10. Kapitel

An eine Marmorsäule gelehnt, ließ Francesca den Blick durch den Salon der französischen Botschaft schweifen. Die wunderbaren Rokokofresken an den Decken fielen ihr besonders ins Auge, außerdem die vergoldeten Gesimse, die drei riesigen Kronleuchter und die hohen Fensterflügel mit den schweren Samtvorhängen, die weit geöffnet waren und kühle Nachtluft hereinließen. Das Büfett in einer Ecke bog sich fast unter den vielen Speisen: gebratener Fasan, gefüllter Truthahn, Salate, Kaviar, Königskrabben, Langustinen und eine große Auswahl an Saucen. Die Kellner reichten Champagner im Überfluss, obwohl auch einige Araber anwesend waren. Dutzende Paare tanzten in der Mitte des Raumes, umringt von Grüppchen, die, in angeregte Gespräche vertieft, aßen und tranken. Der Neujahrsempfang des französischen Botschafters war ein voller Erfolg.

Trotzdem fühlte sich Francesca unwohl. Sie fragte sich, warum Mauricio sie eingeladen hatte mitzukommen, wenn er doch nur die ganze Zeit mit ein paar europäischen Diplomaten über Politik sprach. Sie fand es unhöflich, dass er sie einfach so stehenließ. Sie hatte schon Le Bon und seine Tochter Valerie begrüßt, die ganz wundervoll aussah in ihrem silberfarbenen Lamékleid, außerdem Méchin, der ihr schlichtes Kleid lobte, das Onkel Fredo ihr zum Abschlussball geschenkt hatte, und Ahmed Yamani, den jungen Bekannten von Prinz Kamal, der vor einiger Zeit an dem Abendessen in der argentinischen Botschaft teilgenommen hatte. Niemand erwähnte den Prinzen al-Saud, und sie fragte auch nicht nach ihm. Seit dem Zwischenfall auf dem Bazar vor zwei Wochen hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht war er in Europa oder in den USA unterwegs, wo er stets mit allerlei Angelegenheiten beschäftigt war. Wie konnte sie glauben, dass ein Mann wie er, ein Prinz aus einer Herrscherfamilie, der ein Großteil der weltweiten Erdölvorkommen gehörte, ein Mann, der in den erlauchtesten und vornehmsten Salons Europas verkehrte, an eine einfache Botschaftssekretärin denken würde, die nicht einmal wusste, wie man sich auf dem Bazar von Riad zu verhalten hatte?

Nachdem Valerie Le Bon und ihr Vater sich entschuldigt hatten, um Bekannte zu begrüßen, und Yamani sich zu einer Gruppe Franzosen gesellte, blieb sie allein mit Jacques Méchin zurück, der sie prompt um den nächsten Tanz bat. Francesca hob leicht das Kleid an, damit er sehen konnte, dass ihr Fuß noch bandagiert war.

»Oh, natürlich! Entschuldigen Sie, Mademoiselle, ich hatte das mit Ihrem Fuß ganz vergessen. Kommen Sie, setzen wir uns hierher, da haben wir eine phantastische Sicht auf die Tanzfläche. Haben Sie denn noch Schmerzen?«, erkundigte er sich.

»Nein, ich spüre fast nichts mehr, aber ich will es nicht herausfordern. Dr. al-Zaki hat mir gesagt, ich soll den Verband vorsichtshalber noch ein paar Tage länger tragen.«

Méchin schwieg. Francesca merkte, dass er den Vorfall auf dem Bazar ansprechen wollte, aber er ließ es bleiben, vielleicht, um nicht sagen zu müssen, was er in Wahrheit von so manchen arabischen Gebräuchen hielt.

»Weshalb leben Sie in Arabien, Monsieur Méchin?«

»Weil ich dieses Land liebe«, seufzte Méchin. »Als ich zum ersten Mal herkam, war ich als Archäologiestudent Mitglied einer Forschungsgruppe, die sich vorgenommen hatte, der Kreuzfahrerroute zu folgen. Als wir das Rote Meer erreichten, gerieten wir in Schwierigkeiten: Man stahl uns einen Großteil der Ausrüstung und zerstörte die beiden Jeeps, das einzige Transportmittel, das wir besaßen. Ein Beduinenstamm half uns. Wir lebten ein paar Wochen bei ihnen. Sie zeigten uns die Wüste und ihre schönsten Oasen. Wir teilten ihr Essen und lernten ihre Gebräuche und ihre Religion kennen. Als die Forschungsgruppe nach Paris zurückkehrte, beschloss ich, noch eine Zeitlang zu bleiben. Ich bin jedoch nie mehr nach Paris zurückgegangen. In Ta’if, einer der schönsten Städte Arabiens, lernte ich Abdul Aziz kennen. Ich bin zum Islam konvertiert und habe die aufrichtigste und dauerhafteste Freundschaft meines Lebens geschlossen. Ich wollte mich nicht mehr von Abdul Aziz trennen. Wenig später gründete er das Königtum Saudi-Arabien und ernannte mich zu seinem Wesir. Da kommt Kamal«, sagte er dann, und Francescas Herz machte einen Satz.

Sie suchte ihn unter den Leuten, die am Büfett standen, doch Méchin deutete einige Schritte weiter: Kamal forderte gerade Valerie Le Bon zum Tanz auf. Hand in Hand gingen sie zur Tanzfläche, wo Kamal seinen Arm um Valeries Taille legte. Valerie schlang ihren Arm um den Hals des Arabers. An dem Lächeln auf al-Sauds Gesicht und seiner redseligen Laune merkte man, dass sie den Augenblick genossen. Valerie schien glücklich zu sein, seine starken Arme um sich zu spüren.

