20. Kapitel

Francesca nahm Marinas Einladung an, vor der Rückreise nach Córdoba noch einige Tage in Genf zu verbringen. Marinas Gesellschaft würde ihr guttun; es gelang ihr immer, sie aufzumuntern.

Es tat Francesca gut, ihr Herz ausschütten und von ihrer bitteren Erfahrung erzählen zu können. Endlich konnte sie in Marinas Armen weinen, wie sie es nicht gekonnt hatte, seit Kamal sie verlassen hatte. Doch ihr Herz blieb gebrochen. Die Vorstellung, dass Kamal in Zukunft nur noch eine Erinnerung sein sollte, ein Name, ein Bild, das mit der Zeit verblasste, wollte sie nicht akzeptieren. Sie fragte sich, wie sie zum täglichen Einerlei übergehen sollte, nachdem ihr das Leben mit ihm wie ein endloses Abenteuer erschienen war. Wie sollte sie verhindern, dass sie in jedem Mann nur ihn sah, dass die Küsse der anderen nach seinen Küssen schmeckten? Sie würde den Geruch seines Parfüms und den Klang seiner Stimme in der Menge suchen, sie würde nur darauf warten, dass das Telefon klingelte und der Briefträger kam. Tag und Nacht würde sie an ihn denken müssen. »Niemand stirbt aus Liebe«, hatte Kamal gesagt, aber sie wusste genau, dass dieser bohrende Schmerz sie am Ende umbringen würde.

»Ich kann mir vorstellen, dass das, was dir passiert ist, sehr traurig ist«, räumte Marina ein, »aber du hast immerhin das Glück gehabt, geliebt zu haben und geliebt worden zu sein. Ich hingegen weiß nicht mal, was Liebe ist.«

Diese Worte gingen ihr tagelang durch den Kopf und halfen ihr tatsächlich ein wenig aus dem Zustand tiefer Verzweiflung, in den sie verfallen war. Zurück blieb nur die Traurigkeit, die ihre Freundin sie mit ihren Einfällen hin und wieder vergessen ließ. Eines Abends schlenderten sie am Ufer der Genfer Sees entlang und schleckten ein Eis, als Marina sie plötzlich nach Aldo fragte. Francesca dachte einen Moment nach, dann sagte sie: »Ich befürchte, nach Kamal al-Saud werde mich nie wieder in einen anderen Mann verlieben können.«

»Und was wäre, wenn Aldo es nach deiner Rückkehr nach Córdoba noch mal versuchen würde?«

»Nicht mal wenn Aldo verwitwet wäre, würde ich zu ihm zurückkehren«, antwortete Francesca. »Und das sage ich nicht, weil ich nachtragend bin, sondern einfach nur, weil mein Herz Kamal gehört. Ich würde jeden anderen Mann betrügen, wenn ich eine Beziehung mit ihm anfangen würde.«

Drei Wochen später war Francesca noch immer in Genf und hatte trotz der Bitten ihrer Mutter wenig Lust, nach Córdoba zurückzukehren. Aber Marinas Urlaub ging zu Ende, und es hatte keinen Sinn, ihren Abflug noch länger hinauszuschieben.

***

Letzten Endes war es nicht so schwer gewesen, ihr Leben in Córdoba wieder aufzunehmen, wie sie erwartet hatte. Die Zuwendung ihrer Freunde, insbesondere aber ihrer Mutter und ihres Onkels Fredo, war Balsam für ihre verwundete Seele gewesen. Sie hatte nur Fredo von der Entführung erzählt, und sie waren übereingekommen, Antonina gegenüber nichts davon zu erwähnen. Sofía war enttäuscht, als sie hörte, dass aus der Romanze zwischen ihrer Freundin und dem saudischen Prinzen nichts geworden war, musste aber zugeben, dass sie froh war, sie wieder bei sich zu haben.

