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Der nicht ganz zufällige Tourist
Tod und Verbrechen kennen keine Grenzen, und die Knochen der Toten sprechen stets die gleiche Sprache, ob man sie in Knoxville, New York oder Old Mexico findet.
In Mexiko, etwa 150 Kilometer südlich von San Antonio (Texas), liegt Monterrey, eine Stadt mit rund drei Millionen Einwohnern. Die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Nuevo León ist ein belebtes Industriezentrum und könnte auch leicht als US-Stadt durchgehen, nur dass hier fast ausschließlich Spanisch gesprochen wird und blasse Haut selten ist.
Am 17. Januar 1999 kam meine eigene blasse Haut - ich bin ein widerwilliger, nervöser Flugreisender - auf dem internationalen Flughafen von Monterrey an. Ich war nach Mexiko gereist, um mich mit einem Versicherungsdetektiv namens John Gibson zu treffen und mit etwas Glück eine Sieben-Millionen-Dollar-Frage zu beantworten.
Auf dem eingezäunten Gelände einer Polizeistation in Guadalupe, einem Außenbezirk am Ostrand von Monterrey, stand das zerstörte Gerippe eines Chevrolet Suburban. Sechs Monate zuvor, im Juli 1998, hatte der Wagen gebrannt und dabei so viel Hitze erzeugt, dass die Leiche eines Mannes zu ein paar Händen voll verkohlter Knochenstücke zusammengeschnurrt war.
Wie viele Fälle, so begann auch dieser für mich mit dem Anruf eines Ermittlers, der nicht weiter wusste. Gibson wohnte in San Antonio und war von dem Versicherungskonzern Kemper Life engagiert worden, um den Tod eines Versicherungsnehmers zu untersuchen. Gibson hatte das Fahrzeug und die wenigen menschlichen Überreste im Inneren bereits gesehen. Jetzt brauchten er und Kemper Life meine Hilfe bei der Identifizierung.
Gibson holte mich am Flughafen ab und brachte mich zum Sheraton Ambassador Hotel, einem glitzernden Turm aus schwarzem Glas, der ohne weiteres auch in Los Angeles oder Tucson stehen könnte. Bei einem frühen Abendessen im Hotelrestaurant erläuterte Gibson mir die Einzelheiten des Falles.
Der Versicherte, ein US-Amerikaner namens Madison Rutherford, war ein 34-jähriger Finanzberater aus Connecticut. Zusammen mit seiner Frau Rhynie besaß er in der Nähe von Danbury ein Farmhaus aus der Kolonialzeit mit mehr als zwei Hektar Grund. Ihr bewaldetes Anwesen teilten sie sich mit einem ganzen Zoo von Hunden, Katzen und Hühnern. Rhynie war die einzige Begünstigte seiner Lebensversicherung.
Im Rahmen meiner Arbeit werde ich häufig daran erinnert, welch unterschiedlicher Wert dem Leben - und dem Tod - eines Menschen beigemessen wird. Manche Menschen findet der Sensenmann so arm, so einsam und mittellos vor, dass die Leiche herrenlos im Leichenschauhaus liegen bleibt, bis ein medizinischer Sachverständiger oder Gerichtsbeamter sie in einem Armengrab bestatten lässt. Andere sind mit liebenden Angehörigen, gesellschaftlichem Ansehen oder einer guten Versicherung gesegnet und hinterlassen Ruhm, Geld und eine trauernde Familie. Als mich das letzte Mal jemand danach fragte, wusste ich nicht einmal mehr, ob ich eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte; erst meine Frau Carol erinnerte mich daran, dass ich eine besaß. Aber sie lautet nur auf eine bescheidene Summe; im toten Zustand bin ich nicht viel wert, und mit Sicherheit lohnt es sich nicht, mich umzubringen.
Madison Rutherford dagegen war als toter Mann ein Vermögen wert: volle sieben Millionen Dollar - vier Millionen von Kemper Life, weitere drei Millionen durch ein anderes Versicherungsunternehmen namens CNA. Manch einer hätte es sicher lohnend gefunden, ihn umzubringen.
Rutherford war zusammen mit einem Bekannten ungefähr um den 10. Juli in Monterrey eingetroffen. Den Berichten zufolge waren sie zu einem Hundezüchter in Reynosa unterwegs, einer Stadt, die etwa 150 Kilometer weiter östlich liegt. Dort wollte Rutherford einen exotischen brasilianischen Hund kaufen, eine Mastiff-Unterrasse namens Fila. In Monterrey kaufte Rutherford ein Fahrrad - nach seinen Worten ein Geschenk für den Hundezüchter - und lud es in den Wagen.
