4. Kapitel

In ihrem Kummer beichtete Francesca ihrer Mutter alles. Sie erzählte ihr von dem ersten Abend, als Aldo sie im Pool ertappte, und auch von den Nächten, die folgten. Von den Nachmittagen, die sie miteinander verbrachten, und von den Liebesschwüren, die sie austauschten. Antonina hörte ihr ruhig zu, ohne Überraschung oder Missbilligung zu zeigen, und ließ sie weinen. Sie wiegte sie in ihrem Schoß und streichelte ihr Haar.

»Er hat mir gesagt, dass er mich liebt«, wiederholte Francesca immer wieder. »Und ich habe ihm geglaubt. Es klang so ehrlich.«

Antonina fasste sie am Kinn und trocknete ihr mit einem Taschentuch die Wangen. Dann sagte sie sanft: »Du hättest dem jungen Herrn Aldo nicht vertrauen dürfen, figliola. Du hättest seinem Drängen nicht nachgeben dürfen. Du weißt doch, wie diese Leute sind. War dir Rosalías Geschichte nicht Warnung genug?«

»Ich bin nicht wie Rosalía«, fuhr Francesca hoch.

»Natürlich«, bestätigte Francesca. »Dank deinem Onkel Fredo hast du eine hervorragende Ausbildung erhalten. Trotzdem wirst du für diese Leute immer die Tochter der Köchin bleiben. Señora Celia wird niemals zulassen, dass ihr Erstgeborener eine Frau heiratet, die sie für nicht standesgemäß hält. Sie würde euch das Leben zur Hölle machen und alle Kniffe anwenden, die sie kennt. Sie würde niemals ihr Einverständnis geben.«

»Ich weiß, dass er mich liebt, mamma. Ich weiß es. Ich fühle es hier.« Bei diesen Worten legte sie die Hand aufs Herz.

»Mag sein, dass der junge Herr Aldo irrsinnig verliebt in dich ist, aber er hat immer gemacht, was seine Mutter ihm sagt. Er hat solche Angst vor ihr, dass er sogar die Frau heiratet, die sie für ihn ausgesucht hat. Mach dir nichts vor, Francesca: Der junge Herr Aldo ist mit Fräulein Dolores verlobt, und sie werden demnächst heiraten. Bitte, halte dich von ihm fern und mach keine Probleme.«

Später zog sich Francesca mit Sofía, die inzwischen auch wieder in der Stadt war, auf den Dachboden zurück. Dort erzählte sie ihr mit tränennassen Augen alles. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen, brach sie nach den ersten paar Sätzen in Tränen aus. Sofía war zuerst betroffen, doch dann verteidigte sie ihren Bruder und versicherte, dass diese Ehe mit Sicherheit von ihrer Mutter und Señora Carmen eingefädelt sei. Aldo wirke nicht gerade verliebt. Er behandele seine Verlobte unterkühlt und in den letzten Tagen auf dem Land sogar mit Geringschätzung.

»Dann muss ich zu dem Schluss kommen, dass Aldo ein Feigling ist, der sich von zwei alten Drachen herumkommandieren lässt und nicht imstande ist, um seine Liebe zu kämpfen«, schloss Francesca. »Wie konnte ich Idiotin nur glauben, dass er mich irgendwann geliebt hat! Für ihn war es nur ein Spiel, um sich die eintönigen Tage auf dem Land zu vertreiben. Ich dagegen liebe ihn wirklich aus ganzem Herzen!«

Sofía musste an Nando und ihr Baby denken. Sie nahm Francesca in die Arme und hielt sie lange fest, bis die Tränen allmählich versiegten.

***

An diesem Abend nahm Francesca ein Glas Milch und Kekse mit aufs Zimmer, um nicht mit den übrigen Dienstboten an einem Tisch sitzen zu müssen, die kein anderes Gesprächsthema als die Hochzeit des jungen Herrn Aldo hatten. Sie zog das Nachthemd an und aß im Bett, während sie las. Obwohl das Buch interessant war, waren ihre Gedanken woanders, viele Kilometer entfernt, am Schwimmbecken von Arroyo Seco, wo alles begonnen hatte. Schließlich klappte sie das Buch zu und ließ sich von ihren Erinnerungen davontragen, die ihr manchmal ein Seufzen oder ein leises Lächeln entlockten. Es tat ihr nicht gut, sich zu erinnern, wo sie doch vergessen und Aldo Martínez Olazábal aus ihrem Kopf und ihrem Herzen verbannen sollte, aufhören sollte, ihn zu lieben, ihn hassen, falls möglich, oder einfach mit Gleichgültigkeit betrachten. Aber sie wusste, dass das nicht so einfach sein würde. Sie befürchtete sogar, dass es sich fürs Erste um ein sinnloses Unterfangen handelte.

