12. Kapitel

Francesca legte die Hände an ihren Hals, dorthin, wo Kamal vorhin mit seinen Lippen entlanggewandert war. Aldo hatte sie nie so geküsst, dachte sie mit geschlossenen Augen und mühsam atmend. Diese unbeherrschte und leidenschaftliche Berührung hatte sie um den Verstand gebracht. Sie gab sich alle Mühe, empört zu sein über das ungehobelte Verhalten des Prinzen. Doch ihre Wut hielt nicht lange an, und je ruhiger sie wurde, desto deutlicher spürte sie das Kribbeln in der Magengegend.

Sie überlegte, ob sie sich beim Abendessen entschuldigen lassen sollte. Doch dann entschied sie, sich gleichgültig und selbstbeherrscht zu geben, und ging nach unten. Obwohl bereits alle im Salon versammelt waren, hatte sie nur Augen für ihn. Er trug eine beigefarbene Hose zum weißen Hemd, sein Kopf war unbedeckt. Francesca hatte noch nicht oft sein dunkelbraunes, gelocktes Haar gesehen. ›Wie schön er ist!‹, dachte sie.

Méchin reichte ihr seinen Arm, um in den Speisesaal zu gehen. Mit seinem galanten Geplauder gelang es dem Franzosen, sie abzulenken und zu beruhigen. Mauricio sah sie irritiert an und warf Kamal hin und wieder fragende Blicke zu, die dieser mit gleichgültiger Miene erwiderte. Valerie war noch aufdringlicher und provokanter als sonst – so sehr, dass Professor Le Bon sich mehrmals räusperte und immer wieder auf die Einzelheiten ihres Aufenthalts in Jordanien zu sprechen kam. Valerie jedoch schienen die Ablenkungsversuche ihres Vaters nicht zu interessieren. Sie saß neben Kamal und streifte ihn immer wieder zufällig, legte ihre Hand auf seine und sah ihm tief in die Augen, wenn sich zufällig ihre Blicke trafen. Kamal aß und hörte zu, ohne auf Valeries Avancen zu achten. Wenn er Francescas Blick begegnete, sah er sie jedes Mal lange an, bis sie schließlich wegschaute.

»Jordanien ist ein so schönes Land!«, beteuerte Professor Le Bon zum wiederholten Mal.

»Jordanien ist eine Erfindung der Engländer.« Es war das erste Mal an diesem Abend, dass Kamal etwas sagte. »Eigentlich müsste es zu Saudi-Arabien gehören. Es ist ein Land ohne Geschichte, eine reine Kopfgeburt.«

»Aber König Hussein ist sehr stolz auf seine Familie und sein Königreich«, warf Gustave Le Bon ein.

»Das ist alles Lawrence zu verdanken, der es den Osmanen abnahm«, erklärte Méchin.

»Welchem Lawrence?«, fragte Militärattaché Barrenechea.

»Jacques spricht von Thomas Edward Lawrence«, schaltete sich Dubois ein, »besser bekannt als Lawrence von Arabien.«

»Es war schon immer die Politik der Engländer, Gebiete, an denen sie Interesse hatten, zu teilen«, bemerkte Francesca und erschrak, als sie feststellte, dass sie allein das Wort ergriffen hatte und alle Blicke auf ihr ruhten.

»Wie meinen Sie das?«, fragte Kamal interessiert.

»Es handelt sich wohl um das alte Sprichwort ›Teile und herrsche‹.«

»Ach, Francesca, ständig redest du über Politik«, beschwerte sich Valerie. »Kennst du kein unterhaltsameres Thema?«

»Worüber sollte ich denn reden?«, entgegnete sie bissig. »Über die neueste Pariser Mode oder die Frisur, die Fürstin Gracia beim letzten Rotkreuzball getragen hat?«

Es herrschte Schweigen, bis Le Bon nach einigen Sekunden sagte: »Du solltest dich mehr für Bildung und Wissen interessieren, so wie Francesca. Dann könnten wir während unserer ausgedehnten Reisen interessantere Gespräche führen, und ich würde mich nicht so langweilen.«

»Aber ich«, bemerkte Valerie spitz.

Nach dem Essen führte Méchin ein vertrauliches Gespräch mit Kamal.

»Du weißt, ich komme immer gleich auf den Punkt«, rief er Kamal in Erinnerung, nachdem die Tür zum Arbeitszimmer geschlossen war.

Kamal setzte sich und spielte mit seiner Perlenkette.

»Schieß los«, sagte er.

»Was hast du mit Mauricios Sekretärin vor?«

Kamal kannte Méchin, seit er denken konnte. Er war der beste Freund seines Vaters gewesen. Deshalb hatte Abdul Aziz ihn für die Zeit, die er im Ausland studiert hatte, zu seinem Vormund bestimmt. Kamal respektierte ihn, weil er trotz der Marotten, die er als typischer Pariser hatte, ein höflicher Mensch und ein kluger Kopf war. Und er liebte ihn, weil er wusste, dass Jacques Méchin in ihm den Sohn sah, den er nie gehabt hatte.

»Warum fragst du?«, erkundigte er sich gleichgültig und zündete sich eine Zigarette an.

»Kamal, niemand kennt dich so gut wie ich. Jedem anderen kannst du etwas vormachen, aber mir nicht.«

»Ich habe nicht die Absicht, jemandem etwas vorzumachen.«

»Komm mir nicht mit deinen Wortverdrehereien und deinem ausweichenden Schweigen. Ich habe die Blicke gesehen, die ihr beim Abendessen gewechselt habt. Sogar Valerie Le Bon hat es bemerkt. Ich weiß, dass du sie begehrst und sie erobern willst.« Kamal sah ihn an und rauchte dabei. »Ist dir klar, dass Mauricio in sie verliebt ist?«

