13. Kapitel

Beim Aufwachen wusste Francesca nicht, wo sie war. Als sie sich umdrehte, sah sie Kamal, der, in ein Bettlaken gehüllt, in Richtung Mekka betete, und die Ereignisse der Nacht standen wieder so deutlich vor ihr, dass sie seufzen musste. Sie blieb still im Bett liegen, um das feierliche Gebet nicht zu stören, wie gebannt von den Bewegungen und dem gleichmäßigen Singsang ihres Geliebten. Sie lauschte dem Muezzin, der vom Minarett einer nahen Moschee die Gläubigen zum Morgengebet rief. »Gott ist groß. Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Kommt zum Gebet.« Sie hatte diesen Ruf schon oft in Riad gehört. Damals hatte sie gedacht, dass sie das niemals etwas angehen würde, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Doch nun betete der Mann, dem sie sich hingegeben hatte, mit einer Inbrunst und Ehrfurcht, wie sie nur ein Araber an den Tag legen konnte, zu seinem Gott.

Es musste gegen fünf Uhr am Morgen sein. ›So früh noch!‹, dachte sie, und nach der Erschöpfung dieser intensiven Nacht fielen ihr die Augen wieder zu. Später, als sie sich müde in den Laken rekelte, war sie sicher, dass nur ein paar Minuten vergangen waren. Aber da Kamal nicht mehr neben ihr lag und sie von den Sonnenstrahlen geblendet wurde, die durch die Ritzen der Verandatür drangen, schloss sie, dass es bereits später Vormittag sein musste. Erschreckt stellte sie fest, dass es tatsächlich schon nach zwölf war. Sie sprang aus dem Bett, zog sich hastig an und rannte die Treppe hinunter zum großen Salon. Jacques Méchin und Dubois wollten sich gerade zum Mittagessen begeben, als Francesca ins Zimmer gestürzt kam.

»Guten Tag«, sagte sie, während sie nach einem guten Grund suchte, um ihr Fehlen zu entschuldigen. Doch dann kam sie zu dem Schluss, dass es das Beste war, einfach darüber hinwegzugehen.

»Guten Tag«, erwiderte Méchin ihren Gruß und ging ihr entgegen. »Du kommst gerade rechtzeitig zum Mittagessen.« Und er reichte ihr seinen Arm, um ins Speisezimmer zu gehen.

Dubois war still und in sich gekehrt, wie so oft in letzter Zeit. Auch Méchin, der sich bemühte, die unterkühlte Stimmung aufzulockern, war nicht mehr derselbe, wie Francesca fand. Sie erinnerte sich an seine Besuche in der Botschaft gemeinsam mit Professor Le Bon und an die angenehmen Gespräche über Politik und Geschichte, und ihr wurde klar, dass er ihre Beziehung zu Prinz al-Saud nicht guthieß. Hielten sie ihr Benehmen für anstößig? Waren sie der Ansicht, dass Kamal eine Frau aus seiner Schicht verdient hatte? Fand Dubois, dass sie sein Vertrauen missbraucht hatte, als sie sich mit seinem besten Freund einließ, einem führenden Mitglied der saudischen Königsfamilie? Hielten sie sie für eine Frau ohne Prinzipien? Das Mittagessen lag ihr wie Blei im Magen.

Verärgert fragte sie sich, wo Kamal steckte. Sie brauchte ihn so nötig; sie brauchte die Sicherheit seiner gelassenen Miene, die Ruhe seiner besonnenen Bewegungen, sein Lächeln, das ihr zu verstehen gab, dass alles in Ordnung war. Wie hatte er sie nach dem, was letzte Nacht geschehen war, allein lassen können? Sie empfand es als Rücksichtslosigkeit. Keine Nachricht, kein Ton gegenüber dem Hauspersonal, und auch Dubois und Méchin erwähnten ihn mit keinem Wort. Vielleicht würde er sie nun, nachdem sein Appetit gestillt und der Trieb befriedigt war, nie wieder ansehen. Voller Angst erinnerte sie sich an Saras Warnungen, die ihr nun wie eine biblische Strafe erschienen: »Er wird dich pflücken wie eine Blume am Wegesrand, um dich dann achtlos wegzuwerfen.«

