Prolog
Vor 32 Jahren in Silver Spring / Virginia
Adrenalin jagte durch ihre Adern als sie keuchend und nach Luft ringend in die nächste Straße einbog und kurz hinter sich sah.
"Mist!" Er war immer noch hinter ihr und verringerte den Abstand zwischen ihnen mehr und mehr. Verzweifelt sah sie sich um. Kein einziger Mensch war zu dieser späten Stunde auf der Straße, niemand der ihr hätte helfen können. Panik stieg in ihr hoch und sie versuchte ihre Beine zu einem höheren Tempo anzutreiben. Dabei fühlten sie sich jetzt schon an, als würden sie bluten.
"Bleib stehen! Du hast ja doch keine Chance mir zu entkommen." Seine Stimme kroch ihr tief ins Unterbewusstsein und ihr Körper schrie förmlich danach, ihm zu gehorchen. Er kannte die Strafe für Ungehorsam.
Doch sie lief weiter. Ihre Beine fühlten sich nach dieser Verfolgungsjagd so schwer an wie Blei und ihre Lunge tat ihr höllisch weh. Aber sie durfte nicht stehen bleiben. Sie durfte ihm nicht in die Hände fallen.
Als er sie schließlich doch eingeholt hatte, griff er in ihr langes, rotes Haar und zog sie grob daran zurück. Sie schrie vor Schmerz auf und fiel auf ihren Allerwertesten. Voller Panik wand und zerrte sie, bis sie schließlich wieder auf den Beinen stand und schrie: "Bitte lass mich gehen. Bitte! Ich flehe dich an."
Immer noch die Hand in ihrem Haar zog er sie grob in eine Seitengasse und wieder verlor sie den Boden unter ihren Füßen. Als er, seiner Meinung nach, ein ideales Plätzchen für eine Unterhaltung gefunden hatte, zerrte er noch einmal ruckartig an ihrem Haar, so dass sie auf den Beinen stand. Dabei riss er ihr ein Büschel von der roten Pracht heraus, die er voller Ekel von seiner Hand schüttelte.
Tränen überströmt und noch immer heftig nach Luft ringend, stand sie vor ihm. Ein heftiges Zittern durchfuhr sie und ihre Nackenhaare stellten sich in der Vorahnung des Kommenden auf.
"Carla. Ich will doch nur mit dir reden." Seine Stimme klang wie samt, schmeichelnd. Aber in seinem gehässigen Blick konnte sie sehen, dass er sie an log. Sie suchte ihre Umgebung nach einem Fluchtweg ab, ohne Erfolg.
Fliehen konnte sie nicht. Nicht mehr. Sie spürte die gewalttätige Aura die ihn umgab. Er sprühte förmlich vor Energie und war der Raserei nahe. Und erst seine Augen. Sie waren fast komplett schwarz und fixierten sie mit beängstigender Deutlichkeit. Seine Haare waren wie immer ordentlich gepflegt und durch die Verfolgung nur unwesentlich aus der Form geraten. Würde sie ihn nicht kennen, käme er ihr wie ein kultivierter Mensch vor. Sie verfluchte sich innerlich, dass sie heute ihre Wohnung verlassen musste. Sie hätte vorsichtiger sein sollen, aber sie wollte unbedingt zu Willi. Als sie ein paar Straßen vor seiner Kanzlei Dereks Geruch wahr genommen hatte, war ihr Herz fast stehen geblieben. Und dann war sie los gerannt.
"Du willst mit mir reden? Worüber? Ich dachte, wir hätten alles geklärt." Seine Finger glitten wieder durch ihr langes Haar und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie fühlte sich äußerst unwohl in seiner Gegenwart und blieb ständig in Bewegung. Es glich dem Zappeln eines Kindes, das nicht still sitzen konnte.
Sie hatte schon immer gewusst das er gefährlich war. Besonders jetzt, nach der Jagd. Sie hätte sich nie mit ihm einlassen dürfen.
"Wo sind die Babys?" Sie zog lautstark Luft ein und wurde blass wie ein Betttuch. Sie konnte fürmlich spüren, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. Er grinste überlegen und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Du hättest wohl nicht gedacht, dass ich es herausfinde. Wo sind sie?" Carla starrte ihn mit großen Augen an und antwortete mit flehender Stimme: "Du hast mich doch schon aus dem Rudel verbannt. Reicht dir das nicht?" Er packte sie grob am Arm und zog sie zu sich. Sie konnte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren.
"Nein. Ich habe mich schon gefragt, warum du dich nicht gegen die Anschuldigungen gewehrt hast. Aber ich wäre nie darauf gekommen, dass du von einem meiner Männer schwanger sein könntest. Wo sind die Babys? Noch einmal frage ich nicht." Sie drehte den Kopf zur Seite und erwiderte leise, fast flüsternd: "In Sicherheit!"
Sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse und dann schloss er seine Hand um ihren Oberarm, bis dieser brach. Sie schrie schmerzerfüllt auf und taumelte nach hinten. Sie wollte weg rennen. Ihre Babys brauchten sie. Aber er war so stark und sie hatte erst vor ein paar Wochen entbunden und war immer noch geschwächt.
"Du bist ein widerlicher Schweinehund", zischte sie ihn an. Doch er lächelte nur und ging weiter auf sie zu. Mit ihrem Rücken stieß sie an eine Hauswand und sah sich ein weiteres Mal um. Es war eine Sackgasse, sie konnte nur in eine Richtung fliehen. Sie musste es riskieren. Mit ihrem gesunden Arm zerkratzte sie ihm das Gesicht und mit dem Knie stieß sie ihm in die Lendengegend. Keuchend ging er zu Boden. Jetzt hatte sie nur ein paar Sekunden zur Flucht und sie betete, dass es ihr gelingen würde ihm zu entkommen. Aber sie war noch nicht mal am Ende der Gasse angekommen, als er ihr den gebrochenen Arm auf den Rücken bog. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte sie. Wieder schrie sie auf.
"Du kleine Hure!" Er stieß sie zurück in die Gasse und schmetterte sie gegen eine Mülltonne. Beide gingen lautstark zu Boden.
"Bitte..." jammerte sie. "Bitte lass mich gehen." Sie sah zwischen Tränen zu ihm auf und erblickte seine verzerrte Fratze. Jetzt war die dunkle Aura des Wolfs unübersehbar, die wie ein Schatten über seiner Gestalt lag.
"Gehen wirst du nicht mehr." Mit diesen Worten trat er mit ganzer Kraft auf ihren Oberschenkel und allein das Geräusch des brechenden Knochens verursachte ihr schon Übelkeit. Den Schmerz nahm sie nur am Rand wahr. Er kauerte sich neben sie und zog ihr Gesicht näher zu sich.
"Und wenn du mir nicht endlich sagst, wo diese Bastarde sind, wirst du das hier nicht überleben." Carla biss die Zähne zusammen, reckte ihr Kinn nach vorn und blickte ihn stolz und verwegen an.
"Niemals. Lieber sterbe ich." Er zuckte mit den Achseln und schlug ihr kraftvoll ins Gesicht. Schmerz explodierte in ihrem Kopf und für einen Moment sah sie Sterne.
"Es ist wirklich schade. Wärst du nur etwas zurückhaltender gewesen und hättest schön mein Bett gewärmt, hätte es nie soweit kommen müssen. Aber Leid tut es mir nicht. Du hast mir nie etwas bedeutet. Du warst ein netter Zeitvertreib." Carla merkte, wie ihr Auge anschwoll und sich ihr Sichtfeld einengte. Trotzdem lachte sie ihn hämisch an. Weder ihr Bein noch ihren Arm konnte sie noch bewegen.
Ich bin sowieso verloren.
"Mehr als diesen lausigen Schlag hast du nicht drauf? Kein Wunder, dass dein Vater dir die Verantwortung für das Rudel nicht hatte übergeben wollen. Mir hat er vertraut und ich bin erst dreiundzwanzig." Das war sein wunder Punkt und sie wusste es. Er packte sie am Hals und drückte zu.
"Du kleine Schlampe. Nimm das zurück! Du bist ein Nichts. Und du wirst immer ein Nichts sein." Carlas Kehle schmerzte furchtbar, aber sie wusste, wie gern er andere folterte. Sie wollte einen schnellen Tod, wenn sie ihm schon nicht entrinnen konnte.
Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen, die Farbe ihres Gesichtes wechselte von rot zu blau und sie konnte die kalte Hand des Todes schon auf ihrem Herzen spüren.
Ich bin jemand. Ich bin die Mutter von zwei
wunderbaren Mädchen. Die Gefährtin eines ehrbaren Mannes. Die
Tochter von tüchtigen und edlen Menschen. Und ich wurde geliebt,
auch wenn es nicht der richtige Mann war, den ich gewählt
habe.
Ihre letzten Gedanken verschwammen als sie ins Dämmerreich der ewigen Nacht hinüber glitt.
"Scheiße!" Er ließ ihren Hals los und sah in das geschundene Gesicht. Es war verquollen und blau. In ihrem ehemals so schönen, roten Haar klebte Dreck und Laub zusammen mit ihrem eigenen Blut, dass aus Nase und Mund tropfte. Plötzlich schmunzelte er wieder und seine Miene hellte sich auf.
"Ich werde sie auch ohne dich finden. Du warst mir sowieso ein Dorn im Auge. Früher oder später wärst du in irgendeiner Form zu Tode gekommen. Das ich es selbst erledigen konnte ist an sich auch was wert." Mit diesen Worten stand er auf und ging.
Sollen Sie doch die Ratten fressen.