Francesca zog nicht wieder in die Villa der Martínez Olazábals. Sie hätte es auch nicht getan, wenn Aldo nicht dort gewohnt hätte. Für sie war diese Etappe ihres Lebens vorbei. Es war an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen, und sie hatte begonnen, sich nach einer Wohnung umzusehen.

»Ich bin dagegen, dass du zur Miete wohnst«, sagte Fredo. »Das ist aus dem Fenster geworfenes Geld. Du weißt ja, dass du jederzeit bei mir willkommen bist und so lange bleiben kannst, wie du möchtest. Außerdem erbst du die Wohnung sowieso, wenn ich mal sterbe. Deiner Mutter wird der Gedanke überhaupt nicht gefallen, dass du ausziehst und alleine wohnst. Sie wird entsetzt sein.«

»Mit diesen Argumenten kannst du mich nicht überzeugen«, erklärte Francesca. »Ich habe schon lange keine Angst mehr vor meiner Mutter. Ich bleibe bei dir wohnen, bis ich etwas Vernünftiges gefunden habe. Du kannst mich nicht umstimmen, Onkel Fredo. Demnächst ziehe ich aus.«

»Wenn du so fest entschlossen bist«, hakte Fredo nach, »warum kaufst du dir dann keine Wohnung?«

»Weil ich dafür nicht genug Geld habe.«

»Ich gebe es dir.«

»Das kann ich nicht annehmen.«

»Warum kannst du das nicht annehmen?«, regte sich Fredo auf. »Ich gebe dir das Geld, weil du für mich der wichtigste Mensch auf der Welt bist. Ich will immer nur das Beste für dich, Francesca. Nimm mir diese Freude nicht.«

»In Ordnung«, gab sie schließlich nach und hakte sich bei ihrem Onkel unter.

Francesca bemühte sich, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Oft sagte sie sich, dass es dumm war, nur in der Vergangenheit zu leben, und fand für kurze Zeit die Energie, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Doch bei jeder Kleinigkeit kamen die Erinnerungen wieder hoch, und sie versank aufs Neue in ihrem Kummer. Sie fand es eine tröstliche Vorstellung, dass die Wunde mit der Zeit heilen würde, doch die Zeit verging langsam, eine Minute erschien ihr wie Stunden, und jede einzelne Sekunde dachte sie nur an ihn. Manchmal wich der Schmerz einer ohnmächtigen Wut, und sie hätte Kamal geohrfeigt, wenn er vor ihr gestanden hätte. Für sie gab es nur eine Erklärung dafür, dass er sie verlassen hatte: Es war der Preis, den er für den Thron von Saudi-Arabien bezahlte. Sie brauchte sich nichts vorzumachen, sie hatte es immer gewusst: Kamal liebte sein Volk mehr als alles andere. Doch wenn die Wut verrauchte, brachte sie die Erinnerung an seine heißen Küsse und seine leidenschaftlichen, fordernden Hände fast um den Verstand, und sie fand keinen Schlaf.

Francesca mochte ihre Arbeit bei der Zeitung. Das Versprechen ihres Onkels galt nach wie vor, und sie würde bald ihren ersten Artikel veröffentlichen. Fredo hatte sie gebeten, eine Reihe über die OPEC zu schreiben, und sie war seit Tagen mit Recherchen und Schreiben beschäftigt. Gegen Mittag fiel ihr wieder ein, dass sie mit Sofía im Dixie verabredet war, einem angesagten Lokal, in dem man außerdem gut aß. Francesca zog den Mantel über und rannte den Bulevar Chacabuco hinunter, weil sie spät dran war.

»Tut mir leid«, sagte sie atemlos. »Ich bin zu spät.«

»Nicht schlimm. Ich bin gerade erst gekommen«, sagte Sofía. »Lass uns gleich bestellen, ich habe einen Mordshunger.«

Sofía hatte ihre ansteckende Fröhlichkeit wiedergefunden, die vor ihrer tragischen Schwangerschaft so typisch für sie gewesen war. Francesca beobachtete mit einem Lächeln auf den Lippen, wie sie beim Kellner ihre Bestellung aufgab, froh darüber, dass sie sich wieder gefangen hatte. Sofía machte ihr Hoffnung. In einer spontanen Geste griff sie über den Tisch hinweg nach ihrer Hand und drückte sie. Sofía sah sie überrascht an und lächelte dann ebenfalls.

