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Neue Fortschritte, neue Proteste
Ein halbes Jahr nachdem die anthropologische Forschungseinrichtung durch Patricia Cornwells Roman The Body Farm ins Rampenlicht gerückt war, sonnte ich mich immer noch im Medieninteresse. Ich war mit Journalisten immer gut ausgekommen, vor allem weil es mir nichts ausmachte, ihnen von meinen Untersuchungen und Erfahrungen mit verwesenden Leichen und nackten Knochen zu erzählen. Meine Offenheit hatte mich manchmal in peinliche Situationen gebracht - insbesondere als ich mich beim Todeszeitpunkt des Colonel Shy um 113 Jahre verschätzte -, aber ich hatte auch dazu beigetragen, die forensische Anthropologie und ihre Bedeutung für die Verbrechensbekämpfung in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Mittlerweile leitete ich seit fast 25 Jahren das anthropologische Institut der University of Tennessee. In diesem Vierteljahrhundert war der Lehrkörper von sechs auf 20 Personen angewachsen. Unser Studiengang war von einem kleinen Hauptfachkurs für Anfänger zu einer der besten Ausbildungsmöglichkeiten für forensische Anthropologen im ganzen Land geworden. Heute gibt es in den gesamten Vereinigten Staaten rund 60 staatlich anerkannte forensische Anthropologen, und jeder Dritte unter ihnen hat irgendwann einmal bei mir studiert.
Das Council for the Advancement and Support of Education hatte mich zum Professor des Jahres ernannt, und zwar nicht nur für die University of Tennessee oder unseren Bundesstaat, sondern für die gesamten Vereinigten Staaten und Kanada. Wenig später kam Präsident Ronald Reagan nach Knoxville und aß mit mir zu Mittag. Unsere Arbeit weckte in Amerika und auf der ganzen Welt Aufmerksamkeit und Anerkennung. Ich wurde zu Vorträgen nach Australien, Kanada und Taiwan eingeladen.
Zu meiner eigenen Überraschung führte ich auch wieder ein ausgefülltes, glückliches Privatleben. Den Grund für diese Veränderung hatte ich 20 Jahre lang vor der Nase gehabt. Seit ich nach Knoxville gezogen war und die Leitung des anthropologischen Instituts der University of Tennessee übernommen hatte, war ich immer gern zur Arbeit gegangen. Das lag einerseits an der Arbeit selbst: Die Lehre macht meistens Spaß, und forensische Fälle fesseln mich. Andererseits lag es aber auch an Annette Blackbourne.
Annette hatte ich eingestellt, kurz nachdem ich die Stelle an der University of Tennessee angetreten hatte. Es gab bereits eine Sekretärin, aber als das Institut größer wurde und ein eigenes Forschungsprogramm aufbaute, brauchten wir eine zusätzliche Kraft, die unsere Forschungsgelder verwaltete. Während des Einstellungsgespräches war ich von Annettes Fähigkeiten in Organisations- und Finanzdingen beeindruckt. Noch stärker jedoch beeindruckten mich ihre Warmherzigkeit, ihre menschliche Reife und ihr Mitgefühl. In einem großen Institut wie dem unseren, in dem heimwehkranke Studienanfänger ebenso anzutreffen waren wie selbstbewusste Professoren auf Lebenszeit, waren Diplomatie und Humor unverzichtbare Eigenschaften.
Als die eigentliche Institutssekretärin kündigte und auf eine besser bezahlte Stelle wechselte, beförderte ich Annette in diese Position; noch später wurde ihre Stelle von der einer Sekretärin zur Verwaltungsassistentin aufgewertet. Vielleicht wäre Beraterin die zutreffendere Bezeichnung gewesen. Immer wenn eine schwierige Entscheidung bevorstand, besprach ich die Sache mit Annette, und mehr als einmal bewahrte sie mich vor folgenschweren Fehlern. Als vor der Body Farm beispielsweise Demonstranten auftauchten, hielt sie mich davon ab, hinüberzufahren und die Leute zur Rede zu stellen. Stattdessen beobachteten wir sie aus einem Auto, das wir auf der anderen Seite des Parkplatzes abgestellt hatten, und amüsierten uns über ihr schlaues Protestplakat; auf diese Weise konnte ich den Journalisten später mit einem viel kühleren, klareren Kopf gegenübertreten.
