11. Kapitel

Mauricio legte die Abreise auf den 2. Februar fest. Sie würden von Militärattaché Barrenechea, der an einem Waffengeschäft interessiert war, und Malik als Chauffeur der Delegation begleitet werden. Francesca wäre Kasem lieber gewesen, aber dem hatte Dubois die Sicherheit der Botschaft anvertraut.

Sara bedrängte sie, in Riad zu bleiben. Sie dürfe auf keinen Fall Kamal al-Saud begegnen oder gar unter seinem Dach leben. Die Algerierin war fassungslos über Francescas Fügsamkeit und hielt ihr eine ernste Standpauke über die Durchtriebenheit und Wollust der Araber.

»Er wird dich rumkriegen«, behauptete sie. »So sicher, wie es keinen Gott gibt außer Allah und Mohammed sein Prophet ist! Ich werde mit dem Botschafter sprechen und ihm meine Befürchtungen mitteilen, dann wird er dir erlauben, in Riad zu bleiben.«

»Gar nichts wirst du tun«, sagte Francesca bestimmt. »Außerdem wissen wir gar nicht, ob sich der Prinz in Dschidda aufhält. Sicher stellt er uns nur sein Haus zur Verfügung, während er in Europa unterwegs ist. Du entfachst einen Sturm im Wasserglas.«

»Er wird dort sein und dich erwarten«, prophezeite Sara. »Bist du nicht Frau genug, um zu merken, dass er dich begehrt?«

Francesca schob den Koffer zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. Sie spürte, dass Kamal in Dschidda war. Bei dem Gedanken durchlief ein sehnsüchtiger Schauder ihren Körper. Es machte sie stolz, sich vorzustellen, dass er tatsächlich nur auf sie wartete. Saras Unkereien ärgerten sie nicht, im Gegenteil – sie wünschte, dass sie wahr wären. Im gleichen Moment bereute sie ihre Unbesonnenheit. Ich bin ein Flittchen, warf sie sich vor, denn was sie für den Araber empfand, entsprach in nichts dem reinen Gefühl, das sie Aldo entgegengebracht hatte. Es war eine sinnliche, körperliche Anziehung, das Verlangen, erobert zu werden, ihm zu gehören.

»Mal angenommen, er wäre dort«, fuhr Francesca fort. »Und nehmen wir außerdem an, dass er tatsächlich auf mich wartet. Glaubst du, ich habe keine moralischen Prinzipien?«

»Du hast keine Ahnung, mit wem du dich da einlässt. Wenn dieser Mann beschlossen hat, dass er dich will, werden ihn weder dein Wille noch deine Prinzipien davon abhalten. Er wird dich verführen und dich dann verlassen. Verwechsle diesen Mann nicht mit dem unerfahrenen Jungen, den du in Argentinien zurückgelassen hast, Francesca.«

Sie brachen zeitiger als geplant nach Dschidda auf. Es war eine Strecke von ungefähr achthundert Kilometern, die Malik in höchstens acht Stunden schaffen wollte. Am späten Nachmittag würden sie da sein.

Als sie Riad verließen, wurde die Landschaft unwirtlich. Die Einsamkeit und die Stille übertrugen sich auf die Autoinsassen. Kilometer um Kilometer gelber Sand säumte die Strecke. In der Ferne unterbrachen rötliche Felserhebungen, in eine ewige Staubwolke gehüllt, die einförmige Umgebung. Hin und wieder entdeckten sie eine Ansammlung von Zelten, Kamelen und Beduinen, die bald hinter den flirrenden Reflexen der Sonne auf dem Sand verschwanden.

Barrenechea, der Militärattaché, brach das Schweigen und befragte den Botschafter nach der momentanen Situation der Beduinen. Mauricio antwortete lang und ausführlich. Er erklärte auch, dass die Wüste, die sie gerade durchquerten, Hedschas heiße, und dass sie bald in die zweite große Region Saudi-Arabiens kämen, den Nadschd, der entlang des Roten Meeres verlaufe und die fruchtbarste Gegend des Landes sei, insbesondere der Süden, an der Grenze zum Jemen. Mauricio erzählte auch von den Kämpfen, die König Abdul Aziz geführt hatte, um das Gebiet zurückzuerobern, das sein Erzfeind Ali bin Hussein seinem Vater abgenommen hatte.

Es war fast Mittag, als sie in der Nähe des kleinen Hirten- und Töpferdorfs Zalim an einer heruntergekommenen Raststätte anhielten, um zu tanken und den Imbiss zu sich zu nehmen, den Sara vorbereitet hatte. Die Männer unterhielten sich, während sie aßen. Francesca, die wegen der Hitze und der Aufregung keinen Appetit hatte, ging ein Stückchen und beschattete ihr Gesicht mit der Hand, während sie sich in der Gegend umsah. Seit sie Riad verlassen hatte, hatte sich die Landschaft nicht verändert: Sand, Staub, verdorrte Sträucher und ein lästiger Wind. Doch als sie nun dieser beeindruckenden Aussicht gegenüberstand, fühlte sie sich klein und unbedeutend.

Gegen zwei Uhr nachmittags machte sie der Botschafter auf die Abzweigung nach Mekka aufmerksam.

»Mekka ist die heilige Stadt.« Malik sprach zum ersten Mal. »Ungläubigen ist der Zutritt verboten.«

Francesca sah zu Dubois herüber, der sich verärgert über die unausgesprochene Warnung des Chauffeurs räusperte.

»Das wissen wir, Malik«, stellte er dann klar. »Wir würden es nie wagen, heiligen Boden zu entweihen.«

Die Stimmung war angespannt, und alle fühlten sich unwohl, mit Ausnahme von Malik, der unerschütterlich hinterm Steuer saß und wieder in Schweigen versank. Barrenechea, stets gutgelaunt und zum Lachen aufgelegt, verwickelte den Botschafter in ein Gespräch über Dienstliches, und bald lösten sich die Anspannung und der Ärger.

In der Nähe von Dschidda wurde die Luft kühler und die Landschaft grün. Die Wüste war zu Ende. Die Zufahrtsstraße, die an Armenvierteln und Industrieanlagen entlangführte, bot einen ungewohnten Ausblick auf Bäume, blühende Sträucher und weite Grasflächen, bei deren Anblick man sich gar nicht vorstellen konnte, dass sich nicht weit entfernt davon die glutheiße Wüste ausdehnte.