Nach dem Kaffee zog sich Jacques zurück, und Mauricio trug Malik auf, den Wagen zu holen, um in die Stadt zu fahren. Der Gedanke erschien Francesca verlockend. Eine Spazierfahrt durch die Straßen von Dschidda würde sie ablenken, und außerdem könnte sie mit ihrem Chef sprechen und Unstimmigkeiten ausräumen. Doch Mauricio lud sie nicht ein, mitzukommen, und als kurz darauf das Auto vor der Tür zu hören war, verabschiedete er sich knapp und ließ sie allein zurück.

Sie lehnte sich in die Polsterkissen und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Dann ging sie zum Bücherregal und betrachtete die Buchrücken. Keines davon sprach sie an – die wenigen französischen Bücher, die dort standen, handelten von Pferdezucht, der Behandlung der häufigsten Krankheiten bei Rassepferden und anderen Pferdethemen. Wenn es wenigstens einen Roman oder einen Essay gäbe!, seufzte sie und ließ sich wieder in die Kissen sinken.

Sadun kam mit einem Stapel Handtücher durch die Verandatür und blieb nicht einmal stehen, um sie zu grüßen, was sie unglaublich verletzte. Ihre Stimmung wurde heute auf eine harte Probe gestellt, und jede Kleinigkeit ärgerte sie. Seit einiger Zeit war auch der Hausverwalter wortkarg und abweisend, dabei hatte er sich am Anfang trotz der Sprachprobleme fast ein Bein ausgerissen, um sie zu bedienen und ihr eine Freude zu machen.

Sie ging in den Garten hinaus und setzte sich auf den Rand des Springbrunnens. Sie tauchte die Hand ins Wasser, und die Seerosen schaukelten sanft auf ihren großen, dunkelgrünen Blättern hin und her. Ein warmer Windhauch trug den Duft von Rosmarin, Myrte, Maiglöckchen und Lorbeer heran. Sie folgte dem Duft, der sie zum Harem führte, wo sie die halb hinter Pflanzen verborgenen, geschlossenen Fenster betrachtete. Sie überlegte, Sadun darum zu bitten, ein Bad in dem großen Wasserbecken nehmen zu dürfen, verwarf den Gedanken aber wieder, weil es ihr in Abwesenheit von Fadila dreist erschien. Seit dem Morgen mit ihr hatten sich die Ereignisse überschlagen. Ihr Leben hatte eine entscheidende Wendung genommen, und nichts würde mehr so sein wie vorher. Sie war jetzt eine Frau. Al-Sauds Frau. Sie fragte sich, warum Kamals Mutter so überstürzt abgereist war. Sie hatte sich nicht einmal verabschiedet und das Anwesen in Begleitung ihrer Dienerschaft verlassen, als sei etwas Schwerwiegendes vorgefallen.

Sie fand, dass es eine gute Idee war, einen Ausritt mit Nelly zu unternehmen, und ging rasch nach oben, um sich umzuziehen. In den Stallungen war Fadhil freundlich und aufmerksam zu ihr und ließ unverzüglich die Stute satteln. Nelly erschien in Begleitung zweier weiterer Pferde, auf denen Kamals Leibwächter saßen. Francesca stellte fest, dass sie Feuerwaffen und Messer am Gürtel trugen.

»Der Herr hat mir aufgetragen, Sie von Abenabó und Kader begleiten zu lassen, wenn Sie alleine ausreiten«, erklärte Fadhil in schlechtem Französisch.

Francesca warf einen raschen Blick auf die Nubier, die reglos in ihren Sätteln saßen. Jetzt wurde ihr auch noch die einzig angenehme Unternehmung des Tages vergällt. Sie konnte nicht unbefangen sein, wenn diese Männer hinter ihr herritten und sie in ihrer Freiheit einschränkten.