Ein Klopfen gegen den Fensterladen ließ sie zusammenzucken. Das musste Sofía sein, die sie oft zu einem Spaziergang durch den Park abholte, um dort die Ruhe zu suchen, die sie in der Villa nicht fand. Sie stieß die Läden auf, und das Lächeln gefror ihr auf den Lippen: Vor ihr stand Aldo und sah sie innig an. Sie machte Anstalten, das Fenster zu schließen, doch Aldo riss es wieder auf.

»Lass mich rein«, befahl er unwirsch.

»Dies ist Ihr Haus, Sie können reinkommen, wenn Sie wollen«, entgegnete Francesca. »Aber vorher gehe ich raus.«

»Francesca, bitte«, sagte Aldo, nun weniger herrisch. »Wir müssen reden.«

»Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Señor. Die Sache zwischen Ihnen und mir ist zu Ende.«

»Verdammt, Francesca!«, fuhr Aldo auf und schlug mit der Faust gegen den Fensterladen. »Sei nicht so stolz. Lass mich es dir erklären. Ich komme jetzt rein«, kündigte er dann an und schwang sich aufs Fensterbrett, um ins Zimmer zu springen.

»Also gut«, gab Francesca nach. »Ich komme raus. Aber bitte bleib draußen.«

Francesca warf den Morgenmantel über und schlüpfte in die Pantoffeln. Dann stieg sie aufs Bett und von dort aufs Fensterbrett. Sie wies Aldos Hilfe zurück, der ihr die Arme entgegenstreckte, hielt den Morgenmantel und das Nachthemd fest und sprang. Unten auf dem Rasen angekommen, strich sie ihr Haar zurecht und zog den Gürtel des Morgenmantels fest.

»O Francesca, Liebling!«, sagte Aldo und drückte sie gegen die Hauswand.

Dann küsste er sie leidenschaftlich, ohne ihr Zeit zum Reagieren zu lassen. Seine Hände wanderten unter ihren Morgenmantel und fassten sie um die Taille. Francesca stöhnte vor Lust und gab sich seinem Kuss hin, als hätte es die düsteren Gedanken von vorhin nie gegeben. Sie hatte sich so nach Aldo gesehnt, nach seinen Lippen auf den ihren, nach den leidenschaftlichen Worten, die er ihr ins Ohr hauchte, nach seinen Liebesschwüren, dass sich die Enttäuschung und die Wut in Nichts auflösten.

Aldo sank vor ihr nieder, zog sie sanft zu sich ins Gras und beugte sich über sie. Wie in Trance folgte das Mädchen den Anweisungen, die Aldos Hände ihr gaben. Es war ein so schönes und berauschendes Gefühl, dass ihre Muskeln ihr nicht mehr gehorchten und sie wie Wachs in seinen Händen war. Francesca konnte nur denken: »Aldo liebt mich noch genauso wie in Arroyo Seco. Er liebt mich noch immer, obwohl er Dolores heiraten wird.«

Der Satz hallte wie ein Schrei in ihrem Kopf wider und riss sie jäh aus ihrer Verzückung, als hätte man ihr einen Eimer kaltes Wasser übergeschüttet. Sie begann verzweifelt nach Luft zu schnappen und sich zu winden, um sich von ihm loszumachen. Aldo jedoch bemerkte nichts von der Veränderung, die in Francesca vorging, und küsste und streichelte sie weiter, wie benommen von Leidenschaft, wie er sie noch für keine andere Frau empfunden hatte.

»Genug! Lass mich los! Genug!«, brüllte Francesca schließlich.

Aldo löste sich ein wenig von ihr und sah sie verstört an. Francesca nutzte die Gelegenheit, um ihn von sich wegzuschieben und aufzustehen.

»Wie hast du dir das vorgestellt?«, warf sie ihm vor, während sie ihre Blöße bedeckte. »Wolltest du mich hier im Garten nehmen wie ein billiges Flittchen?«

»Francesca, bitte …« Aldo versuchte sie am Arm festzuhalten, aber sie machte sich wütend los.