»Prinz Kamals Anwesen liegt außerhalb«, sagte der Botschafter. »Wir kommen jetzt nicht in die Stadt. Nicht enttäuscht sein, Francesca. Wir werden noch Zeit haben, sie uns anzusehen.«

Auf dem Gelände von Kamal al-Sauds Anwesen fuhr der Wagen noch ein ganzes Stück über gepflasterte Wege, die von Palmen und wildwucherndem Grün gesäumt waren, bevor sie das Haus erreichten, das inmitten eines gepflegten Gartens stand. Das strahlend weiße, dreistöckige Gebäude war schlicht und nicht sonderlich prunkvoll. Große Fenster aus dunklem, fast schwarzem Holz hoben sich von den Mauern ab, als schwebten sie in der Luft. Einige waren quadratisch, andere besaßen Rundbögen und waren über und über mit Schnitzereien und arabischen Inschriften geschmückt. Das Flachdach, bekrönt von dreieckigen Zinnen, verlieh dem Haus das Aussehen einer Festung.

Die Eingangstür öffnete sich, und es erschien ein etwa fünfzigjähriger Mann in einer langen, makellos weißen Dishdasha und mit einem bunten Fes. Mauricio ging ihm entgegen, und sie umarmten sich innig. Francesca und der Militärattaché hielten sich im Hintergrund. Drei Burschen kümmerten sich um das Gepäck und wiesen Malik den Weg zu den Garagen.

Mauricio stellte ihnen Kamals Hausverwalter Sadun vor, den er seit vielen Jahren kannte. Der Mann nahm den Fes ab und sprach ein paar Worte zur Begrüßung. Dann wandte er sich auf Arabisch wieder an den Botschafter.

»Wir haben euch nicht vor dem späten Nachmittag erwartet. Der Herr Kamal wird erstaunt sein.«

»Wir sind früher als vorgesehen aus Riad weggefahren«, entschuldigte sich Mauricio.

»Heute Morgen gab es hier eine wunderbare Überraschung: Fadila und die Mädchen sind aus Taif gekommen. Sie werden einige Tage bei uns verbringen.«

»Sind sie im Haus?«

»Ja, und sie können es kaum erwarten, dich zu sehen«, setzte Sadun hinzu und bat sie mit einer Handbewegung hinein.

Drinnen verbargen sich hinter der schlichten Fassade Überfluss und orientalischer Luxus. Der weitläufige, gewölbte Eingangsbereich, dessen roséfarbene Marmorwände mit farbenfrohen Teppichen geschmückt waren, ging in einen großen Raum über, der an ein Beduinenzelt erinnerte. Von der Mitte der Decke fiel ein weißer Stoff herab, der in üppigen Falten zu zahlreichen Befestigungspunkten an den Wänden geführt wurde, die wiederum mit dicken, schweren Taftbahnen verkleidet waren. Der Boden war vollständig mit Perserteppichen ausgelegt. In der Mitte stand ein niedriges, langes Palisandertischchen mit Einlegearbeiten aus Marmor, umgeben von dicken Kissen, Wasserpfeifen und kleinen Hockern. Das Sandelholz, das in einer kupfernen Räucherpfanne verbrannte, verbreitete einen angenehmen Duft.

Ein Diener führte Militärattaché Barrenechea zu seinem Zimmer, während Francesca und Mauricio Sadun zum Harem folgten. Unterwegs erklärte ihr der Botschafter, dass der Begriff Harem auf das Wort haram zurückgehe, was so viel bedeute wie ›verboten‹. In diesem abgetrennten Bereich des Hauses, der in der Regel hinter einem Garten versteckt liege, hielten sich die Frauen ohne abaya auf. Deshalb dürfe er nur von anderen Frauen oder mahrans besucht werden, männlichen Verwandten, mit denen die Heirat für eine Muslimin ausgeschlossen sei: Väter, Brüder, Onkel, Großväter.

»Und Sie dürfen rein?«, wunderte sich Francesca.

»Abdul Aziz, Kamals Vater, hat mich als seinen Sohn angesehen und als solchen in das Familienbuch eingetragen. Für die al-Sauds bin ich ein mahran

»Und dieser Mann«, fragte Francesca beeindruckt und deutete auf den Hausverwalter, »warum darf er hinein?«

»Sadun ist der Eunuch des Harems.«

Sie durchquerten den Garten und betraten ein stilles, dunkles Gebäude. Die Luft roch nach Vanille, ein süßlicher, betörender Duft, der zur Einrichtung passte. Francesca und Mauricio folgten Sadun schweigend durch ein Gewirr von Hallen und Gängen. Hinter einer reichgeschnitzten Tür befand sich ein Raum, der Francesca einen entzückten Ausruf entlockte. Er war kreisrund und von Dutzenden schlanker, glatter Säulen durchzogen, auf denen die Deckenkuppel ruhte. In der Mitte befand sich ein großes, himmelblau gefliestes Wasserbecken. Francesca trat näher und entdeckte auf dem Boden das Mosaik eines geflügelten weißen Pferdes im byzantinischen Stil.

Sadun sagte ein paar Worte auf Arabisch und ging dann hinaus. Francesca sah sich um. Ihr Blick blieb an der mit Stuckverzierungen überladenen Kuppel hängen, die in Rot-, Gold- und Blautönen gehalten waren. In der Mitte fielen Sonnenstrahlen durch buntes Glas und tauchten den Raum in irisierendes Licht. Mit Damast bezogene Diwane, Seidenkissen, Teppiche, kleine Tischchen und Ablagen vervollständigten die Einrichtung. Der Marmorboden und die Wandkacheln schimmerten in der dämmrigen Helligkeit.

»Du bist beeindruckt, nicht wahr?«, hörte sie Mauricio sagen. Als Francesca den traurigen Unterton bemerkte, der in seiner Stimme mitschwang, nickte sie nur, ohne sich größere Begeisterung anmerken zu lassen.

Dann erschien eine Frau in einem nilgrünen Gazegewand, das teilweise von ihrem langen schwarzen Haar bedeckt war, das ihr bis auf die Hüften fiel. Begleitet von Sadun, bewegte sie sich mit der Anmut einer Königin, und ein Strahlenkranz aus Licht schien sie zu umgeben. Mauricio eilte ihr entgegen und umarmte sie. Die Frau nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn. Francesca hätte sie stundenlang ansehen können; ihre Bewegungen waren sanft und weiblich, und ihre Haltung drückte Selbstsicherheit und Stolz aus.

»Um Kamal«, sagte Mauricio, dem arabischen Brauch folgend, eine Frau als Mutter ihres Erstgeborenen zu benennen.