Am Abend des 11. Juli ließ Rutherford den Freund in ihrem gemeinsamen Hotel zurück - demselben Sheraton, in dem Gibson und ich jetzt wohnten - und machte sich auf den Weg nach Reynosa. Am frühen Morgen des 12. Juli, auf dem Rückweg nach Monterrey, kam der gemietete Suburban von der Autobahn ab, prallte gegen eine Begrenzung und ging in Flammen auf. Polizei und Feuerwehr waren schnell zur Stelle, standen den heftigen Flammen aber machtlos gegenüber. Als das Feuer schließlich erlosch, blickten sie in den Wagen, aber dort fanden sie nichts - und niemanden.
Noch am gleichen Vormittag nahm die Polizei Kontakt mit der Autovermietung auf. Die wiederum rief Rutherfords Freund an, einen pensionierten Polizisten aus Connecticut namens Thomas Pietrini. Dieser bestand darauf, den Mitarbeiter der Vermietungsfirma zu dem Polizeigelände in Guadalupe zu begleiten, wo man den ausgebrannten Suburban abgestellt hatte.
Als sie dort waren, warf Pietrini einen Blick in den Passagierraum, stocherte in den verkohlten Resten auf dem Bodenblech und fand schließlich eine geschwärzte Armbanduhr. Sie trug auf der Rückseite eine rußige Inschrift: Für Madison - in Liebe, Rhynie. Die weitere Suche förderte einen medizinischen Notfallanhänger zum Vorschein; darauf stand, der Träger, Madison Rutherford, sei allergisch gegen Penicillin. Außerdem entdeckte Pietrini auch Knochen - oder genauer gesagt, Bruchstücke verbrannter Knochen. Ich fragte mich, ob ich in dem Auto überhaupt noch irgendetwas finden würde.
 
 
Am Montag, einen Tag nach meiner Ankunft, brachte Gibson mich zu dem Polizeigelände in Guadalupe. Ich habe in den letzten 30 Jahren Dutzende von verbrannten Autos untersucht, aber noch nie hatte ich eines gesehen, das vom Feuer so gründlich zerstört worden war. Die Fensterscheiben waren weg. Die Farbe - nach meiner Vermutung ein dunkles Blau - hatte sich vollständig in Blasen abgelöst und nur verrosteten Stahl zurückgelassen. Das Dach war an einer Ecke geschmolzen und in sich zusammengebrochen. Innen war außer Metall so gut wie nichts mehr vorhanden: nur Sitzgestelle und verkohlte Sprungfedern, das rußige Skelett des Autos. Der Anblick des Schadens bestätigte, was ich nach Gibsons Beschreibung der Knochen schon vermutet hatte: Es war ein unglaublich starker Brand gewesen.
Um eine Leiche in Brand zu setzen, braucht man große Hitze: Immerhin stellt Wasser den größten Anteil unseres Körpergewichts, und ein solcher Körper lässt sich ebenso schwer anzünden wie völlig durchweichtes Holz. Hat eine Leiche aber erst einmal Feuer gefangen, brennt sie erstaunlich gut, unter anderem deshalb, weil wir viel Kohlenstoff enthalten. Ein weiterer Grund ist unser Körperfett.
Vor einigen Jahren untersuchte einer unserer Doktoranden, welche Faktoren bei der »spontanen Verbrennung« mitwirken, also wenn Menschen Feuer fangen und verbrennen. In Wirklichkeit läuft der Vorgang natürlich alles andere als spontan ab. Damit ein Mensch zur Fackel wird, braucht man sowohl eine Brandquelle (zum Beispiel eine glimmende Zigarette) als auch eine äußere Brennstoffzufuhr (vielleicht durch eine Matratze oder ein Sofa). In manchen Fällen jedoch, vor allem wenn das Opfer stark übergewichtig ist, entsteht dann ein großes, heißes, stark rußendes Fettfeuer. Wenn Forschung überhaupt eine Moral beinhaltet, dann lautete die grausige Moral aus den Forschungsarbeiten dieses Studenten ganz einfach: Achte auf dein Gewicht, und rauche nicht im Bett. (Das eine gelingt mir halbwegs, das andere tue ich definitiv nicht.)
In der anthropologischen Forschungseinrichtung der University of Tennessee haben Doktoranden tatsächlich gespendete Leichen und amputierte Gliedmaßen angezündet, um wissenschaftlich präzise zu erfassen, was sich bei der Verbrennung eines menschlichen Körpers abspielt. Sie beobachteten und fotografierten die Vorgänge aus nächster Nähe und lieferten damit grundlegende Daten über den »normalen« Ablauf der Verbrennung. Vor dem Hintergrund solcher Befunde können wir der Polizei viel besser helfen, anormale und verdächtige Sachverhalte zu erkennen. Unter anderem nimmt eine verbrannte Leiche normalerweise die »Faustkämpferhaltung« ein: Wenn Muskeln und Sehnen erhitzt werden, schrumpfen sie ein, weil das Wasser verdampft, und die Hände schließen sich zur Faust. Auch die Arme beugen sich und ziehen die Fäuste in Richtung der Schultern, wie ein Preisboxer in Abwehrhaltung. Die Beine werden ebenfalls ein wenig angewinkelt, und der Rücken wölbt sich. Eine Leiche, die sich auf diese Weise bewegt und die Boxerhaltung annimmt, ist ein unheimlicher Anblick; es ist, als würde sie sich ein letztes Mal verzweifelt gegen den Sensenmann auflehnen. Lässt man das Gespenstische beiseite, ist es wissenschaftlich sehr aufschlussreich. Wenn man bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung eine verbrannte Leiche findet, die nicht die Faustkämpferhaltung angenommen hat, kann man daraus möglicherweise schließen, dass das Opfer bei seinem Tod gefesselt war, vielleicht mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen.