»Das ist nicht nötig«, versuchte sie es. »Ich habe nicht vor, das Anwesen zu verlassen. Was kann mir schon passieren, Fadhil?«

»Ach, Mademoiselle! Lassen Sie mich da raus und nehmen Sie die Bewachung durch Abenabó und Kader einfach hin. Wie stehe ich vor meinem Herrn da, wenn Ihnen etwas passiert?«

Sie ritt mit den Leibwächtern davon, die zwar gebührenden Abstand hielten, Nelly aber trotzdem auf Schritt und Tritt folgten. Weshalb hatte Kamal diese Sicherheitsmaßnahme angeordnet? War ihr Leben in Gefahr? Wer schützte ihn, wenn seine Männer bei ihr waren? Auf den ersten Metern machte sie sich große Sorgen deswegen, doch dann ließen die Schönheit der Landschaft und Nellys Ungestüm, die unruhig auf der Trense kaute, sie ihre dunklen Gedanken vergessen.

Als sie Stunden später nach Hause kam, war sie enttäuscht, als sie von Méchin erfuhr, dass Kamal immer noch unterwegs war und sie ohne ihn zu Abend essen würden. Die Reitpeitsche hinter sich herziehend, ging sie langsam auf ihr Zimmer, um zu duschen und sich umzuziehen. Als sie vor dem Frisierspiegel saß und lustlos ihr nasses Haar bürstete, sagte sie sich immer wieder, diesmal laut und vernehmlich: »Kamal al-Sauds Frau.« Und sie fragte sich, ob seine Frau zu sein gleichbedeutend war mit endloser Warterei, Tagen voller Langeweile, Leibwächtern, die in ihrem Privatleben herumschnüffelten, schiefen Blicken, Ängsten und Geheimnissen.

Obwohl sie zuerst überlegte, sich zu entschuldigen und auf ihrem Zimmer zu bleiben, ging sie schließlich doch zu Mauricio und Jacques hinunter. Das Essen verlief ohne größere Vorkommnisse. Francesca achtete gar nicht mehr auf die verkniffene Miene ihres Chefs und Méchins vergebliche Versuche, die Stimmung aufzulockern, sondern hing weiter ihren Gedanken nach, die im Laufe des Tages so viele Stimmungswechsel bei ihr bewirkt hatten.

Das Geräusch eines Autos in der Einfahrt und kurz darauf Kamals Stimme, der an der Haustür Anweisungen gab, ließen Méchin verstummen und brachten Francescas Blick zum Strahlen. Al-Saud betrat das Esszimmer in einem weißen Seidenmantel und einer eleganten kufiya, die Francesca noch nicht an ihm kannte. Er grüßte auf orientalische Weise und entschuldigte sich für sein Fehlen beim Abendessen. Er gab keine Erklärungen, und keiner wagte es, ihn danach zu fragen.

»Ich hoffe, es ist alles zu eurer Zufriedenheit. Wir nehmen den Kaffee später im Salon«, setzte er hinzu und zog sich dann auf sein Zimmer zurück.

Francesca sah ihm nach, bis er durch die Tür verschwunden war. Erst als seine Schritte nicht mehr zu hören waren, kam wieder Leben ins sie. Kamal war distanziert und unzugänglich gewesen, wie die ersten Male in der Botschaft. Sie entschuldigte sich bei Méchin und Dubois und verließ das Esszimmer. Draußen zog sie die Schuhe mit den hohen Absätzen aus, lief durch die Eingangshalle und rannte die Treppe hinauf. Im Schlafzimmer angekommen, lehnte sie sich gegen ihre Tür und starrte in die Dunkelheit, bis das Gelächter aus dem Erdgeschoss sie aus ihrer Erstarrung riss.

Sie zog das Nachthemd an und legte sich ins Bett. Ihre Lippen bebten, und ihre Augen schwammen in Tränen. Sie vermisste ihre Mutter. Sie hatte den Eindruck, dass alles ein einziges Chaos war, und wünschte, dass Antonina da wäre, um sich in ihren Schoß zu schmiegen und sie sagen zu hören: »Va tutto bene, figliola mia, es wird alles gut, mein kleines Mädchen.« Und dann würde Fredo kommen und sie mit Küssen überhäufen und sie in seine Arme schließen. Plötzlich hatte sie Sehnsucht nach ihrer Heimatstadt: der Plaza España, dem Bulevar Chacabuco, dem Stadthaus der Martínez Olazábals. Auch Arroyo Seco fehlte ihr, Don Cívico und Doña Jacinta, die Ausritte mit Rex, Sofía, ihr Leben in Argentinien. Sie hätte niemals fortgehen sollen. Ihre überstürzte Flucht war ein Fehler gewesen. Sie brach in Tränen aus und presste das Gesicht ins Kissen, damit man sie nicht hörte.