»Hat er dir das gesagt?«

»Nein. Du weißt, dass er sehr zurückhaltend ist. Aber das würde selbst ein Blinder sehen. Er ist wie ausgewechselt, seit das Mädchen bei ihm ist.« Méchin sprach weiter. »Das Land deines Vaters geht durch die schwerste Krise seit seiner Gründung. Dein Bruder Faisal hat die diesjährige Staatsverschuldung bekanntgegeben und erklärt, dass sie im Vergleich zum Vorjahr alarmierend gestiegen sei. Man erwartet von dir, dass du das Heft in die Hand nimmst. Die Situation in der Familie ist angespannt – gefährlich angespannt, wage ich zu behaupten. Saud wird nicht zulassen, dass man ihn verdrängt. Aber deine Onkel und Faisal sind fest entschlossen, ihn zu entmachten und dich an die Spitze zu heben. Und in diesem ganzen Durcheinander fällt dir nichts Besseres ein, als nach Dschidda zu fahren, um Mauricios Sekretärin zu verführen? Lass das arme Mädchen in Ruhe; sie ist unschuldig und zart wie eine Gazelle. Du wirst sie unglücklich machen, wenn du unter diesen Umständen etwas mit ihr anfängst.«

***

Francesca arbeitete den ganzen Morgen und bis in den Nachmittag hinein mit ihrem Chef zusammen, der damit beschäftigt war, die Ergebnisse des Treffens mit den Italienern zu analysieren und den Bericht zu überarbeiten, den er dem Militärattaché mitgeben wollte, der am nächsten Tag nach Riad zurückfuhr. Die Stunden mit Mauricio erschienen ihr endlos lang, aufgewühlt und übernächtigt, wie sie war. Außerdem kam er ihr ernst und distanziert vor, verärgert vielleicht, und sie machte sich große Gedanken deswegen. Sie war sicher, dass es wegen der kleinen Szene mit Valerie Le Bon war, und wünschte, sie hätte den Mund gehalten.

Sie war nicht mehr sie selbst, so übermächtig waren ihre Gefühle. Sie entschied sich, einen Ausritt zu machen. Reiten hatte sie immer beruhigt. Sie ließ Fadhil durch eine Dienerin ausrichten, dass sie Nelly reiten wollte, die Stute, die Kamal ihr zur Verfügung gestellt hatte. Sie zog ihr Reitkostüm an und band ihr Haar zum Pferdeschwanz. Dann sah sie auf die Uhr: halb vier. Gestern um diese Zeit war sie mit Kamal durch die Ställe gegangen, wie bezaubert von seiner Stimme, angezogen von seiner Persönlichkeit und beeindruckt von seiner Schönheit. Dann hatte er sie geküsst, ein Kuss, der immer noch auf ihren Lippen und auf ihrem Hals brannte. Sie verließ das Zimmer und ging nichtsahnend in den Salon. Dort traf sie auf Kamal und Valerie, die sehr nahe beieinander auf den Polstern saßen. Der Anblick traf sie wie ein Schlag.

»Verzeihung«, murmelte sie und rannte blindlings hinaus. Tränen verschleierten ihren Blick, und sie sah kaum, wohin sie lief.

Der Stallbursche, der Nelly am Zügel führte, erschrak, als Francesca ihm die Reitgerte entriss, sich auf den Rücken der Stute schwang und derart heftig auf das Tier einhieb, dass es sich aufbäumte, bevor es losgaloppierte. Als Kamal dazukam, schaute der Bursche noch immer fassungslos Francesca und der Stute hinterher. »Mach mir Pegasus bereit!«, wies er ihn an.

Francesca hieb mit der Reitgerte auf Nelly ein, die mit angelegten Ohren vorwärtsjagte. Über den Pferderücken gebeugt, ließ sie sich vom Wind, dem Donnern der Hufe und dem Keuchen des Tieres betäuben, das nun nicht mehr zu halten war. Francesca wusste das und ließ es galoppieren. Sie schloss die Augen, und bei dem Gedanken daran, wie Valerie Kamals Hals umklammert hatte, schossen ihr erneut Tränen der Wut über die Wangen. Sie peitschte noch einmal auf Nelly ein, und das Pferd warf wiehernd den Kopf zurück.

Pegasus war das schnellste Pferd im Stall. Es dauerte nicht lange, bis Kamal Francesca entdeckte, die bereits die Grenzen des Anwesens hinter sich gelassen hatte und durch die Dünen aufs Meer zupreschte. Er stellte fest, dass die Kräfte der Stute nachließen und der Abstand zwischen ihnen rasch geringer wurde.

»Francesca, bleib stehen!«, brüllte er. »Bleib stehen, verdammt nochmal!«

Francesca blickte zurück. Kamal war näher, als sie gedacht hatte. Sie konnte sogar deutlich erkennen, wie wütend er war. Sie hieb heftig auf Nellys Kruppe ein und trieb sie weiter an, aber Pegasus war schneller. Kurz darauf bemerkte sie aus dem Augenwinkel die Nüstern des Hengstes. Kamals Schweigen machte ihr Angst, und sie hatte nicht den Mut, sich noch einmal nach ihm umzudrehen. Obwohl sie wusste, dass er sie bald eingeholt haben würde, ritt sie weiter, um ihm zu zeigen, dass sie ihm nicht gehorchte.

Kamal ritt ganz nah an Nelly heran und stellte sich in die Steigbügel. Dann beugte er sich zu Francesca herüber, hob sie aus dem Sattel und setzte sie vor sich. Francesca wusste nicht, wie ihr geschah, bis sie seinen eisernen Griff um sich spürte. Sie leistete heftigen Widerstand und versuchte, vom Pferd abzuspringen, das sich unter den brüsken Bewegungen aufbäumte und wütend schnaubte. Kamal bekam sie zu packen, bevor ihre Füße den Boden erreichten, während er den wild gewordenen Pegasus nur durch Schenkeldruck parierte.

»Halt still oder ich verpasse dir eine Tracht Prügel!«, drohte er.

Francesca drehte sich mit erhobener Hand zu ihm um, doch die ungezähmte Kraft, die aus den Augen des Arabers blitzte, ließ sie innehalten. Sie wagte es nicht einmal, ihn zu bitten, seinen Griff zu lockern. Stumm und reglos ertrug sie den bohrenden Schmerz in den Rippen, schluckte ihren Zorn hinunter und nahm die Demütigung hin, ihm unterlegen zu sein.