In diesem Fall bestand jedoch keine Aussicht, solche Anhaltspunkte zu finden. Erstens hatten die Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen von Monterrey die Leichenreste bereits aus dem Suburban entfernt. Und zweitens war die Hitze so stark gewesen, dass die meisten Knochen zu kleinen Bruchstücken zerfallen waren. Ob die Arme gestreckt oder gebeugt, frei beweglich oder gefesselt waren, konnte man unmöglich feststellen.
Ich kniete mich neben dem Fahrzeugwrack auf den Boden, beugte mich durch die Fahrertür ins Innere und begann in den verkohlten Trümmern auf dem Bodenblech zu wühlen. Ich suchte nach verbliebenen Knochen oder Zähnen. Sehr schnell fand ich tief in einer Ascheschicht ein kleines, graues, gewölbtes Knochenstück. Es hatte zwar nur eine Kantenlänge von sieben bis zehn Zentimetern, aber ich erkannte darin das Schädeldach. Die glatte Innenfläche war verbrannt, sodass das schwammartige Innere des Knochens frei lag.
Durch den Knochenfund in der Trümmerschicht war zumindest eine Frage beantwortet, die mich bis dahin beschäftigt hatte: Die Leiche war tatsächlich in dem Wagen verbrannt; man hatte nicht während des Brandes oder schon davor einfach ein paar verbrannte Knochen hineingeworfen. Aus der Lage anderer verbrannter Teile in seinem Umfeld konnte ich ablesen, dass die Leiche tatsächlich hier in dem Suburban ein Raub der Flammen geworden war.
Das Schädelbruchstück hatte also eine wichtige Frage beantwortet, gleichzeitig aber auch eine neue, ebenso wichtige Frage aufgeworfen: Wie kam das Schädeldach ganz unten in den Trümmerhaufen? Und warum lag es mit der Unterseite nach oben? Theoretisch konnte man sich natürlich vorstellen, dass der Knochen aus einer höheren Position heruntergefallen war, entweder während des Brandes selbst oder bei der späteren Untersuchung durch die Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen. Aber diese Erklärung passte nicht zu Lage und Zustand des Fragments. Seine innere, konkave Oberfläche war verbrannt, die äußere dagegen - die Oberseite des Schädels - war weit gehend unbeschädigt. Das konnte nur eines bedeuten: Die Leiche hatte während des Brandes kopfüber im Fußraum vor dem Fahrersitz gelegen.
Jeder, der sich ans Steuer eines Autos setzt, kann selbst das Experiment machen und sich so hinlegen, dass der Kopf sich neben dem Gaspedal befindet. Gar nicht so einfach, oder? Ich muss es wissen, denn ich habe es ausprobiert. Kann man sich vorstellen, dass man in diese Position gelangt, wenn man von der Straße abkommt und in einen Graben fährt - wohlgemerkt, ohne dass das Fahrzeug sich überschlägt? Aus Sicht der Taphonomie ergab der Fall schlicht und einfach keinen Sinn.
Die Taphonomie - die Untersuchung der Anordnung oder relativen Lage menschlicher Überreste im Verhältnis zu Gerätschaften und natürlichen Elementen wie Erde, Blätter und Insektengehäusen - ist für den forensischen Anthropologen am Tatort eine der wichtigsten Informationsquellen. Ist die Leiche oder das Skelett von einem schmierigen schwarzen Fleck umgeben, was darauf hinweist, dass Tod und Verwesung an derselben Stelle stattgefunden haben? Oder sieht der Boden sauber und die Vegetation gesund aus, woraus man schließen kann, dass die Leiche bewegt oder von einer anderen Stelle hierher geschleppt wurde? Befinden sich die Knochen in den Kleidungsstücken oder daneben? Enthält der Schädel ein Wespennest, oder wächst ein Baumschößling durch den Brustkorb? Das und vieles andere sind wichtige Stücke für das taphonomische Puzzle; sie liefern zahlreiche Anhaltspunkte dafür, wann oder wie ein Mensch gestorben ist.