»Ich dachte, Kamal würde gar nicht kommen«, bemerkte Méchin. »Er ist gerade erst aus Kuwait zurück. Kalif al-Sabah hat ihn eingeladen, ein paar Tage in seinem Palast am Golf zu verbringen. Die al-Sabah sind die Herrscherfamilie von Kuwait und den al-Saud freundschaftlich verbunden.«

»Wenn Sie mich entschuldigen, Monsieur Méchin, ich muss mich kurz frischmachen.«

Méchin begleitete sie bis in den Flur und kehrte dann auf das Fest zurück, wo er sich zu dem Botschafter und Le Bon gesellte. Francesca erfrischte sich das Gesicht und richtete ihre Frisur. Als sie in den Salon zurückging, fühlte sie sich etwas besser, aber der Zigarettenrauch, das unermüdliche Stimmengewirr und die Fröhlichkeit, die alle außer ihr anzustecken schien, trieben sie auf die Veranda hinaus. Sie glitt durch eine der Flügeltüren, stützte die Ellbogen auf die Balustrade und legte die Hände vors Gesicht. Besser so, dass er mit Valerie tanzte, sagte sie sich und schaute in den sternenklaren Himmel hinauf. Allmählich ließ der Anblick sie Kamal al-Saud und Valerie Le Bon vergessen. Wie gebannt blickte sie in die Nacht hinein, ohne Zeitgefühl und ohne die ausgelassene Stimmung wahrzunehmen, die durch die Verandatüren drang.

»Eine wunderbare Nacht«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Obwohl sie zuerst erschrak, erkannte sie al-Sauds Stimme sofort.

»In meinem ganzen Leben habe ich keine schönere gesehen«, versicherte sie, ohne sich umzudrehen.

Kamal trat an die Balustrade, und sein Duft hüllte sie ein wie ein Mantel. Er stützte die Hände auf das Geländer, und Francesca betrachtete sie verstohlen: Sehnig und dunkel, mit langen Fingern und kräftigen Nägeln, ging von diesen Händen eine harmonische Verbindung von Schönheit und Stärke aus. Er trug eine goldene Uhr und einen diskreten Siegelring am linken kleinen Finger.

»Ich bin schon vor einer ganzen Weile gekommen und habe Sie überall gesucht«, bemerkte Kamal.

»Ach ja?«, entgegnete Francesca, den Blick in den dunklen Park gerichtet.

»Sie wirken verärgert heute Abend«, stellte Kamal fest und verzog den Mund. »Ich glaube, Sie wollen lieber allein sein. Besser, ich kehre auf das Fest zurück. Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Ruhe gestört habe.«

Francesca drehte sich zerknirscht um.

»Es tut mir leid, Hoheit. Es war unhöflich von mir, wenn Sie durch mein Verhalten den Eindruck gewonnen haben, dass mir Ihre Gesellschaft unangenehm wäre.«

Sie blickte ihm in die Augen, und die Welt verstummte: Es gab nur noch sie und den Prinzen, der sie ansah, ohne mit der Wimper zu zucken. Francesca hatte das Gefühl, dass um sie herum ein überwältigendes, flirrendes Vakuum entstand. Kamals fester Blick hynotisierte sie, und obwohl sie darum rang, die Kontrolle wiederzuerlangen, war sie wie durch eine innere Kraft an diesen Zauber gebunden.

Ein Lächeln al-Sauds brachte Francesca wieder zur Besinnung. Beschämt sprach sie weiter: »Bitte bleiben Sie und geben Sie mir die Gelegenheit, Ihnen für alles zu danken, was Sie damals auf dem Bazar für mich getan haben.«

»Sie haben mir nichts zu danken, Mademoiselle. Ich bedaure, dass ich nicht eine Minute früher dort war, um den Vorfall zu verhindern. Aber ich kann Ihnen versichern, dass der Religionswächter, der Sie geschlagen hat, inzwischen seines Amtes enthoben wurde.«

Doch die Zeit, die inzwischen vergangen war, und die verwirrenden Empfindungen dieses Augenblicks hatten ihre Gefühle besänftigt. Die Wut und der Hass der Tage zuvor waren verflogen.

»Glauben Sie mir, Hoheit, es tut mir leid, dass dieser Mann seine Arbeit verloren hat. Ich bin sicher, er hat nur seine Pflicht getan. Ich sagte es schon einmal, und ich sage es jetzt noch einmal: Es war unvernünftig von mir, das Haus in einer abaya zu verlassen, die meine Beine nicht vollständig bedeckte.«

»Ich glaube Ihnen«, versicherte Kamal. »Dennoch bin ich der Meinung, dass der Polizist umsichtiger hätte handeln müssen. Wenn er Sie zuvor befragt hätte, hätten Sie Gelegenheit gehabt, ihm zu erklären, dass Sie Ausländerin sind. Das hätte Sie von einer Bestrafung befreit.«

»Wollen Sie damit sagen, wenn es sich um eine Araberin gehandelt hätte, wäre die Züchtigung rechtens gewesen?«

»Die Frauen in meinem Land kennen ihre Pflichten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine von ihnen so unvernünftig gewesen wäre, schlecht verschleiert aus dem Haus zu gehen.«

Francesca verkniff sich eine Erwiderung. Kamal al-Saud hatte schon genug Unverschämtheiten ihrerseits zu ertragen gehabt. Sie würde schweigen und all die Dinge herunterschlucken, die ihr auf der Zunge lagen.

»Ja, natürlich«, lenkte sie höflich ein.

Kamal lachte laut auf.

»Ich weiß ganz genau, dass Sie das, was ich eben sagte, für ausgemachten Blödsinn halten. Aber danke für den Waffenstillstand – ich habe heute Abend wirklich keine Lust, mit Ihnen zu streiten, sondern würde gerne ein paar angenehme Stunden in Ihrer Gesellschaft verbringen.«

Sie wurde feuerrot. Ein weiteres Mal entwaffneten sie die Redegewandtheit und die Selbstsicherheit dieses Mannes. Doch nach einem kurzen Moment der Verwirrung schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, überzeugt, dass jedes Widerwort nutzlos war.

»Ihr Lächeln ist wunderschön«, sagte Kamal, der plötzlich ernst geworden war, und fragte dann: »Würden Sie für den Rest des Abends mit mir tanzen?«

Francesca bereute es, sich bei Jacques Méchin mit ihrem Fuß herausgeredet zu haben. In diesem Moment hätte sie sogar mit Kamal getanzt, wenn sie ein Gipsbein gehabt hätte.

»Es tut mir leid, Hoheit, aber Dr. al-Zaki sagte gestern, dass ich noch vorsichtig sein soll und den Fuß nicht belasten darf.«

Kamal runzelte die Stirn, und Francesca fürchtete, ihn mit ihrer Absage verärgert zu haben.