»Mein lieber Mauricio, was für eine große Freude, dich bei uns zu haben!«

Dubois wandte sich zu Francesca um und bat sie mit einer Handbewegung, näher zu kommen.

»Darf ich vorstellen: meine Mitarbeiterin Francesca de Gecco. Francesca, das ist Fadila, die Mutter von Prinz Kamal.«

Die Frau wandte sich in perfektem Französisch an sie und bewunderte ihre schönen schwarzen Augen und ihre weiße Haut. Eingeschüchtert von Fadilas durchdringendem Blick, in dem sie den Blick ihres Sohnes wiedererkannte, schaute Francesca zu Boden und stammelte ein Dankeschön. Stimmengewirr von der Tür kündigte eine Gruppe von Frauen und Mädchen an, die nun den Raum betraten.

»So viele Frauen hat Prinz Kamal?«, flüsterte Francesca Mauricio zu.

»Trotz seiner sechsunddreißig Jahre hat sich Kamal immer noch nicht für eine Frau entschieden, sehr zum Verdruss seiner Mutter. Was du dort siehst, sind seine Schwestern und Nichten. Genau genommen ist Fatima, die in dem orangefarbenen Kleid, seine einzige Schwester. Die Übrigen sind Halbschwestern und Nichten, aber er liebt sie alle gleich, und sie ihn.«

Francesca lächelte. Die Begrüßungen gingen weiter. Die Mädchen umarmten und küssten Mauricio und plapperten alle durcheinander. Die Jüngsten hängten sich an seinen Hals und durchsuchten seine Taschen. ›Sie wirken so glücklich‹, dachte Francesca, verzaubert von der Frische und Unschuld, die sie ausstrahlten. Plötzlich fühlte sie sich alt, und sie verspürte den starken Drang, das Kostüm, die Nylonstrümpfe und die Pumps auszuziehen, in das Wasserbecken einzutauchen und dann in eines der weiten, farbenfrohen Gewänder zu schlüpfen, wie sie diese Frauen trugen.

***

Man wies Francesca ein Zimmer im oberen Stock zu. Sie öffnete die Flügeltüren und trat auf den Balkon hinaus. Es war niemand zu sehen und zu hören. Müdigkeit breitete sich in ihrem Körper aus. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, zog das Kostüm aus und legte sich in Unterwäsche aufs Bett. Sie träumte, sie würde in ebendiesem Zimmer aufwachen und, in einen zarten Nebel gehüllt, eine große, kräftige, weißgekleidete Gestalt erkennen, die sie unverwandt beobachtete. Die Gestalt raunte ihr etwas in einer fremden Sprache zu, während sie sich ihrem Gesicht näherte. Francesca kniff die Augen zu, um sie nicht zu sehen.

Verwirrt wachte sie auf und fragte sich, wo sie war. Sie setzte sich im Bett hoch und sah, dass es Nacht war. Sie nahm die Uhr vom Nachttisch: neun Uhr. Wo mochten die anderen sein? Im Haus war es still. Ob sie schon schliefen? Vielleicht hatte man sie zum Abendessen gerufen und sie hatte nichts gehört. Es war ein Affront, nicht am Tisch eines Prinzen zu erscheinen. Andererseits wusste sie nicht genau, ob er überhaupt im Haus war. Sadun und Fadila hatten ihn nicht erwähnt, oder sie hatten es auf Arabisch getan.

Sie hatte einen Bärenhunger. Sie würde nach unten gehen, und wenn sie im Salon jemanden vom Personal antraf, würde sie um etwas zu essen bitten. Das Kostüm kam nicht mehr in Frage, es war völlig zerknittert und sah aus wie ein Akkordeon; stattdessen entschied sie sich für ein blassrosa Leinenkleid mit weißen Paspeln. Mit ihrem Haar würde sie nichts machen, dafür war keine Zeit. Sie nahm die Spangen heraus und ließ es schwer und offen fallen.

Eine Treppe am Ende des Balkons führte zur Gartenterrasse. Das Klappern ihrer Sandalen auf dem Granitboden hallte ihr in den Ohren wider; die Dunkelheit im Garten machte ihr Angst, und sie ging eilig auf das Licht zu, das von der Tür am Ende der Veranda kam.

Dort entdeckte sie den Prinzen, allein, ein Buch in der einen, eine merkwürdige Perlenkette in der anderen Hand. Sie blieb auf der Türschwelle stehen, unschlüssig, ob sie sich bemerkbar machen oder auf ihr Zimmer zurückkehren sollte. Kamal blickte auf und sprach sie mit der gewohnten Ungezwungenheit an.

»Mademoiselle de Gecco, treten Sie doch bitte ein. Ich habe Sie erwartet.« Er stellte das Buch ins Regal zurück und kam zur Tür. Dann nahm er ihre Hand und fragte: »Haben Sie gut geschlafen?«

Francesca nickte, in ihrem Kopf war nur ein Gedanke: Al-Saud war in Dschidda, wie Sara es vorhergesagt hatte. Weshalb diese Angst? Weshalb diese Unruhe? War es keine verlockende Vorstellung gewesen, ihn zu treffen? Erleichtert atmete sie auf, als er ihre Hand losließ und auf einen kleinen Sessel deutete.

»Es tut mir leid, dass ich nicht zu Hause war, als Sie ankamen«, sagte er und reichte ihr ein Glas mit einem weißen, dickflüssigen Getränk. »Kosten Sie, das ist unser berühmter Laban. Mauricio hatte mir gesagt, dass ihr gegen sieben Uhr abends ankommen würdet.«

»Danke«, sagte Francesca und nahm das Glas. »Der Botschafter hat entschieden, früher loszufahren. Wir sind gegen vier Uhr angekommen.«

Das Getränk erinnerte an sauren Joghurt. Francesca verzog das Gesicht. Kamal lächelte und nahm ihr das Glas ab.

»Ich lasse Ihnen besser einen Fruchtsaft bringen.«

Auf sein Fingerschnipsen hin erschien eine Hausangestellte, mit der er sich auf Arabisch unterhielt. Kurz darauf kehrte das Mädchen mit einem Pfirsichsaft zurück, der den sauren Geschmack des Laban nahm.