Kamal nahm Nelly am Zügel, die ein paar Meter weiter stehengeblieben war, und machte dann kehrt. Zunächst war er noch sehr aufgewühlt, doch dann beruhigte sich sein Puls, und er wurde ruhiger. Mit einer ungeschickten Bewegung zog er Francesca noch näher an sich heran und stellte erfreut fest, dass sie nachgab und ihren Rücken an seine Brust lehnte. Schweigend ritten sie zum Anwesen zurück, zu wütend zum Reden. Pegasus’ gleichmäßige Schritte und die warme Berührung ihrer Körper ließ sie in sanfte Lethargie verfallen.

Als sie ankamen, lockerte Kamal seinen Griff und half ihr vom Pferd.

»Schau mich an!«, befahl er ihr leise, während er sich aus dem Sattel hinunterbeugte und ihr Kinn anhob. »Glaub nicht, dass ich nach allem, was ich getan habe, um dich zu erobern, zulassen werde, dass ich dich wegen dieser aufdringlichen Valerie verliere. Wir reden später. Jetzt geh und ruh dich aus.«

Er gab seinem Pferd die Sporen und brachte Pegasus und Nelly zu den Stallungen.

***

Es klopfte an Francescas Zimmertür. Ihr Herz begann zu rasen. Sie öffnete. Es war Sadun. Der Herr Kamal lasse sie zu sich bitten. Sie kämmte sich zu Ende und ging dann hinunter, fest entschlossen, dieser absurden Situation ein Ende zu machen.

Der Hausverwalter führte sie ins Arbeitszimmer. Dort stand Kamal vor dem Schreibtisch und betrachtete einige Fotografien. Er sah Francesca nicht an und richtete auch nicht das Wort an sie, als wäre er allein und als hätte sie den Raum gar nicht betreten. Francesca blieb stehen und sah ihn an, besänftigt durch die gemessene Art und die ruhige Ausstrahlung des Arabers.

Kamal hatte ein Bad genommen und sich rasiert. Sein lockiges Haar war noch feucht, und der Duft von Moschus lag in der Luft. Was für ein seltsamer Mann, dachte sie. Er war unergründlich und rätselhaft, dabei war er gestern so anders gewesen, als er sie in seine Arme genommen und geküsst hatte.

Kamal ging ihr entgegen. Francesca wich zurück.

»Ich beiße nicht«, sagte er und hielt ihr dann die Fotografien hin.

Es waren Fotos von ihr und Marina beim Einkaufen in Genf, sie auf dem Weg zum Konsulat, sie auf dem Schiff über den Genfer See, sie neben dem Botschafter bei irgendeinem Cocktailempfang, sie vor dem Eingang ihres Hauses.

»Woher haben Sie die?«, fragte sie, und ihre Stimme versagte.

»Ich habe sie in Auftrag gegeben. Ich habe dich wochenlang beobachten lassen.«

Francesca sah ihn an und dann die Fotos, dann wieder von den Fotos zu ihm. Sie konnte nicht glauben, was sie sah und hörte.

»Dein vollständiger Name ist Francesca María de Gecco. Du bist am 19. Februar 1940 in Córdoba geboren. Dein Vater Vincenzo de Gecco starb, als du erst sechs Jahre alt warst, und deine Mutter Antonina d’Angelo musste eine Stelle als Hausangestellte bei einer reichen Familie annehmen, den Martínez Olazábals.«

»Warum?«, flüsterte Francesca. »Warum?«

»Weil ich dich eines Abends in Genf sah und nicht mehr ohne dich leben wollte. Ich wollte dich hier bei mir haben, in meiner Heimat, bei meinen Leuten, und habe dich herkommen lassen.«

Francesca schüttelte den Kopf und stammelte ein paar Worte in ihrer Muttersprache vor sich hin. Er war es gewesen. Die unerwartete Versetzung nach Riad war sein Werk. Bei dem Gedanken an die Frau des Botschafters musste sie lachen – ein Lachen, das sich mit Tränen der Angst und der Wut mischte. Kamal versuchte, sie zu berühren, doch sie stieß ihn angewidert zurück.

»Wagen Sie es nicht«, zischte sie. »Wofür zum Teufel halten Sie sich, dass Sie über mein Schicksal entscheiden, mich aus Genf wegholen und in dieses verfluchte Land voller unzivilisierter Wilder bringen? Weshalb? Wozu? Was habe ich Ihnen getan?«

Als Kamal erneut Anstalten machte, sich ihr zu nähern, stürzte sich Francesca auf ihn und hämmerte mit den Fäusten gegen seine Brust. Es war ein erbitterter, stummer Kampf, bis Kamal sie schließlich überwältigte. Unfähig, sich zu bewegen, weinte Francesca schließlich vor Wut in seinen Armen. Dann löste sie sich langsam von ihm und sah ihn fassungslos an.

»Weshalb haben Sie mich hierhergebracht?«, fragte sie noch einmal. »Weshalb haben Sie mich aus Genf weggeholt?«

»Weil ich dich für mich haben will.«

Francesca kehrte ihm den Rücken zu und schlug verwirrt die Hände vors Gesicht, überwältigt von der Realität, die ihr plötzlich so deutlich vor Augen geführt worden war. Tausend Dinge gingen ihr durch den Kopf, aber sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Als Kamal ihre Schultern berührte, zuckte sie zusammen.

»Hab keine Angst vor mir«, bat er.

Ja, sie hatte Angst vor ihm. Vor seiner magnetischen Anziehungskraft, seiner Macht. Er war ein Araber, ein harter, launischer Tyrann, und doch begehrte sie ihn so sehr! Wie sehnte sie sich danach, erneut von ihm geküsst zu werden und sich durch seine Leidenschaft lebendig zu fühlen!

»Das ist völlig verrückt«, dachte sie laut.

»Ja, das ist es!«, bestätigte er und drehte sie zu sich herum. »Es macht mich wahnsinnig, dich zu sehen, deine Stimme zu hören, deinen Duft zu riechen, dich zu berühren so wie jetzt. Ich verliere den Verstand vor Leidenschaft und Verlangen. Küss mich!«, befahl er, während er ihr Gesicht festhielt und ihre Lippen suchte.