Während sie so vor sich hinschluchzte, kam es ihr vor, als ginge jemand durch den Korridor und bliebe vor ihrer Zimmertür stehen. Eine Sekunde später kam Kamal ganz leise herein. Francesca drehte ihm den Rücken zu und stellte sich schlafend in der Hoffnung, dass er sie nicht aufwecken wollte und schnell wieder ging. Aber al-Saud legte den Morgenmantel ab und schlüpfte unter die Bettdecke. Er fasste sie um die schmalste Stelle der Taille und küsste sie auf die Schulter. Francesca spürte seine nackte Brust an ihrem Rücken und sein hartes Glied an ihrem Po und unterdrückte ein Stöhnen. Kamal drehte sie zu sich herum. Als seine Lippen ihre Wange streiften, hielt er inne.

»Du weinst ja«, sagte er besorgt. »Was hast du denn? Tut dir etwas weh?«

»Nein.«

»Du hast dich noch nicht von heute Nacht erholt«, vermutete er.

»Das ist es nicht«, beteuerte sie.

»Was hat meine Prinzessin dann?«

Francesca klammerte sich an seinen Hals und ließ ihren Tränen freien Lauf. Kamal lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes und ließ sie ihr Leid klagen: Dass sie ihre Mutter und ihren Onkel Fredo vermisse, dass sie nach Córdoba zurückwolle, dass sie ihre Freunde brauche, ihre Pferde, ihre vertrauten Dinge und Orte.

»Warum bist du weggefahren und hast mich den ganzen Tag hier allein gelassen?«, warf sie ihm vor. »Ich habe mich einsam gefühlt und mich gelangweilt. Heute hätte ich dich mehr gebraucht denn je.«

»Verzeih mir. Jetzt ist mir klar, dass es nicht sehr aufmerksam von mir war, aber ich dachte nicht, dass es dir etwas ausmachen würde. Ich hatte wichtige Dinge zu erledigen und wollte sie nicht um einen weiteren Tag aufschieben. Hat Sadun dir nicht ausgerichtet, dass ich nach Dschidda fahre und wahrscheinlich nach dem Abendessen wieder zurück bin?«

»Sadun spricht in letzter Zeit nicht mehr mit mir.«

»Aha.«

»Und Mauricio und Jacques auch nicht.«

»Ich weiß, Francesca, aber du musst dir keine Sorgen machen. Überlass das alles mir. Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich heute vermisst habe, würdest du mir keine Vorhaltungen machen.«

»Ach ja?«, bemerkte sie ironisch. »Du scheinst niemanden sonderlich zu brauchen.«

»Dich schon!«, widersprach Kamal und zwang Francesca, ihn anzusehen. »Du bist alles, was zählt, ich habe es dir heute Nacht gesagt. Und ich rede nie einfach so daher. Du hast mir so gefehlt, dass ich beinahe alles stehen und liegen gelassen hätte und zu dir nach Hause gekommen wäre. Du darfst nie mehr an mir zweifeln, Francesca. In meinen Besprechungen musste ich immer wieder an gestern Nacht denken, als du in meinen Armen zur Frau wurdest, und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.«

Kamals Überzeugungskraft und der Nachdruck in seinen Worten vertrieben Francescas Zweifel und die traurigen Gedanken, die sie den ganzen Tag über gequält hatten.