»Ich weiß, dass Sie heute Nachmittag meiner Mutter vorgestellt wurden«, bemerkte Kamal und setzte sich ihr gegenüber, während er die Perlenkette zwischen seinen Fingern spielen ließ. »Sie haben einen guten Eindruck auf sie gemacht, und das ist schwierig, das kann ich Ihnen versichern. Sie ist eine eigenwillige Frau. Sie erwartet Sie morgen früh zum Frühstück im Harem.«

»Ihre Mutter ist sehr liebenswürdig, Hoheit, und ich fühle mich geschmeichelt von der Einladung. Aber ich muss zuerst den Botschafter fragen; vielleicht braucht er mich morgen früh, um in die Stadt zu fahren.«

»Glauben Sie mir«, sagte der Prinz, »Mauricio würde jedes Treffen und jede Verpflichtung absagen, bevor er meine Mutter verärgert.«

Dubois und der Militärattaché erschienen im Salon, und Kamal stand auf, um sie zu begrüßen. Dann öffnete er eine Flügeltür, und sie betraten das Speisezimmer, wo auf einem langen, schmalen, niedrigen Tisch das Abendessen auf sie wartete. Sie nahmen auf Kissen Platz, und Kamal schob Francesca mit Rücksicht auf ihr Kleid einen Hocker hin. Zwei Mädchen kamen mit noch mehr Schüsseln und trugen den Gästen auf, während Sadun die Gläser füllte. Francesca beobachtete, dass sie die linke Hand hinter dem Rücken verbargen und mit großer Geschicklichkeit lediglich die rechte benutzten.

Mauricio und Kamal aßen mit den Fingern. Francesca und Barrenechea sahen sich an.

»Greifen Sie zu«, bat ihr Gastgeber.

Barrenechea lächelte und nahm das geschmorte Fleisch in die Hand. Francesca wollte sich nicht zieren und tat es ihm nach. Hungrig, wie sie war, genoss sie das Essen, sehr zur Freude des Prinzen, der sie aufforderte, ordentlich zuzugreifen, und ihr höchstpersönlich noch mehr Lammeintopf, Hummus, Couscous, Pitabrot, Kibbeh oder Auberginenmus auftat. Nach dem Essen erschienen vier Mädchen mit kleinen Wasserschalen und Leinentüchern. Sie wuschen ihnen die Hände und reichten Rosenblätter und Jasminblüten, die sie zwischen den Fingern zerrieben, um den Geruch der Gewürze loszuwerden.

Dann begaben sie sich wieder in den Raum, der an ein Beduinenzelt erinnerte, wo Kaffee und Nachtisch auf sie warteten. Zu Pyramiden aufgeschichtete Pflaumen, Mispeln und weiße Feigen wechselten sich mit gezuckerten Datteln, Trockenfrüchten, Baklava und Feingebäck ab. Kamal bestand darauf, dass Francesca den Mokka probierte. Obwohl sie ihn zähflüssig und stark fand, versicherte sie, nie einen köstlicheren Kaffee getrunken zu haben. Al-Saud warf ihr einen raschen Blick zu und grinste dann.

Barrenechea bedankte sich für das Essen, erklärte, dass er müde sei, und zog sich zum Schlafen zurück. Bevor Francesca es ihm nachtat, fragte sie den Botschafter nach den Plänen für den nächsten Tag und freute sich, als sie hörte, dass sie nach dem Mittagessen nach Dschidda fahren würden.

»Könntest du mir morgen früh dein Arbeitszimmer überlassen?«, fragte Mauricio Kamal, nachdem das Mädchen den Raum verlassen hatte. »Ich muss mit Francesca einige Dokumente durchgehen.«

»Mein Arbeitszimmer überlasse ich dir«, willigte Kamal ein, »aber nicht Francesca.«

Mauricio hielt auf halbem Wege mit der Kaffeetasse inne und sah ihn an.

»Meine Mutter erwartet sie morgen früh zum Frühstück im Harem.«

»Hat deine Mutter sie eingeladen oder hast du sie darum gebeten? Du bist verrückt zu glauben, dass Fadila sie akzeptieren wird. Es ist ein Hirngespinst.«

»Meine Mutter hat sie eingeladen. Ich habe nichts gesagt und nichts gemacht.« Dann setzte er verstimmt hinzu: »Du bist eifersüchtig. Du willst sie für dich.«

Mauricio sprang auf.

»Fängst du schon wieder damit an! Wenn dich eine Frau interessiert, genügt das, damit ich sie als eine Schwester betrachte, das weißt du. Wofür hältst du mich nach all den Jahren? Für einen Schuft?«

»Entschuldige, Mauricio. Du kennst mein hitziges Temperament.«

Dubois ging mit gesenktem Kopf im Zimmer auf und ab. Kamal schlürfte langsam seinen Kaffee und verfolgte seine Schritte.

»Ich verstehe nicht, was du mit meiner Sekretärin vorhast«, sagte Dubois schließlich. »Aufgrund deiner Position weiß ich, dass du es nicht ernst mit ihr meinen kannst. Du würdest dir dein eigenes Grab schaufeln, wenn du sie zur Frau nimmst. Und ich will nicht, dass du mit ihr spielst. Sie ist eine zarte, sensible Seele.« Er dachte einen Moment nach und setzte dann entschieden hinzu: »Täusch dich nicht in Francesca, Kamal. Ich habe es dir schon einmal gesagt – sie ist nicht wie die Frauen, an die du gewöhnt bist.«

»Ich weiß«, erwiderte der Prinz genauso ernst.

Dann ging er zu seinem Freund, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn fest an. Vielleicht hätte er ihm sagen sollen, was er alles unternommen hatte, um sie in seiner Nähe zu haben, was er empfunden hatte, als er sie auf dem Fest zum venezolanischen Unabhängigkeitstag zum ersten Mal sah, wie aufgewühlt er gewesen war, wie sehr er sie begehrt hatte. Aber er schwieg, denn es lag ihm so gar nicht, die verborgenen Seiten seiner Seele zu offenbaren.

»Heute Nachmittag habe ich ein Telegramm von Jacques erhalten«, sagte er und kehrte zum Diwan zurück. »Er trifft in zwei Tagen in Begleitung von Le Bon und dessen Tochter ein. Sie kommen aus Jordanien und beenden ihre Reise in Dschidda.«

»Das ist bedauerlich, denn wenn sie ankommen, werden wir schon abgereist sein. Meine Verpflichtungen hier werden nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.«

»Dann machst du einen Kurzurlaub und verbringst ein paar Tage mit mir. Wann sind wir zum letzten Mal am Strand entlanggeritten? Außerdem kommen in zwei Wochen meine Großeltern in die Oase. Sie werden beleidigt sein, wenn sie erfahren, dass du abgereist bist, ohne sie zu sehen.«

***

Eine Dienerin führte sie durch den labyrinthischen Harem, in dem es nun gar nicht mehr still war: Stimmen, Lachen, das Trällern eines singenden Mädchens, Babygeschrei und Vogelgezwitscher hallten durch die Gänge. Vor einer Tür wurden die Geräusche lauter. Die Dienerin schob sie sanft in den Raum mit dem Wasserbecken, in dem mehrere Mädchen ein Bad nahmen. Kleine Kinder, Jungen und Mädchen, alle vollkommen nackt, rannten zwischen den Säulen umher. Sadun, der Eunuch, flocht Fatimas Haar und flüsterte leise mit ihr. Eine Frau stillte ihr Baby, während ein Mädchen ihr die Beine enthaarte.