»Dann sollten Sie nicht so lange stehen«, sagte Kamal. »Gehen wir in den Garten und setzen uns auf eine Bank.«

Er fasste sie beim Arm und half ihr die Verandatreppe herunter. Francesca kam sich lächerlich vor: In Wirklichkeit hätte sie die Stufen problemlos hinunterlaufen können; stattdessen musste sie einen schmerzenden Knöchel vorschützen, um das zuvorkommende Verhalten des Prinzen zu rechtfertigen. Er führte sie so vorsichtig, als könnte sie jeden Augenblick in tausend Stücke zerbrechen. Sie genoss es, seine Nähe zu spüren. Als sein starker, männlicher Körper ihren Rücken streifte, überlief es sie heiß und kalt. Sie hätte stundenlang neben ihm hergehen können, ohne müde zu werden, nur seine Berührung spüren, eingehüllt in Tabakduft und sein Moschusparfüm.

Doch dann kamen ihr Bedenken. Was wusste sie eigentlich über al-Saud? Dass er ein Prinz war, ein enger Freund ihres Chefs, der viel reiste und die besten Schulen und Universitäten Europas besucht hatte. Wie viele Ehefrauen mochte er haben? Sie wusste, dass eine von ihnen Fatima hieß. An dem Tag, als die Sache auf dem Bazar passiert war, hatte sich etwas in seiner Stimme verändert, als er von ihr sprach. Er hatte gelächelt, und an die Stelle seiner sonst so finsteren Miene war ein sanfter, nachsichtiger Gesichtsausdruck getreten, den sie nicht von ihm kannte. Er musste sie sehr lieben. Als sie sich setzten, hatte Francesca alle Zuversicht verloren.

»Gleich heute Morgen«, begann Kamal, »als ich aus Kuwait zurückkehrte, war ich bei Dr. al-Zaki. Er sagte mir, dass mit Ihrem Fuß alles in bester Ordnung sei und dass keine Schäden zurückbleiben werden.«

»Da war er Ihnen gegenüber nachgiebiger als bei mir. Ich muss weiter den Verband tragen und den Fuß jeden Abend einreiben. Ist jemand aus Ihrer Familie krank? Ich meine, weil Sie heute Morgen beim Arzt waren.«

»Nein, es ist niemand krank. Allah sei Dank befinden sich alle bei bester Gesundheit. Ich bin bei Dr. al-Zaki gewesen, um mich nach Ihnen zu erkundigen. Ich wollte mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«

»Aha.«

Es bestand trotzdem kein Anlass, sich Hoffnungen zu machen: Al-Saud kümmerte sich aus Schuldgefühlen um sie und wegen seiner Freundschaft zu dem Botschafter, genauso wie es jeder guterzogene, höfliche Mensch getan hätte.

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, Ihnen für den Kamelienstrauß zu danken, den Sie mir haben schicken lassen«, sagte Francesca schließlich. »Ich hatte zwar schon von diesen Blumen gehört, aber ich hatte noch nie welche in Händen. Es ist die perfekteste und schönste Blume, die ich je gesehen habe.«

»Ich wollte unbedingt Kamelien haben«, erklärte al-Saud, »weil sie mich an Ihre weiße Haut erinnern.« Er nahm ihre Hand und betrachtete sie ausgiebig und ohne Hast. »Meine Haut wirkt neben Ihrer noch dunkler, als sie ohnehin schon ist«, sagte er schließlich und ließ sie sanft los. »So einen Mond wie heute habe ich noch nie gesehen«, setzte er dann hinzu.

»In Saudi-Arabien scheint der Mond der Erde ein Stück näher zu sein«, bemerkte Francesca.

»Für uns Beduinen ist er sehr wichtig. Sein Licht führt uns durch die Wüste.«

»Warum sagen Sie immer ›wir‹, wenn Sie von den Beduinen sprechen, Hoheit?«

»Weil ich ein Beduine bin. Mein Vater war einer, genau wie mein Großvater und all meine Vorfahren. Wir haben über Jahrhunderte hinweg in der Wüste gelebt und kennen sie wie kein anderer. Wir arrangierten uns mit den unbarmherzigen Bedingungen und lernten, mit ihnen zu leben. Lange Zeit diente uns die Wüste als natürlicher Schutzwall gegen Invasoren. Dafür achten, ja, ich würde fast sagen, verehren wir sie.«

»Aber Sie sind kein Beduine mehr. Ich meine, Sie sind kein Nomade und leben auch nicht in Zelten.«

»Eine gewisse Zeit im Jahr lebe ich sehr wohl im Zelt und ziehe durch die Wüste.« Kamal lachte über Francescas erstauntes Gesicht. »Sie können nicht glauben, dass es diese antiquierte, unzivilisierte Lebensweise Mitte des 20. Jahrhunderts immer noch gibt, stimmt’s?«

»Wenn ich ehrlich sein soll: Es fällt mir schwer.«

»Jedenfalls bedeutet Beduine zu sein wesentlich mehr, als in Zelten zu leben und durch die Wüste zu wandern. Wir Beduinen haben gelernt, mit der Trockenheit, den Stürmen und den unzähligen Gefahren zu leben. Wussten Sie, dass die Wüste Rub al-Chali die unwirtlichste Region der Erde ist? Sie liegt im Südosten meines Landes. Niemand außer uns traut sich dort hinein, und wir tun es mit großem Respekt, ohne die Grenzen zu überschreiten, die sie uns setzt. Der Beduine ist von Natur aus mutig – er muss es sein, will er nicht sterben. Und auch weise, denn im Unterschied zu den Menschen der westlichen Welt verehrt und versteht er die Natur und sieht in ihr keinen Feind, den er besiegen und beugen muss. Und trotz ihrer Lebensfeindlichkeit verteidigt und verehrt er seine Heimat, weil sie neben den Pferden das Einzige ist, was Allah ihm gegeben hat.«

Kamal sprach mit Leidenschaft, ohne jedoch die Stimme zu erheben. Ihm zuzuhören, berührte Francesca; es war schwer, sich seiner Energie und seiner Überzeugung zu entziehen. Unerklärlicherweise erfüllte sie seine Begeisterung mit Stolz. Sie bewunderte ihn dafür, dass er die Liebe zu seinem Land so überzeugt zum Ausdruck brachte, dass er es allem anderen vorzog, obwohl er an den schönsten Orten Europas gewesen war. Ihr fiel auf, dass sie eine solche Liebe weder zu Córdoba noch zu Sizilien empfand, von dem ihre Mutter ihr so viel erzählt hatte. Nur bei Fredo hatte sie eine vergleichbare Leidenschaft bemerkt, wenn er ihr vom Aostatal und der Villa Visconti erzählte.