Im Fall von Madison Rutherford war die Taphonomie auf den Kopf gestellt. Wäre er von der Autobahn abgekommen, in den Graben gefahren und bei dem Aufprall gestorben oder bewusstlos geworden, hätte er in sitzender Position auf dem Fahrersitz verbrennen müssen. Stattdessen lag der Körper kopfüber im Wagen. Selbst wenn er den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, müsste jeder Aufprall, der zu Tod oder Bewusstlosigkeit führt, auch den Airbag ausgelöst haben, und der hätte die Bewegung eingeschränkt. Die Taphonomie war eine Warnlampe, ein Signal, dass hier irgendetwas nicht stimmte.
Nachdem ich das Schädelbruchstück in einem Beutel verstaut und diesen beschriftet hatte, durchsuchte ich den Rest des Fahrzeugs; weitere Knochen oder Zähne fand ich aber nicht mehr. Von dem übersehenen Schädelfragment abgesehen, hatten die Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen bei der Untersuchung des Wagens gründliche Arbeit geleistet.
Fast ebenso bedeutsam wie der Fund aus dem Wagen war das, was wir nicht fanden. Das Fahrrad, das Rutherford gekauft hatte, war weg. Das konnte einerseits darauf hindeuten, dass er bei dem Hundezüchter gewesen war und ihm wie geplant das Fahrrad geschenkt hatte. Andererseits befanden sich aber in dem Suburban auch keine Hundeknochen. Wenn der Hund also nicht wesentlich geschickter gewesen war als der Mensch und sich vor dem Brand gerettet hatte, bestand eine Diskrepanz zwischen dem, was man hätte finden müssen, und dem, was tatsächlich gefunden wurde. Auch das war ein Indiz.
Einen weiteren Anhaltspunkt lieferten die Brandschäden an dem Fahrzeug. Vom Benzin im Treibstofftank abgesehen, enthält ein Auto nicht viel brennbare Materialien: ein paar Teppiche, einige Polsterungen, ein Dachhimmel aus Stoff. Dennoch war dieser Suburban mit einer solchen Heftigkeit abgebrannt, dass es den Feuerwehrleuten nicht einmal gelungen war, die Flammen zu löschen. Ich bin kein Brandermittler, aber ich habe eine ausreichende Zahl von verbrannten Autos untersucht und mit so vielen Experten für Brandstiftung gesprochen, dass ich über ein paar grundlegende Kenntnisse verfüge. Nach den verheerenden Schäden an dem Fahrzeug zu urteilen, musste die Menge an brennbarem Material in dem Suburban - die »Brandlast«, wie Feuerwehrleute sie nennen - weit über das Normale hinausgegangen sein. Das ließ darauf schließen, dass das Feuer von einer großen Menge eines Brandbeschleunigers angeheizt wurde, und der musste sich zum größten Teil auf die rechte hintere Ecke des Fahrzeuges konzentriert haben, wo sogar das Dach durch die intensive Hitze in sich zusammengebrochen war.
Vor meinem geistigen Auge wehte noch eine andere rote Fahne in dem frischen Wind über dem zerstörten Suburban. Angeblich war Rutherford von der Autobahn abgekommen, in einen Graben gefahren und so heftig gegen die Straßenböschung geprallt, dass der Wagen Feuer fing. Aber am Vorderende des Wagens waren so gut wie keine Schäden zu erkennen, und nach Aussagen von Gibson, der den Unfallschauplatz besichtigt hatte, war die Straßenbefestigung an der Aufprallstelle nur geringfügig angekratzt oder beschädigt. Kurz gesagt, es sah so aus, als hätte jemand von dieser Unfallstelle gesund und munter zu Fuß weggehen - oder wegradeln - können.
Aber zurück zu dem forensischen Labor in der Innenstadt von Monterrey. Dort lagen die Knochen, und die besagten eindeutig, dass irgendjemand, vermutlich Madison Rutherford, sich nicht zu Fuß vom Inferno im Auto entfernt hatte.
 
 
Das gerichtsmedizinische Zentrum von Monterrey war eine nagelneue, blitzsaubere Einrichtung, größer und eindrucksvoller als das Regional Forensic Center, das man kürzlich zu Hause in Knoxville als Erweiterung des Klinikums der University of Tennessee errichtet hatte. Als John Gibson und ich dort ankamen, nahm uns eine kleine Delegation der Stadtverwaltung von Monterrey und der mexikanischen Regierung in Empfang. Da alle außer mir Spanisch sprachen, wusste ich nicht genau, was das alles für Leute waren, aber Gibson beherrscht die Sprache fließend, und deshalb stand ich schon bald in einem Labor und konnte an die Arbeit gehen. Dr. Jose Garza, ein Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen, brachte mir die Knochen, Zähne und einen weiteren Gegenstand, den sie aus dem Suburban geborgen hatten. Alles, was von dem kräftig gebauten Mann übrig geblieben war, hatten sie zusammengefegt und in rund einem halben Dutzend kleiner Plastikbeutel luftdicht verschlossen.