Francesca verspürte den Impuls, wieder zu gehen, aber die Dienerin blieb in der Tür stehen und redete sanft auf Arabisch auf sie ein. Sie fasste sie beim Arm und führte sie zu einer Bank voller Kleider, Handtücher, Schmuck, Tiegel und Fläschchen. Niemand beachtete sie, so als ob sie gar nicht existierte oder eine von ihnen wäre. Der zarte Dunstschleier, der aus dem Becken aufstieg, wurde von Lichtstrahlen durchdrungen, die durch die Kuppel fielen, und verlieh der Szenerie etwas Unwirkliches. Die Frauen schienen sich nicht an Saduns Anwesenheit zu stören, der mittlerweile mit Fatima fertig war und einer Schwangeren den Bauch mit Öl massierte. Im Becken wuschen sich die Mädchen die Haare, seiften sich den Rücken ein oder standen etwas abseits auf der Treppe und schwatzten. Der Duft des Öls, der sich mit dem von Seife und Shampoo mischte, lag in der warmen Luft. Bronzefische entlang des Beckenrands spendeten frisches Wasser und verursachten ein eintöniges, einschläferndes Plätschern. Niemand hatte es eilig. Die Frauen plauderten oder ruhten auf dem warmen Boden, als hätten sie alle Zeit der Welt.

Francesca leistete keinen Widerstand, als zwei Dienerinnen sie entkleideten. Die Berührung dieser Hände auf ihrer Haut entspannte sie, und sie war wie hypnotisiert von der Stimme eines jungen Mädchens, das eine wohlklingende, getragene Melodie sang. Sie wurde zum Wasserbecken geführt und war nicht unangenehm berührt, als Sadun zu ihr kam, um mit ihr zu reden.

»Gehen Sie nur rein«, ermunterte sie der Eunuch in schlechtem Französisch. »Es ist schön warm.«

Sie stieg langsam ins Wasser und betrachtete dabei ihre Füße. In der Mitte des Beckens bemerkte sie erneut das geflügelte Pferd. Sie schloss die Augen und tauchte einige Sekunden unter. Beim Auftauchen – das Wasser rann ihr übers Gesicht, und ein kühler Lufthauch richtete ihre Brustwarzen auf – stellte sie fest, dass der Lärm aufgehört hatte und die Araberinnen sie aus großen schwarzen Augen ansahen. Die Mädchen, die sie entkleidet hatten, winkten sie zu den Treppenstufen. Eine widmete sich ihrem Haar, die andere rieb ihren Körper mit einem Naturschwamm ab. Hingebungsvoll ließ sie sich waschen, auch an den intimen Stellen, wobei die Mädchen ganz vorsichtig vorgingen. Blütenblätter schwammen auf der Wasseroberfläche, und der Dampf roch nach Rosen. Die Übrigen wandten sich wieder ihren Beschäftigungen zu und beachteten sie nicht länger. Sie wollte nicht nach Fadila fragen, war unfähig, die Lethargie zu überwinden, die sie einhüllte.

Die Mädchen zogen ihr eine Tunika und flache Sandalen an, umrandeten ihre Augen mit Kajal, schminkten ihre Lippen und rieben sie mit duftenden Ölen ein. Am Ende trocknete und flocht Sadun ihre Haare.

»Meine Herrin Fadila möchte Sie jetzt sehen, Mademoiselle«, sagte der Eunuch dann, während er ihr Gesicht mit einem dünnen Schleier bedeckte.

Sie betrat ein großes, lichtes Zimmer mit bunten Fliesen an den Wänden und Teppichen auf dem Boden. Am anderen Ende des Raumes ruhte Fadila auf einem Diwan und musterte sie von oben bis unten.

»Ich habe dich erwartet. Du bist wirklich sehr hübsch«, sagte sie, als sie ihr Gesicht entschleiert hatte. »Sadun, serviere uns das Frühstück, bitte.«

Die beiden Frauen nahmen am Fenster Platz, das nicht vergittert war, weil es auf den Innenhof des Harems hinausging. Der Eunuch stellte ein Tablett mit dem Teeservice auf ein rundes Tischchen.

»Tee, Kaffee oder Schokolade?«, bot er an.

Francesca entschied sich für Schokolade.

»Waren die Mädchen lästig?«

»O nein, Madame. Überhaupt nicht.«

»Ich habe sie gebeten, dich in Ruhe zu lassen, damit du das Bad genießen kannst. Sie waren ganz außer sich bei dem Gedanken, eine weiße Frau im Harem zu haben, und ich befürchtete, sie könnten dich mit Fragen löchern – vor allem meine Tochter Fatima ist ganz begierig darauf, etwas aus deiner Welt zu erfahren. Wie hast du dich gefühlt? Ich dachte, es könnte eine seltsame Vorstellung für dich sein, ein Bad zu nehmen, bevor du dich mit mir triffst. Für uns ist es eine Geste der Gastfreundschaft, musst du wissen.«

»Nun ja, am Anfang war ich kurz davor, wieder zu gehen, vor allem, als ich Sadun sah.«

»Ich verstehe. Ihr Christinnen habt eine ganz andere Vorstellung von Sittsamkeit als wir. Als ich ein kleines Mädchen war, verbrachte ein französischer Freund meines Vaters regelmäßig einige Wochen Ferien in unserem Lager. Seine beiden Töchter waren ungefähr in meinem Alter. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, als ich feststellte, dass die Mädchen, obwohl sie eine gute Erziehung erhielten, keine Ahnung von den grundlegendsten Dingen hatten. Sie wussten zum Beispiel nicht, dass sie irgendwann die Monatsblutung bekommen würden, und schon gar nicht, was ein Ehemann im Bett von ihnen erwartete. Als ich ihnen erzählte, was ich wusste, sahen sie mich aus großen Augen an und entgegneten, dass sie so etwas nie tun würden. Für uns ist alles, was mit dem Körper zu tun hat, ganz natürlich, und wir sprechen von klein auf mit unseren Müttern, Großmüttern und Tanten darüber. Weshalb habt ihr solche Scheu vor etwas, das letztendlich zu euch gehört und Teil eurer Natur ist?«