»Fass mich nicht an! Versuch das nie wieder! Du hast nicht mal das Recht, mich anzusehen. Das mit uns war an dem Tag vorbei, als ich erfahren habe, dass du Dolores heiraten wirst.«

»Ich liebe sie nicht. Ich bin verrückt nach dir, Francesca«, beteuerte er. »Ich will mit dir schlafen, um es dir zu beweisen. Hier und jetzt.«

Francesca schnaubte verächtlich und wandte sich ab. Bevor sie aufs Fensterbrett klettern konnte, fasste Aldo sie um die Taille und drehte sie zu sich um. Für einen Moment verrauchte ihre Wut, als sie in seine himmelblauen Augen blickte und sah, dass er nicht log. Er liebte sie wirklich. Er wirkte traurig und verzweifelt.

»Aldo«, sagte sie sanft, »mach es nicht noch schwerer. Lass mich in mein Zimmer zurück. Du wirst eine andere heiraten und nicht mich.«

»Aber ich liebe dich, Francesca. Ich liebe dich wie von Sinnen!« Er umfasste ihren Nacken und küsste sie erneut.

Francesca ließ ihn gewähren und leistete keinen Widerstand, aber sie blieb reglos und kalt. Aldo ließ sie los und sah sie fragend an.

»Was ist? Liebst du mich denn nicht?«

»Ich habe unsere Beziehung nicht beendet, Aldo«, erklärte Francesca ruhig. »Du hast dich entschlossen, eine andere zu heiraten.«

»Dass ich eine andere heirate, muss nicht bedeuten, dass unsere Beziehung zu Ende ist.«

»Was willst du damit sagen?«, fuhr sie ihn an.

»Ich kann nicht ohne dich leben. Unmöglich, das weiß ich. In den Tagen in Arroyo Seco, als du nicht bei mir warst, ist mir klargeworden, dass ich dich zum Leben brauche.« Er machte eine Pause und sammelte Mut, um ihr dann vorzuschlagen: »Ich kaufe dir ein Appartement, auf deinen Namen. Dort kannst du mit deiner Mutter leben, ich überweise dir einen monatlichen Scheck, es wird euch an nichts fehlen …«

Francesca gab ihm eine Ohrfeige. Aldo hielt sich die Wange und blickte zu Boden.

»Du mieser Feigling! Wie kannst du es wagen, mich wie eine Hure zu behandeln? Wofür hältst du mich? Dass ich die Tochter der Köchin bin, gibt dir nicht das Recht, mich zu beleidigen.«

»Ich wollte dich nicht beleidigen«, murmelte Aldo. »Entschuldige. Bitte verzeih mir.«

»Mir ist klargeworden, dass du nichts wert bist, Aldo Martínez Olazábal. Du warst nur eine Illusion. Geh schon und heirate diese stinkreiche Dolores. Lauf zu deiner Mama und mach, was sie dir sagt. Du elender Feigling!«, wiederholte sie.

»Sag das nicht«, bat Aldo. »Bitte. Ich ertrage das nicht. Du tust mir so weh. Ich liebe dich, aber ich muss Dolores heiraten. Ich muss, verstehst du. Sie und ich … Ich habe sie gedrängt, und sie … sie hat sich mir hingegeben. Ich war ihr erster und einziger Mann …«

»Ich will das nicht hören«, sagte Francesca hart. Sie stieß ihn von sich weg. »Deine Geschichten mit dieser Frau interessieren mich nicht. Wenn du sie heiraten musst, dann tu’s, aber lass mich in Ruhe. Die Sache mit uns ist vorbei.«

Aldo wollte Francesca erneut am Arm fassen, doch ihr wütender Blick ließ ihn innehalten. Stumm verfolgte er, wie sie geschickt aufs Fensterbrett kletterte und ins Zimmer sprang. Sie sahen sich noch einmal in die Augen, bevor Francesca die Fensterläden zuschlug.