Wie nicht anders zu erwarten, waren die Knochen in den Beuteln zum größten Teil kalziniert, das heißt, ihre organische Substanz war vollständig verbrannt. Die kalzinierten Bruchstücke waren leicht, kalkartig und von einem körnigen Grau - genau wie ich es nach einem heftigen Brand erwartet hatte. Dagegen sah der medizinische Notfallanhänger, den man in dem Auto gefunden hatte - er bestand aus Edelstahl mit einem eingelegten Äskulapstab aus rotem Email - erstaunlich unbeschädigt aus. Und erstaunlich unbenutzt: Die Schließe stand offen.
Ein Brand, der kalzinierte Knochen hinterlässt, zerstört auch das gesamte genetische Material. Aus solchen Funden kann man also keine DNA-Proben mehr gewinnen und zur Identifizierung verwenden. Hier waren zwar die meisten Knochen kalziniert, aber nicht alle. Das Schädelbruchstück zum Beispiel, das ich gefunden hatte, würde mit Sicherheit genügend DNA für eine Analyse liefern, und das Gleiche galt auch für mindestens einen der vier Zähne, die der medizinische Sachverständige geborgen hatte. Durch einen Vergleich dieser DNA mit Proben von Madison Rutherfords Eltern, die beide noch am Leben waren, konnten wir fast mit absoluter Sicherheit feststellen, ob es sich hier um die verbrannten Knochen von Rutherford handelte. Allerdings hatten wir ein Problem. Nach Gibsons Aussage hatten Rutherfords Eltern keine Probe zur Verfügung gestellt.
Ich habe drei Söhne. Wenn einer von ihnen vermutlich tot wäre, würde ich genau wissen wollen, ob es sich bei einer aufgefundenen Leiche tatsächlich um ihn handelt. Ungeachtet der Trauer, die eine eindeutige Identifizierung mit sich bringt, kann ich mir nicht vorstellen, dass Eltern auf diese Gewissheit verzichten. Das Fehlen der DNA-Vergleichsproben war eine weitere rote Fahne. Mittlerweile wehten über diesem Fall mehr rote Fahnen als bei einer chinesischen Militärparade.
Wenn wir zur Identifizierung der verbrannten Leiche nicht die moderne DNA-Analyse einsetzen konnten, mussten wir auf die altmodische physische Anthropologie zurückgreifen: Ich musste die wahre Geschichte aus den Knochen herauslesen. Als ich mit der Rekonstruktion des Schädels begann, wurde es plötzlich richtig spannend. Ich hatte damit gerechnet, dass die Schädelnähte sich im Prozess der Verschmelzung befanden, insbesondere an der Innenfläche, wo die Verknöcherung zuerst einsetzt. Sie hätten als dunkle, geschlängelte Linien deutlich sichtbar sein müssen. Stattdessen waren die Nähte fast völlig verknöchert und nur durch schwache, kaum wahrnehmbare Leisten aus weichem Knochengewebe getrennt, wie Tapetenbahnen, deren Nähte mit Farbe überstrichen wurden. Andere Fragmente stammten von kräftigen Knochen mit stark entwickelten Muskel-Ansatzstellen und Anzeichen für eine umfangreiche Arthritis.
»Rutherford war 34, haben Sie gesagt?«, fragte ich Gibson. Er nickte.
Vom Bodenblech des Wagens hatte man vier Zähne geborgen: drei Schneidezähne und einen zweiten Molaren. Keiner davon hatte eine Füllung. Das zumindest stimmte mit den zahnärztlichen Unterlagen von Rutherford überein. Aber die beiden oberen Schneidezähne hatten große, ungefüllte Löcher - nicht gerade das, was man bei einem wohlhabenden Finanzberater erwarten würde. Der Molare war stark abgenutzt, fast wie die Zähne, die ich aus prähistorischen Gräbern kannte - aber deren Besitzer hatten sich ihr ganzes Leben lang von Getreide ernährt, das sie auf Steinmühlen gemahlen hatten und das dann auch ihre Zähne allmählich abgeschliffen hatte. Darüber hinaus waren an den Schneidezähnen zwei weitere auffällige Merkmale zu erkennen. Sie waren schaufelförmig, quadratisch und flach, und auf der Innenseite trugen sie eine U-förmige Rille; und die abgenutzten Kanten wiesen auf einen altbekannten Gebissfehler hin.
Ich rief Gibson zu mir und zeigte ihm die Zähne. »Sehen Sie, wie abgenutzt die sind?«, fragte ich. »So etwas bezeichnet man als ›Okklusionsverschleiß‹. Es entsteht, weil die Zähne aufeinander schlagen und sich aneinander reiben. In diesem Fall haben die Kanten der oberen Zähne fast genau auf denen der unteren gestanden; das nennt man ›Zangenbiss‹. Eine solche Bissanomalie gibt es bei Menschen europäischer Abstammung nicht.«
»Wo denn?«, fragte er.