Kamals Ungestüm ließ sie erschaudern. Sie gab jeden Widerstand auf, umschlang seinen Rücken und erwiderte seinen Kuss, seine Umarmungen mit derselben Leidenschaft, die von ihm ausging und sie unweigerlich mitriss. Es erschien ihr unsinnig zu versuchen, ihn nicht zu begehren. Sein Körper, sein Lächeln, seine Gesten, seine Augen, die sie verzaubert hatten – alles, was zuvor eine Qual für sie gewesen war, genoss sie nun rückhaltlos und ohne Gewissensbisse. Der Kampf zwischen dem, was sie tun sollte, und dem, was ihr Herz ihr sagte, war in diesem Augenblick ausgefochten.

»Was wird jetzt aus mir?«, fragte sie sich.

»Du gehörst zu mir«, antwortete Kamal.

»Wir sind so verschieden«, wandte sie ein. »Unsere beiden Welten haben sich immer bekämpft. Jahrhunderte voller Hass und Krieg stehen zwischen uns. Ach, Kamal, ich habe solche Angst!«

»Vergiss die Welt, die Religion, die Vergangenheit! Das Einzige, was zählt, ist die Leidenschaft, die wir füreinander empfinden. Hab keine Angst. Ich werde dich beschützen und nicht zulassen, dass dir jemand wehtut. Sag, dass du mir gehörst. Sag es!«

»Ja, ich gehöre dir!«

***

An diesem Abend erschien Valerie unter dem Vorwand, an Kopfschmerzen zu leiden, nicht beim Abendessen. Am nächsten Morgen reisten sie und ihr Vater sehr früh nach Paris ab. In den nächsten Tagen verging Francesca vor Glück. Morgens sprang sie voller Tatendrang aus dem Bett, und der Tag erschien ihr zu kurz, um das Gefühl auszukosten, das sie empfand, wenn Kamal in der Nähe war oder wenn er sie leidenschaftlich küsste.

Trotzdem machte sie sich Gedanken und wurde von Zweifeln geplagt. Vor allem fragte sie sich, was ihre Mutter und Fredo sagen würden, wenn sie davon erfuhren, und was Fadila und die restliche Familie al-Saud denken würden, die so sehr den Traditionen und dem Islam verbunden waren. Francesca wollte diese Zeit in Dschidda genießen, ohne sich Sorgen um die Zukunft zu machen, und gab sich damit zufrieden, dass Kamal sich um alles kümmern würde. Es gab Nächte, in denen sie nicht schlafen konnte, wenn sie darüber nachdachte, was es bedeutete, sich mit einem saudischen Prinzen einzulassen. Doch wenn Kamal am nächsten Morgen im Speisesaal mit dem Frühstück auf sie wartete und seine Augen vor Liebe leuchteten, wenn er sie sah, zählte das alles nichts mehr. Francesca brauchte nur seine Stimme zu hören oder ihn einen Raum betreten zu sehen, und ihre Befürchtungen waren wie weggeblasen und sie strahlte wieder vor Glück. Ihre Erfahrung mit Aldo erschien ihr nun, im Rückblick, kindisch und unreif. Sie hatte nur den einen Sinn gehabt, sie nach Riad, zu Kamal zu führen. Obwohl sie sich bemühte, es nicht zu tun, verglich sie die beiden miteinander, und dann kam ihr Aldo wie ein ängstlicher kleiner Junge vor, der nicht imstande gewesen war, den Vorurteilen einer konservativen Gesellschaft und Familie die Stirn zu bieten.

Wenn Kamal sich in sein Arbeitszimmer zurückzog oder geschäftlich nach Dschidda hineinfuhr, schienen sich die Stunden schier endlos hinzuziehen. Manchmal telefonierte er mehr als eine Stunde lang, auf Arabisch zwar und mit ganz normaler Stimme, doch der Schatten, der dabei auf seinem Gesicht lag, verriet ihr, dass sein Leben nicht nur eitel Sonnenschein war. Wenn sie ihn danach fragte, hüllte er sich in Schweigen. Er war außerordentlich geschickt darin, Fragen auszuweichen und das Thema zu wechseln. Bei einem Nachmittagsausritt auf dem Grundstück versuchte sie ihn dazu zu bringen, ihr mehr zu erzählen.

»Was bedrückt dich?«, fragte Kamal.

»Nichts. Ich will mehr über dein Leben erfahren, nachdem du ja alles über meines zu wissen scheinst.«

Kamal stieg ab und nahm Pegasus am Zügel, bevor er ihr half, von Nelly abzusteigen. Dann gingen sie zu dem Platz, wo die Stallburschen die Pferde bürsteten und striegelten. Francesca wusste nicht, ob er ihr antworten oder sich wie immer in Schweigen hüllen würde. Plötzlich blieb Kamal stehen und sah sie an.

»Es gibt Themen, in die ich dir nie Einblick gewähren werde«, erklärte er ernst. »Nicht, weil ich dir misstraue oder denke, dass du sie nicht verstehen würdest. Ich vertraue dir mehr als mir selbst und weiß, dass du eine äußerst kluge Frau bist. Trotzdem will ich dich von gewissen Dingen fernhalten. Es ist nur zu deinem Schutz.«

»Zu meinem Schutz? Soll das heißen, dass du in Gefahr bist?«

»Wer ist das nicht? Kann irgendjemand behaupten, das Leben sei ihm sicher?«

»Komm mir nicht mit deinen Weisheiten«, regte sich Francesca auf. »Du weißt genau, was ich meine.«

»Das ist alles, was du über mich wissen musst«, sagte Kamal. Ohne sich um die Anwesenheit der Stallburschen zu scheren, fasste er sie um die Taille und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.