In den ganzen 20 Jahren unserer Zusammenarbeit war zwischen Annette und mir nie auch nur ein einziges böses Wort gefallen. Alle Institutsangehörigen - die anderen Dozenten, die Doktoranden, die Studienanfänger - verehrten sie. Ann und ich hatten uns im Laufe der Jahre eng mit Annette und ihrem Mann Joe angefreundet; Joe war Apotheker am Klinikum der University of Tennessee. Zweimal im Jahr quetschten wir uns zu viert in ein Auto oder Wohnmobil und machten über ein langes Wochenende einen gemeinsamen Ausflug in den Südwesten: nach Nashville, Asheville, Chattanooga, Mammoth Cave und ein halbes Dutzend anderer Orte. Kurz bevor Ann erkrankte, wurde bei Annettes Mann Lungenkrebs diagnostiziert. Er starb ungefähr zu der Zeit, als auch bei Ann die Krebsdiagnose feststand.
Während Anns Krankheit war Annette stets eine großzügige, einfühlsame Zuhörerin, und als Ann starb, wusste sie ganz genau, was in mir vorging. Mit Freundschaft und Verständnis half Annette mir über die schwierigen ersten Monate hinweg, und irgendwann wurde aus der Freundschaft Liebe. 14 Monate nach Anns Tod ließen Annette und ich uns in einer kleinen Kapelle der Second Presbyterian Church trauen. Ich fühlte mich wie neu geboren. Es war, als wäre ich noch einmal jung.
Kurz gesagt, lief im Herbst 1994 alles hervorragend. Es war zu schön, um wahr zu sein.
Der Ärger begann wieder einmal mit Wasserleichen. Viele Jahre zuvor hatte ich eine solche Leiche aus dem Kreis Roane in der Putzmittelkammer des Instituts verstaut und damit den Zorn des Hausmeisters auf mich gezogen. Dieses Mal war Tyler O’Briens Adipocire-Untersuchung der Ausgangspunkt des Problems. Adipocire oder Leichenwachs ist die schmierige, wachsartige Substanz, mit der Leichen aus Seen, Flüssen und feuchten Kellern häufig bedeckt sind. Angesichts der vielen Gewässer in Tennessee war ich mit Adipocire bestens vertraut. Aber wie gewöhnlich interessierte ich mich nicht nur für das Was und Warum, sondern auch für das Wann. Wenn mich dann das nächste Mal ein Polizist oder ein Rettungsteam zu einer Wasserleiche brachte, konnte ich ihnen anhand der Menge an Leichenwachs zumindest mit einem gewissen Maß an wissenschaftlicher Zuverlässigkeit sagen, wie lange diese Leiche schon »bei den Fischen lag«.
Ich versuchte mehrere Studenten davon zu überzeugen, dass sie ihre Examensarbeit über Adipocire schreiben sollten, aber damit stieß ich auf wenig Gegenliebe; vermutlich waren sie alle schon lange genug bei uns und wussten, dass Wasserleichen die schlimmsten von allen sind - sie stinken am stärksten und sind schmieriger als alle anderen. Im Herbst 1993 lief mir schließlich Tyler O’Brien über den Weg, der den Sommer zuvor bei der Behörde des medizinischen Sachverständigen in Syracuse im Staat New York gearbeitet hatte. Rund um Syracuse liegen die Finger Lakes, sodass Tyler in dem Sommer beim medizinischen Sachverständigen eine ganze Reihe von Ertrunkenen zu sehen bekam. Manche dieser Leichen waren voller Adipocire, andere jedoch nicht, und Tyler interessierte sich wie ich brennend dafür, wie dies mit den Bedingungen und der seit dem Tod verstrichenen Zeit zusammenhing.