»Du siehst glücklich aus«, bemerkte Francesca und setzte hinzu: »Und das macht mich glücklich.«

»Ich bin glücklich«, bestätigte Sofía. »Ich treffe mich wieder mit Nando. Er ist zu mir zurückgekehrt!« Francesca sah sie überrascht an. »Er hat mir gesagt, dass er mich immer noch liebt und dass er nicht ohne mich leben kann. Er hat es versucht, aber es ist ihm nicht gelungen. Ach, Francesca, ich bin so glücklich!«

Die beiden Frauen stocherten in ihrem Essen herum und aßen nur wenig. Francesca dachte an Sofías glückliche Lage, die ihr ihr eigenes Unglück noch stärker vor Augen führte. Nando war ein richtiger Kerl, ganz anders als Kamal. Er war in die Stadt zurückgekehrt, wo man ihn so schlecht behandelt hatte, um die Frau wiederzusehen, die er liebte – trotz aller Steine, die man ihm in den Weg legen würde, denn sich mit den Martínez Olazábals anzulegen war nicht ohne.

»Ich freue mich sehr für dich, wirklich«, sagte sie schließlich. »Du kannst auf meine Hilfe zählen, Sofía. Damals konnte ich dir nicht helfen, aber dieses Mal werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, damit eure Liebe Bestand hat. Alles«, beteuerte sie und drückte erneut ihre Hand.

»Fürs Erste würde ich gerne sagen dürfen, dass ich heute Abend bei dir in Fredos Wohnung übernachte.«

»In Ordnung«, sagte Francesca und konnte nicht verhindern, dass der Neid sie überkam. Auch sie hätte gern die Nacht in den Armen ihres Liebsten verbracht.

»Darf ich mich setzen?«

Sofía und Francesca blickten auf. Vor ihnen stand Aldo. Unverwandt blickte er Francesca an und wartete auf eine Antwort. Francesca bemerkte eine Entschlossenheit an ihm, die sie überraschte; er sah gut aus, war gut gekleidet und ordentlich gekämmt. Sie roch den gleichen Duft, den er auch damals in Arroyo Seco benutzt hatte. Dieser Aldo hatte nichts mit dem weinerlichen Trinker zu tun, den Sofía in ihren Briefen geschildert hatte. Francesca stand auf, fischte ein paar Geldscheine aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch.

»Wir sehen uns heute Abend bei Onkel Fredo«, sagte sie zu Sofía, während sie den Mantel anzog.

»Francesca, bitte«, flehte Aldo. »Geh noch nicht. Ich muss mit dir reden.«

»Wir haben uns nichts zu sagen«, stellte sie klar.

»Francesca, bitte«, mischte sich Sofía ein.

»Lass mich dich wenigstens zur Redaktion begleiten«, bat Aldo.

Sie sahen sich erneut an. Francesca wollte nicht den Eindruck erwecken, Groll gegen ihn zu hegen; sie hatte ihm längst verziehen. Vielleicht war es auch nicht so sehr Verzeihen, sondern vielmehr Vergessen – oder auch Gleichgültigkeit. Daher stimmte sie schließlich zu. Am Anfang fühlte Francesca sich unwohl, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Aldo hingegen schien allein damit glücklich zu sein, ihr nahe zu sein. Er betrachtete sie unauffällig und unterdrückte den Impuls, ihre Hand zu ergreifen. Schließlich sagte er: »Du bist schöner denn je.«

»Danke.«

»Du bist seit zwei Monaten wieder hier, oder?«

»Ja, fast.«

»Und warum?« Francesca sah ihn zum ersten Mal an. »Ich meine, warum bist du zurückgekommen? Hat dir deine Arbeit in der Botschaft nicht gefallen?«