***

Im Laufe der Zeit wurde Francesca hart und empfand eine solche Verachtung für die Martínez Olazábals, dass sie ihnen alles nur erdenklich Schlechte an den Hals wünschte. Sie ging ihnen aus dem Weg, verließ die Villa früh am Morgen und kehrte erst spätabends zurück. Sie wäre gerne zu ihrem Onkel gezogen, übernachtete aber nur selten in der Wohnung an der Avenida Olmos, um seiner Beziehung mit Nora nicht im Weg zu stehen. Sie sah, dass Nora unsterblich in ihren Chef verliebt war, obwohl Fredo ihre Gefühle nicht erwiderte, und so blieb sie aus Solidarität mit der Sekretärin in der »Hölle«, wie sie das Stadthaus der Martínez Olazábals nannte.

Sofía wollte die verfahrene Situation klären und erbot sich, mit Aldo zu reden. Ihr Bruder und sie hatten immer ein vertrauensvolles Verhältnis gehabt; sie wusste, dass er sie anhören und ihr eine Erklärung nicht verweigern würde.

»Ich verbiete dir, deinem Bruder gegenüber auch nur meinen Namen zu erwähnen«, stellte Francesca klar. Sofía war beeindruckt von der Entschiedenheit ihrer Freundin. »Ich mag vielleicht nicht zur feinen Gesellschaft von Córdoba gehören, aber ich habe meinen Stolz.«

Doch trotz ihrer Wut und ihrer Verletztheit war Francesca krank vor Liebe. Die Nächte am Pool gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf, berauschende Nächte voller Versprechungen und inniger Küsse. Sie würde nie die Ausritte vergessen, die immer mit einem Picknick im Schatten eines Baumes endeten. Sie würde diese Erinnerungen wie einen Schatz hüten, auch wenn sie schmerzlich waren. Die Liebe, sagte sie sich jeden Tag, konnte einen auf Wolken schweben lassen, und sie konnte einen unbarmherzig in ein tiefes, dunkles Loch stürzen.

Alfredo ahnte, dass Francesca Probleme hatte. Sie wirkte abwesend und in sich gekehrt. Ihr blasses Gesicht und die dunklen Augenringe, der müde Gang und die matte Stimme sprachen eine deutliche Sprache. Nora brachte ihn auf die richtige Fährte: dass es sich wahrscheinlich um Liebeskummer handelte.

»Wenn Francesca dir nicht erzählt, was mit ihr los ist, dann geht es bestimmt um einen Mann. Sie wird sich schämen, es dir zu sagen«, vermutete sie.

Dass Francesca verliebt sein könnte, gefiel Alfredo ganz und gar nicht, und er tat diese Möglichkeit unwirsch ab.

»Dein Patenkind ist ein bildhübsches Mädchen mit einem einnehmenden Wesen. Was ist daran so abwegig, dass sich ein Mann in sie verliebt haben könnte? Du hast ja keine Ahnung, wie viele von der Redaktion gerne mit ihr ausgehen würden.«

Fredo stand leise fluchend aus dem Bett auf und verschwand im Bad, während er sich vornahm, jeden zu feuern, der es wagte, sich an seine Francesca heranzumachen. Der Spiegel zeigte ihm einen alten, traurigen Mann, der kindisch und unvernünftig geworden war. War er ein so großer Egoist, dass er Francesca nicht gönnte, mit einem Mann glücklich zu werden? Er ging wieder ins Bett, wo Nora ihre Arme um ihn schlang.

Nachdem er festgestellt hatte, dass er es nicht schaffte, offen mit Francesca zu sprechen, ging Alfredo zum Haus der Martínez Olazábals, um Antonina seine Befürchtungen mitzuteilen. Sie hatten sich seit Silvester nicht gesehen, und das Wiedersehen ging beiden sehr nahe. Unsicher plauderten sie über Nichtigkeiten und nippten nervös an ihrem Saft. Fredo erkundigte sich, wie es in Arroyo Seco gewesen sei, und nach Antoninas »sehr schön, danke«, bemerkte er, dass das auf Francesca wohl nicht zuträfe. Dann schilderte er ausführlich, wie sich sein Patenkind verändert hatte, und fragte schließlich direkt: »Weißt du etwas, Antonina?«

Die Italienerin bestätigte seine Vermutungen: Ihrer Tochter gehe es in der Tat nicht gut, sie habe schlimmen Kummer.

»Der junge Herr Aldo hat ihr auf der Estancia den Kopf verdreht, und jetzt heiratet er das Fräulein Dolores.«

Antonina musste Fredo davon abhalten, »diesen Bastard« im ganzen Haus zu suchen, um ihm »die Visage zu polieren«, wie er es nannte. Sie nötigte ihn, sich wieder zu setzen, und ergriff seine Hand. Trotz aller Wut spürte Alfredo, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief.