»Ich bewundere Sie«, gestand Francesca.

»Wofür?«, fragte al-Saud überrascht.

»Weil Sie Ihr Land und seine Menschen so sehr lieben. Ich empfinde für nichts eine solche Hingabe. Wenn ich mich mit Ihnen vergleiche, bereue ich es, meine Zeit mit Nichtigkeiten vergeudet zu haben und meine Kraft nicht auf etwas Bestimmtes konzentriert zu haben.«

»Das glaube ich Ihnen nicht«, entgegnete Kamal. »Eine Frau wie Sie wird sich nur schwerlich mit Nichtigkeiten abgegeben haben. Was ist mit Ihrer Familie? Empfinden Sie keine tiefe Zuneigung zu ihnen? Mir ist aufgefallen, dass sie das Pferd auf dem Foto lieben. Ihre Augen begannen zu leuchten, als wir neulich von ihm sprachen.«

»Ja, das stimmt. Rex ist etwas Besonderes für mich.«

»Sie vermissen ihn, nicht wahr?«

»Ja, ich vermisse ihn sehr. Aber wir können im Leben nicht immer alles haben, was wir uns wünschen.«

»Das ist nicht wahr«, entgegnete al-Saud. »Wir können alles haben, was wir wollen, wenn wir es uns von ganzem Herzen wünschen.«

»Und wenn wir nicht feige sind«, ergänzte Francesca traurig.

»Sie sind überhaupt nicht feige. Das sagen mir Ihre Augen.«

Kamal nahm eine Zigarette, und als er sich vorbeugte, um sie anzuzünden, dachte Francesca, dass er der attraktivste Mann war, den sie kannte. Seine Männlichkeit verwirrte sie. Sie saßen so nah beieinander, dass sie seinen regelmäßigen Atem hören und seine schönen Gesichtszüge näher betrachten konnte – insbesondere seine matt schimmernde Haut und seine wunderbaren grünen Augen, die in der Nacht dunkler wirkten.

Als sie Schritte auf dem Kies hörten, drehten sie sich um. Eine weiße Tunika tauchte in der Dunkelheit auf und kam langsam auf sie zu, gefolgt von zwei weiteren Männern, die in gebührender Entfernung stehenblieben. Kamal stand auf und wandte sich auf Arabisch an den Störenfried. Francesca erkannte einen Mann um die fünfzig, der kleiner als Kamal war und einen Bauchansatz hatte. Ihr gefielen weder die Art, wie er sie ansah, noch das listige Lächeln, das ihm etwas Ordinäres, Lüsternes gab.

»Mademoiselle de Gecco«, sagte Kamal, »darf ich vorstellen: mein Bruder, König Saud al-Saud.«

Nach einem kurzen Moment der Erstarrung beteuerte Francesca, dass es ihr eine Ehre sei, und verbeugte sich.

»So, so, Mademoiselle de Gecco«, bemerkte Saud, »Mauricios berühmte Sekretärin.«

»Berühmt, Hoheit?«, fragte Francesca verwundert.

»Ich habe von Ihrem bedauerlichen Zusammenstoß mit der Religionspolizei auf dem Bazar erfahren«, erklärte der König und machte deutlich, dass ihm nichts entging, was in seinem Land passierte.

Francesca errötete und schlug, eine Entschuldigung murmelnd, die Augen nieder. Kamal ergriff das Wort und wandte sich auf Arabisch an seinen Bruder. Seine Stimme klang unterkühlt, und seine Gesichtszüge hatten sich verhärtet. Es war für Francesca unschwer zu erkennen, dass es mit dem Verhältnis der beiden nicht zum Besten stand. Auch Saud sah seinen Bruder grimmig an und lachte immer wieder gezwungen auf, als gefiele ihm nicht, was Kamal sagte.

»Ich darf mich verabschieden, Mademoiselle«, sagte Saud schließlich und grüßte auf orientalische Weise.

»Es war mir ein Vergnügen, Hoheit.«

»Das Vergnügen war ganz meinerseits. Mein Bruder beweist wie immer einen erlesenen Geschmack bei der Wahl seiner Begleitung.«

Der König kehrte mit seinen Leibwächtern, die nicht von seiner Seite wichen, auf das Fest zurück. Dort verabschiedete er sich von dem französischen Botschafter und den übrigen Gästen.

»Es muss eine große Ehre für den französischen Botschafter sein, dass der saudische König zu seinem Fest erschienen ist«, stellte Francesca fest.

»Ja, das ist es«, murmelte Kamal, ohne die politischen und finanziellen Vergünstigungen zu erwähnen, die sich Saud von der französischen Regierung erhoffte, um die Krise abzuwenden. »Kehren wir auf die Feier zurück«, sagte er dann.

Den Rest des Abends war Kamal kühl und distanziert. Er tanzte erneut mit Valerie und unterhielt sich mit einer Gruppe von Arabern. Er würdigte Francesca keines Blickes und wechselte kein Wort mehr mit ihr, und nach einer Stunde verließ er gemeinsam mit seinem Freund Ahmed Yamani das Fest, ohne sich von ihr zu verabschieden.

***

König Saud stieg in den Rolls-Royce, der vor dem Eingang der französischen Botschaft auf ihn wartete, und befahl dem Chauffeur, ihn nach Hause zu fahren. Tariki, der einflussreichste Minister seiner Regierung, saß neben ihm und sah unauffällig zu ihm herüber. Er kannte diesen Ausdruck tiefster Verstimmung an seinem König.

»Du bist Kamal begegnet, stimmt’s?«, fragte der Minister schließlich.

»Ich bin ihm nicht begegnet«, stellte Saud richtig. »Ich habe nach ihm gesucht. Er war in Begleitung dieser Sekretärin von Dubois, von der uns Malik erzählte.«

»Die, die Probleme mit der Religionspolizei hatte?«

Saud nickte, dann schwieg er wieder. Seine Gedanken kreisten in einem Strudel von Plänen und Ideen, die nur ein Ziel kannten: Kamal auszuschalten. Er wusste genau, dass die Familie seinen Bruder gebeten hatte, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, und er wusste auch, dass Kamal nur deshalb noch nicht zugestimmt hatte, weil er absolute Kontrolle über die wichtigsten Ressorts des Landes forderte. Wenn es so weit kam, würde er selbst nur noch eine Marionette sein, ein Repräsentant des Landes ohne Macht und Mitsprache. Und von dort bis zu der Forderung an ihn, ganz abzudanken, war es nur noch ein kleiner Schritt.