Am einfachsten wäre es gewesen, Leichen in dem Fluss unterhalb der Forschungseinrichtung zu verankern. Aber wir wollten nicht, dass die Fischer ein halbes Jahr lang jeden Tag die Polizei anriefen, und deshalb dachte Tyler sich ein neues System aus: Er schaufelte drei Gruben von der Größe eines Grabes, legte sie mit dicker Kunststofffolie aus und füllte sie mit Wasser. Für eine solche enger gefasste, besser kontrollierte Studie sprachen stichhaltige wissenschaftliche Argumente. Er konnte auf diese Weise die Zahl der Variablen einschränken - hungrige Fische beispielsweise blieben in seiner Gleichung außen vor - und sich ohne störende äußere Einflüsse ausschließlich auf die Entstehung der Adipocire konzentrieren.
Tyler stellte seine Untersuchungen an den Leichen an, die in den drei Gruben lagen. Um sie während des Experiments zu verschiedenen Zeitpunkten untersuchen zu können, legte er auf den Boden jeder Grube ein Drahtgitter mit Haken an den Ecken, das er hochziehen konnte; darauf platzierte er dann die Leichen. Die Erste schwamm wie ein Korken. Wir drückten den Kopf unter Wasser, und die Füße stiegen nach oben; wir drückten die Füße hinunter, da kam der Kopf wieder hoch. Wir überlegten, ob wir die Leiche mit Gewichten beschweren sollten, aber dann entschlossen wir uns, sie selbst die richtige Höhe im Wasser suchen zu lassen. Dafür sank die zweite zum Boden wie ein Stein. Ertrunkene oder Mordopfer, die in einen See oder Fluss geworfen werden, steigen häufig nach einigen Tagen oder Wochen an die Oberfläche, weil sich in der Bauchhöhle die Fäulnisgase ansammeln, aber dieser Bursche sank nach unten und blieb dort. Der dritte Tote war ein großer, stämmiger Farbiger. Da Schwarze schwerere Knochen haben als Weiße, war ich überzeugt, dass er ebenfalls untergehen würde, aber er bereitete mir eine Überraschung. Wie die erste Leiche schwamm er obenauf.
Tyler ließ die Leichen fünf Monate im Wasser liegen. Danach hatte sich das Fleisch völlig zersetzt, und neue Erkenntnisse waren kaum noch zu erwarten. Aber in der Zwischenzeit hatte er einige interessante Phänomene beobachtet. Einer der interessantesten Befunde: Adipocire bildet sich nicht gleichmäßig am ganzen Körper, sondern nur ungefähr fünf bis acht Zentimeter unterhalb und oberhalb der Wasserlinie. Wir vermuteten, es müsse damit zusammenhängen, dass sowohl Wasser als auch Sauerstoff zur Verfügung stehen, aber das wussten wir nicht mit Sicherheit. Wie fast jedes gute Forschungsprojekt hatte Tylers Untersuchung viele Fragen beantwortet und mindestens ebenso viele neue aufgeworfen.
Zuvor hatte sich die Untersuchung der Adipocire-Bildung auf kleine Gewebeproben beschränkt, die man im Labor in Gefäße mit Wasser gelegt hatte. Was den Ablauf in seinem natürlichen Umfeld anging, leistete Tyler mit seiner Studie echte Pionierarbeit. Er machte umfangreiche Aufzeichnungen und viele Fotos; außerdem kam die Videoabteilung der Universität und stellte ein paar Filmaufnahmen von dem Experiment her. Die Bilder auf dem Videoband waren grausig, andererseits aber wissenschaftlich auch so aufschlussreich, dass ich sie in einen Lehrfilm für Polizeibeamte aufnahm. Wir zeigten ihn im Rahmen eines Weiterbildungsprogramms der Universität, das als Law Enforcement Satellite Academy of Tennessee oder kurz LESAT bezeichnet wurde.