Francesca antwortete nicht gleich, denn ehrlich gesagt hatte sie sich noch nie Gedanken darüber gemacht. Ihre Mutter zum Beispiel sprach nicht gern über das Thema; sie druckste herum, wurde rot und vermied es, sie dabei anzusehen. Die Ordensschwestern in der Schule sprachen immer nur von der unbefleckten Jungfräulichkeit Mariens, der Schlechtigkeit der Männer, die das Verderben der Frauen seien, und dass es ein Segen sei, Nonne zu werden. Die Beziehung zwischen Sofía und Nando hatte auch nicht viel Licht in ihre verklemmte Unwissenheit gebracht. Ob aus Scham oder Befangenheit hielt sich Sofía mehr mit den romantischen Details auf als mit den fleischlichen Einzelheiten der Leidenschaft, und Francesca hatte aus Höflichkeit nicht weiter nachgefragt. Nur eines wusste sie sicher: Es musste etwas Schönes sein, denn wenn Sofía von ihren Treffen mit Nando zurückkam, hatte sie still vor sich hin gelächelt, und ihre Augen hatten gestrahlt. Aber wenn sich Francesca ihr erstes Mal ausmalte, presste sie die Beine zusammen und schluckte mühsam.

»Vermutlich hängt es mit unserer Religion zusammen«, sagte sie schließlich. »Im Katholizismus wird die Jungfräulichkeit Mariens verehrt, der Mutter Jesu Christi. Es ist, als hinge ihre Heiligkeit davon ab, dass sie Jungfrau ist.«

»Aber sie hatte ein Kind«, wandte Fadila ein.

»Ja, aber durch die Gnade des Heiligen Geistes ohne die Beteiligung eines Mannes. So bewahrte sie ihre Jungfräulichkeit.«

»Und was denkst du über deinen Körper, Francesca?«

»Das ist das erste Mal, Madame, dass jemand mit mir darüber reden will, ohne zu flüstern oder rot zu werden. Trotz meiner einundzwanzig Jahre weiß ich nicht viel über das Thema, das gebe ich zu. Aber da, wo ich herkomme, ist es nicht leicht, etwas darüber zu erfahren.« Sie lächelte, bevor sie hinzusetzte: »Ich habe mich noch nie so offen und frei unterhalten.«

»Frei …«, wiederholte Fadila und verstummte. »Weder ihr westlichen Frauen noch wir Frauen im Orient haben es geschafft, wirklich frei zu sein. Die Jahrhunderte vergehen, und wir leben immer noch in der Sklaverei.«

»Sagen Sie das, weil Sie in einem Harem leben?«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich spreche nicht von physischer Versklavung, denn auf die eine oder andere Weise sind alle Menschen räumlich eingeschränkt, und für uns Araberinnen ist der Harem unser Bereich, so wie es für dich dein Haus ist und für dein Land die Grenzen, die es umgeben. Für mich bedeutet Harem Familie. Er ist mein Zuhause, mein Heiligtum, der Ort, wo ich meine Kinder bekam und aufwachsen sah, der Ort, wo ich sehnsüchtig auf die Ankunft meines Mannes wartete und wo ich eines Tages, so Allah will, Kamals und Fatimas Kinder umherlaufen sehen werde. Lass dich nicht von den falschen Vorstellungen beeinflussen, die sich der Westen von dem Wort Harem macht und die immer mit Lust und Ausschweifungen zu tun haben. Hast du hier irgendwelche Ausschweifungen gesehen? Gab es etwas, das deine Moral oder deine Prinzipien verletzt hätte?«

Francesca schüttelte den Kopf, auch wenn sie die Vorstellung der nackten Körper, die durch den Raum mit dem Wasserbecken gewandelt waren, nach wie vor verwirrte. »Hier sind wir frei wie nirgendwo sonst«, fuhr Fadila fort. »Das hier ist unsere Welt, hier haben wir das Sagen. Die Männer respektieren das und mischen sich nicht ein. Außerhalb dieser Wände aber sind wir nicht frei, genauso wenig wie ihr.«

Sie schwiegen. Francesca, die sich in Wahrheit tausendmal freier fühlte als eine Araberin, wusste nicht, was sie sagen sollte. Fadila kam auf ein anderes Thema zu sprechen.

»Mauricio sagt, du seist eine hervorragende Mitarbeiterin, sehr intelligent und hochmotiviert.«

»Ich mag meine Arbeit sehr, Madame. Wenn ich mich tatsächlich gut dabei anstelle, dann liegt das vor allem daran, dass ich wirklich gern arbeite.«

»Darum geht es im Leben: glücklich zu sein. Es freut mich, dass du glücklich bist.«

Francesca wollte das Thema nicht weiter vertiefen, denn sie war weit entfernt davon, wirkliches Glück zu empfinden. Die Arbeit half ihr zwar über ihren Schmerz hinweg, aber das hatte nichts mit dem Glück zu tun, das sie vor einem Jahr in Aldos Armen empfunden hatte.

»Ich kenne Mauricio seit seinem achten Lebensjahr«, sprach die Frau weiter. »Es war kurz nach dem Unfall, bei dem seine Eltern ums Leben kamen. Und ich kann dir versichern, dass ich ihn noch nie so entspannt und glücklich gesehen habe.«

»Der Botschafter findet bei Ihnen die Familie, die er vor langer Zeit verloren hat«, sagte Francesca. »Bei Ihnen zu sein macht ihn glücklicher als alles andere.«

»Ja, das stimmt. Mauricio sieht in Kamal seinen Bruder und in meinem Mann und mir seine Eltern. Aber zur Zeit hat er ein Leuchten in den Augen, das ich vorher nicht von ihm kannte.«

Francesca wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war froh, als Sadun erschien, um seine Herrin zum Gebet zu rufen.

***

Kamal machte es Spaß, seine Schwestern und Nichten zu verwöhnen, wenn sie bei ihm zu Gast waren. Den Vormittag verbrachte er auf dem Bazar von Dschidda, der moderner und vielseitiger war als der in Riad, um Kleider, Schmuck, Parfüm und Spielzeug zu kaufen. Ungewöhnlich gut aufgelegt, schlenderte er durch die Marktgassen, an Verkäufern, Waren und Frauen vorbei, getrieben von einer Energie, die er noch nie zuvor empfunden hatte. Nichts konnte seine Stimmung trüben. Besondere Sorgfalt verwendete er auf die Auswahl eines Reitkostüms, und er musste mehrere Blumenstände abklappern, um einen Strauß weiße Kamelien aufzutreiben. Seine Leibwächter folgten ihm auf dem Fuß, jeder mit einem Berg von Paketen beladen. Zurück auf dem Anwesen, half Sadun den Männern, und zu dritt schleppten sie die Geschenke ins Haus.