»Reg dich nicht auf, Alfredo. Francesca ist ein starkes Mädchen, sie wird darüber hinwegkommen. Ihre Liebe zu dem jungen Herrn Aldo ist aussichtslos. Glaubst du etwa, Señora Celia würde sie jemals in Frieden lassen?«

»Jemand muss diesen Dreckskerl zur Rechenschaft ziehen! Ich bin so etwas wie Francescas Vater! Er ist mir eine Erklärung schuldig.«

»Lassen Sie es darauf beruhen«, bat Antonina.

»Glaubst du … also, ähm … meinst du, die beiden haben …?«

Als Antonina verschämt zu Boden sah und den Kopf schüttelte, atmete Alfredo erleichtert auf.

***

Die kirchliche Trauung fand in einem Raum im Erdgeschoss des Stadthauses der Martínez Olazábals statt und wurde vom Bischof von Córdoba persönlich durchgeführt. Gefeiert wurde im großen Salon und den umliegenden Räumen, in denen ebenfalls zahlreiche Tische standen. Celia sah sich um: Die drei Kristalllüster brachten die vergoldete Wandtäfelung zum Leuchten. Die Tische, die bis hinten in den Wintergarten standen und mit weißen Tischdecken, englischem Porzellan und Silberbesteck eingedeckt waren, hatten das Wohlwollen von Señora Carmen gefunden. Durch die Glastüren sah man in den Park hinaus, wo zwischen Springbrunnen und Statuen ihre herrlichen Rosenbeete in voller Blüte standen. Die Gäste – die Herren im Frack, die Damen in Abendkleidern – ließen sich die Krabben- und Kaviarhäppchen schmecken.

»Was für ein schönes Paar!«, bemerkte Celia zur Brautmutter und ihrer Tochter Enriqueta und deutete in die Mitte des Salons, wo Aldo und seine Frau die Gäste begrüßten. »Ich hätte niemals zugelassen, dass Aldo eine andere heiratet. Dolores ist die ideale Frau für ihn.«

»Findet ihr nicht, dass sie heute schöner aussieht denn je?«, fragte Señora Carmen. Beide Frauen stimmten ihr zu.

Aldo ließ Dolores bei einigen Verwandten stehen. Die vielen Menschen bereiteten ihm Beklemmungen, und der Alkohol begann ihm zu Kopf zu steigen, denn er hatte an diesem Tag schon früh mit dem Trinken begonnen. Grüßend und in alle Richtungen nickend ging er in den kühlen Garten hinaus. Er trat an die Balustrade der Veranda, wo er seine Krawatte lockerte und sich eine Zigarette anzündete. Die Schönheit des Parks und der Geruch nach feuchtem Rasen versetzten ihn in andere Nächte zurück, als das Glück ihm gehört hatte. Er legte die Hand an die Stirn und kniff die Augen zusammen. Er wollte vergessen. Erschöpft lehnte er sich gegen das Geländer. Das Leben erschien ihm wie eine lange, unausweichliche Strafe. Endlose Tage des Unglücks verdüsterten die Zukunft, und er fand nicht den Mut, sich ihnen zu stellen. Wenn er Francesca nie kennengelernt hätte, wäre es einfacher gewesen, sagte er sich. Wie einer, der von Geburt an blind war oder in Gefangenschaft lebte, würde er weiterhin in der Dunkelheit oder der Unwissenheit des Sklaven leben, ohne unter diesem Zustand zu leiden und die Gefühle zu kennen, die ihn nun Tag und Nacht quälten.

Er war versucht, zu Francescas Zimmer zu gehen und sie zu bitten, mit ihm zu fliehen. Er hatte Fluchtgedanken, seit er vor dem improvisierten Altar im Arbeitszimmer seines Vaters »Ja« gesagt hatte, als hätten ihm die Zeremonie und die anschließende Feier das wahre Ausmaß der Verpflichtung vor Augen geführt, die er sich auf die Schultern geladen hatte. Irgendwie hatte er bis zum letzten Moment an der Illusion festgehalten, dass sich die Sache mit Dolores lösen würde und er sie nicht heiraten müsse. Er lächelte verbittert und nannte sich selbst einen feigen Idioten. Dann warf er die Zigarette zu Boden und trat darauf herum, bis sie nur noch aus einzelnen Bröseln bestand.