»Ganz im Gegenteil, sie hat mir großen Spaß gemacht.«

»Warum dann?«

»Ich musste. In Anbetracht der Umstände war es das Vernünftigste.«

»Umstände? Welche Umstände?«, fragte Aldo, aber Francesca schwieg. »Dass du dich mit einem Prinzen aus dem saudischen Königshaus eingelassen hast, zum Beispiel?«

»Nicht wirklich«, entgegnete sie, und ihre Stimme wurde hart, als sie sagte: »Nicht, weil ich mich mit einem Prinzen aus dem saudischen Königshaus eingelassen habe, sondern weil ich mich unsterblich in ihn verliebt habe.«

Das letzte Stück gingen sie schweigend nebeneinander her. Als sie schon fast das Redaktionsgebäude erreicht hatten, nahm Aldo seinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Es macht mir nichts aus.«

»Was macht dir nichts aus?«

»Dass du einen anderen geliebt hast.«

Sie blieben vor dem Eingang von El Principal stehen. Francesca wollte sich schnell verabschieden, aber Aldo stand einfach da und sah sie an. Sie brachte es nicht übers Herz, ihm wehzutun.

»Ich muss wieder ins Büro«, sagte sie schließlich.

»Ja, natürlich, entschuldige.«

Francesca wollte ihm die Hand geben, aber Aldo nahm sie in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich liebe dich immer noch. Ich konnte dich nie vergessen. Ich liebe dich immer noch wahnsinnig.«

»Lass mich los, Aldo.«

»Verzeih«, sagte er und trat einen Schritt zurück.

Als Francesca sich abwenden wollte, hielt er sie am Handgelenk zurück.

»Ich lasse dich nicht gehen, bevor du mir versprochen hast, heute mit mir zu Abend zu essen.«

»Ich kann nicht. Deine Schwester übernachtet heute bei mir.«

»Dann morgen Abend.«

»Morgen Abend ist gut«, sagte sie und ging hinein.

Als Francesca am nächsten Tag ins Büro kam, klingelte das Telefon. Nora, Fredos Sekretärin, legte die Hand auf den Hörer und flüsterte mit betretener Miene: »Es ist Aldo Martínez Olazábal.«

Francesca verließ ihren Platz und nahm den Hörer.

»Hallo.«

»Hallo«, antwortete er, und seiner Stimme war anzuhören, dass er nervös war. »Entschuldige, dass ich dich so früh auf der Arbeit störe.«

»Schon gut, nicht weiter schlimm.«

»Gestern haben wir uns so schnell verabschiedet, dass ich keine Zeit hatte, dir zu sagen, dass ich dich um acht Uhr bei deinem Onkel abholen komme. Ich habe einen Tisch im Luciana reserviert, einem Pasta-Restaurant am Cerro de las Rosas. Ist das in Ordnung für dich?«

»Ja, sehr gut. Ich werde um acht Uhr fertig sein. Bis dann.« Damit legte sie auf.

Nora sah sie fragend an, und Francesca zuckte mit den Schultern.

»Es ist nicht, was du denkst«, stellte sie klar.

»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, gab die Sekretärin zu.

»Wenn ich ihm nicht ein für alle Mal erkläre, wie es um uns steht, wird er mich nie in Ruhe lassen.«

»Da hast du recht«, stimmte Nora zu und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

In Wirklichkeit wurde Francesca doch von Rachegedanken geleitet. Wenn Kamal sie so einfach abservieren und vergessen konnte, dann konnte sie das auch. Und da war Aldo Martínez Olazábal das beste Mittel zum Zweck. Es war ihr völlig egal, dass er verheiratet war und sich mit ihr im Luciana zeigen wollte, als ob sie seine Geliebte wäre. Sie wollte ausprobieren, wie weit sie gehen konnte. Der Groll ließ sie ihre Skrupel vergessen. Aldo sah besser aus, als sie erwartet hatte. Gut, er war ganz anders als Kamal, der ein richtiger Mann war. Aldo wirkte immer noch jungenhaft mit seinen weichen Gesichtszügen und dem sanften Blick. In einer Beziehung würde immer sie die Stärkere und er der Nachgiebige sein – anders als bei Kamal. Aber dazu würde es nicht kommen, dafür würde sie schon sorgen.