***

Kamal behandelte sie wie die Hausherrin. Das Personal bediente sie voller Hochachtung und gehorchte ihr mit absoluter Bedingungslosigkeit, abgesehen von Sadun, der ihr aus dem Weg ging und sie kaum grüßte. In Gegenwart von Dubois und Méchin war Kamal zuvorkommend und aufmerksam und vermied es, sie mit Beweisen seiner Leidenschaft in Verlegenheit zu bringen. Sein ganzes Verhalten hatte nur das eine Ziel: dass es ihr gutging und sie sich wohl fühlte. Es kam Francesca so vor, als ob all seine Gedanken nur ihr galten. Sie besuchten den Bazar von Dschidda, wo Kamal seine Großzügigkeit unter Beweis stellte und das Geld mit vollen Händen ausgab. Je mehr sich Francesca sträubte, desto mehr kaufte er ihr. Sie aßen in einem traditionellen Restaurant zu Mittag, dann sahen sie sich die Stadt an. Kamal schwärmte für den alten Teil von Dschidda, der sich wesentlich von den modernen Vierteln unterschied, in denen der Einfluss der westlichen Architektur nicht zu übersehen war. Typisch für die Altstadt, die Kamal oft mit seinem Vater besucht hatte, waren die schmalen, weiß gekalkten Gässchen mit ihren zwei- bis dreistöckigen Häusern und den kleinen Kramläden. Ihr fielen die vorstehenden Erkerfenster an den Häusern auf. Sie waren aus bunt bemaltem Holz und vollständig vergittert.

»Sie sind so konstruiert«, erklärte er, »dass man hinausschauen kann, ohne gesehen zu werden.«

Diese Worte riefen ihr jenen Morgen in Riad in Erinnerung, als Malik sie zum Bazar gefahren hatte und sie hinter einem vergitterten Fenster dieses traurig glänzende Augenpaar erahnt hatte. Sah so ihre Zukunft an der Seite eines muslimischen Mannes aus? Würde sie durch ein Fenster nach draußen sehen müssen, ohne gesehen zu werden? Sie wollte sich nicht länger mit dem Gedanken an ein so bitteres Schicksal befassen, wo Kamal doch so anders auf sie wirkte. Trotzdem fragte sie ihn lieber nicht, weil sie sich vor der Antwort fürchtete. Schließlich gehörte er dieser Welt an und respektierte und achtete ihre Gesetze.

***

Eines Abends kam Francesca die Treppe hinunter und sah Mauricio im Salon sitzen und lesen. Sie betrachtete ihn von der Tür aus und fragte sich, ob er wohl wusste, dass Kamal hinter ihrer Versetzung nach Riad steckte. Sie erinnerte sich an seine Reaktion, als er in der Personalakte gelesen hatte, dass sie erst einundzwanzig war, und daran, was er dann gesagt hatte: »Eigentlich sollte jemand anders kommen, aber im letzten Moment, ich weiß nicht, warum, hat man sich für dich entschieden.« Es deutete alles darauf hin, dass er nichts mit den Manövern seines Freundes zu tun hatte.

Sie grüßte ihn. Mauricio legte das Buch beiseite und stand auf. Es überraschte sie, wie nervös er war; das war nicht mehr der Mauricio Dubois von früher, der formvollendete Chef, den sie so bewundert hatte. Sie sprachen über die Arbeit, und als sie ein Resümee ihres Aufenthalts in Dschidda zogen, stellte der Botschafter fest, dass die Reise seine Erwartungen übertroffen hatte, was die Kontakte und die getroffenen Abkommen anging. Dann sprach er davon, dass sie bald zurückfahren müssten. Seit der Abreise aus Riad waren zehn Tage vergangen, und die Tagesgeschäfte machten seine Anwesenheit in der Botschaft erforderlich. In ein paar Tagen sollte es zurückgehen.

»In ein paar Tagen?«, fragte Kamal, als er hereinkam, und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Kommt gar nicht in Frage, Mauricio. Ich habe gerade Nachricht von meinem Großvater erhalten; er trifft in Kürze in der Ramses-Oase ein und möchte dich bestimmt sehen. Nach so vielen Jahren kannst du ihm das nicht abschlagen. Du kennst den Alten – er wäre enttäuscht, wenn du ihn nicht besuchen würdest.«

Der Botschafter brachte zaghafte Einwände hervor, doch Kamal ließ keines seiner Argumente gelten. Schließlich willigte Mauricio ein, in zwei Tagen zu der Oase aufzubrechen, wo der Stamm von Scheich al-Kassib sein Lager aufschlagen würde.

»Ich habe die Pferde satteln lassen«, sagte Kamal dann und schaute zu Francesca. »Ich möchte dir etwas zeigen.«

Francesca, die den ganzen Tag darauf gewartet hatte, einen Augenblick mit ihm allein zu sein, ging sich rasch umziehen und kehrte nach wenigen Minuten in den Salon zurück. Kamal trug bereits seine Reitkleidung und unterhielt sich mit Dubois und Méchin. Sie sprachen leise, und ihre Mienen sahen besorgt aus. Angestrengtes Lauschen war sinnlos, denn sie sprachen Arabisch. Würde sie jemals diese unverständliche Sprache mit den gutturalen Lauten und der unklaren Symbolik lernen?

»Schön, du bist schon fertig«, bemerkte Kamal erfreut. »Dann lass uns gehen.«

Als Francesca und Kamal hinausgegangen waren, wechselten Jacques und Mauricio einen vielsagenden Blick.

»Sie leben in einem Traum, aus dem sie bald erwachen werden«, stellte Méchin fest, und Dubois nickte.


»Wohin bringst du mich?«, fragte Francesca ungehalten, denn es war schon über eine Stunde vergangen, seit sie das Anwesen hinter sich gelassen hatten.

»Du wirst schon sehen«, sagte er, und dann, mit einem belustigten Blick: »Du bist ungeduldig, wie es sich für eine gute Westlerin gehört.«

Je weiter sie kamen, desto mehr mischte sich das Grün von Palmen mit dem Goldton der Wüste, und das Gelände begann sich zu wellen, zunächst ganz sanft, dann in immer höheren Dünen. Hin und wieder streifte ein kühler Windhauch die Pferde, die nun in leichten Trab verfielen, und verschaffte ihnen Erleichterung, denn es war glühend heiß.