»Bei Personen mit mongolischer Herkunft. Asiaten, Eskimos, amerikanische Ureinwohner.«
Gibson starrte mich an. »Sie wollen sagen, das hier ist...?«
Jetzt passten die Puzzlesteine - die abgenutzten Zähne und die kaum erkennbaren Schädelnähte - zusammen, und daraus ergab sich ein Bild, das nicht Madison Rutherford zeigte. »Das ist kein 34-jähriger Aktienmakler aus Connecticut«, sagte ich zu Gibson. »Das ist ein 50- oder 60-jähriger mexikanischer Arbeiter.«
Von der Identifizierung dieser verbrannten Knochen hing eine Menge Geld ab. Die Lebensversicherung bei Kemper Life war erst ein halbes Jahr vor dem »Unfall« abgeschlossen worden, und dabei hatte Rutherford der Versicherung mitgeteilt, er werde seinen Vertrag bei dem Konkurrenzunternehmen CNA kündigen. In Wirklichkeit erhöhte er auch dort seine Versicherungssumme auf mehr als das Doppelte.
Mittlerweile war klar, dass Rutherford weder bei einem Unfall gestorben noch kaltblütig ermordet worden war. Er hatte seinen Tod absichtlich vorgetäuscht. Das tragische Ereignis war eine raffiniert eingefädelte Fälschung, ein Sieben-Millionen-Dollar-Betrug. Auf Grund meiner Befunde weigerte sich Kemper Life, die vier Millionen Dollar an Rutherfords »Witwe« Rhynie auszuzahlen. In der diplomatischen, formellen Sprache der Versicherungsbranche lautete die Begründung: »Der Verstorbene war nicht der Versicherungsnehmer.«
Rhynie verklagte Kemper; auch gegen CNA, die ebenfalls die Zahlung von drei Millionen Dollar ablehnte, strengte sie einen Prozess an. Die forensischen Befunde gaben den Versicherungsunternehmen eindeutig Recht. Auf der anderen Seite stand jedoch eine Frau, die von den mexikanischen Behörden einen Totenschein erhalten hatte; sie hatte einen Teil der sterblichen Überreste eingeäschert und verstreut, und jetzt lebte sie in auffälliger Einsamkeit. Trotz der wissenschaftlichen Befunde bestand eine gewisse Gefahr, dass ein Geschworenengericht Rhynies Version der Geschichte glauben würde: eine Witwe mit gebrochenem Herzen, die von kaltschnäuzigen Versicherungsunternehmen übers Ohr gehauen wird. Schließlich verständigten sich beide Firmen mit ihr auf eine außergerichtliche Einigung: Kemper zahlte einen winzigen Bruchteil der Versicherungssumme, CNA einen größeren, aber immer noch bescheidenen Betrag.
Madison Rutherford dagegen - der lebende, atmende Madison Rutherford - hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst, und das noch gründlicher, als wenn er tatsächlich zu einem Häufchen Asche verbrannt wäre. Damit, so schien es, war der Fall beendet. Jedenfalls für einige Zeit.
 
Ich legte meine Akte über den vorgetäuschten Tod beiseite und widmete mich wieder meiner Wirklichkeit. Wieder einmal erwuchs aus der Trauer nach Annettes plötzlichem Tod ganz langsam neues Glück. Für diese Wendung schulde ich meinem jüngsten Sohn Jim große Dankbarkeit. In den traurigen Monaten, nachdem Annette gestorben war, kam er irgendwann aus Atlanta zu Besuch, und ich erzählte ihm, wie einsam ich mich fühlte. Daraufhin sagte Jim ganz aus heiterem Himmel (und es war nicht als Frage, sondern als Vorschlag gemeint): »Warum heiratest du eigentlich nicht Carol Lee?« Es war eine jener Ideen, deren Klugheit auf der Hand liegt, sobald sie ausgesprochen sind - eine Idee, bei der man sagt: »Warum bin ich darauf eigentlich selbst noch nicht gekommen?«
Carol Lee Hicks und ich waren in Virginia gemeinsam aufgewachsen. Sie war neun Jahre jünger als ich, aber wir wohnten in einer kleinen Stadt, und unsere Familien waren eng befreundet, sodass wir häufig zusammen spielten. Ich erinnere mich sogar noch an einen Tag im Juli 1944, als wir im Haus ihrer Großmutter waren: Wir spielten Verstecken und anschließend Fangen. (In Virginia suchte man sich im Jahr 1944 jede Ablenkung, die man finden konnte.) Als es Zeit zum Mittagessen war, rannten wir die Straße zur Mühle von Carols Vater hinunter, und dabei klagte sie auf einmal, dass ihre Seite und ihr Bein schmerzten. »Komm, wir sind fast da, bleib jetzt nicht stehen«, rief ich. Dann sah ich sie an, und eine Stimme in meinem Inneren ließ mich sagen: »Na gut, setzen wir uns hier kurz auf die Bank.«
Noch am gleichen Nachmittag bekam Carol Fieber; am nächsten Tag kam Schüttelfrost hinzu. Ihr Arzt hatte gerade in einer Fachzeitschrift einen Artikel über Kinderlähmung gelesen und erkannte sehr schnell, dass Carol sich im Frühstadium der Krankheit befand. Er brachte sie sofort nach Lynchburg ins Krankenhaus und rettete ihr damit vermutlich das Leben.