»Francesca de Gecco, oder?«, fragte Saud plötzlich.

»Wie bitte?«

»Dubois’ Sekretärin. Sie heißt doch Francesca de Gecco?«

Tariki sah ihn verständnislos an. Er hatte Kamal, Dubois und seine Sekretärin schon vergessen; zu schwer wogen die Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte. Die nächste Versammlung der OPEC und deren Pläne, Quoten für die Erdölförderung festzulegen, bereiteten ihm schlaflose Nächte. Ihm war klar, dass es ein ehrgeiziges Ziel war, von dem er noch nicht wusste, wie es zu verwirklichen wäre. Die Einigung auf einen fairen Rohölpreis war ihm ein weiteres Anliegen, das in engem Zusammenhang zu dem ersten stand. Doch trotz der Probleme, die dieses Vorhaben mit sich brachte, war Tariki zuversichtlich: Die bedingungslose Unterstützung durch den saudischen König und den venezolanischen Präsidenten verliehen ihm die politische Macht, die für dieses Projekt nötig war. Und auch wenn er Schah Reza Pahlavi nicht völlig vertraute, weil er wusste, dass dieser ein Verbündeter des Westens war, gaben ihm die vorsichtigen Schritte des Schahs in Richtung einer lohnenderen Preispolitik Hoffnung, dass er sich in Kürze auf die Seite Saudi-Arabiens stellen würde.

Und während er sich über all diese Dinge den Kopf zerbrach, dachte Saud an nichts Wichtigeres als an Dubois’ Sekretärin. Was zum Teufel hatte der bloß im Kopf? Tariki ging Sauds Rivalität mit seinem Bruder Kamal allmählich auf die Nerven. Im Grunde schätzte er den Prinzen nämlich, den er von klein auf kannte. Er unterhielt sich gerne mit ihm, denn Kamal besaß profunde Kenntnisse in weltpolitischen Angelegenheiten. Saud dagegen war mehr daran gelegen, Geld auszugeben – Weltpolitik hatte er noch nie mit einem Wort erwähnt. Obwohl Kamal gegen das Ölkartell war, war Tariki überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit ihm leichter gewesen wäre. Manchmal lastete der Entscheidungsdruck schwer auf ihm, und es gab niemanden, mit dem er ihn teilen konnte. Saud beschränkte sich darauf, Beschlüsse und Gesetze unbesehen zu unterschreiben.

»Sie ist bildhübsch«, redete Saud weiter. »Ihre Haut sieht aus wie aus Alabaster. Kamal wirkte wirklich interessiert.«

»Du weißt doch, dass dein Bruder seine Frauen wechselt wie du deine Autos. Sie wird eine weitere seiner Eroberungen sein, die er bald wieder sitzenlässt.«

»Du hättest sie sehen müssen. Sie hat das Gesicht eines Engels und den Körper einer Göttin. Man kann ihr nicht widerstehen. Ich kenne meinen Bruder«, beteuerte der König. »Ich weiß, dass er verrückt nach Dubois’ Sekretärin ist.«

»Mach dir nichts vor, Saud. Du kennst deinen Bruder überhaupt nicht. Niemand kennt ihn. Er ist abweisend wie eine Festung, man weiß nie, was er denkt, und du schon gar nicht.«

Ja, Kamal war klug und umsichtig. Er sprach wenig und hörte genau zu. Bei Debatten schien er sich unsichtbar zu machen, um dann irgendwann eine Überlegung einfließen zu lassen, die die meisten sprachlos machte. Er war ein geduldiger und aufmerksamer Zuhörer – selbst wenn er kurz abgelenkt zu sein schien, entgingen ihm kein Wort und kein Detail. Es war unmöglich, seine Miene zu durchschauen. Man wusste nie, was er von einer Person, einer Sache oder einer Entscheidung hielt. Eines musste Saud neidlos anerkennen, so schwer es ihm auch fiel: Kamal war das getreue Ebenbild seines Vaters, jenes mutigen Beduinen und Landesgründers, der als kluger Staatsmann von den Weltmächten gefürchtet und geachtet worden war, als Anführer vom Volk verehrt.

Saud selbst sah sich weit entfernt von dieser Beschreibung: Es fiel ihm schwer, seine Gefühle zu verbergen, nur ungern beschäftigte er sich mit Staatsfragen, und auch nach acht Jahren an der Macht erfüllte er nicht alle Erwartungen, die man als König in ihn setzte. Die Probleme, die tagtäglich in seinem Amtssitz an ihn herangetragen wurden, nahmen ihm die Luft zum Atmen. Saudi-Arabien litt unter grundlegenden Strukturproblemen, die König Abdul Aziz vor seinem Tod nicht mehr hatte lösen können: die brüchige politische Einheit etwa, die durch Beduinenstämme und islamische Sektierer in Gefahr gebracht wurde, die ihre Unabhängigkeit erklärten und eigene Gebiete innerhalb der Landesgrenzen absteckten. Seine größte Sorge waren jedoch die knappen finanziellen Mittel, die ebenso schnell dahinschwanden, wie sie in die Staatskasse flossen. Die vielköpfige Familie al-Saud beanspruchte die Einnahmen aus dem Ölgeschäft und forderte immer höhere Summen, um ihren Lebensstandard halten zu können. Bei diesem Thema, das musste er zugeben, mangelte es ihm an Autorität, um der Verschwendung Einhalt zu gebieten: Sein eigener Lebensstil war der extravaganteste und kostspieligste von allen. Er hatte eine Schwäche für englische Autos – Jaguars, Rolls-Royces und Aston Martins – und liebte das Motorengeheul des Ferraris, den er kürzlich in Maranello gekauft hatte. Er hatte ein Vermögen in Rennpferde investiert und gab viel Geld für Wetten aus, obwohl der Koran das Glücksspiel verbot. Saud überhäufte seine westlichen Geliebten mit Schmuck, stellte ihnen Appartements in den besten Vierteln von Paris und London zur Verfügung und bezahlte anstandslos ihre Rechnungen. Er verbrachte herrliche Urlaube an paradiesischen Orten, wobei er an nichts sparte und keine Kosten scheute.