Er ging durch den Garten zur Küche. Die Kellner und Hausmädchen bemerkten seine Gegenwart gar nicht. Er schlich durch den Flur zum Dienstbotentrakt und ging ohne anzuklopfen in Francescas Zimmer. Es war leer. Er drehte um und kehrte zur Feier zurück, wo er Sofía beiseitenahm.

»Sag mir, wo Francesca ist!«

»Wozu? Damit du sie noch mehr quälst, als du es schon getan hast?«, gab das Mädchen zurück. »Ich werde es dir nicht sagen.«

»Du bist meine Schwester, Sofía, du bist es mir schuldig. Sag mir, wo sie ist! Ich muss mit ihr reden, sie um Verzeihung bitten.«

»Dafür ist es nun zu spät.«

Aldo packte sie grob am Arm und schüttelte sie leicht.

»Mir ist nicht nach Geplänkel zumute. Sag mir, wo sie ist, oder ich schreie Francescas Namen hier im Salon heraus.«

Sofía lächelte amüsiert und zuckte mit den Schultern.

»Nichts würde mir mehr Spaß machen, als wenn du hier im Salon herumbrüllst und Mama die Feier ruinierst.«

Bei Antonina verfehlte Aldos Drohung ihre Wirkung nicht. Die Köchin wurde blass und musste das Gläsertablett auf einem Tisch abstellen.

»Señor Aldo, ich bitte Sie, was reden Sie da? Nach meiner Tochter wollen Sie rufen, hier? Beharren Sie nicht länger und lassen Sie sie in Ruhe, zu Francescas und Ihrem eigenen Besten. Sie haben gerade geheiratet – Sie wollen doch nicht durch eine solche Dummheit Ihre Ehe aufs Spiel setzen?«

»Meine Ehe interessiert mich einen Dreck. Ich zähle jetzt bis fünf, und wenn Sie mir dann nicht sagen, wo Francesca ist, fange ich an zu brüllen. Eins, zwei …«

»Señor Aldo, um Himmels willen, haben Sie den Verstand verloren?«

»Drei, vier …«

»In Ordnung, in Ordnung«, gab Antonina nach.

»Und lügen Sie mich nicht an«, drohte Aldo. »Sonst komme ich zurück und mache meine Ankündigung wahr.«

»Sie ist bei ihrem Onkel Fredo«, gab Antonina schließlich zu.

»Ich kenne das Haus. Ich habe meinen Vater mal hingefahren. Aber ich weiß nicht, welche Wohnung es ist.«

»Appartement 6 B«, setzte Antonina hinzu und ging in Richtung Küche davon.

Aldo nahm ein Glas Champagner und trank es in einem Zug leer, dann noch eines und noch eines, bis es seinem Vater auffiel, der ihn vom anderen Ende des Salons beunruhigt beobachtete. Die Geschwindigkeit, mit der sich sein Sohn betrank, war dem Anlass nicht angemessen. Er wusste, dass Celia und Carmen einen gewissen Druck ausgeübt hatten, die Hochzeit vorzuverlegen, insbesondere nachdem herausgekommen war, dass Aldo und Dolores miteinander geschlafen hatten. Aber er war sicher, dass sein Sohn verliebt war, und begriff nicht, warum er so verzweifelt aussah. Er würde ihn in die Küche bringen und Rosalía um eine Tasse starken Kaffee bitten.

Esteban folgte Aldo in den Garten und weiter bis hinters Haus, wo sich die Garagen befanden. Er traute seinen Augen nicht, als er sah, wie sein Sohn rasch in seinen Sportwagen stieg und mit Vollgas das Anwesen verließ.

***

Francesca wälzte sich schlaflos im Bett herum. Im Leben nicht hätte sie gedacht, dass ihre Liebe zu Aldo so enden würde. Der Zauber aus Arroyo Seco war verflogen, und nun fühlte sie sich schuldig und wertlos. Es war alles ein Trugbild gewesen, das nur sie gesehen hatte. Jetzt würden Aldo und Dolores schon Mann und Frau sein, und das Fest befand sich auf dem Höhepunkt. Francesca war sicher, nie mehr glücklich sein oder sich neu verlieben zu können. Sie hasste Aldo – nicht nur, weil er sie verletzt hatte, sondern weil er aus ihr eine verbitterte Frau gemacht hatte.