Kamal beugte sich über sie und sah sie lange voller Bewunderung an. Es ging Francesca unter die Haut, wenn er sie so ansah. Mit angehaltenem Atem erwiderte sie seinen Blick, wie gebannt von dieser Anziehungskraft, die von der Haut ihres Geliebten ausging, die so viel in ihr auslöste und sie zwang, sich diesen Sinnesfreuden hinzugeben, von denen man ihr immer gesagt hatte, sie seien Sünde. Kamal schob die Träger ihres Nachthemds beiseite und küsste ihre Brüste. Francesca fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar, während sie den Rücken anspannte, seinen gierigen Lippen entgegen.

Kamal empfand einen Rausch, den er so nicht gewohnt war. Seine Erfahrung im Bett beruhte auf Kontrolle und absoluter Selbstbeherrschung. Mit Francesca war das völlig anders: Das Blut in seinen Adern kochte, und in ihm loderte das Feuer einer Leidenschaft, der er hilflos ausgeliefert war. Er wollte Francesca zeigen, dass dieses Spiel mit Händen und Zunge, leisem Stöhnen und gehauchten Worten genauso schön war wie der Akt selbst. Deshalb versuchte er, sich zu beherrschen, und den Moment der Ekstase so lange wie möglich hinauszuzögern.

Als es vorbei war, küssten sie sich weiter und flüsterten sich Liebesschwüre zu, immer noch gefangen von dieser unerschöpflichen Leidenschaft. Die kühle Abendluft trocknete ihre schweißnassen Körper und ließ sie schließlich zur Ruhe kommen. Francesca lag in Kamals Armen und zeichnete mit dem Finger die Umrisse seiner Muskeln nach. Er spielte mit ihren Haaren.

»Was hast du heute unternommen, um dir die Zeit zu vertreiben?«, erkundigte er sich.

»Nicht viel. Ich wollte lesen, aber deine Bücher interessieren mich nicht. Dann hatte ich Lust, ein Bad in dem Wasserbecken im Harem zu nehmen, aber ich habe mich nicht getraut, Sadun um Erlaubnis zu fragen.«

»Um Erlaubnis fragen?«, unterbrach Kamal. »Du bist die Herrin im Haus, du kannst tun, was und wann immer du willst. Ist dir das klar? Ich will nicht noch einmal hören, dass du aus Angst vor Sadun oder wem auch immer auf irgendetwas verzichtest. Sadun und alle anderen sind deine Untergebenen. Ich bezahle sie dafür, dass sie dich wie eine Königin behandeln.«

»Fadhil war sehr nett«, bemerkte Francesca. »Er hat sofort Nelly gesattelt, als ich ihn darum gebeten habe. Auch wenn es nicht dasselbe war, ohne dich auszureiten.«

»Waren Abenabó und Kader bei dir?« Francesca nickte. »Von jetzt an sind sie deine Leibwächter. Sie werden dich auf Schritt und Tritt begleiten.«

»Warum, Kamal? Es gefällt mir nicht, ständig zwei Männer im Schlepptau zu haben. Ich fühle mich beobachtet.«

»Darüber möchte ich nicht diskutieren, Francesca. Du bist jetzt meine Frau, und man könnte dir etwas antun, um mich zu treffen.«

Francesca dachte über seine Worte nach und kam zu dem Schluss, dass die Zuteilung der beiden Leibwächter ein Liebesbeweis von Kamal war. Deshalb stellte sie seine Entscheidung nicht länger in Frage.

»Morgen reisen wir zu der Oase, wo der Stamm meines Großvaters sein Lager aufgeschlagen hat«, fuhr Kamal fort. »Es wird dir gefallen, meine Großmutter kennenzulernen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau.«

»Wie heißt sie?«

»Juliette.«

»Juliette?«

»Ja, sie ist Französin. Mein Großvater nennt sie aber Scheherazade.«

»Scheherazade? Wie die Figur aus Tausendundeiner Nacht?«

»Genau. Angeblich hat meine Großmutter ihn genauso betört wie Scheherazade den Sultan Schariyar, als sie ihm tausendundeine Nacht hindurch all diese phantastischen Geschichten erzählte, damit er sie nicht tötete.« Kamal lachte. »Doch, du wirst dich freuen, die beiden kennenzulernen. Manchmal zanken sie sich wie kleine Kinder, aber sie lieben sich von ganzem Herzen.«

»Sag, wie kommt es, dass eine Französin einen Beduinen aus der Wüste geheiratet hat?«, fragte Francesca neugierig.