Francesca sah sich um. Die Stille in dieser völligen Einsamkeit war überwältigend und die Wüste von beängstigender Schönheit. Aber an Kamals Seite hatte sie keine Angst. Mit ihm konnte ihr nichts geschehen, seine Sicherheit flößte ihr Vertrauen ein. Er ritt mit hocherhobenem Kopf, den Blick aufmerksam, fast lauernd, in die Ferne gerichtet; sein Gesicht war angespannt und die Kiefer fest aufeinandergepresst. An den Unterarmen, mit denen er die Zügel hielt, zeichneten sich die Muskeln ab. Hoch oben auf einer Düne hielten sie an und sahen das Rote Meer zu ihren Füßen liegen.

»Das ist das erste Mal, dass ich das Meer sehe«, gab Francesca zu.

»Los!« Kamal gab Pegasus die Sporen und sprengte zum Strand hinunter.

Sie galoppierten an der Brandung entlang, das Wasser spritzte zu ihnen hoch, und ihre Hemden blähten sich im Wind. Francesca lachte vor Glück laut auf, und Kamal sah sie bezaubert an. Später ließen sie Nelly und Pegasus verschnaufen. Kamal breitete eine Matte aus, auf die sie sich setzen konnten. Francesca zog die Stiefel aus, krempelte die Hose hoch und lief erneut zum Strand. Sie beobachtete das Kommen und Gehen der Wellen, ging mit den Füßen ins Wasser und wurde nass, als sie nach Muscheln suchte.

Kamal stützte sich auf die Ellenbogen, um sie zu beobachten. Francesca wirkte wie ein kleines Mädchen. Sie lachte und strahlte vor Glück. Er fand, dass sie schöner aussah denn je. Im Westen zeichneten sich die Felsen im schwachen Widerschein der Sonne ab. Kamal betrachtete den Himmel, der in außergewöhnlichen Rosa-, Violett- und Orangetönen leuchtete. Er schloss die Augen und lächelte, erfüllt von einem endlosen, unbekannten Frieden, voller Energie, die ihm Francescas glockenhelles Lachen einflößte, das der Wind zu ihm herantrug.

»Sieh nur, Kamal!«, rief Francesca, während sie zu ihm rannte. »Schau doch nur, diese wunderschönen Muscheln! Sieh nur, dieser Stein, wie glatt er ist!« Und sie strich ihm damit über die Wange.

»Komm her«, sagte Kamal und zog sie neben sich. »Du bist ja ganz nass.«

Er nahm seinen Turban ab und trocknete damit ihr Gesicht, ihre Arme und ihren Hals. Francescas weißes Hemd klebte auf ihrer Haut und gab den Blick auf ihre vollen Brüste preis. Sie sahen sich an, und Kamal merkte, wie er die Beherrschung verlor. Er küsste sie hemmungslos, verzehrte sich nach ihren Lippen, suchte sie mit seiner Zunge. Dann wanderte sein Mund über ihre Wangen und den Hals hinab, während seine Hände sie so fordernd wie nie zuvor betasteten. Francesca umklammerte keuchend seinen Rücken. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Lust, die ihren Körper beherrschte, und der Angst, die ihr Kamals Ekstase einflößte, denn das war eine Regung, die sie von ihm nicht kannte. Sicherlich, er hatte sie bereits leidenschaftlich geküsst; aber dieses grenzenlose Verlangen, diese überwältigende Macht, die sie in der Tiefe ihres Seins besitzen wollte, machten ihr Angst.

»Genug, mach nicht weiter. Es reicht«, bat sie und versuchte ihn wegzuschieben.

Kamal ließ sie los und stand keuchend auf.

»Du raubst mir den Verstand«, sagte er erregt und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

***

Kamal erwachte mit steifem Glied, aufgewühlt von den Szenen eines erotischen Traums. Er nahm die Rolex vom Nachttisch: halb zwei Uhr nachts. Er stand auf und trat auf den Balkon hinaus. Die Meeresbrise liebkoste seinen nackten Oberkörper, und der Duft nach Myrten und Rosmarin, der über der Veranda lag, verursachte ihm ein wohliges Gefühl. Er stützte sich auf das Geländer, um den Sternenhimmel und den Mond zu betrachten.

Er dachte an Francesca, die so nah war, nur ein paar Meter entfernt, und stellte sich vor, wie sie dalag und schlief, mit bloßen Beinen, das Nachthemd bis zur Taille hochgeschoben. Er lächelte, als er sich ihre unbeschwerte Fröhlichkeit von diesem Nachmittag am Strand in Erinnerung rief. Sie hatte das Meer genossen und Muscheln gesammelt wie ein Kind und dabei diese Lebensfreude ausgestrahlt, die er im Handstreich erobern wollte. Er hatte sie verschreckt, seine Unbeherrschtheit war unverzeihlich. Er verzweifelte beinahe, so stark beherrschte ihn seine Leidenschaft, sie ganz für sich haben zu wollen. Er wollte dieses wunderbare Mädchen besitzen, diese zarte, kostbare Puppe. Und er wollte auch dieses andere, komplexe Wesen besitzen, diese leidenschaftliche Frau, die unverhüllt zum Vorschein kam, wenn er sie in seinen Armen hielt.

Manchmal machte ihm die Eifersucht zu schaffen, da er so etwas nicht kannte und bei anderen Frauen nie empfunden hatte. Eifersucht auf jene, die sie liebte, denen ihr Lächeln und ihre Gedanken galten, und auf die Männer, die sie begehrten, vor allem auf diesen Aldo Martínez Olazábal, der einmal um die Welt gereist wäre, um sie zu sehen – wenn er es nicht verhindert hätte. Er schlug mit der flachen Hand gegen die Säule. Martínez Olazábal würde sich Francesca nie wieder nähern, dafür würde er schon sorgen.

Er hörte ein Geräusch am anderen Ende der Balkongalerie und erkannte die Umrisse von Francesca, die an der Brüstung stand. Der Wind schmiegte das Nachthemd an ihren Körper und betonte ihre Rundungen. Das lange, schwarze Haar floss offen über ihre Schultern. Er wollte sie nicht erschrecken, deshalb räusperte er sich leise, um auf sich aufmerksam zu machen. Francesca fuhr herum und sah ihn an. Kamal ging auf sie zu. Mondlicht fiel auf sein Gesicht und seinen nackten, muskulösen Oberkörper.