Was das anging, hatte Kamal ihm etwas voraus: Sein Privatvermögen basierte nicht nur auf den Beteiligungen aus der Erdölförderung, die ihm zustanden; die Gewinne stammten auch aus der Zucht und dem Verkauf seiner berühmten Pferde, einer einzigartigen Rasse, die äußerst gefragt war wegen ihrer Schönheit und ihrer Schnelligkeit. Die Pferdezucht hatte Kamals Bankkonten in den vergangenen Jahren beträchtlich gefüllt. Wenn der Geldstrom aus der Förderung des Schwarzen Goldes irgendwann versiegte, würde er seinen Lebensstil unverändert beibehalten können.

Kamal wäre ein äußerst mächtiger Mann, falls er den Thron bestieg, und er war nicht weit davon entfernt, es zu erreichen. Was sollte aus ihm, Saud, werden, wenn man ihn zur Abdankung zwang? Was kam dann? Das Exil? Die Demütigung der Verbannung, die finanzielle Einschränkung und die Schande würde er nicht ertragen. Kamal durfte nicht König werden, dafür würde er sorgen. Ihm kam wieder in den Sinn, wie die Augen seines Bruders geleuchtet hatten, als er die junge Argentinierin ansah. Zum ersten Mal hatte er in sein unergründliches Herz blicken können.

»Mein Bruder Faisal«, sagte Saud, »hält morgen ein Geheimtreffen in seinem Haus ab, um die Lage im Land zu besprechen. Sie treffen sich morgen früh.«

»Woher weißt du das? Du wirst ja wohl kaum eingeladen sein«, bemerkte Tariki ironisch.

»Du weißt doch, ich habe meine Spione überall.« Wütend schlug Saud gegen die Autoscheibe und setzte hinzu: »Diese Bande von Verrätern kann mich nicht einfach so abservieren, als ob ich ein Niemand wäre. Mein Vater hat mich zu seinem Nachfolger ernannt, und ich werde nicht auf den Thron verzichten.«

Tariki lehnte sich im Sitz zurück und warf dem König einen besorgten Blick zu. Für ihn war Saud al-Saud ein harmloser Geist, den man leicht manipulieren konnte, solange seine Launen erfüllt wurden. Aber so, wie er sich nun aufführte, das Gesicht wie versteinert, die dichten Brauen zu einer einzigen Linie zusammengezogen, war der Minister auf der Hut, denn er war auch sicher, dass Saud ein skrupelloser Mensch war, nicht sehr intelligent zwar, aber mit genügend Geld und gewissenlos genug, um seinen Willen durchzusetzen. Tariki, der alles darangesetzt hatte, Saudi-Arabien dorthin zu bringen, wo es sich heute befand, war nicht bereit, das gewonnene Terrain wegen eines Bruderzwistes verloren zu geben.

»Was willst du dem Druck deiner Familie entgegensetzen?«, fragte er. »1958 hat uns Kamals Eingreifen vor dem Zusammenbruch bewahrt, das weißt du. Und die Umstände sind heute nicht anders als damals. Du könntest die Zusammenarbeit mit ihm akzeptieren und so die erhitzten Gemüter in deiner Familie besänftigen.«

»Niemals«, erklärte Saud. »Was kann Kamal, was ich nicht kann?«

»Zunächst einmal müsstest du eine strikte Kontrolle der Ausgaben und Bezüge durchführen. Dann einen Haushaltsplan für mindestens drei Jahre erstellen. Aber ich glaube, dass es zu spät ist: Deine Familie hat das Vertrauen in dich verloren, und selbst wenn du guten Willen bei der Senkung der Kosten und der Verwaltung der Einnahmen beweisen solltest, werden sie nach Kamals harter Hand und seiner Umsicht verlangen.«

»Wozu braucht man Feinde, wenn man Berater wie dich hat?«, wetterte Saud aufgebracht und setzte dann hinzu: »Morgen werde ich vom Wirtschaftsminister einen Haushaltsplan einfordern und eine strikte Kontrolle bei der Verteilung der Gewinne einführen. Vielleicht kann ich damit die Ungeduld meiner Onkels besänftigen.«

Es war nicht mehr weit bis zum Palast, und Tariki wusste, dass sich nicht noch einmal eine solche Gelegenheit bieten würde, Saud seine wahren Absichten zu entlocken. Angetrunken – er hatte ihn mehrmals mit einem Champagnerglas in der Hand gesehen –, aufgebracht und wütend, wie er war, würde er ihn zum Reden bringen; am nächsten Tag, wenn er wieder bei klarem Verstand war und seine Gefühle unter Kontrolle hatte, war nicht mit einem Geständnis zu rechnen.

»Du und ich«, sagte Tariki, »wissen genau, dass ein Haushaltsplan nicht verhindern wird, dass man dir die Führung streitig macht.« Er suchte in der Dunkelheit des Autos nach dem Blick des Königs und stellte fest, dass er lächelte. »Dein Problem ist ein anderes.«

»Kamal«, ergänzte Saud. »Mein einziges Problem war immer er.«

»Nun«, fuhr Tariki fort, »ich glaube, du hast nur eine Wahl: Dich mit ihm zu verbünden.«

»Da irrst du dich. Mir bleibt noch eine andere Möglichkeit.«

Der Wagen passierte das Portal von Sauds Residenz und fuhr durch den Park. Schließlich hielt er vor dem Haupteingang. Zwei Wächter traten heran, einer öffnete den Schlag des Rolls-Royce, während der andere mit dem Gewehr im Anschlag die Umgebung beobachtete. Bevor er ausstieg, drehte sich Saud zu seinem Wesir um und lächelte ihm ironisch zu.

»Kümmere du dich darum, dass der Ölpreis steigt, den Rest übernehme ich.«

Dann wies er den Chauffeur an, Tariki zu seiner Residenz zu bringen, die ganz in der Nähe lag, und verabschiedete sich.

***

Trotz der hohen Temperaturen zeigte sich der Januar von seiner angenehmen und schönen Seite. Morgens, wenn die Luft noch kühl und feucht war, wölbte sich ein wolkenloser blauer Himmel über dem Park der Botschaft, in dem Francesca gerne noch ein wenig spazieren ging, bevor sie mit der Arbeit begann. Oft setzte sie sich auf eine Bank und betrachtete die Palmen; sie mochte das Grün der riesigen Blätter, die sich oberhalb des Stamms sternförmig auffächerten, und das Gelb der Blüten und Früchte, die in großen Trauben hinabhingen. Sie versuchte sich eine Oase vorzustellen – ein Garten mitten in der Wüste, hatte Mauricio ihr erklärt, mit Schatten, um sich vor der sengenden Sonne zu schützen, frischem, kristallklarem Wasser aus den Wüstenflüssen, den Wadis, süßen Datteln, die die Lebensgeister weckten, und anderen exotischen Früchten, die den Beduinen ebenso kostbar waren wie Juwelen. Dennoch fiel es ihr schwer, sich dieses kleine Paradies inmitten der lebensfeindlichen Landschaft vorzustellen.