»Bringt sie in den Harem«, wies Kamal den Hausverwalter an, während er selbst nach einer Tüte und den Kamelien griff. »Und es wird nicht ausgepackt, bis ich da bin.«

»Dann sollten Sie besser gleich mitkommen, Herr, sonst finden Sie nur noch aufgerissene Schachteln und zerknittertes Papier vor.«

Er wurde mit freudigem Jubel empfangen, und dabei konnte er keinen Unterschied im Verhalten der erwachsenen Frauen und der jungen Mädchen feststellen: Sie liefen hinter ihm her und bettelten, ihnen zu verraten, welches Päckchen für sie sei.

»Meins zuerst!«, schmeichelten sie im Chor.

Kamal nahm seine Lieblingsnichte Yashira auf den Arm. Sie umschlang seinen Hals und küsste ihn auf die Wange.

»Hilf mir, die Geschenke zu verteilen, Yashira.«

»Zuerst das für Um Kamal«, schlug das Mädchen vor.

Fadila, die etwas abseits saß und einen Brief an ihre Schwester in Kairo schrieb, sah auf und schob ihre Brille auf die Nasenspitze.

»Komm her, Um Kamal«, rief Yashira, »komm dein Geschenk abholen.«

Kamal beobachtete amüsiert, wie sich die Frauen um die Kleider, Parfüms und Juwelen stritten. Doch obwohl er lächelte, legte sich ein dunkler Schatten auf sein Gemüt, wenn er daran dachte, was aus diesen Frauen, den Frauen seiner Familie, werden sollte, die so wenig von der Welt und den Problemen des Landes wussten, wenn die Seifenblase zerplatzte, in der sie lebten.

»Tante Fatima würde gern wissen, für wen das andere Päckchen und die Kamelien sind«, flüsterte Yashira.

»Wir dachten, die Blumen wären für Zora. Weil es doch ihre Lieblingsblumen sind …«, sprudelte es aus Fatima heraus.

»Bist du nicht zufrieden mit der Halskette, Zora?«, fragte Kamal und tat betrübt.

»Natürlich bin ich zufrieden. Sie ist wunderschön. Aber du kennst doch Fatima – sie will unbedingt aus dir herausbekommen, für wen der Strauß ist.«

»Für wen ist er, Onkel? Für mich?«, fragte Yashira.

»Ich könnte dich umbringen, Sadun«, sagte Kamal, und der Eunuch flüchtete sich hinter Fadila, die den Wortwechsel aufmerksam verfolgte.

»Tante Fatima sagt, er ist für das weiße Mädchen, das heute Morgen mit uns im Bad gewesen ist«, bohrte Yashira nach und sah ihn neugierig an.

Kamal war ehrlich überrascht – seine Mutter hätte einer Fremden niemals einen solchen Beweis familiärer Vertrautheit gewährt –, und wurde für einen kurzen Moment von Erregung übermannt, als er sich Francesca nackt im Wasser vorstellte.

»Onkel Mauricio hat Onkel Kamal gebeten, die Blumen für Francesca zu besorgen«, versicherte Fadila der Kleinen und nahm sie ihrem Sohn aus dem Arm. »Oder?«

»Mauricio?«, fragte Kamal, sichtlich verwirrt.

Fadila warf ihm einen vielsagenden Blick zu, bevor sie sagte: »Wenn die Kamelie duften würde, wäre sie die perfekte Blume. Aber sie ist es nicht.«

***

An diesem Abend entschuldigte Sadun Prinz Kamal, da dieser mit seiner Mutter zu Abend esse. Francesca war erleichtert. Sie wollte ihm nicht begegnen, nachdem sie auf ihrem Bett ein wunderschönes Reitkostüm sowie einen Strauß Kamelien vorgefunden hatte mit einem Kärtchen, auf dem stand: »Morgen um vier Uhr möchte ich Sie darin sehen.« Er würde sie zum Reiten mitnehmen. Angeblich zählten die Pferde des Prinzen al-Saud zu den Besten der Welt. Sie dachte an Rex, und ihr fiel auf, dass sie schon lange nicht mehr an ihn gedacht hatte. Sie hatte das Pferd zum letzten Mal an jenem Nachmittag im Maisfeld geritten, während Aldos Fuchs ruhig neben ihr hergetrabt war. »Aldo …«, flüsterte sie. Sein Name gehörte der Vergangenheit an, seine Gesichtszüge verschwammen, und sie erinnerte sich nicht mehr an den Klang seiner Stimme. Es war unglaublich, aber mit der Zeit begannen ihre Erinnerungen zu verblassen.

Auch beim Frühstück am nächsten Morgen leistete der Prinz ihnen keine Gesellschaft, und der Hausverwalter teilte ihnen mit, dass Fadila und die Mädchen schon sehr früh nach Riad abgereist seien.

»Gibt es irgendwelche Probleme?«, fragte der Botschafter besorgt.

»Gestern Abend hatten die Herrin und der Herr Kamal einen Streit.«

Am späten Vormittag trafen Jacques Méchin, Le Bon und seine Tochter Valerie ein, sehr zur Enttäuschung von Francesca, die sicher war, dass Kamal das Eintreffen seiner Freunde zum Anlass nehmen würde, ihren Ausritt zu verschieben. Trotzdem zog sie um vier Uhr nachmittags die karierte Hose, die weiße Leinenbluse, die Stiefel und die Handschuhe aus Ziegenleder an.

Als sie fertig war, klopfte ein junger Bursche an ihrer Tür und bedeutete ihr mit einem Handzeichen, ihm zu folgen. Etwas abseits des Hauptgebäudes wirkte das Anwesen nicht mehr so gepflegt und prachtvoll. Geradeaus befand sich eine Koppel mit modernen Tränken, daneben eine Scheune mit Heuballen bis unters Dach und eine Sattelkammer für das Zaumzeug. Leute mit Werkzeugen oder Trensen in den Händen eilten schweigend hin und her, als hätten sie etwas Wichtiges zu tun. Die Pferde hatten glänzendes Fell und bewegten sich mit stolz zurückgeworfenen Köpfen und selbstsicheren Schritten.