Al-Saud begann, ihr zu erzählen, was er von seinem Großvater vor Jahren erfahren hatte. Juliette D’Albigny war die Tochter eines reichen Parisers, einem großen Pferdenarren, insbesondere von Araberpferden, und ein enger Freund des damaligen Scheichs al-Kassib. Er hatte einige Tiere von ihm gekauft, und so war ihre Freundschaft entstanden. Irgendwann beschloss er, seinem Beduinenfreund einen Besuch abzustatten und seine junge Tochter mitzunehmen, nachdem diese ihm seit Jahren damit in den Ohren lag, er solle ihr die Wüste zeigen. In jenem Sommer betrat Juliette zum ersten Mal saudischen Boden und sollte ihn nie wieder verlassen. Harum, der Sohn des Scheichs und sein ganzer Stolz, verliebte sich unsterblich in sie, und auch sie verfiel bald seinem Charme und seinen ungewöhnlichen Einfällen. Am Anfang akzeptierte keine der beiden Familien die Beziehung – D’Albigny, weil er nicht wollte, dass seine einzige Tochter einen Araber heiratete, der ein Leben lang durch die Wüste zog, und Scheich al-Kassib, weil er keine Ungläubige als Stammesmitglied haben wollte. Außerdem war Juliette nach Ansicht des alten Arabers zu extrovertiert, schließlich war er an unterwürfige und gehorsame Frauen gewöhnt. Juliette verkündete, dass sie niemals nach Paris zurückkehren würde, und Harum drohte dem Scheich, den Stamm zu verlassen. Am Ende begriffen beide Väter, dass die Liebe zwischen ihnen zu stark war, um dagegen anzukämpfen, und beschlossen, sie zu akzeptieren. Einen Monat später heiratete das junge Paar nach islamischem Ritus.

»Ich wäre am liebsten jetzt schon in der Oase«, sagte Francesca.

Kamal stützte sich seitlich auf und ließ seine Hand über Francescas nackten Körper wandern, von der Schulter den Unterarm hinab, über die sanft geschwungene Taille und Hüfte das zarte Bein entlang bis zum Knie, und von dort wieder hinauf bis zum Hals, den Ohren, dem Haar, den Schultern, den Brüsten. Jeder Zentimeter dieser Frau gehörte ihm, er hatte sie vollständig erobert. Er schmiegte sich an ihren Rücken und umarmte sie besitzergreifend.

»Du gehörst mir«, flüsterte er.

»Ja, und das weißt du«, beteuerte sie.

Eine ganze Weile sagten sie nichts mehr. Dann ergriff Francesca wieder das Wort.

»Kamal?«

»Ja?«

»Was wird sein, wenn wir wieder in Riad sind?«

»Was soll dann sein?«

»Was ist dann mit uns?«

»Ich fahre nicht nach Riad zurück«, erklärte er. »Wenn wir aus der Oase zurückkommen, fliege ich nach Washington. Ich werde ein paar Wochen weg sein, nicht lange, und wenn ich zurück bin, heiraten wir. Versprochen.«

»Heiraten?«, wiederholte sie.

Sie tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste das Licht an. Kamal setzte sich am Kopfende des Bettes auf und legte einen Arm unter seinen Kopf.

»Warum siehst du mich so an? Habe ich etwas Dummes gesagt?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Willst du mich etwa nicht heiraten?«

»Doch, natürlich. Ich bin überrumpelt, das ist alles. Ich dachte nicht, dass es so bald sein wird.«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich für mich will«, sagte Kamal, als wollte er sie an ein altes Versprechen erinnern. »Ich will nicht länger warten. Mit Allahs Willen wirst du meine Frau werden.«

Francesca war wie benommen. Sie blickte in seine großen, grünen Augen, während sie sich ein wenig Zeit nahm, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie liebte diesen Mann und vertraute ihm instinktiv, denn sie wusste nicht viel über seine Vergangenheit und sein jetziges Leben. Doch sobald er sie ansah, waren alle Zweifel verflogen. Wenn Kamal sie berührte, war ihr Körper wie elektrisiert. Sie bewahrte jedes Lächeln von ihm wie einen Schatz, sie spürte ihn in sich und hegte keinen Zweifel, dass er sie glücklich machen würde. Sie hatte sich ihm hingegeben und die brennende Lust gestillt, die er mit seinen Blicken, seinen Berührungen, seinem Lächeln in ihr entfacht hatte.