Sie nutzte ihre kurze morgendliche Pause auch, um Bücher zu lesen oder die Post, die aus Argentinien eintraf. Anlässlich der Weihnachtsfeiertage, die nahezu unbemerkt an ihr vorübergegangen waren – es gab nicht einmal eine Kirche, um an der Krippe zu beten –, hatte sie Karten und lange Briefe erhalten. Ihre Mutter schickte ihr Gottes Segen und alle guten Wünsche, begleitet von Tipps und guten Ratschlägen. Fredo, der schon lange nichts mehr mit Religion am Hut hatte, überraschte sie mit dem Geständnis, dass er Antonina am 24. zur Christmette begleitet habe.

Gegen neun ging Francesca in die Botschaft zurück, wo Mauricio in seinem Büro mit einer Liste von Aufgaben und Aufträgen auf sie wartete. Die Zusammenarbeit mit dem Botschafter machte ihr Spaß, und sie hatte keine Zweifel, dass auch er sie als Mitarbeiterin schätzte. Sie hatten einen harmonischen Arbeitsablauf gefunden, in dem es ohne Hektik und Stress abging. Sie planten den Tag gut durch und gerieten nur selten ins Trudeln. Francesca fühlte sich immer sicherer in ihrem Job, genau wie damals in Genf, als ihr Rat in nahezu allen Angelegenheiten gefragt war und ihr Chef sich voll und ganz auf sie verließ. Sie hatte nicht länger das Gefühl, entwurzelt zu sein, und fand es eine merkwürdige Vorstellung, dass sie sich vor einiger Zeit noch gefragt hatte, was sie eigentlich hier machte.

Es schienen Jahre seit dem Morgen vergangen zu sein, als Malik sie am Flughafen von Riad abgeholt hatte. Sie hatte sich daran gewöhnt, fünfmal am Tag den Gebetsruf des Muezzins zu hören und die abaya zu tragen, sie aß Lammfleisch und trank Ziegenmilch und es schmeckte ihr. Sie begann, das Hauspersonal zu verstehen, wenn es Arabisch sprach. Die wichtigsten Straßen, Plätze und Gebäude der Stadt waren ihr vertraut; sie ließ es zwar vorsichtshalber bleiben, aber sie hätte allein ins Stadtzentrum von Riad gehen können, ohne sich zu verlaufen. Die Gerüche und das Gedränge auf dem Bazar störten sie nicht mehr, und sie hatte gelernt, die hartnäckigen Verkäufer und die Kinder abzuschütteln, die an ihrem Umhang zupften. Selbst Maliks unfreundliche Art störte sie nicht mehr.

Mitte Januar hatte sie immer noch nichts von Aldo gehört. Eigentlich war sie erstaunt über sein Schweigen. Sie nahm an, dass es zwischen ihm und Dolores besser lief, dass sie nicht mehr stritten und nicht länger in getrennten Zimmern schliefen, und wer wusste, womöglich erwarteten sie ein Kind. Dieser Gedanke machte sie nicht traurig, aber auch nicht gerade glücklich. Es war diese Widersprüchlichkeit, die sie beunruhigte.

Der Januar verlief ohne größere Neuigkeiten, und der Februar begann mit guten Aussichten. Deshalb wusste sie nicht, ob sie sich freuen oder Sorgen machen sollte, als Dubois ihr mitteilte, dass sie geschäftlich nach Dschidda reisen und im Haus von Prinz Kamal wohnen würden. Seit dem Fest in der französischen Botschaft hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Kamal al-Saud war wie ein geschickter Dieb, der immer wieder in ihrem Leben auftauchte und alles durcheinanderbrachte, um dann wieder zu verschwinden und sie mit klopfendem Herzen zurückzulassen wie ein verliebtes Mädchen. Sie hatte ihm einfach nichts entgegenzusetzen. Sein Verhalten ärgerte sie, diese offensichtliche Verführung, die dann in Gleichgültigkeit umgeschlagen war. Sie hatte keineswegs die Absicht, ihn wiederzusehen. Sie wollte ihre Ruhe haben.

Francesca kam zu dem Schluss, dass es sinnvoller wäre, wenn sie in Riad blieb und sich um die Belange der Botschaft kümmerte. Diesem Vorschlag widersetzte sich Dubois jedoch mit ungewohnter Entschiedenheit. Die Aussicht auf ein Treffen mit einer Delegation italienischer Geschäftsleute setzte der Diskussion schließlich ein Ende.

»Ich spreche kein einziges Wort dieser verflixten Sprache. Wenn es mir gelingt, ein Treffen mit den Italienern auszumachen, wirst du bei den Gesprächen von entscheidender Bedeutung sein. Außerdem lernst du Dschidda kennen, die Stadt, die dir bei der Recherche für den Bericht, den ich kurz nach deiner Ankunft von dir anforderte, so viele schlaflose Nächte bereitet hat.«

***

Am Tag nach dem Empfang in der französischen Botschaft fehlte Kamal bei der Zusammenkunft im Haus seines Bruders Faisal. Bei dem geheimen Treffen sollte es um die Inflation, das Währungssystem, die wirtschaftliche und die finanzielle Lage des Landes gehen, drängende Fragen, die nach unmittelbaren Lösungen verlangten. Doch Kamal verließ Riad mitten in der Nacht und fuhr zu seiner Residenz in Dschidda. Er raste in seinem Jaguar durch die Wüste des Nedschd und die Region Hedschas, wo er anhielt, um in Mekka zu beten, das um diese Jahreszeit voller Pilger war. Als die Sonne am Horizont aufging, erreichte er Dschidda.