***

Aldo holte sie wie versprochen um acht Uhr ab. Sie bat ihn nicht nach oben, sondern sagte ihm, dass sie gleich runterkommen würde. Fredo hielt nämlich absolut nichts von dieser Verabredung.

»Ich hoffe, deine Mutter erfährt nicht, dass du wieder mit dem jungen Martínez Olazábal ausgehst.«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Francesca, »es wird nichts passieren. Ich will die Sache mit ihm nur ein für alle Mal klären.«

»Tu, was du tun musst«, bemerkte Fredo, »aber tu nichts, was dir nicht guttut.«

»Ach, Onkel Fredo«, seufzte Francesca, während sie die Jacke anzog. »Woher soll man wissen, welche Entscheidungen gut für uns sind und welche nicht?«

»Man kann das eine gut von dem anderen unterscheiden.«

»Du hast recht. Das Problem ist, auf den Verstand zu hören, wenn unser Herz uns das Gegenteil sagt. Ich wusste, dass ich mich nicht mit Aldo einlassen durfte, und habe es doch getan. Ich wusste auch, dass ich mich nicht mit Kamal al-Saud einlassen durfte, und habe es doch getan. Und in beiden Fällen war ich am Ende die Leidtragende.«

»Na, dann weißt du jetzt, dass man nicht immer auf sein Herz hören soll.«

»Ach, Onkel, wenn das nur ginge«, seufzte sie noch einmal.

Fredo küsste sie auf die Stirn, und Francesca umarmte ihn.

Aldo lehnte unten an seinem Auto und wartete. Als er sie sah, strahlte er übers ganze Gesicht, und Francesca empfand dieselbe liebevolle Zärtlichkeit für ihn, die er früher in ihr geweckt hatte. Sie lächelte zurück und ließ zu, dass er sie auf die Wange küsste. Aldo überreichte ihr einen kleinen Strauß Veilchen.

»Du sagtest mal, das seien deine Lieblingsblumen.«

Francesca nickte, den Blick auf die blauen Blumen gerichtet. Sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass das gewesen war, bevor sie Kamelien kennengelernt hatte. Sie befestigte das Sträußchen an der Brosche, die sie am Mantelaufschlag trug. Es duftete gut. Aldo hielt ihr die Beifahrertür auf, und Francesca stieg ein.

»Das Lokal, das ich ausgesucht habe, wird dir gefallen, du wirst sehen.«

»Stört es dich nicht, wenn wir zusammen dort gesehen werden?«, fragte Francesca wie nebenbei.

»Überhaupt nicht.«

Sie erwähnten Aldos Ehe nicht mehr, weder direkt noch indirekt. Es wurde tatsächlich ein netter Abend, ganz entgegen Francescas Erwartungen. Sie erzählte Aldo von ihrem Leben in Genf, von den Spleens ihres Chefs und wie nett Marina gewesen sei, und er erzählte ihr von seiner Arbeit auf den Landgütern der Martínez Olazábals, davon, wie überrascht er gewesen sei, als er feststellte, wie gut ihm das Landleben gefiel, und dass sich das Verhältnis zu seinem Vater sehr verbessert habe.

»Wir sind jetzt das, was wir nie waren«, erklärte er. »Freunde.«

»Das freut mich«, sagte Francesca und meinte es aufrichtig. Sie erhob ihr Glas und sagte: »Auf deinen Vater.«

»Auf meinen Vater.«

Dann stellte Aldo das Glas ab und sah Francesca verlegen an.