»Weshalb bist du überrascht?«, fragte Kamal. »Du wirst meine Gemahlin sein und meine Geliebte, die Mutter meiner Kinder, die Frau, mit der ich meine Träume, meine Enttäuschungen, meine Niedergeschlagenheit und meine Freude teilen werde. Du wirst meine Zuflucht sein und ich die deine. Gott wird unsere Verbindung und die Früchte unserer Liebe segnen. Wenn du willst, heiraten wir auch nach christlichem Ritus, aber das muss ein Geheimnis bleiben. Niemand aus meiner Familie darf davon erfahren.«

»Es ist mir gleichgültig, nach welchem Ritus ich heirate«, versicherte sie, doch dann dachte sie an Antonina und an die Standpauke, die sie ihr halten würde. »Aber ich würde es wegen meiner Mutter tun, damit sie mir keine Vorhaltungen macht. Sie ist streng katholisch.«

»Ja, mein Herz, ganz wie du willst.«

»Ich wäre gerne schon in der Oase«, sagte Francesca noch einmal, an die Brust ihres Geliebten geschmiegt.

»Morgen wirst du das wahre Herz meines Landes kennenlernen, den Stamm, aus dem das hervorging, was wir heute Saudi-Arabien nennen.«

***

Am nächsten Morgen wurde Francesca von einem Klopfen an der Tür geweckt. Sie fand ihr Nachthemd vor dem Bett und schlüpfte rasch hinein. Dann warf sie den Morgenmantel über und rief »Herein!«. Sadun kam mit einem Frühstückstablett, und der freundliche Ausdruck in seinem dunklen Gesicht verwirrte sie.

»Guten Morgen, Mademoiselle. Ich hoffe, Sie hatten eine wunderbare Nacht«, sagte er in gebrochenem Französisch und stellte das Tablett auf dem Bett ab. »Wünschen Sie Kaffee oder Schokolade? Ich empfehle Ihnen dieses Dattelgebäck, es ist meine Spezialität. Frühstücken Sie in Ruhe, während ich Ihnen ein Bad einlasse. Danach helfe ich Ihnen beim Packen. Der Herr Kamal hat mir aufgetragen, Sie zu wecken und Ihnen zu sagen, dass er in Kürze bei Ihnen sein wird. Er ist um fünf Uhr aufgestanden und hat mit den Vorbereitungen für die Fahrt nach Ramses begonnen. Im Moment macht er die Pferde bereit.«

Sadun verschwand im Bad, und Francesca hörte das Quietschen des Wasserhahns und das Plätschern des Wassers in der Wanne. Als er zurückkam, ging er zum Schrank, nahm ihr Reitkostüm heraus und legte es auf die Couch. Dann wienerte er die Stiefel mit einem Lappen.

»Ich besorge Ihnen einen Hut, Mademoiselle. Sie können nicht die ganze Zeit ohne Kopfbedeckung durch die Sonne reiten. Ich bin gleich zurück.«

Francesca sah ihm hinterher. Sie war überzeugt, dass Kamal ein ernstes Wort mit ihm gesprochen hatte, und hatte ein schlechtes Gewissen. Doch dann wurde ihr bewusst, dass sie noch nie gehört hatte, wie er seinen Bediensteten gegenüber laut geworden wäre oder sie schlecht behandelt hätte. Nicht einmal, als eines der Mädchen, die bei Tisch servierten, den Krug mit dem laban auf dem Perserteppich im Esszimmer verschüttet hatte. Aber was auch immer Kamal getan oder gesagt hatte, Sadun war wie ausgewechselt.