Als er durch das Tor seines Anwesens fuhr, erfüllte ihn eine innere Ruhe, nach der er so verzweifelt gesucht hatte. Es fiel ihm schwer, mit diesem ungewohnten Gemütszustand zurechtzukommen, den er nicht einmal definieren konnte. Es war weder Trauer noch Freude, weder Begeisterung noch Niedergeschlagenheit. Es war alles zugleich, und diese Verwirrung machte ihn wütend, denn zum ersten Mal war er nicht Herr seiner selbst.

Im Haus bat er um eine Tasse starken Kaffee und gab Anweisung, sein Pferd zu satteln. Er tauschte das weite Gewand gegen eine dunkelblaue Hose und ein weißes Seidenhemd, die Sandalen gegen hohe Schaftstiefel, und wählte eine leichtere, beigefarbene Kopfbedeckung. Im Salon sitzend, trank er in Ruhe seinen Kaffee, während Sadun, der Hausverwalter, ihm berichtete, was es Neues gab. Dann ging er zu den Stallungen. Die Stallburschen begrüßten ihn mit einer Verbeugung. Sie freuten sich aufrichtig, ihn zu sehen; Kamal hatte ihnen lange keinen Besuch mehr abgestattet.

Im Stall erwartete ihn sein Pferd Pegasus, ein stolzer, kräftiger, lebhafter Zuchthengst, edel anzuschauen mit dem neuen Zaumzeug aus Sämischleder. Kamal begutachtete ihn stolz. Seine Angestellten hatten gute Arbeit geleistet. Das Tier sah gesund und gutgepflegt aus. Fadhil, der Stallmeister, der sich mit der Zucht von Araberpferden bestens auskannte, wusste, dass Pegasus für den Herrn etwas Besonderes war – nicht nur, weil sein Wert auf fast eine halbe Million Dollar geschätzt wurde, sondern weil er das letzte Geschenk seines Vaters gewesen war. Es gab immer wieder verlockende Angebote, die der Prinz ohne nachzudenken ausschlug.

Kamal wechselte ein paar Worte mit Fadhil, der das unruhig tänzelnde Pferd am Zügel hielt, und schickte ihn dann weg. Der Prinz streichelte Pegasus über die Blesse und redete beruhigend auf ihn ein, während er dem Tier Sattel und Zaumzeug abnahm, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Er tastete seinen Rücken ab, ohne Schwielen oder Verletzungen zu finden, untersuchte Hufe und Hufeisen, betastete die Nüstern und schob das Maul auseinander, um seine kräftigen, weißen Zähne zu begutachten. Das lebhafte, energiegeladene Verhalten des Tieres überzeugte ihn endgültig davon, dass es sich in einem untadeligen körperlichen Zustand befand. Schließlich sattelte er das Pferd wieder und saß auf. Als es Kamals Gewicht spürte, stieg es vorne hoch, wieherte und galoppierte los.

Auf einem Dünenkamm hielt Pegasus an, und Kamal ließ ihn ein wenig ausruhen. Auf dem Rücken seines Pferdes sitzend, betrachtete er die Landschaft, während er seine Gedanken schweifen ließ. Der Schrei eines Falken, der in der Luft seine Kreise zog, riss ihn aus seiner Versunkenheit.

Im langsamen, gleichmäßigen Schritt ritt er weiter. Die Wüste hatte immer eine erstaunliche Wirkung auf ihn: Hier konnte er durchatmen, sie besänftigte seine Seele und brachte ihn zum Nachdenken. Gleichzeitig erfüllte sie ihn mit einer Kraft, die ihn innerlich stärkte. Er war nun zwar ruhiger, doch Francesca ging ihm nicht aus dem Kopf.

Seit jenem Abend in der venezolanischen Vertretung in Genf, wo sie ihn mit ihrer südamerikanischen Schönheit verzaubert und mit ihren traurigen Augen gerührt hatte, vernebelte das Verlangen, sie zu besitzen, seinen Verstand.

Er wollte ihr nahe sein, den Klang ihrer Stimme hören und den Duft ihres Haars riechen, ihre zarten Wangen berühren, ihre schlanke Taille umfassen, ihre Lippen spüren. Er wollte sie langsam ausziehen, ihre Brüste liebkosen, ihren Bauch küssen, sie immer und immer wieder lieben, bis sein Verlangen gestillt war wie der Durst eines Beduinen, der an einer Oase trinkt und sich dann im Schatten einer Palme zum Schlafen legt. Weshalb ertrug er diesen quälenden Durst, der ihm die Sinne raubte? Weshalb nahm er sich nicht einfach von ihr, was er wollte?

Er fand tausend Gründe: die häufigen Reisen, die Probleme des Landes, seine Geschäfte, der Druck der Familie. Was hielt ihn davon ab, sie zu nehmen, jetzt, da sie in greifbarer Nähe war? Normalerweise kannte er keine Gnade mit seiner Beute, er ließ keine Ausreden gelten und machte sich nicht viel aus Bitten. Aber bei Francesca war das anders. Etwas an ihr zog ihn in seinen Bann, ohne dass er wusste, was es war; etwas, das ihn in eine Art Benommenheit versetzte, die es ihm unmöglich machte, sich so zu verhalten wie sonst.

›Sie ist so jung‹, sagte er sich immer wieder. ›Was kann sie mir geben, das ich noch nicht kenne?‹ Vielleicht waren es die Unschuld und die Sanftheit in ihren Augen. Er war es leid zu taktieren, mit Falschheit und Unaufrichtigkeit zu leben, das schmutzige Spiel der anderen mitzuspielen, zu lügen, um zu gewinnen, den Gegner straucheln zu sehen und seine Niederlage zu genießen. In dieser ganzen intriganten Welt erschien ihm Francesca wie eine Oase, wo er ruhig und sicher sein Lager aufschlagen konnte. Weshalb nahm er sie nicht einfach und stillte seinen Durst?

Er hatte Angst, ihr wehzutun, das war die Wahrheit. Plötzlich empfand er Skrupel. Er wollte ihr nicht wehtun. Und er wusste, dass er sie brandmarkte, wenn er sie an sich band. Er gab dem Pferd die Sporen, und Pegasus jagte im fliegenden Galopp nach Hause.

Einige Wochen später erfuhr er von Méchin, mit dem er fast täglich in Kontakt stand, dass Mauricio demnächst nach Dschidda kommen würde, weil er an Geschäften mit einigen italienischen Unternehmern interessiert war. Sofort schickte er ihm ein Telegramm, um ihm mitzuteilen, dass er ihn und seine Sekretärin auf seinem Anwesen erwarte.