»Ich habe schlechte Neuigkeiten für dich«, sagte er. »Mein Vater hat Rex verkauft.«

»Ich weiß.«

»Du weißt es schon? Hat Sofía dir davon erzählt?«

»Sofía hat noch kein Wort darüber verloren, wahrscheinlich traut sie sich nicht. Ich weiß es aus anderer Quelle.«

»Er hat ein Vermögen eingebracht, mehr, als er wert war, glaube ich. Don Cívico sagt, dass der Käufer sehr hartnäckig war und eine Summe geboten hat, die man nicht ausschlagen konnte. Ich erfuhr erst davon, als das Geschäft schon gelaufen war. Sonst hätte ich es verhindert.«

»Kamal al-Saud hat Rex für mich gekauft«, sagte Francesca ganz ruhig, und Aldo sah sie verwirrt an.

»Ich vermute mal, das ist der Prinz, den du in Saudi-Arabien kennengelernt hast.«

»Ja. Er hat einen seiner Agenten geschickt, um mit deinem Vater über den Kauf von Rex zu verhandeln.«

»Er muss dich sehr geliebt haben«, sagte Aldo niedergeschlagen.

»Nicht genug«, erklärte Francesca, und setzte dann hinzu: »Bestellen wir die Rechnung?«

Draußen auf der Straße drückte Aldo sie gegen das Auto und küsste sie. Es war ein stiller, sanfter Kuss, ohne die Leidenschaft, die sie an den Abenden in Arroyo Seco erfüllt hatte, der sie aber keineswegs vermuten ließ, dass dieser Mann nicht in der Lage sein würde, ihr Lust zu verschaffen. Sie mochte es, wie er sie küsste; sie entdeckte einen neuen Aldo, der in sich ruhte und voller Selbstvertrauen war. Aber sie konnte nicht anders, als zu vergleichen, es geschah einfach, als seine Lippen die ihren berührten und seine Hände unter ihren Mantel glitten und ihre Taille umfassten. In diesem Moment sehnte sich Francesca nach Kamals Küssen. Er hatte es immer geschafft, sie zu überraschen; manchmal war er fordernd gewesen, manchmal hemmungslos, manchmal sanft und zärtlich. Wie bei allem hatte er den Takt vorgegeben, und sie war ihm blind gefolgt.

»Ich bin verrückt nach dir«, hauchte Aldo. »Ich will mit dir zusammen sein.«

»Ich bin nicht bereit dazu«, gestand Francesca und machte sich von ihm los.

»Denkst du noch an diesen Araber?«

»Nein«, log sie.

»Stört es dich, dass ich noch verheiratet bin? Ich habe Dolores heute Abend gesagt, dass ich die Trennung will.«

»Tu es nicht für mich«, sagte Francesca. »Ich glaube, ich würde auch dann nicht mehr mit dir zusammen sein wollen, wenn du ungebunden wärst.«

»Du denkst noch an diesen Mann«, sagte Aldo erneut und trat voller Wut gegen den Autoreifen.

»Es liegt nicht an ihm und nicht an dir. Es liegt an mir. Ich brauche Zeit. Ich bin noch nicht bereit, mich wieder einem anderen Mann hinzugeben. Ich habe zu sehr gelitten, Aldo. Ich bin noch nicht bereit, das musst du verstehen. Ich bin mir einfach nicht sicher.«

Aldo lehnte seine Stirn gegen Francescas Stirn und streichelte ihre Wange. Francesca merkte, dass er weinte.

»Lass mir wenigstens eine Hoffnung«, bat er. »Ich vergehe vor Sehnsucht nach dir. Wenn ich daran denke, dass du jetzt meine Frau sein könntest, wenn ich nicht so feige gewesen wäre, würde ich mir am liebsten eine Kugel in den Kopf jagen.«

»Sag so etwas nicht!«

»Lass mir bitte eine Hoffnung«, wiederholte er.

»Gib mir Zeit«, bat sie.