Carol ging aus eigener Kraft ins Krankenhaus; als drei Tage später das Fieber stieg, war sie bereits von der Taille abwärts gelähmt. Sieben oder acht Monate blieb sie im Krankenhaus, und erst Anfang 1945 konnte sie wieder gehen. Dabei hatte sie noch Glück.
Heute ist die Kinderlähmung praktisch in Vergessenheit geraten, aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war sie eine Seuche von fast biblischen Ausmaßen. Zehntausende von unschuldigen Kindern und jungen Erwachsenen fielen ihr zum Opfer, trugen dauerhafte Behinderungen oder Lähmungen davon. Die Kinderlähmung, eine besonders starke Form der Virus-Meningitis, hinterließ bei einer ganzen Generation von Amerikanern eine tiefe, unheilvolle Spur.
Den Kampf mit der eigentlichen Krankheit gewann Carol recht schnell, aber ihr Kampf gegen die Schäden, die sie hinterlassen hatte, sollte sich lange und quälend hinziehen. Er erforderte jahrelange Physiotherapie und zwölf komplizierte Operationen. In Virginia, Atlanta und Warm Springs (Georgia), wo Präsident Franklin D. Roosevelt ein medizinisches Institut eingerichtet hatte, das anderen Opfern der Kinderlähmung helfen sollte, bemühten sich Ärzteteams um Carol: Sie transplantierten gesundes Muskelgewebe in geschwächte Gliedmaßen, streckten oder durchtrennten verkürzte Sehnen, verbanden instabile Fußwurzelknochen. Während meines Grund- und Hauptstudiums an der University of Virginia besuchte ich Carol häufig im dortigen Krankenhaus, wo sie sich mit 13 Jahren den ersten Wiederherstellungsoperationen unterzog.
Auch in späteren Jahren blieben wir in enger Verbindung. Mit 16 war sie Brautführerin bei meiner Hochzeit mit Ann. Als sie älter wurde, heiratete sie einen jungen Mann aus der Gegend und hatte mit ihm einen Sohn namens Jeff. Später war sie in einem Sommer mit Mann und Sohn zwei Wochen in South Dakota und half, Indianergräber freizulegen. Schließlich ließ sie sich von ihrem Mann scheiden und arbeitete in einem Unternehmen mit vielen Ärzten, wo sie mit ihrer positiven Einstellung und ihrem schrägen Humor deutlich zu guter Stimmung beitrug. Wir besuchten sie jedes Mal, wenn wir nach Virginia kamen.
Dann kam Carol auch zu uns nach Tennessee: Als es meiner Mutter gesundheitlich schlecht ging, half Carol, sie zu pflegen, und als Annette Krebs bekam, kam Carol wieder und beteiligte sich auch an ihrer Pflege. Jetzt war ich derjenige, der Fürsorge brauchte. Und dann stellte mir mein Sohn Jim, warmherzig wie er ist, diese großartige Frage: »Warum heiratest du eigentlich nicht Carol Lee?« Ich tat es. Gemeinsam mit Carol wurde das Leben wieder lebenswert.
Carol hat eine strenge Anweisung erhalten: Sie darf unter keinen Umständen vor mir sterben. Augenzwinkernd versicherte sie mir, dass ich als Erster abtreten werde. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass sie damit Recht hat. Ich hoffe nur, sie hat nicht irgendwo eine Sieben-Millionen-Dollar-Police auf mein Leben versteckt.
Das North End von Boston ist ein angesagter, kreativer Hightech-Stadtteil mit vielen Loftwohnungen, Künstlern und Dotcom-Unternehmen. Eine der erfolgreichsten Webdesign-Firmen waren im Herbst 2000 die Double Decker Studios. Sie zählten das Bostoner Nahverkehrsunternehmen ebenso zu ihren Kunden wie den Medienriesen America Online. Der Ruf der Firma stieg ebenso in Schwindel erregende Höhen wie ihr Umsatz.
Zu denen, die sich um das finanzielle Wachstum des jungen Unternehmens kümmerten, gehörte auch Thomas Hamilton. Er war ungefähr ein Jahr zuvor als Finanzcontroller bei Double Decker eingetreten; seither war er durch seine Leistungen zu einem heißen Kandidaten für eine größere Beförderung zum Finanzchef geworden. Die Stelle war mit einem großen Gehalt und einer großen Verantwortung verbunden.