Leider sah eine Fernsehjournalistin aus Nashville, die bei LESAT einen Vortrag halten sollte, ausgerechnet dieses Band und war darüber völlig entsetzt. Das ist nicht verwunderlich: Selbst mir fiel es schwer, die Aufnahmen anzusehen, und ich habe tagtäglich mit verwesenden Leichen zu tun. Auch Aufnahmen von chirurgischen Operationen bereiten mir Unbehagen, aber das heißt nicht, dass der Chirurg darin irgendetwas falsch gemacht hätte. Rückblickend kann ich aber nur zu dem Schluss gelangen, dass diese Fernsehreporterin uns unausgesprochen auf eine schwarze Liste gesetzt hatte und nur auf einen Anlass wartete, um uns eins auszuwischen.
Der Anlass kam wenig später. Mittlerweile schickten die medizinischen Sachverständigen von Tennessee mir in stetiger Folge immer wieder Leichen, auf die niemand mehr Anspruch erhob. Vielfach waren es Obdachlose gewesen, und wie sich herausstellte, waren einige dieser Obdachlosen - was ich nicht wusste - Kriegsveteranen.
Ich selbst habe während des Koreakrieges meinen Wehrdienst geleistet und hege den größten Respekt gegenüber den Männern und Frauen, die unser Land verteidigen. Niemals würde ich absichtlich einen Kriegsveteranen, ob tot oder lebendig, respektlos behandeln. Aber das alles spielte keine Rolle, als dem Channel 4 aus Nashville zu Ohren kam, auf der Body Farm würden ehrenvoll entlassene Kriegsteilnehmer im Freien verwesen.
Die erste Warnung, dass Schwierigkeiten bevorstanden, kam mit dem Anruf einer Journalistin, die mich um ein Interview bat. »Klar«, sagte ich, »kommen Sie her.« Den ganz Herbst über hielt ich Vorlesungen an der University of Tennessee in Martin, einer anderen staatlichen Hochschule, rund 500 Kilometer von Knoxville entfernt. Die Journalistin und ihr Kameramann kamen mit dem Auto aus dem 240 Kilometer entfernten Nashville. Während sie Kamera und Scheinwerfer aufbauten, sagte sie mir, sie habe alle Berichte über mich ausgegraben, die jemals in den Zeitungen von Knoxville gestanden hätten. Es waren Dutzende von Artikeln, aber als die Kamera lief, kreisten ihre Fragen nur um einen einzigen davon: den über die Proteste, die eine Gruppe namens S.I.C.K. - Solutions to Issues of Concern to Knoxvillians - im Jahr 1985 veranstaltet hatte. Etwa 45 Minuten lang fragte sie mich nach dem Protest und anderen Gegnern, dann fragte sie, ob sie meine Vorlesungsstunde filmen dürften. »Natürlich«, sagte ich, und so taten sie auch das. Anschließend setzte sie mir vor der Kamera noch einmal eine Dreiviertelstunde lang zu. Allmählich begriff ich, wie man sich fühlt, wenn man in einer Sendung wie 60 Minutes eine Stunde lang einem Reporter gegenübersitzt.
Ein paar Wochen später begleiteten mich meine Freunde von Channel 4 mit laufender Kamera zu einem Gastvortrag. Irgendwie fühlte ich mich verfolgt, aber ich wusste nicht genau, warum. Wegen des feindseligen Tons in dem 90-Minuten-Interview in Martin fürchtete ich allmählich, dass sie ein geheimes Ziel hatten, und das beunruhigte mich. Als sie dann fragten, ob sie auf der Body Farm filmen dürften, sagte ich nein.