Als es an der Tür läutete, beschloss sie, abzuwarten, bis ihr Onkel Fredo aufstand und diesen Witzbold rauswarf, der sich mitten in der Nacht einen Streich erlaubte. Aber aus dem Schlafzimmer ihres Onkels war kein Ton zu hören. Es klingelte erneut. Francesca stand auf, schlüpfte in die Pantoffeln, warf den Morgenmantel über und ging zur Gegensprechanlage in der Küche.

»Wer ist da?«, fragte sie ungehalten.

»Francesca, ich bin’s, Aldo.«

Ihr Herz machte einen Satz, ihr Mund wurde trocken, und sie brachte keinen Ton heraus.

»Mach auf, Francesca«, flehte Aldo. »Ich muss mit dir reden. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen.«

»Nein.«

»Mach auf, ich will dir sagen, dass ich dich liebe.«

»Nein«, wiederholte sie und legte den Hörer auf.

Es klingelte Sturm. Onkel Fredo erschien in der Küche.

»Was ist los?«, fragte er verschlafen. »Wer ist das?«

»Aldo Martínez Olazábal. Er und ich haben …«

»Ich weiß alles. Deine Mutter hat es mir erzählt.« Fredo nahm den Hörer und sagte kurz angebunden: »Ich komme runter.«


Esteban Martínez Olazábal parkte seinen Wagen einige Meter hinter dem von Aldo und erkannte sofort das Haus seines guten Freundes Alfredo Visconti.

»Was zum Teufel will er hier?«, murmelte er und beugte sich übers Lenkrad, um besser sehen zu können, was sein Sohn machte. Dann stieg er aus und trat vorsichtig näher.

»Francesca, ich bin’s, Aldo. Mach auf, Francesca. Ich muss mit dir reden. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Mach auf. Ich will dir sagen, dass ich dich liebe.«

Esteban war wie vom Donner gerührt. Die Szene schien ihm höhnisch ins Gesicht zu lachen und zu sagen: Die Geschichte wiederholt sich wie ein krankhafter Kreislauf. Zuerst er mit Rosalía und jetzt sein Ältester mit der Tochter der Köchin. Hilflos sah er den Kummer seines geliebten Aldo, seines Lieblingssohnes, der nun wie in einem grausamen biblischen Urteil teuer für die Sünden seines Vaters bezahlte.

»Aldo, mein Junge«, sagte er leise, um ihn nicht zu erschrecken, Aldo zuckte trotzdem zusammen und sah ihn entsetzt an.

»Was machen Sie hier? Gehen Sie! Lassen Sie mich in Ruhe!«

»Komm schon, Junge«, beharrte Esteban mit einer Sanftheit, die er gegenüber seinen Kindern noch nie an den Tag gelegt hatte. »Du hast hier nichts verloren. Lass dieses Mädchen in Ruhe.«

»Nein! Niemals«, entgegnete Aldo mit einer Wut, die Esteban nicht von ihm kannte. »Francesca gehört zu mir, und ich werde nicht von ihr lassen. Verstehen Sie? Niemals!«

Die Tür ging auf, und Alfredo Visconti erschien. Als er Esteban sah, war seine Miene nicht länger angriffslustig, sondern verdutzt.

»Was machst du denn hier, Esteban?«

»Ich bin meinem Sohn gefolgt, der Hals über Kopf seine eigene Hochzeitsfeier verlassen hat.«

»Bring ihn zurück«, sagte Fredo schroff. »Ich will nicht, dass er meine Nichte belästigt. Sie hat genug durch deinen verantwortungslosen Sohn gelitten.«

»Ich muss sie sehen!«, beharrte Aldo.

»Sie will dich nicht sehen, Aldo«, stellte Fredo klar.

»Aber ich muss mit ihr reden«, sagte Aldo noch einmal, nun schon kleinlauter.

»Komm, Aldo«, sagte Esteban und fasste ihn bei den Schultern. »Gehen wir.«

Stunden später, als das Fest zu Ende war, lag Esteban auf dem Diwan in seinem Arbeitszimmer, ein Glas Whisky in der Hand. Er sah müde aus, aber sein Kopf arbeitete auf Hochtouren.