Kemper Life hatte einen Privatermittler aus Connecticut namens Frank Rudewicz angeheuert, der Rutherfords Spur in Neuengland wieder aufnehmen sollte. Zur gleichen Zeit beschäftigte sich Mike Garrigan, ein Detektiv aus Massachusetts, mit Thomas Hamilton. Dabei ergab sich nichts Ungewöhnliches, abgesehen von einem seltsamen kleinen Detail: Hamilton fuhr ein Auto, das auf den Namen von Rhynie Rutherford zugelassen war. Als die Detektive zusammentrafen und ihre Notizen austauschten, stellten sie fest, dass die Lebenswege von Rutherford und Hamilton sich durch eine Reihe seltsamer Zufälle verflochten. Als sie dann die Fotos verglichen, wussten sie auch, warum: Thomas Hamilton war Madison Rutherford. Nachdem Madison in Mexiko seinen Tod vorgetäuscht hatte, war er heimlich wieder über die Grenze nach Neuengland zurückgekehrt und hatte unter einem neuen Namen eine neue Stelle angenommen, die aber ebenfalls mit Finanzen zu tun hatte.
Die beiden gruben noch mehr aus. Thomas Hamilton war nicht der erste Falschname, den Rutherford benutzt hatte. Auch »Madison Rutherford« war ein Pseudonym, oder war es jedenfalls etliche Jahre lang gewesen. Geboren wurde der aalglatte Betrüger als »John Patrick Sankey«; den Namen Madison Rutherford hatte er erstmals schon 1986 benutzt, um sich Steuerrückzahlungen zu erschleichen, eine Hypothek für sein Anwesen von zweieinhalb Hektar zu erhalten und die Lebensversicherungen abzuschließen. Erst wenige Monate vor der Reise nach Mexiko hatte er seinen Namen ganz legal von Sankey in Rutherford geändert, und das auch nur deshalb, weil man zuvor einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses abgelehnt hatte. Nach außen hin schien es ihm und Rhynie zwar gut zu gehen, in Wirklichkeit waren die beiden aber hoch verschuldet: Madison hatte den Offenbarungseid geleistet, und der Versicherungsbetrug war ein verzweifelter Versuch, aus einem sehr tiefen Loch herauszukommen.
Der Detektiv Garrigan entdeckte noch ein weiteres nützliches Detail: Zu Madisons neuem Leben in Boston gehörten auch mindestens zwei neue Freundinnen. Als Rhynie davon erfuhr, war sie keine trauernde Witwe mehr, sondern eine wütende, betrogene Ehefrau.
Von den Detektiven alarmiert, handelte das FBI sehr schnell. Als »Thomas Hamilton« am Nachmittag des 7. November 2000 sein Büro bei den Double Decker Studios verließ, standen FBI-AGENTEN bereit und nahmen ihn fest. Der Staatsanwalt klagte ihn wegen Betruges an, weil er seinen Tod vorgetäuscht hatte und die Versicherungsunternehmen beschwindeln wollte. Nachdem ein ganzer Berg von Indizien einschließlich der Aussage seiner verbitterten Frau Rhynie gegen ihn sprach, bekannte sich Rutherford des Betruges für schuldig und erhielt dafür die Höchststrafe von fünf Jahren. »Das war eines der schwersten Verbrechen, die mir in diesem Gerichtssaal begegnet sind«, sagte der Bundesrichter zu ihm. »Es ist ein Verbrechen, das vielen Menschen viel Schmerz bereitet hat.«
Mit der Entdeckung, dass Madison Rutherford gesund und munter in Boston lebte, war die Frage nach seinem Schicksal und Verbleib beantwortet. Ein anderes Rätsel jedoch ist nach wie vor nicht gelöst: Wer verbrannte an jenem frühen Morgen des 12. Juli 1998 in dem Chevrolet Suburban bei Monterrey? Eines ist sicher: Rutherford hatte nicht einfach auf irgendeinem Friedhof neben der Straße ein altes Skelett ausgegraben - die Brüche in den Knochen zeigten, dass die Leiche noch frisch war, als sie verbrannte. Damit lautet die nächste Frage: Woher hatte Rutherford eine frische Leiche? Nachdem Rhynie sich entschlossen hatte, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, erzählte sie den Beamten, Madison sei seinem eigenen Bericht zufolge in die Leichenhalle eines Friedhofes eingedrungen und habe dort eine Leiche gestohlen. Wenn das stimmt, war es nach meiner Vermutung ein Glück, dass er nicht die sterblichen Überreste eines weißen Mannes von knapp über 30 Jahren erwischte. Ansonsten wäre er vielleicht davongekommen, und »Thomas Hamilton« würde - um sieben Millionen Dollar reicher - ein Luxusleben in einem vornehmen Bostoner Penthouse führen, statt seine Strafe in einem Bundesgefängnis abzusitzen.