling, würdest du uns wohl gestatten, deine wunderbare Villa Visconti zu besichtigen?«

»Meine wunderbare Villa Visconti?«, wiederholte sie verständnislos. »Meine … Villa?«

»Ja, deine Villa. Die Villa Visconti gehört dir. Ich habe sie für dich gekauft. Sie ist mein Hochzeitsgeschenk.«

Francesca blickte sich mit Tränen in den Augen um, und ein Schauder durchlief ihren Körper. Was hatte Kamal da gesagt? Er hatte die Villa gekauft? Unmöglich, sie musste sich verhört haben. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und erneut hörte sie wie ein fernes Echo seine Stimme sagen: »Sie gehört dir. Ich habe sie für dich gekauft.«

»Warum? Du hast mir doch schon so viel geschenkt«, brachte sie heraus.

»Schlicht und ergreifend, weil ich dich liebe«, antwortete er.

An diesem Abend aßen sie in einem Landgasthaus außerhalb von Châtillon, wo Fredo und sein Bruder Pietro ihr erstes Bier getrunken und die ersten heimlichen Zigaretten geraucht hatten. Alles sah noch genauso aus wie früher, versicherte er; sogar die blaue Leuchtreklame über der Tür war noch dieselbe. Jede Kleinigkeit begeisterte ihn, und er gab eine Anekdote nach der anderen zum Besten. Sie verbrachten einen wunderbaren Abend, den sie bei einem Cognac im Rauchsalon der Villa ausklingen ließen.

Bevor sie zu ihrem Mann ging, klopfte Francesca an Alfredos Zimmertür. Er saß auf dem Sofa und las, die Füße auf einem Schemel hochgelegt. Er sah zufrieden und entspannt aus. Er rauchte seine Pfeife, und der Geruch des holländischen Tabaks lag in der Luft, genau wie in seiner chaotischen Wohnung in der Avenida Olmos. Fredo nahm die Brille ab und lächelte ihr zu. Francesca setzte sich zu seinen Füßen nieder.

»Bist du glücklich?«, fragte er.

»Ja, sehr. Und du, Onkel?«

»Zum ersten Mal in meinem Leben fehlen mir die Worte, um auszudrücken, was ich fühle.«

»Onkel, ich möchte etwas mit dir besprechen«, sagte Francesca und stand auf. »Ich möchte die Villa Visconti auf deinen Namen überschreiben. Sie gehört dir – ich schenke sie dir, weil ich will, dass du wieder der Herr von Villa Visconti bist und die Leute wissen, dass das Haus wieder in Familienbesitz ist. Bitte, sag ja.«

Alfredo sah sie lange an und dachte, dass dieses Gesicht etwas Magisches hatte. Es lag ein besonderer Glanz in ihren schwarzen Augen, den er bei anderen Menschen noch nie gesehen hatte.

»Was wäre mein Leben ohne dich?«, sprach er seine Gedanken laut aus. »Besser, wir lassen die Villa auf deinen Namen, mein Schatz. Du willst doch deinen Mann nicht verärgern, oder?«

»Kamal wird nichts sagen. Er respektiert meine Entscheidungen.«

»Ja, ich sehe, dass er dich vergöttert und die Sterne vom Himmel holen würde, um dir eine Freude zu machen. Aber es geht nicht nur darum. Warum die Dinge verkomplizieren? Mal angenommen, die Villa würde mir gehören: Was glaubst du, wem ich sie bei meinem Tod vermachen würde, wenn nicht dir? Sparen wir uns die Anwälte und den Papierkram – mein Haus soll von jetzt an deines sein. Nimm es als vorzeitiges Erbe«, setzte er hinzu und tippte ihr zärtlich auf die Nasenspitze.

»Für mich wird es immer dein Haus bleiben«, erklärte Francesca, um dann mit einem verschmitzten Lächeln zu fragen: »Du bist in meine Mutter verliebt, stimmt’s?«

»Mädchen, was ist denn das für eine Frage?«

»Einfach nur eine Frage. Und auch wenn du mir nicht antworten solltest, kenne ich die Antwort.«

Sie küsste ihren Onkel auf die Stirn und ging zur Tür. Doch bevor sie hinausgehen konnte, rief Fredo sie zurück.

»Komm mal her«, sagte er und deutete auf einen Stuhl neben sich. »Setz dich zu mir.« Er nahm ihre Hand und sah ihr in die Augen. »Wenn du die Antwort auf diese dreiste Frage schon kennst, will ich dir eine andere stellen. Würde es dich stören, wenn deine Mutter und ich heiraten? Ich habe sie gefragt, und sie hat ja gesagt. Aber ich brauche deine Einwilligung.«

Mit einem glücklichen Lachen fiel Francesca ihrem Onkel um den Hals.

»Meinen Segen hast du. Natürlich bin ich einverstanden. Ja, ja und nochmals ja. Mein liebster Onkel Fredo!«

»Wo hast du denn gesteckt?«, wollte Kamal später wissen. »Seit einer Stunde warte ich auf dich. Ich wollte mich schon anziehen und nach dir suchen.«

»Ich bin noch bei meinem Onkel gewesen und habe ein bisschen mit ihm geplaudert.«

»Ja, und ich sterbe währenddessen vor Sehnsucht nach dir.«

»Seit heute bist du endgültig mein Held. Meine Mutter und Onkel Fredo hier zu treffen und zu erfahren, dass du die Villa gekauft hast, übertrifft alles, was ich mir hätte vorstellen können.«

»Ich musste mir eine Überraschung einfallen lassen, um die Wertschätzung meiner Schwiegermutter zu gewinnen.«

»Das ist dir wirklich gelungen. Mit dieser Tat hast du ihr Herz erobert.«

»Ja, ja, ich weiß, ich habe meine Ziele erreicht. Aber jetzt habe ich andere Pläne.«

Er umfasste ihre Taille und küsste sie auf den Hals, und der Duft ihres Diorissimo und ihre weiche Haut berauschten ihn wie am ersten Tag.

Später, als Francesca schwer atmend in seinen Armen lag, hörte sie, wie er sagte: »Ich liebe dich mehr als mein Leben, Francesca al-Saud.«