»Was ist? Kannst du nicht schlafen?«, fragte er.

Francesca schüttelte den Kopf und schlang die Arme um sich.

»Ich auch nicht«, setzte er hinzu.

Langsam kam er näher, als hätte er Angst, sie zu erschrecken, und fuhr ihr mit dem Handrücken über die Wange. Sie sah ihn nach wie vor aus großen, erschrockenen Augen an, als rechnete sie mit einem Angriff. Kamal spürte ihre Angst, und die Zärtlichkeit, die er dabei empfand, hätte ihn beinahe von dem Plan abgebracht, den er gefasst hatte, als er sie dort stehen sah. Doch sein Verlangen nach ihr war noch stärker; es war das Einzige, was zählte, seit er sie zum ersten Mal in Genf gesehen hatte. Er wollte nicht mehr länger warten; er hatte so viel getan, um sie zu bekommen, dass es eine Dummheit gewesen wäre, jetzt davor zurückzuschrecken. In seinen Gedanken war Francesca längst die Seine, doch das genügte ihm nicht mehr. Er wollte ihr ganz nah sein, in der Intimität des Bettes ihren Körper erforschen, in ihr versinken, sie die Liebe lehren.

Er umarmte sie leidenschaftlich, doch Francesca wurde steif und wendete ihren Kopf ab. Kamal ließ sie los und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

»Francesca, Liebes«, flüsterte er, ganz nah an ihren Lippen. »Du sollst wissen, dass du für mich das Allerwichtigste bist, das Einzige, was zählt. Als ich dich damals in der venezolanischen Botschaft sah, dachte ich: ›Ich will, dass sie meine Frau wird, meine Gefährtin.‹ Und jetzt, wo du hier bei mir bist und ich dich kennengelernt habe, weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich liebe dich, Francesca.« Er küsste sie sanft auf den Mund. »Ich liebe dich so sehr.«

»Kamal …«

»Ich brauche dich heute Nacht«, sagte er, und sein flehender Ton überraschte sie. »Lass mich dich lieben.«

»Ich habe Angst«, gestand sie nach einer kurzen Pause.

»Angst? Du hast immer noch Angst vor mir?«

»Ich habe Angst, dir nicht zu genügen. Ich bin völlig unerfahren.«

»Francesca …«, flüsterte Kamal und lächelte nachsichtig. »Ich werde dein Lehrmeister sein. Du musst dich nur leiten lassen. Alles andere kommt von selbst. Gehen wir in mein Zimmer.« Er fasste sie um die Taille und führte sie hinein. Dann schloss er die Tür und machte die Nachttischlampe an.

Francesca sah sich um. Es war ein großes Zimmer, in dessen Mittelpunkt das geräumige Bett stand. Einige Sessel um einen niedrigen Tisch herum vervollständigten die Einrichtung. Die Läden vor dem Fenster, das auf die Rückseite des Anwesens hinausging, waren geschlossen. Francesca ging darauf zu, stützte die Hände auf das Fensterbrett und legte den Kopf zur Seite, damit die kühle Luft ihre Wangen streichelte. Sekunden später spürte sie, wie sich Kamals Arme um ihre Taille schlangen. Sie spürte seine Erektion, und ihr Atem ging tief und hastig.

Kamal schob ihr Haar beiseite und küsste sie auf den Nacken. Dann ließ er seine Hände in ihren Ausschnitt gleiten und streichelte ihre Brüste. Er hörte sie stöhnen und spürte, wie sie sich gegen seine Brust presste. Er wusste, dass es nicht leicht sein würde, die Leidenschaft zu bezähmen, die ihn beherrschte. Er löste die Bändchen ihres Nachthemds, und das Kleidungsstück glitt zu Boden. Francesca lag nun völlig nackt in seinen Armen. Er streichelte ihre Schultern und bemerkte, dass sich die Härchen auf ihrer Haut aufrichteten. Er drehte sie zu sich herum, doch sie weigerte sich, ihn anzusehen. Sie bedeckte die Brüste mit ihren Händen und hielt den Blick unverwandt gesenkt. Er hingegen betrachtete sie hingerissen. Es war völlig still, nur die Geräusche der Nacht und Francescas Atem waren zu hören. Kamal legte seine Hand auf ihre bebende Brust und spürte, wie sie zitterte.

»Hab keine Angst«, sagte er.

»Kamal, ich bin noch nicht bereit.«

Al-Saud brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen und flüsterte ihr dann zu, ohne seinen Mund von ihren Lippen zu entfernen: »Ich will in dir sein. Bitte weis mich nicht zurück.« Dann setzte er rasch hinzu: »Ich flehe dich an, befreie mich von dieser Qual!«

Francesca blickte auf und sah ihn an. Seine grünen, bittenden Augen hypnotisierten sie, und ihre Angst und Verwirrung schwanden ebenso dahin wie ihre Scham und ihre Prinzipien, die sie jahrelang für unverrückbar gehalten hatte. Eine Lust, die sie nicht länger unterdrücken wollte, erfüllte ihren Körper und machte sie frei und mutig. Sie schlang beide Arme um Kamal, und die Berührung ihrer nackten Körper ließ sie aufstöhnen. Er hob sie auf seine Arme und trug sie zum Bett. Dort liebkoste er ihre Beine mit seinen Lippen, küsste ihre Knie, die weichen, wohlgeformten Schenkel, um dann ihre verborgensten Körperstellen zu erkunden und ihr mit seiner Zunge Schreie der Lust zu entlocken.

Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht gewusst, dass eine Frau so empfinden konnte. Ihre bisherigen Küsse und Zärtlichkeiten und der gemeinsame Moment am Strand waren nur eine Vorahnung dessen gewesen, was sie nun erlebte. Aber nichts von dem, was sie bisher gekannt hatte, war damit zu vergleichen.