»Ich gebe dir mein ganzes Leben.«

***

Es war gut, dass Aldo einige Tage nach dem Essen im Luciana zu dem Landgut in Pergamino abreiste. Francesca gab dem Chianti und dem romantischen, entspannten Ambiente die Schuld daran, wie dieser Abend verlaufen war. Sie hatte Aldo falsche Hoffnungen gemacht, obwohl sie sich eigentlich das Gegenteil vorgenommen hatte. Sie wusste, dass es zwischen ihr und Aldo nie mehr so sein würde wie in Arroyo Seco. Dennoch, es war ein schöner Abend gewesen, an dem sie festgestellt hatte, dass ihre Liebe sich in tiefe Zuneigung gewandelt hatte. Es war nicht ausgeschlossen, dass sie Freunde werden könnten. Doch Sofía war da anderer Meinung.

»Er hat Dolores um die Scheidung gebeten, obwohl er damit meine Mutter gegen sich aufgebracht hat. Und er hat es getan, weil du zurückgekehrt bist. Er will keine Freundschaft mit dir, Francesca. Er will dich als seine Frau.«

»Das geht nicht.«

»Dann sei ehrlich zu ihm und mach ihm keine Illusionen. Er ist in dem Glauben nach Pergamino gefahren, dass du bei seiner Rückkehr ja sagen wirst.«

»Wie läuft es eigentlich mit Nando?«

»Wunderbar – ich bin so schrecklich verliebt, Francesca!«

Zumindest Sofía war glücklich. Vielleicht sollte sie die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Letztendlich war das Leben genau das: ein ständiges Auf und Ab. Sie machte gerade ihren schlimmsten Moment durch, aber es würden auch wieder bessere Zeiten kommen. Manchmal spürte Francesca das dringende Verlangen, wieder aus Córdoba wegzugehen. Sie fühlte sich wie gefangen an diesem Ort, der ihr nicht viel zu bieten hatte. Nach den Monaten im Ausland und den Erfahrungen, die sie gemacht hatte, erwartete sie mehr vom Leben. Ihr genügte das ruhige, eintönige Córdoba nicht mehr, sie fand es beengt und langweilig, provinziell und glanzlos, konservativ und spießig. Sie trug sich ernsthaft mit dem Gedanken, nach Buenos Aires zu ziehen, und sprach mit ihrem Onkel Fredo darüber.

»Ich dachte, du wärst zufrieden mit deiner Arbeit bei der Zeitung«, sagte er enttäuscht. »Nachdem du jetzt deinen ersten Artikel veröffentlicht und gute Kritiken bekommen hast, dachte ich, du würdest dabeibleiben.«

»Ich will dabeibleiben«, stellte Francesca klar, »nur nicht hier. Córdoba nimmt mir die Luft zum Atmen, Onkel. Ich fühle mich nicht wohl hier.«

»Es ist wegen Aldo, stimmt’s? Er ist wieder hinter dir her.«

»Nein, wirklich nicht. Ich stehe mir selbst im Weg.«

»Ich weiß nicht, wie deine Mutter das aufnehmen wird.«

»Du wirst sie schon überzeugen«, versicherte Francesca lachend. »Niemand hat so viel Einfluss auf sie wie du.«

»Was redest du denn da?«, wehrte Fredo verlegen ab. »Ich und Einfluss auf deine Mutter?«

»Ja. Ist dir nicht aufgefallen, dass alles, was ›Alfredo‹ sagt, einem heiligen Wort gleichkommt? Hast du nicht gemerkt, wie sie dich anschaut, wenn sie dich sieht, und wie sie dich anschaut, wenn sie dir beim Reden zuhört? Ich glaube, sie ist verliebt in dich.«

»Francesca!«, rief Fredo empört.

»Doch, das glaube ich.«

»Hast du wirklich den Eindruck, dass sie … also, dass deine Mutter ein Auge auf mich geworfen hat?«

»Nur ein Blinder würde das nicht merken.«

Nachdenklich blickte Fredo sie an, um ihr schließlich ein strahlendes Lächeln zuzuwerfen.