Als sie Kamal in der Nähe der Stallungen entdeckte, begann ihr Herz zu rasen. Befangenheit, Angst, Unsicherheit, Sehnsucht … heftige, sich widersprechende Gefühle zwangen sie, am Eingang stehenzubleiben und abzuwarten. Kamal war in eine Unterhaltung mit Fadhil, dem Stallmeister, vertieft. Als er Francesca bemerkte, schickte er seinen Angestellten weg und kam auf sie zu. Sie war fasziniert von seinem Anblick: davon, wie gut seine Hose saß und wie elegant er in den Stiefeln mit den Sporen aussah, die auf den Bodenfliesen Funken schlugen. Er trug das Hemd über der muskulösen, unbehaarten Brust offen und auf dem Kopf den unvermeidlichen Turban.

»Wie ich sehe, habe ich mit der Größe des Kostüms und der Bluse richtig gelegen«, sagte er, nachdem er sie eine Weile betrachtet hatte.

»Die Sachen sind wunderschön«, versicherte Francesca, »aber Sie hätten sie mir nicht kaufen dürfen.«

»Und wie wollten Sie dann ausreiten?« Francesca errötete und warf ihm ein schüchternes Lächeln zu. »Sind die Stiefel bequem? Ist es die richtige Größe? Zugegeben, ich habe eine meiner Hausangestellten gebeten, mir einen Schuh von Ihnen zu besorgen, damit ich ihn auf den Markt mitnehmen kann. Er ist schon wieder zurück an seinem Platz.«

»Das habe ich gar nicht bemerkt«, erwiderte Francesca überrascht.

Der Prinz fasste sie am Arm und ging mit ihr durch die Stallungen, einem großen, weißgetünchten Backsteinbau mit Zinkdach. Innen führte ein langer Gang an den Boxen entlang, aus denen herrliche Pferde ihre Köpfe steckten. Es roch nach Mist, Stroh und Pferdeschweiß, Gerüche, die sie liebte, weil sie Erinnerungen an Arroyo Seco weckten. Kamal war ungewohnt gesprächig und erzählte von der Zucht und Pflege der Araberpferde.

»Ich habe Fadhil – das ist der Mann, mit dem ich eben gesprochen habe – angewiesen, Ihnen Nelly zu satteln, sooft Sie dies wünschen. Nelly ist eine sanftmütige Stute, Sie werden keine Probleme mit ihr haben.«

»Wenn Sie Rex kennen würden, würden Sie mir das feurigste Pferd aus Ihrem Stall geben.«

Fadhil erschien wieder, Pegasus am Zügel hinter sich herziehend, der schnaubte, austrat und sich sträubte, weiterzugehen. Francesca fand, dass er das schönste Pferd war, das sie je gesehen hatte, schöner noch als Rex.

»Dürfte ich vielleicht dieses Pferd reiten, Hoheit?«

»Das würde ich niemals zulassen. Pegasus hat den Teufel im Leib; letztes Jahr hat er einen meiner Männer getötet, der versucht hatte, ihn zu beruhigen.«

Francesca erschrak. Pegasus schnappte nach Fadhil, der fluchend zurückwich, ohne die Zügel loszulassen.

»Mein Gott! Er ist eine Furie! Wer traut sich denn, den zu reiten?«

»Ich«, erklärte Kamal und stieß einen Pfiff aus.

Das Tier hörte auf, auszuschlagen, spitzte die Ohren, wurde ruhiger und ließ sich von Fadhil zu seinem Herrn führen. Als er vor ihm stand, schlug Kamal ihm mit dem Handschuh auf die Nüstern und sprach mit fester Stimme auf Arabisch mit ihm. Dann nahm er Fadhil die Zügel ab.

Francesca konnte der Versuchung nicht widerstehen und streichelte Pegasus, ohne auf die Blicke zu achten, die der Prinz ihr zuwarf. Sie freute sich über die Ruhe des Tieres, das Minuten zuvor noch nach Fadhil gebissen hatte, stolz darauf, dass der saudische Prinz sah, wie gut sie mit einem wilden Pferd wie diesem zurechtkam. Sie hätte ihn gebeten, Pegasus reiten zu dürfen, doch als sie aufblickte und in seine Augen sah, erschrak sie.

Ehe sie sich versah, lag sie in seinen Armen, die sie unbarmherzig umfassten. Sie versuchte, sich zu befreien, doch die Kraft des Arabers brach ihren Widerstand rasch, und sie sank willenlos an seine Brust. Kamal beugte sich über sie und küsste sie leidenschaftlich, wie von Sinnen, ohne Rücksicht auf Francescas plötzliche Schwäche, die überrumpelt von der unerwarteten Situation war. Er bog sie leicht nach hinten und ließ seine Lippen ihren Hals hinabwandern bis dorthin, wo der Ausschnitt begann.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich diesen Moment herbeigesehnt habe«, stieß er hervor, das Gesicht an ihrem Hals vergraben. »Warum zitterst du? Hast du etwa Angst vor mir? Schau mich an.«

»Nein«, wisperte sie, unfähig, ihm erneut in die Augen zu sehen.

Sanft hob Kamal ihr Kinn an.

»Mach die Augen auf und sieh mich an«, befahl er flüsternd, und Francesca gehorchte.

Das Feuer der Leidenschaft verdunkelte seine grünen Augen. Sie hatte Angst vor ihm und klammerte sich unbewusst an seinen Schultern fest. Mit einer Sanftheit, die Francesca ihm nicht zugetraut hätte, küsste er ihre Stirn, ihre Nase, ihre Augen, ihre Wangen. Dann hauchte er Francesca ins Ohr: »Weißt du eigentlich, wie schön du bist? Ich glaube, du bist dir deiner Macht überhaupt nicht bewusst.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie erneut.

Francesca entspannte sich, und eine Wärme durchflutete ihren Körper und brach ihren Widerstand vollends. Es war vollkommen verrückt, sich einzugestehen, dass sie sich in den Armen dieses Arabers außerordentlich wohl fühlte. Le Bons dröhnende Stimme und Méchins Lachen aus der Richtung des Haupthauses brachen den Zauber. Kamal ließ sie los, und nachdem er sein Hemd glattgestrichen hatte, ging er den Männern entgegen.

Immer noch verwirrt, folgte Francesca ihm aus den Stallungen hinaus. Ohne zu verstehen, was die Männer in diesen endlosen Minuten redeten, entschuldigte sie sich, ging rasch zum Haus zurück und schloss sich in ihrem Zimmer ein.