Ein paar Wochen vergingen, dann kam ein Anruf vom Sicherheitsdienst der Universität: Ob ich bitte sofort zu der Forschungseinrichtung kommen könne? Als ich ankam, hielten sie den Kameramann von Channel 4 fest; er war mit seinem Auto bis zum Holztor der Forschungseinrichtung gefahren, hatte sein Stativ auf das Wagendach gestellt und alles gefilmt, was er innerhalb der Umzäunung erkennen konnte.
Ich war wütend. Als der Sender sich an mich gewandt hatte, war ich sehr bemüht gewesen, offen, ehrlich, entgegenkommend und fair zu sein. Hätten sie sich genauso verhalten, wäre ich gern weiterhin kooperativ gewesen, aber jetzt fühlte ich mich betrogen. Ich war mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass hier eine Art Hexenjagd stattfinden sollte. Der Kameramann rief seinen Vorgesetzten bei Channel 4 an; der Sender rief seinen Anwalt an; der Anwalt rief den Anwalt der University of Tennessee an.
Einige Wochen nach dem filmischen Guerillaangriff sendete Channel 4 schließlich seinen Bericht. In einer vierteiligen Serie mit dem Titel Last Rights geißelte der Sender die angebliche Schändung verstorbener Kriegsteilnehmer durch die Body Farm. Manche Bilder stammten aus dem Material, das sie über unseren fast drei Meter hohen Zaun hinweg aufgenommen hatten, der größte Teil jedoch war aus dem LESAT-Lehrfilm entnommen - insbesondere die drastischen Bilder von Tyler O’Briens Untersuchung der Adipocire-Bildung bei Wasserleichen.
In meinen Augen zeichnete die Serie ein verzerrtes, sensationslüsternes Bild, aber vielleicht sahen die Fernsehleute darin ein Plädoyer für Würde und Anstand; auch ihren Einschaltquoten dürfte der Film nicht geschadet haben. Was auch ihre Ansichten gewesen sein mochten, der Bericht hatte weit reichende Folgen. In den Tagen nach der Sendung erhielt ich ständig Anrufe von wütenden Kriegsveteranen, entrüsteten Angehörigen und verärgerten Bürgern; auch Beamte der Universität, die wegen der negativen Publicity beunruhigt waren, riefen mich an. Rückblickend betrachtet, war so etwas wohl unvermeidlich. Jahrelang hatten wir mit unseren Forschungen den üblichen Weg der Gesellschaft, mit Toten umzugehen, verlassen; jahrelang hatte sich das Medieninteresse auf wenige, meist aber positive Berichte über unseren Beitrag zur Verbrechensaufklärung beschränkt; und in jüngster Zeit waren wir durch einen Krimibestseller ins Rampenlicht des ganzen Landes gerückt. Wir waren ein aktuelles Thema, und vielleicht war irgendjemand irgendwo zu der Ansicht gelangt, wir müssten den einen oder anderen Schuss vor den Bug bekommen.
Ich hoffte, der Ärger werde sich schnell wieder legen, aber diese Hoffnungen zerschlugen sich schon bald. Wie sich herausstellte, war die anfängliche Aufregung nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen, denn jetzt mischte sich der Beauftragte des Staates Tennessee für Angelegenheiten der Veteranen in den Streit ein. Er veranlasste mehrere Mitglieder des Staatsparlaments, einen Gesetzentwurf einzubringen, der unsere Forschung an herrenlosen, von medizinischen Sachverständigen zugelieferten Leichen praktisch unmöglich gemacht hätte. Angesichts der Tatsache, dass solche Leichen einen beträchtlichen Anteil unserer Forschungsobjekte stellten, wären die Folgen verheerend gewesen.