Francesca ließ Kamal gewähren. Unbefangen und ohne falsche Scheu, ganz und gar an seine Zärtlichkeiten hingegeben, liebte sie ihn. Sie ließ zu, dass sein drängendes Glied seinen Weg fand. Irgendwann gab es einen stechenden, brennenden Schmerz. Francesca schrie auf. Kamal hielt inne und küsste und streichelte sie, bis der Schmerz nachließ und sie bereit war, weiterzumachen. Dann drang Kamal tief in sie ein, und Francescas unterdrückter Schrei berührte ihn zutiefst. Schließlich sank er erschöpft auf sie.

»Allah hat dich mit der Gabe der Leidenschaft gesegnet«, sagte er keuchend. »Und ich bin der glücklichste Mann der Welt, weil ich dich besitzen darf.«

Francesca lag still da, den Blick an die Decke gerichtet. Kamal nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Er fragte sie, ob sie sich gut fühle, doch sie nickte nur kaum merklich. Sie war zu aufgewühlt, um sprechen zu können, vollkommen erfüllt von diesem neuen Gefühl, das noch immer zwischen ihren Beinen brannte. Sie lehnte den Kopf an Kamals Brust und lauschte seinem Herzschlag, der zunächst raste, sich dann aber im Laufe der Minuten beruhigte.

»Woran denkst du?«, wollte sie wissen, als sie aufblickte und bemerkte, dass er ganz in sich gekehrt war.

»Daran, wie ich dich das erste Mal sah, auf dem Fest in der venezolanischen Botschaft.«

Francesca versuchte vergeblich, sich an diese Veranstaltung zu erinnern. Nur einige wenige Bilder kamen ihr in den Sinn, und die hatten alle mit Marina zu tun.

»Weiß Mauricio, dass du hinter meiner Versetzung nach Riad steckst?«

»Nein.«

»Wie hast du das nur angestellt? Meine Versetzung, meine ich.«

»Ach, Francesca, mit Geld erreicht man fast alles.«

»Hast du mich nach dem Unabhängigkeitsfest in der venezolanischen Botschaft noch einmal gesehen?«

»Ich bin noch einige Male nach Genf zurückgekehrt, nur um dich zu sehen. Ich bin zu denselben Cocktailempfängen, Besprechungen und Konferenzen gegangen wie dein Chef, und dort bin ich dir begegnet. Wenn ich auf Reisen war, wurden mir Fotos von dir und ein Bericht von deinen Tätigkeiten hinterhergesandt. Manchmal habe ich vor der Tür des Hauses gestanden, in dem du lebtest, und gehofft, dass du rauskommst.«

»Ich habe dich nie bemerkt.«

»Nein. Und wenn du mich gesehen hast, hast du mich keines Blickes gewürdigt.«

»Wirklich? Wann?«

»Bei dem Essen der Genfer Kantonsregierung. Ich saß am Nachbartisch. Ich konnte dir zuhören, dich von nahem betrachten, sogar dein Parfüm konnte ich riechen. Und am liebsten hätte ich diesen Italiener umgebracht, der dich verführen wollte. Gegen Ende bist du aufgestanden, um zur Toilette zu gehen, und ich bin dir gefolgt. Als du rauskamst, hast du mich umgerannt.«

»Du warst das! Du hast sogar meine Tasche aufgehoben und sie mir zurückgegeben.«

»Und ich habe dich zum ersten Mal berührt. Hier.« Er deutete auf ihren linken Arm.

Francesca schwieg, während sie versuchte, Kamal zu verstehen, seine tiefen Gefühle und seine Leidenschaft. Manchmal machte ihr der Gedanke daran Angst.

»Weshalb bin ich dir überhaupt aufgefallen?«

»Allah hat dich als faszinierende Frau geschaffen. Und das weißt du auch.«

»Du hältst mich also für eitel?«

»Überhaupt nicht. Aber du müsstest blind sein, wenn du dir deiner eigenen Schönheit nicht bewusst wärst.«

»Alles, was ich weiß, ist, dass du wohl keinen Mangel an schönen Frauen gehabt haben wirst«, neckte ihn Francesca. »Frauen, die wesentlich faszinierender sind als ich, eine einfache Botschaftssekretärin.«

»Du bist keine einfache Botschaftssekretärin«, widersprach Kamal. »Du bist jetzt meine Frau.«

»Sag mir«, wollte Francesca wissen, »was war es wirklich, das dich an mir gereizt hat?«

»Zuerst fühlte ich mich von deiner Schönheit angezogen. Doch als ich dich dann genauer beobachtete, entdeckte ich etwas, das mich zutiefst berührte.«

»Was?«, fragte Francesca ungeduldig weiter.

»Die Traurigkeit in deinen Augen.« Francesca versuchte sich von ihm zu lösen, doch Kamal zog sie wieder an sich. »Bei Allah, niemals zuvor in meinem Leben hatte ich Augen gesehen, die so sehr die Seele eines Menschen widerspiegelten! Sag, was war es, das dir so sehr zu schaffen machte?«

»Ich möchte nicht darüber sprechen.«

»Aldo Martínez Olazábal?«

Francesca setzte sich abrupt auf.

»Wieso weißt du von ihm?«

»Ich weiß alles über dich, mein Herz.«

Francesca legte sich wieder hin, vermied es jedoch, ihn anzusehen. Was störte sie eigentlich daran? Wollte sie nicht, dass Kamal erfuhr, dass sie vor ihm schon einen anderen geliebt hatte? Oder missfiel ihr, dass Kamal alles über sie wusste, sie aber nichts über ihn?

»Liebst du ihn immer noch?«, wollte Kamal wissen und versuchte die nagende Eifersucht zu verbergen, die seine Stimme ganz hart werden ließ.

»Ich habe ihn nie geliebt. Nicht so wie dich.«

Er beugte sich über sie und sah sie bewegt an, bevor er weitersprach.

»Du und ich, wir sind jetzt eins. Du kannst dich niemals mehr von mir trennen.«

»Ich liebe dich, Kamal al-Saud. Warum sagst du so etwas?«

»Du liebst mich, sagst du?«

»Ja.«

»Schwöre es! Bei deiner Ehre!«

»Ich schwöre.«