Dass die Sache zu einer solchen Krise eskalierte, verblüffte mich. Es war die einzige derartige Forschungseinrichtung auf der ganzen Welt. In den ersten Jahren hatten wir wegweisende Befunde über Vorgänge und zeitlichen Ablauf bei der Verwesung von Leichen veröffentlicht, und diese grundlegenden Erkenntnisse waren auf der ganzen Welt von Nutzen. Sie hatten der Polizei und den Staatsanwälten geholfen, Dutzende von Mördern hinter Gitter zu bringen. Ich selbst hatte in zahlreichen Mordprozessen als Sachverständiger ausgesagt und in nicht wenigen Fällen dazu beigetragen, dass Mörder ins Gefängnis kamen. Meine früheren Doktoranden waren selbst zu anerkannten Wissenschaftlern geworden und erarbeiteten sich auf der Grundlage ihrer Arbeiten auf der Body Farm einen eigenen Ruf als führende Experten. Und dabei kratzten wir gerade erst an der Oberfläche. Es gab noch so viele Faktoren zu untersuchen, so viele Methoden zu entwickeln und zu verfeinern …
Ich wusste, dass ich diesen Kampf nicht allein ausfechten konnte, anfangs hatte ich aber auch keine Ahnung, wer als Helfer in Frage kam. In wissenschaftliche Streitigkeiten war ich auch früher schon verwickelt gewesen, aber in juristische noch nie. Wenn wir in dem Konflikt unterlagen, würde die Body Farm als kühnes, aber gescheitertes Experiment in die Wissenschaftsgeschichte eingehen.
Dann fielen mir die Staatsanwälte ein. Bei ihnen könnte der Schlüssel liegen. Es gab in Tennessee 31 Bezirksstaatsanwälte, und die waren nicht nur mit der Durchsetzung der Gesetze beauftragt, sondern sie waren auch Volksvertreter: Sie wurden in ihr Amt gewählt und behielten es, weil sie entschlossen waren, Verbrechen zu bekämpfen. Einigen von ihnen hatte ich unmittelbar geholfen; ich hatte sogar zur Verurteilung eines Mannes beigetragen, der ein paar Jahre zuvor in Knoxville einen Assistenten des Bezirksanwalts ermordet hatte.
Ich holte mein Telefonverzeichnis der Strafverfolgungsbehörden von Tennessee und wählte eine Nummer nach der anderen. Ich stellte ihnen die Sache mit den Kriegsveteranen aus meiner Sicht dar, schickte ihnen eine kurze Zusammenfassung der Geschichte unserer Forschungseinrichtung und legte dar, was es - nicht nur für mich, sondern auch für Polizei und Staatsanwälte - bedeuten würde, wenn das Parlament unsere Forschungsarbeiten auf der Body Farm einschränkte.
Drei Monate nachdem Channel 4 die Serie Last Rights ausgestrahlt hatte, wurde das entscheidende Anti-Body-Farm-Gesetz in einem wichtigen Senatsausschuss zur Abstimmung gestellt. In dem Ausschuss saßen zwei Initiatoren des Gesetzes, die Sache sah für uns also düster aus. Aber dann sprach sich ein anderer Senator, der zu dem Gesetzentwurf Stellung nehmen sollte, sehr leidenschaftlich dagegen aus. Er argumentierte, das Gesetz werde praktisch zur Schließung der Body Farm führen und damit die Strafverfolgung behindern. »Die Sorge um die Überreste Verstorbener sollte hinter der Notwendigkeit, Verbrecher zu ergreifen, zurücktreten«, sagte er. Der Ausschuss sprach sich mit fünf gegen vier Stimmen dafür aus, die Verabschiedung nicht weiterzuverfolgen. Wir waren mit der geringstmöglichen Mehrheit einer Katastrophe entgangen.
Wenig später nahm ich zufällig an einer Konferenz teil, auf der auch der Gouverneur von Tennessee anwesend war. Er nahm mich beiseite, beugte sich ganz dicht an mein Ohr und flüsterte: »Anscheinend hat mein Beauftragter für die Angelegenheiten der Veteranen nicht genug zu tun.« Das nahm ich als Zeichen, dass die Aufregung um die Body Farm vorüber war - zumindest fürs Erste und, so hoffte ich, für immer.